Vers | Mittelhochdeutsch | Neuhochdeutsch |
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1 | Des muot sô wirdeklîche stât | Wessen Gesinnung eine so ehrenvolle ist, |
2 | daz er unfuoge niht enlât | dass er keine Unanständigkeiten |
3 | gesigen in sîns herzen grunt, | Eingang in sein Herz finden lässt, |
4 | daz mac niht sîn, im werde kunt | Bei dem kann nicht ausbleiben, dass ihm schließlich |
5 | ze jungest hôher sælden teil. | hohe Glückseligkeit zuteil werde |
6 | gotes lôn, der welte heil | Gottes Lohn, das Heil der Welt |
7 | muoz man vil tiur erringen. | muss man sich sehr hart erarbeiten. |
8 | ûz dornen rûch entspringen | Aus wilden Dornen sieht man selten |
9 | siht man selten guote fruht. | gute Frucht hervorgehen. |
10 | sô wirt ouch grôziu ungenuht | So wird auch kein böses Unkraut |
11 | an süezem stammen niht gesehen. | an süßem Stamm gesehen. |
12 | bî guotem guot, sô hoer ich jehen, | Von Gutem gut, höre ich sagen, |
13 | bî süezem süez, bî argem arc, | von Süßem süß, von Schlechtem schlecht, |
14 | bî miltem milt, bî kargem karc, | von Freigebigem freigebig, von Hinterlistigem hinterlistig, |
15 | bî frechem frech, bî zagen zagen | von Kühnem kühn, von Zaghaftem zaghaft |
16 | wirt man, hoer ich die wîsen sagen. | wird man, höre ich die Weisen sagen. |
17 | des sönt die jungen nemen war. | Davon sollen die Jungen hören. |
18 | herz unde sinne sönt ie dar | Herz und Sinne sollen zu aller Zeit |
19 | mit den gedenken vehten, | mit den Gedanken dorthin streben, |
20 | swâ man ze êren flehten | wo immer man sich durch |
21 | sich siht mit wirdeclîcher tât. | ehrenvolle Tat Ehre erwirbt. |
22 | ein reine leben selten hât | Ein reines Leben hat noch selten |
23 | genomen ein swachez ende. | ein schlechtes Ende genommen. |
24 | in dirre welt ellende | Auf dieser vergänglichen Welt |
25 | wart nie sô reines noch sô guot | entstand nie etwas so Reines oder Gutes |
26 | als êre, der ir rehte tuot. | wie die Ehre, wenn einer ihr gemäß handelt. |
27 | sî bringet gotes hulde. | Sie bringt Gottes Wohlwollen. |
28 | êr ist ein übergulde, | Ehre ist der größte Schatz, |
29 | für allez lop gewæhet, | vor allem Lob verherrlicht, |
30 | sît sî sich gote næhet, | weil sie Gott nahe ist, |
31 | und bringet ouch der welte gruoz, | und sie findet auch in der Welt Anerkennung. |
32 | diu man beide haben muoz, | Wer in der Welt herumkommt, |
33 | swer mit der welte umbe gât. | muss beides haben. |
34 | dâ von mîn tumbez herze hât | Deswegen hat sich mein einfältiges Herz |
35 | sich an ein mær verphlihtet. | in den Dienst einer Geschichte gestellt. |
36 | wirt daz mit rede voldihtet, | Wird diese auserzählt, |
37 | ir hoerent wunderlîchiu dinc. | hört ihr wunderbare Dinge. |
38 | der welt ende und ir ursprinc | Das Ende der Welt und ihr Ursprung |
39 | ist liep und leit, naht unde tac. | sind Freude und Leid, Nacht und Tag. |
40 | des ein vil hôher fürste phlac, | Das beherzigte ein hochwohlgeborener Fürst, |
41 | der ie nâ prîs der welte vaht, | der stets nach dem Ruhm der Welt strebte |
42 | und hât dâ bî tac unde naht | und dabei Tag und Nacht |
43 | in herzen gotes vorhte. | im Herzen gottesfürchtig war. |
44 | swaz werk er ie geworhte, | Was er auch immer tat, |
45 | diu wâren an untæte laz, | das war an Unrecht arm, |
46 | wan er der êren nie vergaz: | weil er nie die Ehre vergaß: |
47 | der kunde er wol geschônen. | Darauf wusste er Rücksicht zu nehmen. |
48 | des wolt ouch got im lônen | Das wollte auch Gott ihm dort im Himmel |
49 | in himel dort, ûf erden hie, | und hier auf der Erde vergelten, |
50 | wan got den sînen nie verlie | denn Gott lässt den Seinen |
51 | in keiner nôt gestecken. | in einer Notlage niemals im Stich. |
52 | der âne zwîvels flecken | Wer jemals ohne den Makel des Zweifels |
53 | ie sîner helfe ruohte | seine Hilfe begehrte |
54 | und gnâde an in suohte, | und ihn um Gnade ersuchte, |
55 | dem was sîn trôst und helf bereit. | dem wurden sein Trost und seine Hilfe zuteil. |
56 | ich sag iuch als mir wart geseit | Ich erzähle euch, wie mir erzählt wurde, |
57 | sunder lougen âne trüge. | ohne Lug und Trug. |
58 | daz ich mit worten umbe flüge, | Um mit Worten zu jonglieren, |
59 | dâ zuo sô ist mîn sin ze kranc, | ist mein Verstand zu schwach; |
60 | und würd diu rede ouch lîht ze lanc. | auch würde die Rede leicht zu lang. |
61 | des lâz ich ir vil under wegen | Deshalb lasse ich unterwegs viele von ihnen [scil. den Worten] weg |
62 | und wil einvalteclîchen stegen | und will in einfacher Weise |
63 | ûf der âventiure wân | dem Pfad der Aventiure folgen, |
64 | der ich mich underwunden hân. | derer ich mich angenommen habe. |
65 | Hie vor ein werder fürste was | Es war einmal ein edler Fürst, |
66 | der zuht und êr ie an sich las | der aufgrund freigebiger und ritterlicher Handlungsweise |
67 | mit milt und ritterlîcher tât, | Anstand und Ehre zu seinen Tugenden zählte, |
68 | dâ von sîn lop geblüemet stât | weshalb sein Ruhm immer mit |
69 | früht iemer unverdorben. | frischen Früchten in Blüte stand. |
70 | ist im der lîp erstorben, | Ist er gestorben – |
71 | wel nôt? Sîn lop doch hôhe swept. | welche Not? Sein Ruhm wird dennoch hochgehalten. |
72 | wê dem verzagten der sô lept | Weh dem Verzagten, der so lebt, |
73 | swenn im der lîp alhie verstirbt, | dass sein Ruhm mit dem Körper vergeht, |
74 | daz sîn lop mit dem lîb verdirbt. | wenn der Körper auf Erden stirbt. |
75 | des tet er niht, sîn leben was | Das tat er [scil. der Fürst] nicht. Sein Leben war |
76 | gehertet sam ein adamas | wie ein Diamant gehärtet |
77 | an starker ritterlîcher tât. | durch kraftvolles ritterliches Handeln. |
78 | unfuoge im nie bekrenket hât | Unpassendes Verhalten hat ihm nie |
79 | sînes vesten herzen brust, | die Brust seines tapferen Herzens geschwächt. |
80 | ein helt an ritterlîcher just, | Ein Held in ritterlicher Tjost, |
81 | ein schûr bî vîentlîcher tât, | ein Schutz bei feindlichem Angriff, |
82 | ein vester friunt bî friundes rât. | ein beständiger Freund beim Rat der Freunde. |
83 | daz liez er dicke werden schîn. | Das ließ er oftmals erkennen. |
84 | bî guotem guot, sô kund er sîn, | Gegenüber Gutem gut, so wusste er zu sein, |
85 | bî sûrem sûr, bî starkem starc. | gegenüber Hartem hart, gegenüber Starkem stark. |
86 | sîn stæte triwe sich nie verbarc, | Seine beständige Treue versteckte sich nie, |
87 | wan er ir vesteclîchen wielt. | weil er sie unaufhörlich pflegte. |
88 | der helt sô ritterlich sich hielt | Der Held verhielt sich so ritterlich, |
89 | daz man noch iemer von im seit. | dass man noch immer von ihm erzählt. |
90 | sîn wirde billich sol gespreit | Seine Würde soll zu Recht |
91 | für alle herren werden, | vor allen Herren verbreitet werden, |
92 | daz sî bî sîn geberden | damit sie aus seinem Handeln |
93 | nemen bezzerunge war. | Besserung ziehen. |
94 | den guoten kunde er halten gar | Den Guten wusste er ehrenvoll |
95 | nâch êren, als diu mâze hiez. | zu behandeln, wie das rechte Maß es erforderte. |
96 | den knehten knehtes reht er liez | Auch den Knechten ließ er nach Maß ihr Recht |
97 | ouch in der mâze als ez gezam. | zuteil werden, wie es sich gehörte. |
98 | kein schalc ze sînem râte kam | Kein niedriger Mensch nahm an seiner Ratsversammlung teil, |
99 | der riete wider êren phliht, | der gegen die Erfordernisse der Ehre geraten hätte, |
100 | als man nû herren râten siht. | wie man heutzutage Herren raten sieht. |
101 | Des muose im êre wahsen. | Daraus möge ihm Ehre erwachsen. |
102 | Westevâl und Sahsen | Westfalen und Sachsen waren |
103 | dienden beidiu sîner hant. | beide unter seiner Herrschaft. |
104 | sîn nam sô wîte was erkant | Sein Name war so weit bekannt, |
105 | daz man im hôher êren jach. | dass man ihm hohe Ehren zuerkannte. |
106 | des ouge in doch nie an gesach, | Selbst den, dessen Auge ihn nie gesehen hatte, |
107 | den hôrte man in prîsen. | hörte man ihn loben. |
108 | des zühterîchen wîsen | Des hochanständigen Weisen |
109 | lop hât alliu lant durchflogen. | Ruhm hat alle Länder durchflogen. |
110 | man nant den selben herzogen | Man nannte diesen Herzog |
111 | Reinfrit von Brûneswîc. | Reinfried von Braunschweig. |
112 | sîn fuoz ab rehter êren stîc | Sein Fuß wich niemals um ein Haar |
113 | nie verruhte umb ein hâr. | vom Weg der rechten Ehre ab. |
114 | sîn lîp ûf vier und zwênzic jâr | Er war |
115 | an alter hât die zît vertriben. | vierundzwanzig Jahre alt. |
116 | dur muotgelust was er beliben | Freiwillig war er |
117 | wirdeclîch sunder êwîp. | ehrbar ohne Ehefrau geblieben. |
118 | er pînte leben unde lîp | Um der Ehre willen strapazierte er Leben und Leib |
119 | dur êre in werder ritterschaft. | in edlem ritterlichen Kampf. |
120 | sin lîp der hât wol ritters kraft, | Sein Körper hatte sehr wohl die Stärke eines Ritters, |
121 | mit der sîn herze spilte. | mit der sein Herz kokettierte. |
122 | ze swerte sper und schilte | Sein Verstand und sein Denken richteten sich |
123 | stuont sîn sin und der gedanc; | auf Schwert, Lanze und Schild; |
124 | wan er nâ ritterschaft ie ranc | denn er strebte immerfort nach Ritterschaft |
125 | und hât doch sunder lougen | und hatte dabei doch |
126 | dâ mite got vor ougen, | fürwahr Gott im Blick, |
127 | den er ûz herzen nie verlie. | den er niemals aus dem Herzen verlor. |
128 | ein man der mac dort unde hie | Ein Mann kann da und dort |
129 | erwerben ritterlîchen solt. | ritterlichen Lohn erwerben. |
130 | ritters orden dem ist holt | Gott ist dem Ritterstand wohl gesonnen, |
131 | got, ob er ritterlîchen stât | wenn er so ritterlich ist, |
132 | als in got selbe gordent hât. | wie Gott selbst ihn eingerichtet hat. |
133 | Des ist iez aber leider niht, | Heutzutage ist das aber leider nicht der Fall, |
134 | sît daz man witwen weisen siht | denn man sieht in allen Ländern, |
135 | in allen landen machen | die Taten von Rittern |
136 | von ritterschefte sachen. | Witwen und Waisen hervorbringen. |
137 | des tet er niht, sîn ritterschaft | Er tat das nicht; sein Rittertum |
138 | was schirm und schilt mit ganzer kraft | war mit ganzer Kraft Schutz und Schild |
139 | vor aller slahte freisen. | vor jeglicher Bedrohung. |
140 | gên witwen unde weisen | Gegenüber Witwen und Waisen |
141 | hielt er sunder twâle | hielt er sich ohne zu zögern |
142 | den orden von dem grâle, | an die Regel des Grals, |
143 | der Titurel und Anfortas | die Titurel und Anfortas |
144 | ze Munsalvalde geben was, | in Munsalvalde gegeben worden war. |
145 | hielt er mit kiuscher stætekeit, | Er hielt sie mit keuscher Beständigkeit, |
146 | als uns für wâr diz mære seit. | wie uns diese Geschichte fürwahr berichtet. |
147 | Sus fuor sîn prîs dur alliu lant. | So verbreitete sich sein Ruhm in allen Ländern. |
148 | er wart sô wîtenen erkant | Er wurde so weitum bekannt, |
149 | daz man im hôher wirde jach, | dass man ihm hohe Würde zusprach, |
150 | wan er für sîn genôze brach | weil er seinesgleichen |
151 | an êre und an werden siten. | an Ehre und edlen Gepflogenheiten übertraf. |
152 | nu kunt eins tages în geriten | Nun kam eines Tages, als man gerade |
153 | ein knapp, dô man ze tische gie, | zu Tisch ging, ein Knappe angeritten, |
154 | den er vil wirdeclîche enphie | den er [scil. Reinfried] sehr würdevoll empfing |
155 | und hiez im schaffen guot gemach, | und dem er es angenehm zu machen befahl, |
156 | wan des ze zîten vil geschach, | weil das damals in der Regel demjenigen zuteil wurde, |
157 | swer ûz ald în dô kam geriten: | der auszog oder angeritten kam: |
158 | er spurte nâ künc Artûs siten | Er folgte dem Brauch des König Artus, |
159 | daz man alle die enpfie | dass man alle die empfing, |
160 | swer ûz ald în ze hove gie, | die zum Hof kamen oder ihn verließen, |
161 | und phlac der keiserlîchen wol | und sorgte so gut für die Hochwohlgeborenen, |
162 | dâ nach sô man denn leben sol. | dass man sich daran ein Beispiel nehmen soll. |
163 | Alsus ouch hie des knappen wart | So kümmerte man sich auch hier, seiner Herkunft |
164 | gepflegen wol nâch sîner art | entsprechend gut um den Knappen |
165 | daz es in dûhte mê dan gnuoc. | dass es ihn mehr als ausreichend dünkte. |
166 | als man die tische al hin getrouc | Nachdem man die Tafel |
167 | nâ manger grôzer wirtschaft | nach einem großen Mahl, |
168 | der dâ was mê denn überkraft, | an dem wirklich nichts gefehlt hatte, aufgehoben hatte, |
169 | dô stuont er ûf und rette alsô | da stand er auf und sprach wie folgt: |
170 | ,fürste hêr, bis iemer frô | „Erhabener Fürst, sei immer froh |
171 | umb daz keiserlîche leben | über das fürstliche Leben, |
172 | daz got ze sælden hât gegeben | das Gott dir zum Glück für |
173 | dir ze dirre welte frist. | diese Erdenfrist gegeben hat. |
174 | dîn lop sô verre erschollen ist | Dein Lob ist so weit |
175 | dur manic wîtez rîchez lant. | durch viele ferne Länder erklungen. |
176 | dîn nam dîn wirde sint erkant | Dein Name, deine Würde sind so weit |
177 | sô wît und alsô verre | und so fern bekannt, |
178 | daz ûf der welt kein herre | dass auf Erden kein Herr |
179 | lept an wirde dîn genôz. | lebt, der dir an Würde gleichkommt. |
180 | dîn êr dîn lop sô bodenlôs | Deine Ehre und dein Ruhm sind so grenzenlos, |
