Hinweis: Einige ältere Publikationen haben wir aufgrund einer zu geringen Nachfrage p. a. aus dem VLB genommen. Diese Titel sind aber weiterhin bei uns verfügbar und können über die Website bestellt werden.
Vers
Mittelhochdeutsch
Neuhochdeutsch
1
Des muot sô wirdeklîche stât
Wessen Gesinnung eine so ehrenvolle ist,
2
daz er unfuoge niht enlât
dass er keine Unanständigkeiten
3
gesigen in sîns herzen grunt,
Eingang in sein Herz finden lässt,
4
daz mac niht sîn, im werde kunt
Bei dem kann nicht ausbleiben, dass ihm schließlich
5
ze jungest hôher sælden teil.
hohe Glückseligkeit zuteil werde
6
gotes lôn, der welte heil
Gottes Lohn, das Heil der Welt
7
muoz man vil tiur erringen.
muss man sich sehr hart erarbeiten.
8
ûz dornen rûch entspringen
Aus wilden Dornen sieht man selten
9
siht man selten guote fruht.
gute Frucht hervorgehen.
10
sô wirt ouch grôziu ungenuht
So wird auch kein böses Unkraut
11
an süezem stammen niht gesehen.
an süßem Stamm gesehen.
12
bî guotem guot, sô hoer ich jehen,
Von Gutem gut, höre ich sagen,
13
bî süezem süez, bî argem arc,
von Süßem süß, von Schlechtem schlecht,
14
bî miltem milt, bî kargem karc,
von Freigebigem freigebig, von Hinterlistigem hinterlistig,
15
bî frechem frech, bî zagen zagen
von Kühnem kühn, von Zaghaftem zaghaft
16
wirt man, hoer ich die wîsen sagen.
wird man, höre ich die Weisen sagen.
17
des sönt die jungen nemen war.
Davon sollen die Jungen hören.
18
herz unde sinne sönt ie dar
Herz und Sinne sollen zu aller Zeit
19
mit den gedenken vehten,
mit den Gedanken dorthin streben,
20
swâ man ze êren flehten
wo immer man sich durch
21
sich siht mit wirdeclîcher tât.
ehrenvolle Tat Ehre erwirbt.
22
ein reine leben selten hât
Ein reines Leben hat noch selten
23
genomen ein swachez ende.
ein schlechtes Ende genommen.
24
in dirre welt ellende
Auf dieser vergänglichen Welt
25
wart nie sô reines noch sô guot
entstand nie etwas so Reines oder Gutes
26
als êre, der ir rehte tuot.
wie die Ehre, wenn einer ihr gemäß handelt.
27
sî bringet gotes hulde.
Sie bringt Gottes Wohlwollen.
28
êr ist ein übergulde,
Ehre ist der größte Schatz,
29
für allez lop gewæhet,
vor allem Lob verherrlicht,
30
sît sî sich gote næhet,
weil sie Gott nahe ist,
31
und bringet ouch der welte gruoz,
und sie findet auch in der Welt Anerkennung.
32
diu man beide haben muoz,
Wer in der Welt herumkommt,
33
swer mit der welte umbe gât.
muss beides haben.
34
dâ von mîn tumbez herze hât
Deswegen hat sich mein einfältiges Herz
35
sich an ein mær verphlihtet.
in den Dienst einer Geschichte gestellt.
36
wirt daz mit rede voldihtet,
Wird diese auserzählt,
37
ir hoerent wunderlîchiu dinc.
hört ihr wunderbare Dinge.
38
der welt ende und ir ursprinc
Das Ende der Welt und ihr Ursprung
39
ist liep und leit, naht unde tac.
sind Freude und Leid, Nacht und Tag.
40
des ein vil hôher fürste phlac,
Das beherzigte ein hochwohlgeborener Fürst,
41
der ie nâ prîs der welte vaht,
der stets nach dem Ruhm der Welt strebte
42
und hât dâ bî tac unde naht
und dabei Tag und Nacht
43
in herzen gotes vorhte.
im Herzen gottesfürchtig war.
44
swaz werk er ie geworhte,
Was er auch immer tat,
45
diu wâren an untæte laz,
das war an Unrecht arm,
46
wan er der êren nie vergaz:
weil er nie die Ehre vergaß:
47
der kunde er wol geschônen.
Darauf wusste er Rücksicht zu nehmen.
48
des wolt ouch got im lônen
Das wollte auch Gott ihm dort im Himmel
49
in himel dort, ûf erden hie,
und hier auf der Erde vergelten,
50
wan got den sînen nie verlie
denn Gott lässt den Seinen
51
in keiner nôt gestecken.
in einer Notlage niemals im Stich.
52
der âne zwîvels flecken
Wer jemals ohne den Makel des Zweifels
53
ie sîner helfe ruohte
seine Hilfe begehrte
54
und gnâde an in suohte,
und ihn um Gnade ersuchte,
55
dem was sîn trôst und helf bereit.
dem wurden sein Trost und seine Hilfe zuteil.