181 | kan niemen gar durgründen. | dass niemand sie vollständig beschreiben kann. |
182 | sus hoer ich wîten künden | So höre ich weitum künden |
183 | dîn lop in allen landen | dein Lob in allen Ländern: |
184 | sich hât dîn lîp ver schanden | Du hast dich bisher aus freiem Willen |
185 | behüetet har mit frîger ger. | vor jeglicher Schande bewahrt. |
186 | dâ von sô bin ich verre her | Deshalb bin ich von fern hierher |
187 | ze dînem hove gestrichen, | an deinen Hof gezogen |
188 | und künt dir sicherlichen | und künde dir verlässlich, |
189 | sunder rede zâfel | ohne blumige Worte, |
190 | ein ritterlîch runttâfel: | von einer ritterlichen Tafelrunde: |
191 | dar kument rotten starke. | Dorthin kommen starke Scharen. |
192 | sî hat von Tenemarke | Die [scil. die Tafelrunde] hat die Tochter des Königs |
193 | des künges tohter ûf geleit, | von Dänemark einberufen, |
194 | von der schoen man wunder seit | von deren Schönheit man sich |
195 | wît in aller lande kreiz. | in weitem Umkreis Wunder erzählt. |
196 | sich hebet dâ manic puneiz | Da hebt sich mancher Stoß |
197 | von starker tjostiure. | von starker Tjost. |
198 | in der âventiure | Zu dieser Aventiure |
199 | ligent zwei hundert ritter | sind zweihundert Ritter gekommen, |
200 | die sunder vorhte zitter | die, ohne vor Furcht zu zittern, |
201 | mit stechen einen tac wol werent | gut einen Tag mit Stechen überstehen |
202 | alle die es an sî gerent. | gegen alle, die sie herausfordern. |
203 | und swer der best ist mit dem sper, | Und wer der beste mit der Lanze ist, |
204 | dem gît diu minneclîchiu hêr, | dem gibt die liebliche, hehre, |
205 | diu süeziu wol getâne, | die süße wohlgestalte, |
206 | diu junge schoene Yrkâne, | die junge schöne Yrkane, |
207 | von Tenemark des künges kint, | das Kind des Königs von Dänemark, |
208 | der ouch die âventiure sint, | von der diese Aventiure auch handelt, |
209 | ein junge turteltûben. | eine junge Turteltaube. |
210 | bezeichenlîche klûben | Man soll ihre Keuschheit |
211 | sol man ir kiuschekeit dar an, | daran nur symbolisch rauben, |
212 | sît daz ir herze nie gewan | denn ihr Herz gewann bisher weder |
213 | âmîs noch wart âmîe. | einen Geliebten, noch wurde es Geliebte. |
214 | diu süeze wandels frîe | Die süße Makellose |
215 | kiusche mit einvaltekeit | verfügt über die durch die Taube bezeichnete |
216 | bezeichent mit der tûben treit: | Keuschheit und Reinheit: |
217 | des hoert man sî noch gesten. | Dafür wird sie heute noch gerühmt. |
218 | man siht ir schoene glesten | Man sieht ihre Schönheit |
219 | sô verre sunder lougen. | ganz ungelogen weithin glänzen. |
220 | ir spilet ûz den ougen | Ihr leuchtet die Liebe |
221 | diu minne mit ir stricke. | mit ihren Fallstricken aus den Augen. |
222 | ei got waz strenger blicke | Ach Gott, was für stechende Blicke |
223 | sî girdeclîche schiuzet! | sie voll Begierde verschießt! |
224 | der sælden tou begiuzet | Der Tau des Glücks benetzt |
225 | ir herze ir leben und ir muot. | ihr Herz, ihr Leben und ihre Gesinnung. |
226 | dar kunt sô manic ritter guot | Dorthin kommt so mancher gute Ritter |
227 | gevarn ûz verren rîchen, | aus fernen Reichen gereist, |
228 | daz sî die minneclîchen | auf dass sie alle die Liebreiche |
229 | beschouwen dur ein wunder. | wie ein Wunder bestaunen. |
230 | der strenge minne zunder | Der starke Zündstoff der Liebe |
231 | ist in ir munt versunken, | ist in ihren Mund gefahren, |
232 | daz man der minne funken | dass man die Funken der Liebe |
233 | dar ûz möht sehen gneisten. | daraus sprühen sehen könnte. |
234 | die vart solt du dar leisten: | Die Fahrt dorthin sollst du auf dich nehmen: |
235 | des wirt dîn lop geblüemet. | Davon wird dein Lob geschmückt. |
236 | dîn wirde ist gerüemet | Deine Würde wird |
237 | sô verre und alsô wîte, | so fern und so weit gerühmt, dass, |
238 | swar ich der lande rîte | in welche Länder auch immer ich |
239 | diu breiten phat, den smalen stîc, | auf breiten Pfaden, auf schmalen Steigen ritt, |
240 | sô frâget man ,von Brûneswîc | man fragte: » Von Braunschweig |
241 | der werde fürste kunt der dar?‘ | der edle Fürst, kommt der dorthin? « |
242 | alsus in allen landen gar | Auf diese Weise wird wirklich in allen Ländern |
243 | sô wirt dîn nam genennet | – auch in denen man dich nicht persönlich kennt – |
244 | dâ man dich niht erkennt. | dein Name genannt. |
245 | Des soltu niht belîben. | Deswegen sollst du dich nicht aufhalten. |
246 | von megden noch von wîben | Es gab nie eine schönere Schar |
247 | wart schoener massenîe nie | von Jungfrauen und Frauen, |
248 | denn nu ze disem hove hie | als sich jetzt zu diesem Hoftag hier |
249 | sich sament ûz gesundert. | in besonderer Weise versammeln. |
250 | diu künegîn fünf hundert | Die Königin hat sich und fünfhundert andere |
251 | mit ir hât rîch bekleidet. | prunkvoll eingekleidet. |
252 | swem daz ze sehende leidet, | Wem dieser Anblick nicht gefällt, |
253 | der ist niht werdes gruozes wert. | der ist edlen Grußes nicht wert. |
254 | und swer der best ist mit dem swert, | Und wer der Beste mit dem Schwert ist, |
255 | dem ist ouch hôhez lop bereit. | dem winkt auch großer Ruhm. |
256 | diu junge küneginne treit | Die junge Königin trägt |
257 | ein küssen an ir mündelîn: | ein Küsschen auf ihren Lippen: |
258 | daz sol er nên, wan ez ist sîn, | Wer es mit Lob erringt, |
259 | swer ez mit lop erringet. | der soll es nehmen, denn es ist sein. |
260 | diu minneclîche ez bringet | Die Liebliche bringt es ihm |
261 | mit einem umbevange. | mit einer Umarmung. |
262 | sî drucket wang an wange | Sie drückt Wange an Wange |
263 | und munt an munt, daz ist sîn lôn. | und Mund auf Mund, das ist sein Lohn. |
264 | ein vingerlîn sô gît diu schôn | Einen Ring steckt die Schöne |
265 | im ouch an sînen vinger. | ihm auch an seinen Finger. |
266 | sîn nôt ist deste ringer | Wessen Lob in so hohem Ansehen steht, |
267 | iemer mê die wîl er lept, | dass er ihre Huld erwirbt, |
268 | swes lop sô hôhe in wirde swept | dessen Not ist gering, |
269 | daz er verdienet iren gruoz. | so lange er lebt. |
270 | nu gênt mir urlop, herre, ich muoz | Nun lasst mich gehen, Herr, ich muss |
271 | noch strîchen verre in frömdiu lant, | noch weiter in fremde Länder eilen, |
272 | die âventiure tuon bekant.‘ | um die Aventiure bekannt zu machen.“ |
273 | Sus hât der knappe geseit. | Dieses hat der Knappe gesagt. |
274 | der werde fürste unverzeit | Der edle unverzagte Fürst |
275 | sprach ,lâ dich niht betrâgen. | sprach: „Lass es dich nicht verdrießen. |
276 | ich muoz dich fürbaz frâgen | Ich muss dich weiter fragen, |
277 | wer in der mark mit namen lige, | wer sich namentlich in der Mark aufhält. |
278 | ob ich sô hôher sælden phlige | Wenn ich so großes Glück habe, |
279 | daz sich mîn muot ellendet dar, | dass meine Gesinnung in die Fremde strebt, |
280 | daz ich doch wizze wie ich var | muss ich doch wissen, wie ich reise |
281 | und war ich solle rihten mich.‘ | und wohin ich mich wenden soll.“ |
282 | der knappe sprach ,daz wîs ich | Der Knappe sprach: „Das zeige ich |
283 | dich, rîcher fürste hôch erborn. | dir, mächtiger, hochwohlgeborener Fürst. |
284 | die runttâfel hât gesworn | Zur Tafelrunde hat sich der Landesherr |
285 | von Tenemark des landes wirt, | von Dänemark verpflichtet, |
286 | ein künic den schande gar verbirt, | ein König, der sich gänzlich jeder Schande enthält |
287 | und ist genant Fontânâgris. | und Fontanagris genannt wird. |
288 | von Schotten den künc Lôrîs | Loris, den König von Schottland, |
289 | siht man ouch bî im rîten, | sieht man auch bei ihm reiten, |
290 | und bî ir beider sîten | und an ihrer Seite |
291 | rît Lerân von Berbester, | reiten Leran von Berbester und |
292 | ein herzog von Wintsester | Herzog Parlus |
293 | Parlus der fürste ziere. | von Winchester, die Zierde der Fürsten. |
294 | sus man die herren viere | So findet man diese vier Herren |
295 | mit zwein hundert ritter vint, | mit zweihundert Rittern, |
296 | wan sî zesamen komen sint | weil sie in Linion, |
297 | ze Liniôn der houbetstat | der dänischen Hauptstadt, |
298 | in Tenemarke, dar man hât | zusammen gekommen sind, wo man |
299 | den selben turnei hin genomen. | das erwähnte Turnier anberaumt hat. |
300 | vil werder helt, dar solt du komen | Edelster Held, dorthin sollst du dich schleunigst aufmachen, |
301 | nu schier ze mitter meigen zît | damit du um die Mitte des Monats Mai, |
302 | diu mit kunft uns nâhe lît. | der bald kommt, dort eintriffst. |
303 | dâ sol man vinden ritterschaft. | Da wird man Ritterschaft finden. |
304 | ich wæne wol daz groezer kraft | Ich glaube wohl, dass größere Stärke |
305 | von herren würd gesament nie | von Herren noch nie zusammengebracht wurde, |
306 | sô nu ze disen zîten hie.‘ | als hier und jetzt.“ |
307 | Der fürste sprach ,ich hân den sin | Der Fürst sprach: „Ich denke, |
308 | daz ich mich rüsten wil dâ hin, | dass ich mich dorthin aufmachen werde, |
309 | ob mir got gan der selben zît | wenn Gott mir gewährt, bis zum Termin |
310 | ze lebende als der turnei lît: | des Turniers am Leben zu bleiben: |
311 | sô lân ich mich dâ vinden. | Dann lasse ich mich dort sehen. |
312 | ich wil ie niht erwinden, | Ich werde nicht zurückkehren, |
313 | ich schouwe dâ der fürsten schar.‘ | ehe ich da die Schar der Fürsten gesehen habe.“ |
314 | sus hiez er balde bringen dar | So befahl er, dem Knappen |
315 | dem knappen rîcher gâbe solt | rasch reichen Sold zu geben, |
316 | und sprach ,ich muoz dir iemer holt | und sprach: „Ich werde dir immer gewogen |
317 | wesen dur die frumekeit, | sein wegen des Umstandes, |
318 | daz du den hof mir hâst geseit, | dass du mir von dem Hoftag erzählt hast, |
319 | dar ich mich wærlich rihten wil. | wohin ich mich zum Kampf gerüstet wenden will. |
320 | ich bin dâ ûf dem selben zil, | Ich komme dorthin, |
321 | mich irre, des ich niht enweiz, | wenn mich nicht etwas, wovon ich noch nichts weiß, |
322 | solich sach von der geheiz | aus zwingenden Gründen |
323 | ich niht enmüge vor noeten starc.‘ | davon abhält.“ |
324 | er gap dem knappen zehen marc | Er gab dem Knappen zehn Mark |
325 | und rîchiu kleit und liez in varn | und wertvolle Gewänder und ließ ihn abreisen |
326 | und bat got sîner verte warn. | und bat Gott, ihn auf seiner Reise zu behüten. |
327 | Des seit der knappe im dankes gruoz. | Dafür dankte der Knappe ihm. |
328 | gên sîner gâbe er ûf den fuoz | Für das Erhaltene verneigte er sich |
329 | im schôn und zühteclîchen neic. | hübsch anständig und tief vor ihm [scil. Reinfried]. |
330 | ich weiz daz er sîn niht versweic | Ich weiß, dass er seinen Namen nannte, |
331 | swâ er vor hôhen fürsten stuont. | wo immer er vor einem hohen Fürsten stand. |
332 | tet man eht dô als sî nû tuont | Hätte man damals gehandelt, wie die es heute tun, |
333 | die guot für êr went triuten! | die Besitz der Ehre vorzuziehen belieben! |
334 | ich hoer sî vor den liuten | Ich höre sie vor den Leuten |
335 | ûf mangen werfen lobes braht, | manchen mit Lob überhäufen, |
336 | der doch in schanden lît verdaht: | der doch bis über beide Ohren in Schande steckt: |
337 | diz tuot er umb ein alte wât. | Er tut das um einen alten Lumpen. |
338 | dâ bî er ungerüemet lât | Dabei lässt er den Edlen ungerühmt |
339 | und treit dem werden hazzes nît, | und trägt ihm den Neid des Hasses nach, |
340 | ob er im gâbe niht engît. | wenn er ihm nichts gibt. |
341 | waz daz? er ist dest arger niht, | Was soll das? Er ist nicht umso böser, |
342 | ob der frome strâfe phliht | wenn der Fromme ihm |
343 | verdolt von solichen sachen. | die gerechte Strafe für solche Dinge erlässt. |
344 | kein gernder mac geswachen | Kein gernder kann den Ruhm des Frommen |
345 | des fromen lop, sîn art sîn leben. | schwächen, nicht seine Abstammung und auch nicht sein Leben. |
346 | er mag ouch êre niht engeben | Er kann umgekehrt auch keine Ehre dorthin bringen, |
347 | dar dâ sî ungehûset hât. | wo sie niemals zuhause war. |
348 | der gernden orden alsô stât, | Die Regel der gernden lautet, |
349 | der fromen lop ûf künden, | dass sie das Lob der Frommen verkünden |
350 | und die in schanden bünden | und die strafen sollen, |
351 | sint, die sönt sî strâfen. | die in Schande leben. |
352 | des muoz ich schrîgen wâfen | Darum muss ich laut aufschreien |
353 | über mangen affen, | über manchen Affen, |
354 | der dur eins giegen klaffen | der glaubt, sein Laster werde durch |
355 | wænt sîn laster sî verdruht | das Geschrei eines Narren übertönt, |
356 | und er doch hât ze schanden fluht. | und der dennoch bei der Schande Zuflucht findet. |
357 | Des was niht hie: der gernde kneht | So war es hier nicht: Der für sein Sprechen entlohnte Knappe |
358 | tet sînem lop mit lobe reht; | tat seinem [scil. Reinfrieds] Ruhm mit Ruhm Recht; |
359 | wan swer sîn lop ze lobe leit, | denn wer seinen Ruhm zu Ruhm legt, |
360 | dâ stât nâch lobe der êren kleit | dem gereicht das Kleid der Ehre zum Ruhm |
361 | und zieret wirde reine, | und ziert die reine Würde, |
362 | alsam die edeln steine | wie rotes Gold aus Arabien |
363 | tuot rôtez golt von Arâbi. | die edlen Steine ziert. |
364 | und swâ man den der lobes frî | Und wo man den, der frei von Ruhm |
365 | ist, mit lobe bekleidet hât, | ist, mit Ruhm bekleidet hat, |