56
ich sag iuch als mir wart geseit
Ich erzähle euch, wie mir erzählt wurde,
57
sunder lougen âne trüge.
ohne Lug und Trug.
58
daz ich mit worten umbe flüge,
Um mit Worten zu jonglieren,
59
dâ zuo sô ist mîn sin ze kranc,
ist mein Verstand zu schwach;
60
und würd diu rede ouch lîht ze lanc.
auch würde die Rede leicht zu lang.
61
des lâz ich ir vil under wegen
Deshalb lasse ich unterwegs viele von ihnen [scil. den Worten] weg
62
und wil einvalteclîchen stegen
und will in einfacher Weise
63
ûf der âventiure wân
dem Pfad der Aventiure folgen,
64
der ich mich underwunden hân.
derer ich mich angenommen habe.
65
Hie vor ein werder fürste was
Es war einmal ein edler Fürst,
66
der zuht und êr ie an sich las
der aufgrund freigebiger und ritterlicher Handlungsweise
67
mit milt und ritterlîcher tât,
Anstand und Ehre zu seinen Tugenden zählte,
68
dâ von sîn lop geblüemet stât
weshalb sein Ruhm immer mit
69
früht iemer unverdorben.
frischen Früchten in Blüte stand.
70
ist im der lîp erstorben,
Ist er gestorben –
71
wel nôt? Sîn lop doch hôhe swept.
welche Not? Sein Ruhm wird dennoch hochgehalten.
72
wê dem verzagten der sô lept
Weh dem Verzagten, der so lebt,
73
swenn im der lîp alhie verstirbt,
dass sein Ruhm mit dem Körper vergeht,
74
daz sîn lop mit dem lîb verdirbt.
wenn der Körper auf Erden stirbt.
75
des tet er niht, sîn leben was
Das tat er [scil. der Fürst] nicht. Sein Leben war
76
gehertet sam ein adamas
wie ein Diamant gehärtet
77
an starker ritterlîcher tât.
durch kraftvolles ritterliches Handeln.
78
unfuoge im nie bekrenket hât
Unpassendes Verhalten hat ihm nie
79
sînes vesten herzen brust,
die Brust seines tapferen Herzens geschwächt.
80
ein helt an ritterlîcher just,
Ein Held in ritterlicher Tjost,
81
ein schûr bî vîentlîcher tât,
ein Schutz bei feindlichem Angriff,
82
ein vester friunt bî friundes rât.
ein beständiger Freund beim Rat der Freunde.
83
daz liez er dicke werden schîn.
Das ließ er oftmals erkennen.
84
bî guotem guot, sô kund er sîn,
Gegenüber Gutem gut, so wusste er zu sein,
85
bî sûrem sûr, bî starkem starc.
gegenüber Hartem hart, gegenüber Starkem stark.
86
sîn stæte triwe sich nie verbarc,
Seine beständige Treue versteckte sich nie,
87
wan er ir vesteclîchen wielt.
weil er sie unaufhörlich pflegte.
88
der helt sô ritterlich sich hielt
Der Held verhielt sich so ritterlich,
89
daz man noch iemer von im seit.
dass man noch immer von ihm erzählt.
90
sîn wirde billich sol gespreit
Seine Würde soll zu Recht
91
für alle herren werden,
vor allen Herren verbreitet werden,
92
daz sî bî sîn geberden
damit sie aus seinem Handeln
93
nemen bezzerunge war.
Besserung ziehen.
94
den guoten kunde er halten gar
Den Guten wusste er ehrenvoll
95
nâch êren, als diu mâze hiez.
zu behandeln, wie das rechte Maß es erforderte.
96
den knehten knehtes reht er liez
Auch den Knechten ließ er nach Maß ihr Recht
97
ouch in der mâze als ez gezam.
zuteil werden, wie es sich gehörte.
98
kein schalc ze sînem râte kam
Kein niedriger Mensch nahm an seiner Ratsversammlung teil,
99
der riete wider êren phliht,
der gegen die Erfordernisse der Ehre geraten hätte,
100
als man nû herren râten siht.
wie man heutzutage Herren raten sieht.
101
Des muose im êre wahsen.
Daraus möge ihm Ehre erwachsen.
102
Westevâl und Sahsen
Westfalen und Sachsen waren
103
dienden beidiu sîner hant.
beide unter seiner Herrschaft.
104
sîn nam sô wîte was erkant
Sein Name war so weit bekannt,
105
daz man im hôher êren jach.
dass man ihm hohe Ehren zuerkannte.
106
des ouge in doch nie an gesach,
Selbst den, dessen Auge ihn nie gesehen hatte,
107
den hôrte man in prîsen.
hörte man ihn loben.
108
des zühterîchen wîsen
Des hochanständigen Weisen
109
lop hât alliu lant durchflogen.
Ruhm hat alle Länder durchflogen.
110
man nant den selben herzogen
Man nannte diesen Herzog
111
Reinfrit von Brûneswîc.