366 | reht als der siuwe ein satel stât, | geht er unter der Last des Ruhmes |
367 | sô gât er under lobes soun. | wie eine Sau unter dem Sattel. |
368 | sîn lop zergât alsam der troun | Sein Ruhm zergeht wie der Traum, |
369 | der blinden troumet umb ir sehen. | den Blinde von ihrer Sehfähigkeit träumen. |
370 | an lop sol man die wârheit spehen: | An Ruhm soll man die Wahrheit erkennen: |
371 | unlop bî lobe niht gezam. | Schmähung und Ruhm zu vermischen, ziemt sich nicht. |
372 | alsus der knappe urlop nam | So nahm der Knappe Abschied |
373 | und kunte fürbaz in diu lant | und trug die Nachricht von der Aventiure weiter |
374 | die âventiure, als ir wol hânt | in die Länder, wie ihr davor |
375 | dâ vor vernomen umb sin vart, | in rechter Weise von seiner Reise, zu der |
376 | dar umb er ûz gesendet wart. | er ausgesandt worden war, vernommen habt. |
377 | Nu lâzen got des knappen phlegen. | Nun lasst Gott sich um den Knappen kümmern. |
378 | wie er gefüere under wegen, | Wie es ihm unterwegs erging, |
379 | daz lâzen sîn und hoerent wie | das lasst sein und höret, wie |
380 | von Brûneswic der fürste an vie | der Fürst von Braunschweig sich |
381 | sich rihten ûf die selben vart. | für diese Reise zu rüsten begann. |
382 | dô im sô ûz der mâze wart | Als ihm die junge Yrkane so |
383 | diu junge Yrkân gerüemet, | über die Maßen gepriesen worden war – |
384 | wie daz ir lop geblüemet | und wie sie durch Schönheit |
385 | ob allen frouwen hôhe flüge | übergroßen Ruhm auf sich zog, |
386 | und wie sî mit der schoene züge | wovon ihr Name an Würde |
387 | an sich sô übermæzic lop, | über allem Lobpreis schwebte – |
388 | dâ von ir nam an wirde op | wovon ihr Namen an Würde |
389 | allem prîse swepte, | über allem Ruhm schwebte – |
390 | und hôrt daz niemen lepte | und er hörte, dass niemand lebte, |
391 | an schoene an zühten ir genôz, | der ihr an Schönheit und Anstand gleichkam, |
392 | dâ von im in sîn herze flôz | floss ihm, an sie denkend, davon |
393 | ein smerze mit gedenken. | der Schmerz in sein Herz. |
394 | ein süezez jâmer senken | Eine süße Sehnsucht nach ihr |
395 | begunde er in sîns herzen grunt | schlich sich tief in sein Herz, |
396 | nâ ir, daz er etlîcher stunt | sodass er einige Stunden |
397 | sich selben gar verdâhte. | ganz in seinen Gedanken versunken war. |
398 | zehant im aber brâhte | Schnell brachte ihm sein Verstand |
399 | der sin ander unmuoze, | wieder anderes Ungemach |
400 | wie er sich nâ ir gruoze | wie er sich ihretwegen |
401 | solt erbeiten ûf die vart | auf die Reise machen sollte, |
402 | der er dur niht wendic wart. | von der ihn nichts abbrachte. |
403 | Daz leit er an, nu hoerent wie. | Nun hört, wie er die Sache anging: |
404 | er hiez besenden alle die | Er befahl, all jene zu informieren, |
405 | an den im triuwe was bekant | deren Treue ihm bekannt war |
406 | und swel er in dem sinne vant | und von denen er wusste, |
407 | daz sî des kunden ruochen, | dass sie mit ihm |
408 | ob er den hof wolt suochen, | auf seine Reise kämen, |
409 | daz sî füeren mit im dar. | wenn er besagten Hof aufsuchen wollte. |
410 | die nam er al ze sîner schar | Die nahm er alle in seine Schar auf |
411 | und hiez sî vazzen in ein kleit, | und befahl, sie gleichartig zu kleiden, |
412 | wol ahzic ritter, sô man seit, | gut achtzig Ritter, so sagt man, |
413 | junc unde starc, des lîbes frech. | jung und stark, auf ihre Körperkraft vertrauend. |
414 | und grôziu ros swarz als ein bech | Und große Rösser, schwarz wie Pech, |
415 | hiez er gewinnen dur diu lant. | befahl er in den Ländern zusammenzusammeln. |
416 | swaz man von rîcher koste vant, | Was man von hohem Wert befand – |
417 | orse kleider liehtiu wât, | Pferde, Kleider, hell glänzendes Gewand – |
418 | dâ mit diu welt iez umbe gât, | womit die Welt jetzt geizt, |
419 | des wolt er hân mê dan genuoc. | davon wollte er mehr als genug haben. |
420 | sîn herz sô frîgen willen truoc | Sein Herz war so freigebig, |
421 | daz er dur kost niht wolte lân | dass er sich durch keine Kosten von etwas abhalten lassen wollte, |
422 | swaz man ze êren solte hân. | das einem zur Ehre gereichen würde. |
423 | Daz tuont doch iez die herren niht. | Das machen die Herren heutzutage nicht. |
424 | in hôher fürsten hof man siht | Am Hof hoher Fürsten sieht man |
425 | klein guot dik wider êren sparn. | oftmals auf Kosten der Ehre an Kleinigkeiten sparen. |
426 | des muoz ir hêrschaft werden arn: | Davon wird ihre Herrschaft arm werden: |
427 | wan swaz man gên den êren spart, | Denn was man auf Kosten der Ehre spart, |
428 | daz wirt doch ûf unêren vart | das wird zuletzt doch auf dem Pfad der Schande |
429 | ze jungest lasterlich verzert. | auf lasterhafte Weise vernichtet. |
430 | alsus der herren guot ververt. | So geht das Gut der Herren verloren. |
431 | des tet er niht, er kunde lân | Das tat er [scil. Reinfried] nicht, er wusste |
432 | ze rehter zît und kund ouch hân | zu rechter Zeit zu geben und auch |
433 | in der mâze daz er nie | Maß zu halten, sodass in ihm nie |
434 | scham umbe hân noch lân enphie. | Scham über Haben oder Geben aufstieg. |
435 | alsus er sich ûf ruste. | So rüstete er sich. |
436 | under sîner bruste | In seiner Brust |
437 | lag ie verborgentlîch diu magt, | verborgen lag stets die Jungfrau, |
438 | von der der knappe hât gesagt, | von der der Knappe erzählt hatte, |
439 | diu süeziu wol getâne, | die süße, wohlgestalte, |
440 | diu minneclîch Yrkâne, | die liebliche Yrkane, |
441 | der schoen für alle frouwen brach. | deren Schönheit alle Frauen überstrahlte. |
442 | daz strenge süeze ungemach | Das harte süße Ungemach |
443 | tet in ersiufzen dicke. | ließ ihn oftmals aufseufzen. |
444 | im hât der minne stricke | Das Band der Liebe hat ihm |
445 | sîn wildez herz gezemmet, | sein unbändiges Herz gezähmt |
446 | mit süezer nôt beklemmet | und mit süßer Not beklommen gemacht, |
447 | mê denne er vor wær gewon. | mehr als er es zuvor gewohnt gewesen war. |
448 | zuo dem hove was im dâ von | Deshalb hatte er es so eilig, |
449 | sô gâch daz er niht wolte tweln. | an den Hof zu gelangen, dass er nicht warten wollte. |
450 | ûf siben soumer sunder zeln | Sieben Lasttiere befahl er, ohne darüber Buch zu führen, |
451 | hiez er golt und silber tragen. | mit Gold und Silber zu beladen. |
452 | er luot vil mangen starken wagen | Er belud manch starken Wagen |
453 | mit kleinet harnasch liehter wât, | mit Kleinodien, Rüstungen, hell glänzender Kleidung, |
454 | daz fürsten wol ze êren stât. | was ehrbaren Fürsten wohl geziemt. |
455 | Sus hât er sich gerüstet wol. | So hatte er sich gut gerüstet. |
456 | drivalteclichen, swaz man sol | Was man haben sollte, |
457 | hân, daz fuort er mit im dar. | führte er in dreifacher Ausführung mit sich. |
458 | nu kan diu zît ouch nâhe gar | Nun rückte die Zeit auch schon sehr nahe, |
459 | dar ûf der turnei was geleit. | auf die das Turnier gelegt worden war. |
460 | dâ von der helt von hûse reit | Daher ritt der Held von zuhause weg, |
461 | mit rîcher koste keiserlich. | reich und fürstlich ausgestattet. |
462 | sîn schar mit grôzen rotten sich | Seine Schar breitete sich |
463 | zerspreit ûf acker und ûf velt. | mit großen Rotten über Äcker und Felder. |
464 | sîn lop nâ hôher wirde gelt | Sein Lob nach der Geltung hoher Würde |
465 | was mê denn lange wernde. | währte mehr als lange. |
466 | ob iemen dâ wær gernde | Ob da jemand nach |
467 | umb êre guot? jâ, der was vil. | großer Ehre strebte? Ja, deren waren viele. |
468 | von rotten harphen seiten spil | Von rotten, Harfen, Saitenspiel, |
469 | tambûr bûsûn schalmîgen | Tamburinen, Posaunen und Schalmeien |
470 | hôrt man in lüften schrîgen | hörte man es in der Luft dröhnen |
471 | sam ungewiters dunres krach. | wie beim Donnergrollen eines Unwetters. |
472 | der dôz dur tal und berge brach | Der Schall brach durch Täler und Berge, |
473 | daz ez dâ von moht zittern. | dass es davon vibrierte. |
474 | er fuor mit ahzic rittern | Er [scil. Reinfried] fuhr mit achtzig Rittern, |
475 | gerüstet wol nâ ritters lop. | gerüstet, wie es Rittern gut ansteht. |
476 | von tanphe swebet ein nebel op | Vom Dampf schwebte ein Nebel über |
477 | in, swele strâze sî joch riten, | ihnen, auf welcher Straße sie auch ritten; |
478 | gar nâ keiserlîchen siten | ganz fürstlich |
479 | rûschent sam daz Wuotes her. | stürmten sie wie das Heer Wotans heran. |
480 | ir rîten mahte sunder wer | Ihr Reiten führte unweigerlich dazu, |
481 | daz der melm und ouch daz loup | dass der Staub und auch das Laub |
482 | ob in hôh in den lüften stoup, | über ihnen hoch in die Luft stiegen, |
483 | als ob ez allez brünne. | als würde alles brennen. |
484 | sîn oberestiu wünne | Seine [scil. Reinfrieds] größte Wonne |
485 | was niuwan der gedenken | war allein der Gedanke an diejenige, |
486 | diu im ze herzen senken | die sich ihm unsichtbar |
487 | sich kunde unsihteclîche. | ins Herz zu senken wusste. |
488 | diu süeze minneclîche | Die süße Liebliche |
489 | im nie kam ûz den sinnen. | kam ihm nie aus dem Sinn. |
490 | sîn herze muose minnen | Sein Herz musste lieben, |
491 | die doch sîn ouge nie gesach. | die sein Auge doch nie gesehen hatte. |
492 | ich wæn ez selten ie beschach | Ich glaube, es geschieht nicht oft, |
493 | daz sich ein herz lâ binden, | dass sich ein Herz binden lässt, |
494 | ê daz daz ouge vinden | bevor das Auge sein |
495 | künne sîn listic girde. | listiges Begehren finden kann. |
496 | sît nâch des ougen wirde | Denn nach dem, was dem Auge gefällt, |
497 | ein herz ûf minn sich rihtet, | richtet sich ein Herz auf Liebe; |
498 | daz ouge muoz gephlihtet | das Auge muss dem Herzen |
499 | ze boten an daz herze sîn. | als Bote dienen. |
500 | und swie sî went, der ougen schîn, | Und wohin immer es den Blick wendet, |
501 | dâ volget sin und herze nâch. | dahin folgen Verstand und Herz nach. |
502 | wie kam ez dô daz hie sô gâch | Wie kam es dann, dass hier das Herz |
503 | dem herzen was mit sinnen dar | mit den Sinnen so eilig zu ihr drängte, |
504 | ê ir daz ouge næme war? | noch bevor das Auge sie erblickt hatte? |
505 | Des wil ich iuch ûz rihten | Das will ich euch genau erklären |
506 | und ûf ein ende slihten, | und bis zum Ende darlegen, |
507 | ob mir got gan der sinne. | wenn Gott mir den Verstand dazu gab. |
508 | ich sprich daz rehtiu minne | Ich sage, dass rechte Liebe |
509 | sî sô gar gehiure | allen Lebewesen |
510 | für alle crêâtiure | so ganz und gar angenehm ist, |
511 | daz sî niht wan des besten gert. | dass sie ausschließlich das Beste begehren. |
512 | nu hât den hôhen fürsten wert | Nun hat den hohen werten Fürsten |
513 | diu stætiu minne enzündet. | die beständige Liebe entzündet. |
514 | dem herzen wart gekündet | Das Herz schloss Bekanntschaft |
515 | ein sendez lieplich ungemach. | mit einem sehnenden lieblichen Ungemach. |
516 | dar inne man ez ligen sach | Darin sah man es |
517 | verworren und verwalken. | verwirrt und verwelkt liegen. |
518 | an einer leige valken | An einer Falkenart |
519 | spür ich ein lobelîche art, | erkenne ich eine so ehrbare Haltung, |
520 | daz im sô wê von hunger wart | dass keinem von ihnen jemals so weh vom Hunger |
521 | nie, daz er iht næme | wurde, dass er irgendein Aas genommen hätte, |
522 | âz daz im missezæme: | das ihm nicht bekommen wäre: |
523 | er lite ê hungers smerzen. | Eher litte er die Schmerzen des Hungers. |
524 | er wil niht wan der herzen | Er will nichts außer den Herzen |
525 | im ze spîse niezen. | als Speise zu sich nehmen. |
526 | daz merken kan în giezen | Die Beobachtung zeigt, |
527 | daz er des besten niuwan wil. | dass er nichts als das Beste will. |
528 | alsus wil ouch der minne spil | Genauso will auch das Spiel der Liebe |
529 | gewalteclîch in herzen ligen. | mit Kraft in Herzen liegen. |
530 | swenn im daz herz lât an gesigen, | Wenn das Herz die Oberhand behält, |
531 | sô ist ouge und ôre tôt. | sind Auge und Ohr machtlos. |
532 | daz herze alleine lîdet nôt | Das Herz alleine leidet Not |
533 | und kan ouch trôst enphâhen. | und kann auch getröstet werden. |
534 | ein oug sich mac vergâhen | Ein Auge kann sich übereilen, |
535 | sô daz ein herze umbehuot | sodass ein unbewachtes Herz |
536 | dick wider sînem willen tuot | oft aus unvernünftiger Liebe |
537 | an unbesinter minne. | gegen seinen Willen handelt. |
538 | minn ist ein meisterinne | Die Liebe ist eine Meisterin, |
539 | diu sich ie hât geflizzen des, | die sich seit jeher dadurch auszeichnet, |
540 | daz sî niht nâ dem winkelmez | dass sie nicht nach dem Winkelmaß, |
541 | sunder ougen rihten wil. | sondern nach dem Auge richtet. |
542 | irs gewaltes ist sô vil | Ihre Gewalt und ihre |
543 | und irre wunderlîcher kraft, | wundersame Kraft sind so groß, |
544 | swar sî sich senket enkerhaft, | dass, wohin sie sich gleich einem Anker senkt, |
545 | dâ muoz ir maht ouch ob geligen. | dort ihre Macht auch oben zu liegen kommt. |
546 | oug unde herze an gesigen | Sie kann Auge und Herz |
547 | kan sî mit gewaltes maht. | mit der Macht ihrer Gewalt besiegen. |
548 | diu minne im an sîn herze vaht | Die Liebe griff ihm sein Herz an |
549 | und woldez best zem êrsten. | und wollte es auf der Stelle. |
550 | sî wîst in an die hêrsten | Sie lehrte ihn die hehrste, |
551 | lobelîchesten minne | löblichste Liebe, |
552 | die in keins herzen sinne | die bisher noch niemals |
553 | ie ungesehen wâren komen. | ohne Anblick in ein Herz gelangt war. |
554 | man hât ze Tenemark vernomen | Man hatte in Dänemark sehr wohl |
555 | wol von des werden fürsten kunft, | von der Ankunft des Fürsten gehört, |
556 | der iez mit ritterlîcher zunft | der jetzt mit ritterlicher Würde |
557 | und mit hôhes brahtes dôn | und mit lautem Getöse |
558 | was bî der stat ze Liniôn; | bei der Stadt Linion war, |
559 | dar ouch der turnei was geleit. | wo auch das Turnier anberaumt war. |
560 | Fontânâgrîse wart geseit, | Fontanagris, dem König aus |
561 | dem künge ûz Tenemarke, | Dänemark, wurde gesagt, |
562 | wie daz mit maniger barke | wie der von jeder Schande Freie |
563 | wær kon der schanden træge, | mit vielen Schiffen gekommen war; |
564 | ich mein von Norwæge | ich meine den jungen König |
565 | der junge künic Palarei. | Palarei von Norwegen. |
566 | sîn sorge diu was gar enzwei, | Seine Sorge war ganz und gar verflogen, |
567 | dô er sach der ritter schar | als er die Schar der Ritter |
568 | zuo sîgen allenthalben dar | schnell zu allen Seiten |
569 | vast ze allen sîten. | hernieder steigen sah. |
570 | von Brûneswic für rîten | Der von Braunschweig befahl |
571 | hiez und balde gâhen, | vorauszureiten und sich sehr damit zu beeilen, |
572 | im herberge enphâhen | ihm in der Stadt eine |
573 | wirdeclichen in der stat. | standesgemäße Unterkunft aufzutreiben. |
574 | daz was versûmet, wan sî hât | Da waren sie zu langsam, |
575 | Lôrîs der Schotten vogt belegen | denn Loris, der Herr der Schotten, |
576 | und Parlus ein vil werder degen, | und Parlus, ein überaus edler Held, |
577 | der herzog ûz Berbester. | der Herzog aus Berbester, hatten sie [scil. die Stadt Linion] belegt. |
578 | Jôrân von Wintsester | Auch Joran von Winchester |
579 | mit herberg in der stat ouch lac, | hatte Herberge in der Stadt genommen, |
580 | wan er der âventiure phlac. | da er wegen der Aventiure gekommen war. |
581 | Sus was er gar versûmet. | So war er wirklich zu langsam gewesen. |
582 | im mohte niht gerûmet | Ihm konnte keine Herberge |
583 | herberge werden sîner schar. | für seine Schar frei gemacht werden. |
584 | Sî fuoren zuo dem künge dar, | Sie wandten sich an den König, |
585 | ich mein Fontânâgrîsen. | ich meine Fontanagris. |
586 | nâch herberge wîsen | Sie baten seine Hoheit, |
587 | bâten sî sîn werdekeit. | sie zu einer Herberge zu weisen. |
588 | er sprach ,der turnei ist geleit | Er sprach: „Das Turnier ist draußen, |
589 | hin für die stat ûf einen plân, | auf einer Ebene vor der Stadt, anberaumt, |
590 | wan wir niht dinne wîte hân. | weil wir drinnen keinen Platz haben. |
591 | dâ herbergent ûf daz velt. | Lagert auf dem Feld. |
592 | ich schaffe iuch hütten und gezelt, | Ich beschaffe euch Hütten und Zelte, |
593 | dâ ir nâ lobelîcher maht | wo ihr auf ehrenhafte Weise |
594 | belîbent wol vil manic naht.‘ | gut viele Nächte bleiben könnt.“ |
595 | Des seiten im die boten danc. | Dafür sagten ihm die Boten Dank. |
596 | von Brûneswic, des herze ie ranc | Der von Braunschweig, dessen Herz stets nach |
597 | nâch hôhen êren, zogte în. | hohen Ehren strebte, zog in die Stadt. |
598 | sîn schar geordent muose sîn | Seine Schar soll ganz nach Wunsch |
599 | vil gar nâch des wunsches segen. | geordnet gewesen ein. |
600 | man sach von êrste drîzic wegen | Zuerst sah man dreißig Wägen |
601 | dur die stat ze Liniôn. | durch die Stadt Linion ziehen. |
602 | dar nâch man siben soumer schôn | Nach ihnen führte man sieben herrliche |
603 | zôch, die truogen goldes last | Lastpferde, die so schwer an Gold trugen, |
604 | sô daz in koste niht gebrast. | dass es ihnen an nichts fehlte. |
605 | dar nâch man zühtenclichen zôch | Danach führte man sehr anständig |
606 | wol hundert ros, diu wâren hôch, | an die hundert langbeinige Pferde, |
607 | alsô grôz und alsô starc, | so groß und so kräftig, |
608 | daz alle die von Tenemarc | dass sämtliche Dänen |
609 | sô grôziu nie gesâhen, | so große noch nie gesehen hatten, |
610 | des sî gemeine jâhen. | wie sie einstimmig erklärten. |
611 | Sus fuoren sî hin dur die stat. | So zogen sie hin zur Stadt. |
612 | und als daz volc bevunden hât | Und als das Volk die Ankunft des Fürsten |
613 | des fürsten kunft und ouch sîn siten, | und auch sein Auftreten mitbekommen hatte, |
614 | dô wart niht langer dô gebiten: | wurde da nicht länger gewartet: |
615 | dur schouwen sî ûz liefen. | Sie liefen heraus um zu schauen. |
616 | die krîer lûte riefen | Die Ausrufer schrien laut: |
617 | ,von Brûneswic der Sahsen vogt | „Von Braunschweig der Landesherr der Sachsen, |
618 | der kunt sô keiserlîch gezogt | der kommt so fürstlich dahermarschiert, |
619 | daz sin lop hôch in wirde swept. | dass sein Ruhm hoch in Würde schwebt. |
620 | danc hab ein fürste der sô lept | Dank sei dem Fürsten, der so gegenüber |
621 | gên got und gên der welte. | Gott und der Welt lebt. |
622 | er tuot mit sînem gelte | Mit seinem Einsatz leistet er |
623 | vil unde vil mê danne vil. | viel und viel mehr als viel. |
624 | ei waz er sper verswenden wil | Ei, was er der Ehre wegen und um die Gunst edler Frauen |
625 | dur êre und werder wîbe segen.‘ | an Lanzen verschwenden wird!“ |
626 | alsus sî liefen after wegen | So liefen sie hinter ihm her |
627 | und schriuwen lop mit schalle. | und verkündeten laut sein Lob. |
628 | die liut gemeinlich alle | Die Leute waren alle gemeinsam |
629 | dur schouwen wârn geloufen dar. | herbeigelaufen um zu schauen. |
630 | zwei hundert was der êrsten schar, | Die erste Schar zählte zweihundert |
631 | schiltknehte, die mit guoten siten | Schildknechte, die hübsch ordentlich |
632 | ie zwêne bî ein ander riten: | zwei und zwei nebeneinander ritten: |
633 | die fuorten sper und kreiger dâ. | Die trugen Lanzen und Helmzeichen. |
634 | den kam zehant geriten nâ | Unmittelbar hinter ihnen ritt |
635 | ein jungiu schar gesundert, | geschlossen eine junge Schar. |
636 | der was wol ûf hundert | Ihrer waren gut hundert |
637 | zwei und zwei der schoensten knaben | der hübschesten Knaben – immer zwei und zwei – |
638 | sô edel art ie moht gehaben | von so edler Abstammung, wie es |
639 | über allez Sahsen lant. | im ganzen Sachsenland nur geben konnte. |
640 | ieclîcher fuort ûf sîner hant | Ein jeglicher führte auf seiner Hand |
641 | ein sprinzelîn dur muotes guft. | zur Freude des Gemüts ein kleines Sperberweibchen. |
642 | dar nâ gezieret wart der luft | Danach wurde die Luft erfüllt |
643 | von überdôn des schalles krach, | vom Dröhnen lauten Lärms, |
644 | sô daz ez dur die wolken brach | so dass es mit Getöse durch die Wolken |
645 | mit brahte sam ein dunres dôz. | brach wie das Grollen des Donners. |
646 | der schal von phîfen wart sô grôz | Der Schall der Blasinstrumente wurde so laut, |
647 | daz ez in leit zerstôrte. | dass er ihnen ihren Kummer nahm. |
648 | nieman den andern hôrte, | Niemand hörte vom anderen, |
649 | waz er seite ald waz er sprach. | was er sagte oder sprach. |
650 | dar nâch man hundert ritter sach | Danach sah man hundert Ritter |
651 | ie zwêne sament rîten: | immer zu zweit nebeneinander reiten: |
652 | sît noch vor den zîten | Weder vorher noch nachher |
653 | wart nie beschouwet schoener schar, | wurde jemals eine schönere Schar betrachtet. |
654 | in ein kleit alle sament gar | Sie alle trugen wahrhaftig |
655 | von phell bekleidet ungelogen, | Kleider ganz aus Pelz, |
656 | mit hermîn wîz schôn underzogen | mit Hermelin weiß unterfüttert |
657 | und von koste tiure. | und überaus wertvoll. |
658 | dar nâch kam der gehiure | Danach kam der herrliche |
659 | Reinfrit von Bruneswîc gezogt. | Reinfried von Braunschweig daher geritten. |
660 | wær er ze Rôm gewesen vogt, | Wäre er Herrscher in Rom gewesen, |
661 | dâ moht niht mê sîn schalles. | hätte nicht mehr Getöse sein können. |
662 | nu kan geloufen allez | Nun kam alles gelaufen, |
663 | daz in der stat von liuten was, | was an Leuten in der Stadt war, |
664 | beidiu dur wunder und dur daz | sowohl aus Neugier als auch, damit |
665 | sî den keiserlichen helt | sie den fürstlichen Helden |
666 | sæhen der dâ ûz erwelt | sähen, der da auserwählt |
667 | was vor den argen veigen. | war vor den bösen Todgeweihten. |
668 | wê wel ein vingerzeigen | Weh, wie die Leute da anhoben, |
669 | huop sich von den liuten | mit dem Finger auf ihn zu zeigen, |
670 | ûf in der êre triuten | der mit der Begierde seines Herzens |
671 | kunde mit herzegirde. | Ehre auf sich zu ziehen wusste. |
672 | sîn hôchgelopte wirde | Seine hoch gepriesene Würde |
673 | wart lûterlîch gerüemet. | wurde lautstark gerühmt. |
674 | sîn lop daz wart geblüemet | Sein Ruhm wurde von Einheimischen |
675 | von kunden und von gesten. | und Fremden geschmückt. |
676 | die dannoch niht enwesten | Die seine Abstammung da |
677 | sîn art, die hôrt man prîsen | noch nicht kannten, die hörte man |
678 | den zühterîchen wîsen | den hochanständigen Weisen |
679 | beidiu edel und gedigen. | als edel und tüchtig preisen. |
680 | aller herren lop geswigen | Das Lob aller anderen Herren |
681 | wart ân in, hân ich vernomen, | verstummte vor ihm, habe ich gehört, |
682 | wan sîn lop was vollekomen. | denn sein Lob war vollkommen. |
683 | Sus was er komen ûf daz velt. | So war er auf das Feld gekommen. |
684 | er sluoc manic hôh gezelt | Er schlug viele hohe Zelte |
685 | und manic wîtez pavilûn. | und manch geräumigen Pavillon auf. |
686 | sîn schar diu nam sô wîten rûn | Seine Schar, die brauchte so viel Platz, |
687 | daz er des veldes vil belac. | dass er einen Großteil des Feldes besetzte. |
688 | sîn sin sô hôher koste phlac | Er war von so freigebiger Gesinnung, |
689 | daz er vil guotes rêrte. | dass er reichlich austeilte. |
690 | ê man ein hant bekêrte, | Von einem Augenblick auf den anderen |
691 | dô was reht als ein grôziu stat | war da wirklich so etwas wie eine große Stadt, |
692 | dâ er ûf geslagen hât | wo er seine Herberge |
693 | sîn herberg ûf dem plâne: | auf der Ebene aufgeschlagen hatte: |
694 | der fürste wandels âne | Der makellose Fürst befahl, |
695 | hiez dur die stat hin schrîgen, | zur Stadt hin zu verkünden, dass, |
696 | swâ ritter grâven frîgen | wo immer Ritter, Grafen oder Freie |
697 | wæren unenthalten, | voll Tatendrang wären, |
698 | die solten unverschalten | sie seiner Schar |
699 | sîn sîner massenîe. | willkommen sein sollten. |
700 | al diu companîe | Die ganze Gruppe |
701 | der gernden hât sich dar gemaht, | der Tatendurstigen hat sich dorthin aufgemacht, |
702 | daz niemen hâte keinen braht | sodass niemand jemanden gebracht hatte, |
703 | wan er der schande ie schûhte. | der nicht seit jeher Schande scheute. |
704 | al dur die naht sô lûhte | Durch die Nacht leuchtete |
705 | von kerzen manic grôzez fiur. | manch großes Feuer von Kerzen. |
706 | giuden brehten was niht tiur | Freudenlärm war nicht selten |
707 | in der herberge dâ er lac, | in der Herberge, wo er lag, |
708 | die ganze naht unz an den tac. | die ganze Nacht bis Tagesanbruch. |
709 | Alsus diu vinster naht zergie | So verging die dunkle Nacht |
710 | mit grôzem schalle unde vie | mit großem Lärm und begann |
711 | der tac mit liehtem schîne zuo. | der Tag mit hellem Schein. |
712 | und man den sunnen morgen fruo | Und als man die Sonne früh am Morgen |
713 | die wolken sach durschrenzen, | die Wolken durchbrechen sah, |
714 | dô spurte man ein glenzen | da sah man von der Stadt aus |
715 | ûz der stat har ûf daz velt, | ein Glänzen auf dem Feld, |
716 | dâ manic keiserlîch gezelt | wo manch fürstliches Zelt am Spieß |
717 | stuont ûf geriht in knophes spiz, | des Knaufs aufgerichtet stand, |
718 | daz diu sunne widergliz | sodass die Sonne vom Gold, |
719 | nam von dem golde daz dâ schein. | das da glänzte, widerspiegelte. |
720 | vil kurzelîche wart dô ein | Schon bald wurde da |
721 | messe schôn gesungen | in angemessener Weise eine Messe gesungen, |
722 | und wart dô zuo gedrungen | zu der die Herren |
723 | von herren zühteclichen schôn. | wohlgesittet herbeiströmten. |
724 | dar nâch man hôrte mangen dôn | Danach hörte man manchen Ton |
725 | von phîfen und tambûren. | von Blasinstrumenten und Handtrommeln. |
726 | man sach dâ niemen tûren | Man sah da niemanden trauernd |
727 | noch haben keine swære. | oder bedrückt. |
728 | ir herze an sorgen lære | Ihr sorgenfreies Herz |
729 | kund in den muot erfrischen. | wusste ihnen das Gemüt zu erfrischen. |
730 | sus gie man zuo den tischen | So ging man zu den Tischen, |
731 | und âzen alle schiere | und die sich da ritterlich betätigen wollten, |
732 | ein klein pittimansiere, | aßen alle schnell |
733 | die wolten würken schiltes amt. | ein kleines Frühstück. |
734 | dar nâch geswinde alle samt | Danach rüsteten sich alle geschwind, |
735 | sich rusten ûz ze velde | um mit öffentlicher Ankündigung |
736 | mit offenlîcher melde. | auf das Feld zu ziehen. |
737 | Sus warp der wandels frîe. | So handelte der Makellose. |
738 | nu kam ûf der plânîe | Nun kam auch ein starkes Heer |
739 | mit rotten ouch ein kreftic her. | mit Kampfgruppen auf die Ebene. |
740 | die hât gefüeret über mer | Die hatte der König Palarei |
741 | mit im der künic Palarei | mit sich über das Meer geführt, |
742 | des herze ie nâ triuwen schrei, | dessen Herz immer nach Treue rief, |
743 | wan im kein laster was bekant. | weil ihm kein Laster bekannt war. |
744 | dar was der künc von Engellant | Auch der König von England |
745 | ouch komen hin mit grôzer maht, | war mit einer großen Streitmacht dorthin gekommen |
746 | Flôrin, der ie nâ êren vaht, | – Florin, der immer um Ehre kämpfte – |
747 | und wolt dâ prîs erringen. | und wollte da Ruhm erringen. |
748 | alsus mit disen dingen | So, mit diesen Details, |
749 | sô kunt diu âventiure. | erzählt es die Aventiure. |
750 | Lôrîs der künc gehiure | Loris, der gute König |
751 | von Schotten und Fontânâgrîs | von Schottland, und Fontanagris |
752 | von Tenemark die fürsten wîs | von Dänemark, die weisen Fürsten |
753 | und Jôrân von Berbester, | und Joran von Berbester, |
754 | der herzog ûz Wintsester | der Herzog aus Winchester, |
755 | kan mit in ze velde dar | der mit ihnen dorthin auf das Feld kam, |
756 | und brâhten schôn in einer schar | führten, schön in einer Schar, |
757 | vier hundert werder ritter, | vierhundert werte Ritter, |
758 | die âne vorhtes zitter | die ohne das Zittern der Furcht |
759 | wol kunden werben ritters tât. | gut nach ritterlicher Tat zu streben wussten. |
760 | ein wâfen schôn bekleidet hât | Sie alle kleidete eine Rüstung |
761 | sî al mit einer varwe. | hübsch in der gleichen Farbe. |
762 | man unde ros man garwe | Mann und Ross sah man |
763 | sach einer varwe liuhten. | gar in einer Farbe leuchten. |
764 | von mangem grüenn geriuhten | Von viel grünem aufgerauten |
765 | samît was ir wâfenkleit. | Samt war ihr Waffenkleid. |
766 | ein turteltûbe schôn geleit | Eine Turteltaube war schön |
767 | was dar în ûf des schiltes tach. | in die Schildbedeckung eingelegt. |
768 | die baner man ouch glesten sach | Die Banner sah man auch |
769 | nâ dem selben glanze. | im selben Glanze glänzen. |
770 | mit mangem rôsen kranze | Mit manchem Kranz von Rosen |
771 | wâren sî gekroenet. | waren sie gekrönt. |
772 | diu heide was geschoenet | Die Heide war von viel |
773 | mit manger hôhen wirdekeit. | großer Herrlichkeit verschönert. |
774 | dar nâch in hôher wirde reit | Dorthin ritt in hoher Würde |
775 | des Wunsches kint, der sælden hort, | das Wunschkind, der Hort des Glücks, |
776 | ein reizel gar ûf alliu ort | allerorten eine Verlockung |
777 | gên minneclîcher minne, | gegenüber lieblicher Liebe, |
778 | der sinne stoererinne, | die Aufrührerin der Sinne, |
779 | diu mangen ân ir wizzen bant. | die manchen ohne sein Wissen fesselte. |
780 | ein turteltûbe ûf der hant | Die Schöne führte |
781 | fuorte diu gehiure. | eine Turteltaube auf der Hand. |
782 | ich wæn diu âventiure | Ich glaube, die Aventiure |
783 | wær komen von dem grâle, | stammte vom Gral, |
784 | wan man ze mangem mâle | weil man immer wieder |
785 | in stürmen und in reisen | bei Sturmangriffen oder auf dem Kriegszug |
786 | sach die templeisen | die Templeisen die Reinheit der Turteltaube |
787 | der turtur kiusche füeren. | als Zeichen führen sah. |
788 | unkiusch getorst gerüeren | Unkeuschheit wagte keinen |
789 | keinen, seit man sunder wân, | zu berühren, der dem Gral diente, |
790 | der dem grâl was undertân: | so sagt man voll Überzeugung: |
791 | des fuorten sî diz zeichen. | Darum führten sie dieses Zeichen. |
792 | man sach ûf hôhe reichen | Man sah hoch oben |
793 | ein purpur an vier scheften, | einen Purpurstoff auf vier Stangen, |
794 | daz wart gefüert mit kreften | der mit Kraftaufwand |
795 | enbor von grâven vieren. | von vier Grafen in der Höhe getragen wurde. |
796 | dar under bî den zieren | Darunter ritt mit Schmuck |
797 | reit diu minneclîche magt. | die liebliche Magd. |
798 | swaz man singet oder sagt, | Was auch immer man singt oder erzählt, |
799 | daz was niht gên dem schouwen. | war nichts gegenüber dem, was man hier sah. |
800 | sî hât fünf hundert frouwen | Sie hatte fünfhundert Frauen |
801 | mit ir in ein gekleidet. | genau wie sich selbst gekleidet. |
802 | diu welt sô hinnen scheidet | Die Welt geht unter, |
803 | daz niemer solich hof ergât: | bevor es wieder so einen Hoftag gibt: |
804 | des wæn ich wol als ez nû stât. | So, wie es jetzt steht, glaube ich das bestimmt. |
805 | Sus kômen sî ze velde her. | So kamen sie hierher auf das Feld. |
806 | man fuort in vor sô manic sper | Vor ihnen führte man so viele Lanzen |
807 | von dürren stangen vesten, | aus trockenen, festen Stangen, |
808 | daz dâ dur niht gelesten | dass da kein heller Sonnenstrahl |
809 | moht der liehten sunnen glast. | hindurch leuchten konnte. |
810 | ich wæne verrer denn ein rast | Ich glaube, weiter als eine rast entfernt |
811 | hôrte man des dônes guft, | hörte man des Lärmes Schall, |
812 | als ob diu erde und der luft | als ob Erde und Luft |
813 | wider ein ander duzzen. | aufeinander prallten. |
814 | sus in den wolken schuzzen | So dröhnten in den Wolken |
815 | bûsînen tambûre slagen, | Posaunen und das Schlagen der Tamburine, |
816 | dâ von die berge mohten wagen. | dass die Berge davon erzittern konnten. |
817 | sus gieng ez allez dôsen. | So toste alles. |
818 | ezn dorfte niemen kôsen | Es brauchte niemand zu versuchen |
819 | dem andern in sîn ôre. | dem anderen ins Ohr zu flüstern. |
820 | noch dicker denn in rôre | Noch besser, als wenn sie aus Rohr gewesen wären, |
821 | diu sper dâ sament hielten. | hielten die Lanzen da zusammen. |
822 | niht langer dâ entwielten | Der Braunschweiger und seine Schar |
823 | von Brûneswîc mit sîner schar: | warteten da nicht länger: |
824 | die kâmen ouch ze velde dar. | Die kamen auch hierher auf das Feld. |
825 | Der hât sich ûz gesundert, | Er und seine hundert Ritter |
826 | er und sîn ritter hundert: | hatten sich besonders hervorgetan: |
827 | die dorfte niemen strâfen. | Die brauchte niemand zu tadeln. |
828 | sî fuorten alle ein wâfen | Sie trugen alle eine Rüstung |
829 | von kostelîcher stiure, | von hohem Wert, |
830 | wan nâ der âventiure | denn auf der Jagd nach dieser Aventiure |
831 | in keiner kost bevilte. | scheuten sie keine Kosten. |
832 | man sach daz in die schilte | Man sah, dass ihre Schilde |
833 | geteilet wâren in zwei vach, | in zwei Felder geteilt waren: |
834 | von obene dur des randes tach | vom oberen Rand |
835 | gehalbieret dur den spiz. | zum Spitz hin halbiert. |
836 | von Arâbî gap liehten gliz | Aus dem einen Feld leuchteten |
837 | daz ein vach von drîn stücken. | drei Teile aus arabischem Gold. |
838 | daz golt sich underdrücken | Kein Glanz ist heller |
839 | niht lât mit keinem glaste. | als der dieses Goldes. |
840 | von zobel glizzen vaste | Drei andere Teile aus Zobel |
841 | driu ander stucke gezilt. | glänzten genauso hell. |
842 | sô fuorten sî den halben schilt | So führten sie [scil. Reinfrieds Ritter] den halben Schild |
843 | geworht mit hôhem flîze. | mit großem Fleiß gefertigt. |
844 | von fînen berlen wîze | Die andere Hälfte war |
845 | was daz ander überleit, | von feinen weißen Perlen überzogen |
846 | und was nâ wunsch dar în gespreit | und es war aufs Schönste aus roten Rubinen |
847 | von rubîn rôt ein halber ar. | ein halber Adler darin ausgebreitet. |
848 | swenn man genam ze rehte war, | Wenn man zur Rechten sah, |
849 | wie sunne an golt ir glenzen nan | wie die Sonne sich im Gold widerspiegelte |
850 | und zobel swarz dar under bran | und der schwarze Zobel darunter glühte |
851 | und wie sîn ar der roete gliz | und wie sein [scil. des Schildes oder Reinfrieds] halber Adler |
852 | gap halp dur wîzes schiltes spiz, | rot aus der weißen Schildspitze hervor leuchtete, |
853 | sô sach man rîche koste grôz. | dann sah man eine überaus große Kostbarkeit. |
854 | ir herze gar an sorgen blôz | So ließen sie sorglosen Herzens ihre Pferde |
855 | sus ûf den hof leisierten. | mit verhängtem Zügel an den Hof laufen. |
856 | die krîger vast grôierten | Die Kämpfer riefen laut |
857 | ûf in, des herze ie schande flôch. | zu ihm, dessen Herz immer die Schande floh. |
858 | Fontânâgrîs der alte zôch | Fontanagris der Alte zog |
859 | gên im entwerhes ûf den rinc. | ihm in den Ring entgegen. |
860 | umb eine tjost der jungelinc | Um eine Tjost wurde der Jüngling |
861 | von im wart dâ gebetten. | da von ihm gebeten. |
862 | sîn herz nie übertretten | Sein Herz hatte niemals |
863 | hât keine stunt der mâze riz. | das rechte Maß überschritten. |
864 | des saz er sunder ruomes gliz | Darum saß er ohne den Glanz der Prahlerei |
865 | hôh ûf der êren sedele. | hoch auf dem Sitz der Ehre. |
866 | sîns helmes tach zwên wedele | Seinen Helm bedeckten |
867 | von phâwen hânt bedecket. | zwei Wedel aus Pfauenfedern. |
868 | in schrankes wîs gestrecket | Oben |
869 | heten sî sich bevangen. | verschränkten sie sich. |
870 | von golde lieht die stangen | Die einzelnen Federn der Wedel |
871 | ûf den wedeln glizzen. | glänzten von hellem Gold. |
872 | ûf eine tjost geflizzen | Die beiden mächtigen Fürsten hatten sich |
873 | sich hatten beide fürsten rîch. | für die Tjost herausgeputzt. |
874 | des wart ein schrîen ,wîchâ wîch! | Deshalb wurde geschrien: „Platz da, mach Platz! |
875 | lâ milte hie gên zühte varn!‘ | Lass Freigebigkeit hier gegen Wohlerzogenheit antreten!“ |
876 | ûz Sahsenlant des fürsten arn | Der Arm des Fürsten aus Sachsen |
877 | ein kreftic sper dâ sancte. | senkte da eine starke Lanze. |
878 | Fontânâgrîs dâ sprancte | Da sprengte auch Fontanagris |
879 | gên im ouch ûf dem ringe her. | im Ring auf ihn zu. |
880 | zwei dürriu kurziu vestiu sper | Zwei trockene kurze feste Lanzen |
881 | sach man sî beide füeren. | sah man sie beide führen. |
882 | ob sî diu ors iht rüeren | Ob sie die Pferde nicht |
883 | konden zuo den sîten? | in die Seiten stoßen konnten? |
884 | jâ ir snellez rîten | Ja, ihr schnelles Reiten |
885 | was sam des valken fliegen. | war wie der Flug des Falken. |
886 | diu bein sach man sî biegen | Die Beine sah man sie |
887 | dâ neben zuo den lenken. | fest um die Leiber der Tiere schließen. |
888 | ir sper sî kunden senken | Sie wussten ihre Lanzen |
889 | hin zuo der schilte riemen. | hin zu den Riemen der Schilde zu senken. |
890 | ir dewedere gunde niemen | Keiner gönnte da dem anderen, |
891 | für sich dô prîs erringen. | Ruhm für sich zu erringen. |
892 | man sach diu ors erspringen | Man sah die Pferde wie |
893 | sam in dem walde hirzetier. | das Wild im Wald umher springen. |
894 | mit starken kreften man sî schier | Mit großen Kräften sah man sie schnell |
895 | har ûf den orsen trîben sach, | auf den Pferden umherhetzen, |
896 | und daz ietweders schaft zerbrach: | und dass der Schaft eines jeden zerbrach: |
897 | mê dan in tûsent stücken | In mehr als tausend Stücken |
898 | sach man die sprîzen flücken | sah man die Lanzensplitter |
899 | hôh ûf in den lüften. | hoch in die Lüfte aufstieben. |
900 | ein ritterlîchez güften | Von dem Klang erhob sich |
901 | huop sich von dem duzze. | ein ritterliches Freudengeschrei. |
902 | reht als der dunre schuzze, | Genauso wie Donnergrollen |
903 | sô wart ein schal und ouch ein krach. | erhoben sich Schall und Lärm. |
904 | ietweders schilt dâ nider brach | Da zerbarst eines jeden Schild |
905 | und wurden ouch der helme bar. | und sie verloren auch ihre Helme. |
906 | alsus sî von dem stiche gar | So wurden beide |
907 | wurden beide entrümmert. | von dem Stoß völlig erschüttert. |
908 | ir lîp sî vast bekümmert | Ihr Leib ließ sie sich |
909 | umb êre und ritterlîche tât, | um Ehre und ritterliche Tat sorgen, |
910 | daz fürsten wol ze lobe stât. | um Ehre und Ritterliche Tat sorgen. |
911 | Sus pînten sî sich beide. | So rackerten sie sich beide ab. |
912 | nu kan dort ûf der heide | Nun kam dort auf der Heide Palarei, |
913 | Palarei, künc von Engellant, | der König von England, |
914 | den hôhiu wirde ûz gesant | den hohe Würde ausgesandt |
915 | hât umb êre und werdez lop. | hatte um Ehre und ehrlichen Ruhm. |
916 | ein rîche banier swepte op | Ein prächtiges Banner schwebte über |
917 | im, des herze ie schande meit. | ihm, dessen Herz sich immer von Schande fernhielt. |
918 | umb zuht êr unde miltekeit | Anstand, Ehre und Freigebigkeit gering zu achten, |
919 | dorft in niemen strâfen. | brauchte ihm niemand nachzusagen. |
920 | er hât ûf sîne wâfen | Er hatte auf seine Ausrüstung |
921 | nâ küneclîcher kost gezilt. | königliche Kostbarkeit verwandt. |
922 | ûz Arâbîe was sîn schilt | Sein Schild war aus glänzendem Gold |
923 | von glanzem golde, als ich ez las. | aus Arabien, wie ich las. |
924 | ob daz gebirge in Caukasas | Wenn das Gebirge im Kaukasus |
925 | hete gedienet sîner hant, | unter seiner Herrschaft gewesen wäre, |
926 | er moht niht rîcher sîn bekant. | hätte er nicht reicher sein können. |
927 | als uns diu âventiure seit, | Wie uns die Aventiure berichtet, |
928 | von rubîn lâgen drîn gespreit | lagen darin [scil. im Schild] quer |
929 | entwerhes drî lêparten. | ausgebreitet drei Leoparden. |
930 | man sol dem herren zarten, | Man soll diesem Herrn wohl gesonnen sein, |
931 | der alsus keiserlichen vert | der so fürstlich daher kommt |
932 | und lîp und guot nâch êren zert. | und Leib und Gut um der Ehre willen aufs Spiel setzt. |
933 | Er kan ze velde schiere. | Er kam eilig auf das Feld. |
934 | under sînr baniere | Unter seinem Banner |
935 | fuort er hundert ritter dar, | führte er dorthin hundert Ritter, |
936 | die sîner krône nâmen war: | die zu seiner Herrschaft gehörten: |
937 | des was sîn sorge gar enzwei. | Darum hatte er keine Sorge. |
938 | der junge künic Palarei, | Der junge König Palarei, |
939 | an schanden gar der træge | der ohne Schande lebte |
940 | (er was ze Norwæge | (er war in Norwegen |
941 | gewaltic künic unde vogt), | ein mächtiger König und Landesherr), |
942 | kam ûf die heide ouch gezogt | kam auch mit dem Lärm |
943 | mit krache manges schalles. | manch kräftigen Tones auf die Heide gezogen. |
944 | sîn kunft diu maht daz allez | Seine Ankunft bewirkte, dass alles, |
945 | daz dâ was in ein ander dôz. | was da war, durcheinander tönte. |
946 | sîn schar was kreftic unde grôz | Groß und stark war seine Schar, |
947 | die er enthielt von helden zier, | die er mit Helden zierte, |
948 | wan under sîner banier | denn unter seinem Banner |
949 | hât er ouch ûz gesundert | hatte er hundert |
950 | sô fromer ritter hundert | so tadellose Ritter gesammelt, |
951 | daz ir genôze nie gesehen | dass ihnen an Würde niemand |
952 | an wirde wart, sô hoer ich jehen. | gleichkam, wie ich sagen höre. |
953 | Sî fuorten sîniu zeichen, | Sie trugen die Zeichen desjenigen, |
954 | des herze nie erweichen | dessen Herz durch keine Furcht |
955 | moht von keinen vorhten. | schwach werden konnte. |
956 | ei waz sî wunders worhten | Ei, was für Wunder sie |
957 | in stürmen und in strîten! | in Stürmen und Kämpfen wirkten! |
958 | sî kâmen zuo den zîten | Sie kamen jetzt |
959 | mit im, des herze ie schande flôch. | mit ihm, dessen Herz stets Schande mied. |
960 | ein kreftic ors stüef unde hôch | Es war ein starkes Pferd, wacker und |
961 | was, dar ûf der fürste saz; | groß, auf dem der Fürst saß; |
962 | sîn wâpenkleit, als ich ez las, | seine Rüstung war, wie ich las, |
963 | von kostelîcher stiure. | von hohem Wert. |
964 | sô rîche kovertiure | So prächtige kovertiure |
965 | wæn ich sî selten mê gesehen. | sieht man, glaube ich, selten. |
966 | von liehtem rubîn schôn durbrehen | Man sah seine Rüstung |
967 | alsus sîn wâpenkleit man sach, | von leuchtendem Rubin durchzogen, |
968 | und was ûf des schiltes tach | und in die Schildbespannung |
969 | geworht ein meisterlîchez schif | war ein meisterhaftes Schiff |
970 | von fînem golde, und was sîn grif | aus feinem Gold eingearbeitet und in seiner |
971 | des schilt entwerhes überlegen. | Breite über den Schild erhaben. |
972 | ein ort des schiffes sach man phlegen | Am einen Ende des Schiffs sah man |
973 | ein ruoder klein daz dar an hienc. | ein kleines Ruder, das daran hing. |
974 | von dem andern orte gienc | Am anderen Ende war |
975 | ein boun der den schilt hât verdaht. | ein Mast auf dem Schild befestigt. |
976 | dar an ein segel was gestraht | Daran war ein Segel aus |
977 | von kleinen wîz mergriezen, | kleinen weißen Perlen aufgezogen, |
978 | und kund der unden sliezen | das sich unten |
979 | sich wider zuo der stangen. | wieder mit dem Mast traf. |
980 | ich wæn daz er enphangen | Ich glaube, dass er [scil. Palarei] da |
981 | dâ würd mit mangem gruoze. | mit manchem Gruß empfangen wurde. |
982 | vil lieplîcher unmuoze | Viel liebe Unruhe |
983 | schuof er in wîbes ougen | brachte er da in die Augen der Frauen, |
984 | diu in erblihten tougen. | die ihn verstohlen ansahen. |
985 | Alsus kam er mit grôzer maht. | So kam er mit großer Stärke. |
986 | sich huop dô manic lûter braht, | Da erhob sich ohrenbetäubender Lärm |
987 | von phîfen dôz und scheften krach. | vom Schall der Pfeifen und Krachen der Lanzenschäfte. |
988 | man sach daz dirre jenen stach: | Man sah, dass dieser jenen stach: |
989 | sô viel dort einr von jenem nider. | So fiel dort einer, von jenem getroffen, nieder. |
990 | sich pînten manges ritters lider | Vieler Ritter Glieder |
991 | ûf der âventiure trôst. | quälten sich um den Preis der Aventiure. |
992 | von riemen manic schilt erlôst | Viele Schilde wurden |
993 | wart von starken scheften, | durch starke Lanzenschäfte, |
994 | die sî mit hôhen kreften | die sie mit großer Kraft zu Pferd |
995 | ze orse ûf ein ander triben. | gegeneinander trieben, von ihren Riemen erlöst. |
996 | dâ was niemen ruowic bliben: | Da blieb keiner säumig: |
997 | man hôrte schrîgen ,wîchâ wîch! | Man hörte schreien: „Aus dem Weg! |
998 | von Brûneswic der fürste rîch | Der mächtige Fürst von Braunschweig |
999 | kunt aber hie mit frîger ger. | kommt wieder mit ungezügeltem Verlangen hierher. |
1000 | sîn hant diu hât wol zwênzic sper | Seine Hand hat gut zwanzig Lanzen |
1001 | mit der tjost verswendet.‘ | bei der Tjost zerbrochen.“ |
1002 | nu was aldar gesendet | Nun war ein stolzer Ritter |
1003 | ein stolzer ritter ûzerkorn. | ausgewählt und dorthin geschickt worden. |
1004 | von Parmenîe geborn | Sein kühner starker Leib war |
1005 | was sîn frecher starker lîp | aus Parmenien gebürtig |
1006 | und mohte sunder vorhtes kîp | und konnte, von keiner Angst gehindert, |
1007 | wol üeben ritterlîch getât. | sehr gut ritterliche Taten vollbringen. |
1008 | dâ von er sich bekleidet hât | Darum hatte er sich in Lasurblau, |
1009 | in stæte varwe lâsûrblâ. | die Farbe der Beständigkeit, gekleidet. |
1010 | ein grôzez ros, was apfelgrâ, | Sein großes Pferd, ein Apfelschimmel, |
1011 | daz lief in sprungen sam ein tier, | sprang umher wie ein Reh. |
1012 | dar ûf der werde ritter zier | Auf ihm saß die Zier edler Ritter |
1013 | saz alsam ein vestiu want. | wie angegossen. |
1014 | ich wæne daz in dar gesant | Ich glaube, dass seine Geliebte |
1015 | hette sîn âmîe. | ihn dorthin geschickt hatte. |
1016 | mit manger lûten krîe | Mit manch lautem Ruf |
1017 | wart lobelîch gewüefet | wurde ruhmreich angekündigt |
1018 | und über lût gerüefet, | und überlaut ausgerufen, |
1019 | dâ wær ein fromer ritter komen. | da wäre ein vortrefflicher Ritter gekommen. |
1020 | schiere wart diz mær vernomen | Schnell verbreitete sich die Kunde, |
1021 | dâ manger gên im drapte. | da mancher ihm entgegen trabte. |
1022 | von Brûneswîc der hapte | Der von Braunschweig ritt |
1023 | gên im ûf der plânîe. | ihm auf der Ebene entgegen. |
1024 | und als der wandels frîe | Und als der Makellose |
1025 | ûf in gehôrt daz kapfen, | das Lobgeschrei auf ihn hörte, |
1026 | man sach in drâte stapfen | sah man ihn dem anderen entgegeneilen, |
1027 | gên im ûf ein tjoste. | um eine Tjost gegen ihn zu reiten. |
1028 | ez lac sô rîchiu koste | Er trug solche Reichtümer |
1029 | an im daz ez was wunder. | an sich, dass es ein Wunder war. |
1030 | sîn sper daz sluog er under | Er hakte die Lanze ein |
1031 | und tet im selben rûmeiz. | und verschaffte sich Raum. |
1032 | ûf einen langen puneiz | Man sah ihn sein Pferd so führen, |
1033 | sach man in sîn ors ziehen. | dass er langen Anlauf nehmen konnte. |
1034 | nu wolt ouch genre fliehen | Nun wollte auch der andere ungern |
1035 | niht, dô er in komen sach. | fliehen, als er ihn kommen sah. |
1036 | für sich er druht des schiltes tach | Er hielt den Schild vor sich |
1037 | und sprancten gên ein ander her. | und die beiden sprengten aufeinander zu. |
1038 | mit frîger tât ietweders sper | Ungehindert neigte |
1039 | sî gên ein ander neigten. | ein jeder die Lanze gegen den anderen. |
1040 | ir hôhe kraft si zeigten | Sie bewiesen ihre große Kraft |
1041 | und ouch ir ritterlîche kunst. | und auch ihr ritterliches Können. |
1042 | vor in sô gie ein starker tunst, | Vor ihnen erhob sich eine dichte Staubwolke, |
1043 | dô sî sus kâmen gedræget. | als sie so aufeinander zustürmten. |
1044 | reht als diu ors gewæget | Genauso wie die Pferde |
1045 | an loufen kæmen dur den luft, | beim Laufen durch die Luft wirbelten, |
1046 | sus fuoren sî nâ muotes guft | so ritten sie voll Übermut |
1047 | und ouch mit grôzer krefte | und auch mit großer Kraft |
1048 | und stâchen daz die schefte | und stachen, dass die Lanzenschäfte |
1049 | in kleine sprîzen hôhe flugen | in kleinen Splittern hochflogen |
1050 | und daz diu ors sich beide bugen | und die Pferde hinten einknickten |
1051 | hinden von dem stiche. | von dem Stoß. |
1052 | ob aber keinre entwiche | Ob dabei auch keiner |
1053 | dem satel hie dur rûmen? jâ, | den Sattel räumen musste? Ja doch, |
1054 | der frouwen ritter der lac dâ | der Ritter der Dame; der lag da sehr wohl |
1055 | von dem orse wol hin dan | vom Pferde hinunter |
1056 | und was gevallen ûf den plân. | und auf die Wiese gefallen. |
1057 | Als daz der Schotten künic sach, | Als das Parlus, der König von Schottland |
1058 | Parlus, dur mange rotte er brach | sah, drängte er sich durch die Scharen |
1059 | her gên dem von Brûneswîc. | dem von Braunschweig entgegen. |
1060 | ob sîn muot iht hôhe stîc | Ob seine [scil. Reinfrieds] Stimmung sich da |
1061 | an fröuden ûf? jâ, herre, jâ. | nicht freudig hob? Ja, Herr, ja. |
1062 | als er gesach Parlûsen dâ | Als er Parlus da vor sich |
1063 | vor im ûf des ringes kreiz, | im Ring erblickte, |
1064 | gên eim starken puneiz | rüstete er sich abermals |
1065 | er sich aber ruste. | für einen kraftvollen Stoß gegen ihn. |
1066 | den schilt er zuo der bruste | Er zog den Schild |
1067 | gar ritterlîche druhte. | gar ritterlich an die Brust heran. |
1068 | den lîp er samfte ruhte | Den Körper bewegte er, sich |
1069 | hin und her gên der tjost. | geschmeidig wiegend, auf die Tjost zu. |
1070 | sîn herze sunder meiles rost | Sein von Schande unbeflecktes Herz |
1071 | in hôhen fröuden swepte. | wurde ihm vor Freude leicht. |
1072 | in dûht daz iemen lepte | Ihn dünkte, dass niemand lebte, |
1073 | an hôher wunne sîn genôz. | der so glückselig war wie er. |
1074 | ein vestez sper unmâzen grôz | Er bat, ihm schnell eine feste, |
1075 | bat er im balde reichen. | besonders große Lanze zu reichen. |
1076 | der âne lobes smeichen | Der ohne lobende Schmeicheleien |
1077 | ie hôchgelopter êren wielt, | immer hoch gelobte Ehre verkörperte, |
1078 | er sach Parlûsen wie er hielt | der sah Parlus, wie er auf ihn zu |
1079 | gên im und hiez wîchen. | hielt und aus dem Weg zu gehen befahl. |
1080 | ob sî zesamen strîchen | Ob sie die Pferde hier |
1081 | diu ors hie liezen? jâ sî, jâ; | einander berühren ließen? Ja, sie taten es, ja; |
1082 | die krîger liefen ûf ir slâ | die Kämpfer liefen auf ihrer Spur |
1083 | mit manger lûten krîge. | mit manch lautem Kriegsruf. |
1084 | hie was der schanden frîge | Hier war der Schandenfreie |
1085 | kon an den êren stæten. | an den in Sachen Ehre Beständigen geraten. |
1086 | diu ors zesamen dræten | Die Pferde wirbelte aufeinander zu, |
1087 | reht als ob sî beide flugen. | als ob sie beide flögen. |
1088 | ûf eine rîche tjost sî zugen | Sie zielten beide auf eine herrliche Tjost, |
1089 | mit der sî beid vertâten | bei der sie beide ihre Lanzen |
1090 | diu sper, dazs hôhe wâten | verstachen, dass das hohe wâten |
1091 | in den lüften klein zerschivert | in der Luft in kleine Splitter zerbarst |
1092 | und man die trunzen gar zerrivert | und man die Lanzenstücke zersplittert |
1093 | sach ob den helmen fliegen. | über die Helme fliegen sah. |
1094 | von dem stiche biegen | Von dem Stich musste sich |
1095 | des künges rugge muoste. | der Rücken des Königs krümmen. |
1096 | ich wæne daz in gruoste | Ich glaube, dass ihm heimlich |
1097 | tougen manges herzen sin. | manches Herz zuflog. |
1098 | alsus der herzog kêrte hin | So machte der Herzog [scil. Reinfried] |
1099 | aber von rinc ze ringe. | abermals auf dem Kampfplatz kehrt. |
1100 | wer in hie zuo twinge? | Wer ihn dazu zwang? |
1101 | daz tuot ein unsihtigiu nôt. | Das tut eine unsichtbare Kraft. |
1102 | lîp unde herze er beide bôt | Körper und Herz bot er beide |
1103 | dar dâ er was unbekant. | dort feil, wo er fremd war. |
1104 | ei süeziu minne, dîniu bant | Ei, süße Liebe, deine Fesseln |
1105 | bindent sunder heften. | binden, ohne zu berühren. |
1106 | swâ du mit dînen kreften | Wo auch immer du dich mit deinen Kräften |
1107 | wilt gewalteclichen ligen, | gewaltig niederlässt, |
1108 | dâ mag und kan dîn maht gesigen | da kann und wird deine Macht |
1109 | gar ân allez dunken. | ohne jeden Zweifel siegen. |
1110 | swâ dîner gneisten funken | Wo auch immer deine Funken |
1111 | gedenke in herze enzündent, | liebendes Gedenken in einem Herz entfachen, |
1112 | ich weiz daz sî durgründent | weiß ich, dass sie mit Verlangen |
1113 | mit luste alle sinne. | alle Wahrnehmung durchziehen. |
1114 | swâ sin nâ hôher minne | Wo auch immer der Verstand |
1115 | ist mit luste girdic, | mit Verlangen nach hoher Minne strebt – |
1116 | ist dâ daz herze wirdic | wenn da das Herz |
1117 | sô lobelîcher minne, | so ehrbarer Liebe wert ist, |
1118 | diu minne tuot dem sinne | tut diese Liebe dem Verstand |
1119 | mit gedenken dicke wol. | mit liebendem Gedenken oft gut. |
1120 | swie daz sîn herze leides vol | Obwohl sein Herz oft |
1121 | sî dicke nâ dem luste, | vor körperlichem Verlangen des Leides voll ist, |
1122 | sô lît doch in der bruste | so liegt doch in der Brust |
1123 | diu fröude hôhes gingen. | die Freude hoher geistiger Begierde. |
1124 | mit sus getânen dingen | An solchen Dingen |
1125 | fröut sich ein herze mange stunt | erfreut sich das Herz gar manche Stunde, |
1126 | daz im ze handen selten kunt. | was ihm doch selten zuteil wird. |
1127 | Diz ist der minne senken. | Das ist die vernichtende Kraft der Liebe. |
1128 | ez mac mit gedenken | Ein Herz kann sich mit liebendem |
1129 | ein herz sich dar zuo twingen, | Gedenken dorthin zwingen, |
1130 | dâ von ez kûme bringen | wovon es kaum jemand anderer |
1131 | mag iemen sunder sterben. | als der Tod abbringen kann. |
1132 | swâ nâch der lîp wil werben, | Wonach der Körper auch strebt – |
1133 | ist ouch dem herzen dar zuo gâch, | zieht es auch das Herz dorthin, |
1134 | er wirbet deste baz darnâch. | strebt er umso stärker danach. |
1135 | Sus was ouch disem fürsten. | So erging es auch diesem Fürsten. |
1136 | sîn frîgez herze er türsten | Sein freimütiges Herz ließ er |
1137 | liez nach hôher minne. | nach hoher Minne dürsten. |
1138 | er hâte sîne sinne | Er hatte seine Sinne |
1139 | mit den gedenken dar zuo brâht, | mit stetem Denken dazu gebracht, |
1140 | daz sî alle zît verdâht | dass sie immer auf die eine |
1141 | wâren an die einen, | konzentriert waren, |
1142 | die hôchgelopten reinen, | die hoch gelobte Reine, |
1143 | die kiuschen wol getânen, | die keusche schön Gestalte, |
1144 | die minneclîch Yrkânen, | die liebliche Yrkane, |
1145 | der schoen für alle schoene wac. | deren Schönheit alle anderen übertraf. |
1146 | diu trûtschaft im ze herzen lac | Die Angebetete lag ihm so |
1147 | sô vesteclîche ûf den grunt, | fest auf dem Grund des Herzens verankert, |
1148 | daz ir bilde alle stunt | dass ihr Bild allezeit |
1149 | was vor sîns herzen angesiht, | vor seines Herzens Angesicht war. |
1150 | ê er mit sîner ougen phliht | Bevor er die Liebliche mit |
1151 | die minneclichen hât gesehen. | eigenen Augen gesehen hatte, |
1152 | des muos sîn herze ir schoene jehen. | musste ihm deshalb sein Herz von ihrer Schönheit erzählen. |
1153 | offenlîch und tougen | Öffentlich und geheim |
1154 | was daz ob sînen ougen | war, dass ihre Schönheit sich |
1155 | ir schoene was verwildet. | vor seinen Augen noch verborgen hielt. |
1156 | sîn herz daz hât gebildet | Sein Herz, das hatte sie |
1157 | sî nâch sîner girde, | nach seinem Wunsch gestaltet; |
1158 | und was ir hôhiu wirde | und ihre hohe Würde |
1159 | alsus in sînem sinne, | war dergestalt in seinem Denken, |
1160 | daz in betwang ir minne, | dass ihn ihre Liebe bezwang, |
1161 | ê sî sîn ouge ie gesach. | bevor sein Auge sie erblickt hatte. |
1162 | hie nâch dô aber daz geschach | Als es aber hernach geschah, |
1163 | daz diu ougen sâhen | dass die Augen sahen, |
1164 | dar dâ daz herze gâhen | wohin das Herz mit den Gedanken |
1165 | hin kunde mit dem sinne, | zu eilen wusste, |
1166 | dô kan diu süeziu minne | da kam die süße Liebe |
1167 | und strihte ouge und herz inein, | und führte Auge und Herz zusammen, |
1168 | alsô daz under disen zwein | sodass diese beiden |
1169 | niht was wan ein einic lust. | dasselbe begehrten. |
1170 | den truog er under sîner brust | Das trug er verborgen |
1171 | verborgenlichen stille. | still in seiner Brust. |
1172 | sus fuor sîn frîger wille | So erhob sich sein freier Wille |
1173 | hôch mit den gedenken. | mit den Gedanken. |
1174 | man sach in aber senken | Man sah ihn abermals harte Lanzen |
1175 | vestiu sper und stechen. | senken und verstechen. |
1176 | grôze schefte brechen | Große Lanzenschäfte zu brechen, |
1177 | was man an im wol genant. | war man von ihm gewohnt. |
1178 | des landes vogt ûz Engellant, | Der Landesherr aus England, |
1179 | der junge künic Flôrîs, | der junge König Floris, |
1180 | bejagt ouch ritterlichen prîs | erjagte mit seinem Gefolge |
1181 | mit sîner massenîe. | auch ritterlichen Ruhm. |
1182 | der kiusche wandels frîe | Der keusche Makellose |
1183 | vertet mit frîges herzen ger | verstach mit dem Begehren seines freimütigen Herzens |
1184 | manic starkez vestez sper | manch starke feste Lanze |
1185 | und warp nâ hôhen êren. | und strebte nach hohen Ehren. |
1186 | mit hôher koste kêren | Mit hohem Einsatz wiederkehren |
1187 | sach man den schanden trægen, | sah man den Schandelosen. |
1188 | ich mein von Norwægen | Ich meine den König |
1189 | den künic mit den barken. | von Norwegen mit den Barken. |
1190 | in allen Tenemarken | In ganz Dänemark |
1191 | was niht sô rîcher koste. | gab es keine solchen Reichtümer. |
1192 | des schilt in roete gloste | Sein Schild leuchtete rot |
1193 | von rubîn rôt alsam ein gluot. | wie Glut von rotem Rubin. |
1194 | er und sîn massenîe guot | Er und sein edles Gefolge |
1195 | ouch worhten ritterlîche tât. | vollbrachten auch ritterliche Taten. |
1196 | der bûhurt sich gezogen hât | Der Buhurt hatte sich |
1197 | vast unz ûf des âbents zît. | bis zum Abend gezogen. |
1198 | man hiez besenden sunder nît | Ohne Hintergedanken befahl man, |
1199 | die fürsten von den landen | die Fürsten der Länder zu holen, |
1200 | die ritterschaft erkanden, | denen ritterliche Kultur bekannt war, |
1201 | wan man die âventiure | da man die Aventiure |
1202 | mit lobelîcher stiure | auf ehrbare und würdige |
1203 | wirdeclichen solte geben. | Weise übergeben sollte. |
1204 | sîn herze in hôher wunne sweben | Das Herz desjenigen kann in hoher Wonne |
1205 | mac, swem diu sælde ist beschert | schweben, dem das Glück beschert ist, |
1206 | daz daz heil im widervert | dass ihm das Heil |
1207 | von der grôzen êre. | durch große Ehre widerfährt. |
1208 | sîn lîp ist iemer mêre | Er wird davon |
1209 | dâ von getiuret alliu zil. | immer aufgewertet. |
1210 | nu was dâ hôher herren vil | Nun waren da viele hohe Herren, |
1211 | die bî ir triuwe erkanten | die bei ihrer Treue anerkannten |
1212 | und al dar an genanten | und alle einhellig und |
1213 | einhelleclichen sunder haz, | neidlos verkündeten, |
1214 | daz niemen het verdienet baz | dass niemand die Aventiure, |
1215 | mit sper und ritterlîcher tât | die da des Königs Tochter ausgerufen hatte, |
1216 | die âventiure, die dô hât | besser mit Lanze und ritterlicher Tat |
1217 | des künges tohter ûz gesant, | gemeistert hätte, |
1218 | denn der fürste ûz Sahsen lant | als der Fürst von Sachsen, Reinfried, |
1219 | Reinfrit, des herze ie schande meit. | dessen Herz sich allzeit von jeglicher Schande fernhielt. |
1220 | nu sach er wie dort gên im reit | Nun sah er, wie ihm dort diejenige entgegen ritt, |
1221 | diu der sîn herz ie frouwe jach, | die sein Herz seit jeher »Herrin« nannte, |
1222 | die sîn gedanc und ouge sach, | die sein Denken und sein Auge sah, |
1223 | diu in vast ân ir wizzen bant. | die ihn fest, doch ohne ihr Wissen band. |
1224 | ein turteltûben ûf der hant | Eine Turteltaube brachte |
1225 | brâhte diu gehiure. | die Schöne auf der Hand. |
1226 | diz was diu âventiure, | Das war die Aventiure, |
1227 | als ir dâ vor wol hânt vernomen. | wie ihr davor wohl vernommen habt. |
1228 | man hiez daz sî dem fürsten fromen | Man befahl, dass sie dem frommen Fürsten |
1229 | solt die âventiure geben, | die Aventiure übergebe, |
1230 | sît daz sîn lîp und ouch sîn leben | da sein Leib und auch sein Leben |
1231 | sich an êren nie versneit. | sich nie von Ehre entfernt hatten. |
1232 | im hiez diu minneclîche meit | Das liebe Mädchen befahl ihm, |
1233 | den heln selbe binden dan. | selbst den Helm abzubinden. |
1234 | ir lieplîch smieren sach in an | Sie lächelte ihn lieb an |
1235 | und sprach ,fromer fürste wert, | und sagte: „Frommer werter Fürst, |
1236 | dîn lîp der hôher êren gert, | dein Leib, der hohe Ehren begehrt, |
1237 | hât grôzen lop errungen, | hat großes Lob errungen, |
1238 | sît daz dir ist gelungen | weil du dich hier |
1239 | hie an ritterschefte. | im ritterlichen Kampf bewiesen hast. |
1240 | wol der starken krefte | Heil der starken Kraft, |
1241 | diu sô manlîch ellent hât, | die so männlichen Mut hat, |
1242 | daz sî sô wirdenclichen gât | dass sie so würdevoll |
1243 | nâ hôher êren stiure. | zum Ziel hoher Ehren strebt. |
1244 | sich, diu âventiure | Sieh, die Aventiure |
1245 | ist dir ze gebende bereit. | ist bereit, sich dir zu schenken. |
1246 | des sol dîn êre werden breit | Dadurch soll deine Ehre berühmt werden |
1247 | für alle die har komen sint.‘ | vor allen, die hierher gekommen sind.“ |
1248 | alsus daz minneclîche kint | So wusste das liebliche Kind |
1249 | dem fürsten kunde zarten. | dem Fürsten zu schmeicheln. |
1250 | er lie sîn ougen warten | Er ließ seine Augen auch |
1251 | ouch an daz grôze wunder, | das große Wunder anstaunen, |
1252 | daz im wê tet under | das ihm in der Brust |
1253 | sîner bruste und dâ bî wol. | zugleich wohl und wehtat. |
1254 | sîn herze wart sô fröuden vol | Sein Herz war so von Freude erfüllt, |
1255 | daz im sorge gar entweich. | dass ihn jegliche Sorge floh. |
1256 | ir angesiht diu tet in bleich | Ihr Gesicht ließ ihn |
1257 | von rehter fröuden schrecken. | vor ehrlicher Freude erbleichen. |
1258 | diu fröude in herzen stecken | Die Freude verursachte |
1259 | tet jâmer nâ dem luste. | in seinem Herzen schmerzliches Verlangen. |
1260 | daz herz mit manigem juste | Das Herz erhob sich mit manchem Stoß |
1261 | fuor über sich alsam ez flüge. | über sich selbst, als ob es flöge. |
1262 | ich wæne ir schoene ez an sich züge | Ich glaube, ihre Schönheit zog es stärker |
1263 | vaster denn der agestein | an sich, als es der Magnet |
1264 | daz îsen tuot: ir schoene schein | mit dem Eisen tut: Ihre Schönheit strahlte |
1265 | im dur sîns vesten herzen grunt. | bis auf den Grund seines standhaften Herzens. |
1266 | er was sô süezer wunden wunt, | Er litt an so süßen Wunden, |
1267 | swenn in ir süezer smerze lie, | dass er sich danach zurücksehnte |
1268 | daz er ein trûren denne enphie | wenn ihr süßer Schmerz ihn verließ, |
1269 | und wart jæmerlîche var. | und ganz bleich wurde. |
1270 | und sô sîn sendez herze dar | Und wenn es sein sehnsuchtsvolles Herz |
1271 | in jâmer mit gedenken swanc, | in schmerzlichem Gedenken dorthin zog, |
1272 | sô wart daz trûren daz în twanc | so wurde der Schmerz, der ihn gefangen hielt, |
1273 | dest ringer und dest kleinre. | umso weniger und umso kleiner. |
1274 | minne twanc ist reinre | Die Gewalt der Liebe ist reiner |
1275 | denn ihts iht, des ich wæne. | als alles andere, vermute ich. |
1276 | ir art ist seltsæne, | Ihr Wesen ist einzigartig, |
1277 | sît ir wê gît hôhen muot. | da ihr Weh die Stimmung hebt. |
1278 | sô sî dem man ie wirser tuot, | Überfällt sie einen Mann besonders schlimm, |
1279 | sô liebet sî im aller meist. | liebt sie ihn am allermeisten. |
1280 | diz hât mit ganzer volleist | Das hat in ganzer Vollendung |
1281 | der fürste wol enphunden. | der Fürst sehr wohl empfunden. |
1282 | der süezen minne wunden | Die süßen Schmerzen der Liebe |
1283 | hâten in bevangen. | hielten ihn gefangen. |
1284 | ir senfter blic durgangen | Ihr sanfter Blick hatte |
1285 | hât gar sînes herzen sin: | den Verstand seines Herzens durchdrungen: |
1286 | des was sîn trûren gar dâ hin. | Deswegen war seine Trauer verschwunden. |
1287 | Sus twang in in dem sinne | So bezwang ihn in seinem Verstand |
1288 | diu süeze strenge minne | die süße strenge Liebe |
1289 | und lie sî lidic unde frî. | und er ließ sie ledig und frei. |
1290 | diu küneginne hielte bî | Die Königin weilte bei |
1291 | im, dem sî in herzen lac. | ihm, der sie im Herzen trug. |
1292 | sîn herze mit gedenken pflac | Sein Herz war in liebendem Gedenken |
1293 | sô minneclîche schône, | so um Liebe bemüht |
1294 | und gap sî im ze lône | und sie gab ihm nichts als |
1295 | niht wan süezez ungemach. | süßes Ungemach als Lohn. |
1296 | sus huop der fürste unde sprach: | So hob der Fürst an und sprach: |
1297 | ,Ei werdiu küneclîchiu fruht, | „Ei, werter königlicher Spross, |
1298 | ir hânt an mir sô grôze zuht | Ihr habt mir so viel Liebenswürdigkeit |
1299 | begangen daz ir ist ze vil. | erwiesen, dass es zu viel ist. |
1300 | het ich der âventiure zil | Habe ich das Ziel der Aventiure |
1301 | errungen, des enweiz ich niht. | errungen, so weiß ich nichts davon. |
1302 | sît daz man hôhe krône siht | Weil man nämlich gekrönte Häupter |
1303 | hie werben nâ dem prîse, | hier nach Ruhm streben sieht, |
1304 | sol mit des lobes rîse | weiß ich, dass es für mich |
1305 | mîn lîp gezieret schînen, | viel zu viel der Ehre ist, |
1306 | sô weiz ich daz ez mînen | sollte mein Leib mit dem Ruhmeszweig |
1307 | êren ist mê denn ze vil.‘ | geschmückt erscheinen.“ |
1308 | sî sprach ,ich heizez unde wil, | Sie sprach: „Ich befehle und will es, |
1309 | daz ir sî enphâhent. | dass Ihr sie [scil. die Taube] empfangt. |
1310 | wan ob ir ez versmâhent, | Denn wenn Ihr sie verschmäht, |
1311 | ir sint niht guotes gruozes wert. | seid Ihr rechten Gruß nicht wert. |
1312 | morne solt ir mit dem swert | Morgen sollt Ihr auch |
1313 | diu lider ouch erswingen. | mit dem Schwert antreten. |
1314 | mügt ir den prîs erringen, | Könnt Ihr den Preis erringen, |
1315 | iuch wirt daz golt und ouch mîn kus.‘ | werden das Gold und auch ein Kuss von mir Euch gehören.“ |
1316 | diu wort dur sînes ôren duz | Die Worte drangen ihm |
1317 | reht als ein mezzer hiuwen. | gerade so wie Messer in die Ohren. |
1318 | sî stôrten senden riuwen | Sie störten den sehnsuchtsvollen Schmerz |
1319 | und brâhten lustic girde. | und brachten verlangende Begierde. |
1320 | ir hôherborne wirde | Ihre hochwohlgeborene Würde |
1321 | im tougen in sîn herze seic. | senkte sich ihm heimlich ins Herz. |
1322 | lîp und gedanc mit sinnen neic | Körper und Gedanke neigten sich mit den Sinnen |
1323 | der kiuschen wandels kranken. | hin zur keuschen Makellosen. |
1324 | ,ich mac noch kan voldanken‘, | Er sagte: „Ich kann Euch nicht einmal |
1325 | sprach er, ,iuch halp der êre niht | für die Hälfte der Ehre, die mir |
1326 | diu unverdienet mir beschiht.‘ | unverdient zukommt, ausreichend danken.“ |
1327 | Sus bôt sî im die tûben dar. | So streckte sie ihm die Taube hin. |
1328 | nu kam gerennet manic schar | Nun eilten viele heran |
1329 | dur hoeren und dur schouwen. | um zu hören und zu sehen. |
1330 | mit allen iren frouwen | Mit allen ihren Hofdamen |
1331 | diu küngîn mit im zogte. | ging die Königin mit ihm. |
1332 | ich wæn daz es dem vogte | Ich glaube, dass es dem Herrn |
1333 | von Rôm gewesen wær ze vil. | von Rom zu viel gewesen wäre. |
1334 | alsus hât sich der ritter spil | Ob da jemandem seine Freude |
1335 | den tac rîlîch volendet. | durch Neid geschmälert wurde? |
1336 | ob iemen dâ gephendet | Ob da jemand in seiner Freude |
1337 | an fröuden würde dur den nît? | durch den Neid gestört wurde? |
1338 | nein, sîn lop sô hôhe lît | Nein, sein Lob war so erhaben |
1339 | und was sô wît erklungen, | und so weithin erklungen, |
1340 | daz im gemeine zungen | dass ihm alle |
1341 | für ander lobes jâhen. | vor den anderen Lob zusprachen. |
1342 | man sach dar balde gâhen | Man sah die gernden alle in gleicher Weise |
1343 | die gernden al gelîche. | gar schnell eilen. |
1344 | mit manger krîge rîche | Mit manch lautem Ruf |
1345 | hôrte man in grüezen. | hörte man ihn grüßen. |
1346 | daz lop begunde süezen | Das Lob klang auch |
1347 | ouch in der frouwen ôre. | in den Ohren der Damen süß. |
1348 | ûz seiten noch ûz rôre | Weder von Saiten- noch von Blasinstrumenten |
1349 | wart nie sô senftez doenen, | kam jemals so lieblicher Klang, |
1350 | als dâ man einen kroenen | wie man da einen mit Worten |
1351 | mit worten lobelichen kan. | lobend zu krönen wusste. |
1352 | sî reit im bî und sach in an | Sie [scil. Yrkane] ritt neben ihm und sah ihn an, |
1353 | biz daz sî gedahte | bis sie bei sich dachte: |
1354 | ,disen helt den brâhte | „Diesen Helden, den führte |
1355 | sîn ellent har dur ritterschaft. | seine Tapferkeit zur ritterlichen Bewährung hierher. |
1356 | ei got wie hât sîn manlîch kraft | Ach Gott, wie hat seine männliche Kraft |
1357 | sô ritterlîch gehurtet. | so ritterlich gekämpft. |
1358 | sîn adel hôhgeburtet | Sein angeborener hoher Adel |
1359 | in lobelichen zieret. | ziert ihn rühmlich. |
1360 | sîn lîp sô gar gefieret | Sein Leib erstrahlt so schön |
1361 | in hôher wirde schînet. | geschmückt in großer Würde. |
1362 | hât er sich hie gepînet | Hat er sich hier im Dienst |
1363 | in dienest keiner frouwen, | einer Dame gequält, |
1364 | der herze mac betouwen | kann deren Herz gut |
1365 | wol mit hôher wünne. | mit hoher Würde behaftet werden. |
1366 | er hât sô hôhez künne, | Er ist von so hoher Abstammung, |
1367 | sô rîche lant, sô manlîch kraft, | besitzt so reiche Länder, so männliche Kraft, |
1368 | sô starken lîp ze ritterschaft, | einen so starken Körper für ritterliche Bewährung, |
1369 | daz er ist hôhes gruozes wert. | dass er hoher Anerkennung wert ist. |
1370 | ob er eht gruoz von wîben gert? | Ob er nach der Anerkennung der Damen strebt? |
1371 | jâ er, jâ: war hât mîn sin | Ja, wahrhaftig, ja: Wohin hat mein Verstand |
1372 | mich selben brâht? wâ was ich hin? | mich gebracht? Wo dachte ich hin? |
1373 | solt er niht wîbe gruozes gern? | Sollte er etwa nicht nach der Anerkennung der Damen streben? |
1374 | ich wæne daz sîn herze wern | Ich glaube, dass sein Herz sehr wohl |
1375 | künne hôhen dienest wol | Damen, denen er dienen soll |
1376 | frouwen den er dienen sol | und denen sein Herz ergeben ist, |
1377 | und den sîn herze dienest treit. | hohen Dienst leisten könnte. |
1378 | ich weiz sîn niht, iedoch sô seit | Ich kenne ihn nicht, doch sagt |
1379 | mir mîn sin ez sî alsus. | mir mein Verstand, dass es so ist. |
1380 | wolte got solt im der kus | Wollte Gott, würde er |
1381 | morne von mir werden. | morgen den Kuss von mir bekommen. |
1382 | ich wæn ûf aller erden | Ich glaube, auf der ganzen Erde |
1383 | man iender ritter funde | fände man keinen Ritter, |
1384 | dem ich sîn lieber gunde | dem ich ihn lieber gönnte |
1385 | denn im der mit rîlîcher tât | als ihm, der mit herrlicher Tat |
1386 | sô hôhez lop erworben hât.‘ | so großes Lob erworben hat.“ |
1387 | Sus was ir in gedenken. | So dachte sie bei sich. |
1388 | ir herz sich wolte senken | Ihr Herz wollte sich ebenfalls |
1389 | ouch nâ minne girde. | dem Verlangen der Liebe anheim geben. |
1390 | sus reit mit hôher wirde | So ritt mit großer Würde |
1391 | des wunsches kint, ein wünschelî | das Wunschkind, das Wünschelein. |
1392 | ob ir gedenke sîen frî? | Ob ihre Gedanken frei waren? |
1393 | nein sî, nein, sî vâhten | Nein, sie waren es nicht, sie fochten |
1394 | mit süezer nôt und flâhten | mit süßer Not und verflochten |
1395 | sich vast in minne stricke. | sich fest in die Fallstricke der Liebe. |
1396 | dâ zuo ir senden blicke | Dazu schossen ihre sehnsuchtsvollen Blicke |
1397 | ûz ouge in ougen schuzzen. | aus ihrem Auge in die Augen des anderen. |
1398 | dur herzen grunt sî guzzen | Auf den Grund des Herzens |
1399 | minneclîche swære. | gossen sie die Last der Liebe. |
1400 | wie der zarten wære, | Die Liebliche wusste nicht, |
1401 | des wist sî niht: ir was niht wê, | wie ihr geschah: Ihr war nicht weh, |
1402 | und wart ir herze doch nie mê | doch wurde ihr das Herz so schwer |
1403 | sô swær und sô ânmehtic. | und ohnmächtig, wie später nie mehr wieder. |
1404 | ir sinne wâren trehtic | Ihre Sinne zog es |
1405 | dar dâ sî meisterinne was | dorthin, wo sie Herrin war |
1406 | und gewalteclichen saz | und mit Macht in der Kammer |
1407 | in sîns herzen klûse, | des Herzens desjenigen saß, |
1408 | der bî dem künc Artûse | der bei König Artus |
1409 | mit hôhen êren under | mit großen Ehren unter |
1410 | den von der tâvelrunder | denen von der Tafelrunde |
1411 | het genomen werden siz, | den Ehrenplatz eingenommen hätte. |
1412 | sît daz sîn zuht der mâze riz | weil seine Wohlerzogenheit |
1413 | an keinen sachen nie versneit. | immer das rechte Maß hielt. |
1414 | alsus er von dem plâne reit | So ritt er von der Wiese |
1415 | und hât erfohten hôhen prîs, | und hatte großen Ruhm erfochten |
1416 | mit im der künc Fontânâgrîs | und mit ihm der König Fontanagris |
1417 | und Parlus von den Schotten. | und Parlus von Schottland. |
1418 | ei waz man süezer notten | Ei, was man vor Freude |
1419 | vor in schôn dur güften blies. | für liebliche Töne für ihn blies. |
1420 | wie jener stach und dirre stiez, | Wie jener stach und dieser stieß |
1421 | waz iegelîcher sper vertet, | und was ein jeder an Lanzen verstach, |
1422 | des möht ich künden niht, und het | das könnte ich gar nicht berichten – und hätte |
1423 | ich eine tûsent herzen sin. | ich den Verstand von tausend Herzen. |
1424 | sî kêrten von dem plâne hin | Sie kehrten von der Ebene hin |
1425 | ze herberge dur gemach. | zur Herberge um auszuruhen. |
1426 | ei waz man grôzer kerzen sach | Ei, was man an großen Kerzen |
1427 | brinnen dur die ganze naht. | die ganze Nacht hindurch brennen sah! |
1428 | ez hâte niemen schalles braht | Es sorgte niemand für so viel Lärm |
1429 | wan er, des herz ie wandel flôch. | wie er, dessen Herz stets jeden Makel floh. |
1430 | er hiez besenden unde zôch | Er ließ holen und zog |
1431 | an sich swer unenthalten was, | an sich, wer ungebunden war, |
1432 | ellende ritter, unde las | tapfere Ritter, und sammelte |
1433 | der sô vil ze sîner schar, | ihrer so viele in seiner Schar, |
1434 | daz er nâch den turnei gar | dass er nach dem Turnier alle |
1435 | het gehapt ze sîner sit. | an seiner Seite gehalten hätte. |
1436 | al dur die naht in widerstrît | Die ganze Nacht über in fröhlichem Wettstreit, |
1437 | sô wâren sî an sorgen swach, | waren sie ausgelassen, |
1438 | unz man den liehten morgen sach | bis man den hellen Morgen |
1439 | al dur die wolken glesten, | überall durch die Wolken blitzen sah |
1440 | und man ûf grüenen esten | und man in den Bäumen |
1441 | hôrt kleiner vogel doene. | das Zwitschern kleiner Vögel hörte. |
1442 | der küele tou hât schoene | Der kühle Tau |
1443 | anger wisen überspreit. | glitzerte auf den Wiesen. |
1444 | swaz meie schoener bluomen treit, | Was der Mai an schönen Blumen vorrätig hat, |
1445 | die wâren dâ entsprungen. | das war da erblüht. |
1446 | vil schiere wart gesungen | Sogleich wurde ihnen da |
1447 | in ein schoeniu messe, | eine schöne Messe gesungen. |
1448 | dar nâch vil manic presse | Danach rüsteten sich |
1449 | sich ruste ûf den turnei. | alle Scharen für das Turnier. |
1450 | wie man die herren brach enzwei, | Wie man die Herren in zwei Gruppen teilte, |
1451 | daz sî sich glîch rottierten, | sodass sie sich gleichmäßig aufteilten, |
1452 | und wele samt turnierten, | und welche miteinander kämpften, |
1453 | daz wart geteilet schiere. | das wurde schnell bestimmt. |
1454 | der künge wâren viere, | Es gab vier Könige. |
1455 | von Tenemark, von Schotten, | Der von Dänemark und der von Schottland |
1456 | die mit grôzen rotten | standen beim Turnier mit ihren großen Truppen |
1457 | den turnei hielten zeiner sît. | auf der einen Seite. |
1458 | Mit in in dem teile lît | Mit ihnen in der Gruppe war |
1459 | der herzog ûz Wintsester. | der Herzog von Winchester. |
1460 | der herre von Berbester, | Der Herr von Berbester, |
1461 | der in der âventiure lac, | der in die Aventiure verwickelt war, |
1462 | ouch der selben rotten phlac | gehörte mit großem Ruhm |
1463 | mit hôhgeloptem prîse. | auch zur selben Truppe. |
1464 | man fuort Fontânâgrise | Man gab Fontanagris |
1465 | vor ein kreftic ros, was starc, | ein kräftiges, starkes Pferd, |
1466 | dar ûf der künc von Tenemarc | auf dem der König von Dänemark |
1467 | sich wolte lâzen schouwen. | sich sehen lassen wollte. |
1468 | er fuorte von den frouwen | Er trug von den Frauen gefertigte |
1469 | sô küneclîchiu wâfenkleit, | so königliche Waffenkleider, |
1470 | daz mîn munt niemer halbes seit | dass mein Mund nie auch nur zur Hälfte die reiche Kostbarkeit, |
1471 | die rîche koste diu dâ lac, | die darauf verwendet worden war, auszudrücken vermöchte, |
1472 | wan er sô hôher êren phlac | denn er [scil. Fontanagris] lebte so ehrenvoll, |
1473 | daz man sîn noch ze guote sol | dass man ihn noch heute zu Recht |
1474 | niht vergezzen, daz zimt wol. | nicht vergessen soll; das geziemt sich. |
1475 | Sus fuor an sîner sîten | So war an seiner Seite |
1476 | und sach man bî im rîten | und sah man bei ihm reiten |
1477 | Lorîs den künec von Schotten. | Loris, den König von Schottland. |
1478 | sîn triuwe im hât gebotten | Seine Aufrichtigkeit hatte ihm geboten, |
1479 | daz er schande gar vermeit. | dass er Schande ganz und gar mied. |
1480 | sîn küneclîchez wâfenkleit, | Wer seine königliche Turnierausrüstung |
1481 | swer daz prüeven welle, | prüfen wollte, fand sie, wie folgt: |
1482 | von golt ein liehter phelle | Aus Gold und glänzendem Fell |
1483 | was sîn covertiure, | war seine covertiure |
1484 | und was nâ hôher stiure | und gemäß edler Sitte |
1485 | von kelen rôt dar în geleit | war aus dem roten Kehlstück |
1486 | ûf schiltes tach und wâfenkleit | in Schildbespannung und Rüstung |
1487 | eins löwen bilde grimmende | das Bild eines brüllenden und |
1488 | und ûf ze berge klimmende | sich hoch aufrichtenden Löwen eingearbeitet, |
1489 | reht alsam er lepte. | ganz so, als lebte er. |
1490 | umb den löwen swepte | Um den Löwen rankte sich |
1491 | ein smal gezieret schiltes rant. | am Rand des Schildes ein schmales Schmuckband. |
1492 | von golde rîch der strich erkant | Das Band war aus hochkarätigem Gold |
1493 | was und dar în geströuwet | und hineingestreut war |
1494 | ein kost diu mich erfröuwet, | eine Kostbarkeit, die mich erfreut, |
1495 | swenn ich dar an gedenke. | wann immer ich daran denke. |
1496 | umb des schiltes renke, | Um den Rand des Schildes, |
1497 | die des löwen phlâgen, | der den Löwen umfasste, |
1498 | von saphîren lâgen | waren kleine Lilien |
1499 | liljen klein dar în geworht, | aus Saphiren eingelegt, |
1500 | die der fürste unervorht | die der unerschrockene Fürst |
1501 | ze velde wolte füeren. | mit ins Feld führen wollte. |
1502 | von dem striche rüeren | Von dem Strich sah man |
1503 | sach man die bluomen ûz und în. | links und rechts die Blumen abstehen. |
1504 | ein liehtiu krône guldîn | Eine strahlende Krone aus Gold |
1505 | lag ûf sînes helmes tach. | lag oben auf dem Helm. |
1506 | dar nâch man schiere rîten sach | Gleich dahinter sah man Parlus |
1507 | Parlûsen von Wintsester, | von Winchester reiten, |
1508 | des herze an triuwen vester |
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