Reinfried von Braunschweig.
112
sîn fuoz ab rehter êren stîc
Sein Fuß wich niemals um ein Haar
113
nie verruhte umb ein hâr.
vom Weg der rechten Ehre ab.
114
sîn lîp ûf vier und zwênzic jâr
Er war
115
an alter hât die zît vertriben.
vierundzwanzig Jahre alt.
116
dur muotgelust was er beliben
Freiwillig war er
117
wirdeclîch sunder êwîp.
ehrbar ohne Ehefrau geblieben.
118
er pînte leben unde lîp
Um der Ehre willen strapazierte er Leben und Leib
119
dur êre in werder ritterschaft.
in edlem ritterlichen Kampf.
120
sin lîp der hât wol ritters kraft,
Sein Körper hatte sehr wohl die Stärke eines Ritters,
121
mit der sîn herze spilte.
mit der sein Herz kokettierte.
122
ze swerte sper und schilte
Sein Verstand und sein Denken richteten sich
123
stuont sîn sin und der gedanc;
auf Schwert, Lanze und Schild;
124
wan er nâ ritterschaft ie ranc
denn er strebte immerfort nach Ritterschaft
125
und hât doch sunder lougen
und hatte dabei doch
126
dâ mite got vor ougen,
fürwahr Gott im Blick,
127
den er ûz herzen nie verlie.
den er niemals aus dem Herzen verlor.
128
ein man der mac dort unde hie
Ein Mann kann da und dort
129
erwerben ritterlîchen solt.
ritterlichen Lohn erwerben.
130
ritters orden dem ist holt
Gott ist dem Ritterstand wohl gesonnen,
131
got, ob er ritterlîchen stât
wenn er so ritterlich ist,
132
als in got selbe gordent hât.
wie Gott selbst ihn eingerichtet hat.
133
Des ist iez aber leider niht,
Heutzutage ist das aber leider nicht der Fall,
134
sît daz man witwen weisen siht
denn man sieht in allen Ländern,
135
in allen landen machen
die Taten von Rittern
136
von ritterschefte sachen.
Witwen und Waisen hervorbringen.
137
des tet er niht, sîn ritterschaft
Er tat das nicht; sein Rittertum
138
was schirm und schilt mit ganzer kraft
war mit ganzer Kraft Schutz und Schild
139
vor aller slahte freisen.
vor jeglicher Bedrohung.
140
gên witwen unde weisen
Gegenüber Witwen und Waisen
141
hielt er sunder twâle
hielt er sich ohne zu zögern
142
den orden von dem grâle,
an die Regel des Grals,
143
der Titurel und Anfortas
die Titurel und Anfortas
144
ze Munsalvalde geben was,
in Munsalvalde gegeben worden war.
145
hielt er mit kiuscher stætekeit,
Er hielt sie mit keuscher Beständigkeit,
146
als uns für wâr diz mære seit.
wie uns diese Geschichte fürwahr berichtet.
147
Sus fuor sîn prîs dur alliu lant.
So verbreitete sich sein Ruhm in allen Ländern.
148
er wart sô wîtenen erkant
Er wurde so weitum bekannt,
149
daz man im hôher wirde jach,
dass man ihm hohe Würde zusprach,
150
wan er für sîn genôze brach
weil er seinesgleichen
151
an êre und an werden siten.
an Ehre und edlen Gepflogenheiten übertraf.
152
nu kunt eins tages în geriten
Nun kam eines Tages, als man gerade
153
ein knapp, dô man ze tische gie,
zu Tisch ging, ein Knappe angeritten,
154
den er vil wirdeclîche enphie
den er [scil. Reinfried] sehr würdevoll empfing
155
und hiez im schaffen guot gemach,
und dem er es angenehm zu machen befahl,
156
wan des ze zîten vil geschach,
weil das damals in der Regel demjenigen zuteil wurde,
157
swer ûz ald în dô kam geriten:
der auszog oder angeritten kam:
158
er spurte nâ künc Artûs siten
Er folgte dem Brauch des König Artus,
159
daz man alle die enpfie
dass man alle die empfing,
160
swer ûz ald în ze hove gie,
die zum Hof kamen oder ihn verließen,
161
und phlac der keiserlîchen wol
und sorgte so gut für die Hochwohlgeborenen,
162
dâ nach sô man denn leben sol.
dass man sich daran ein Beispiel nehmen soll.
163
Alsus ouch hie des knappen wart
So kümmerte man sich auch hier, seiner Herkunft
164
gepflegen wol nâch sîner art
entsprechend gut um den Knappen
165
daz es in dûhte mê dan gnuoc.
dass es ihn mehr als ausreichend dünkte.
166
als man die tische al hin getrouc
Nachdem man die Tafel
167
nâ manger grôzer wirtschaft
nach einem großen Mahl,
168
der dâ was mê denn überkraft,
an dem wirklich nichts gefehlt hatte, aufgehoben hatte,
169
dô stuont er ûf und rette alsô
da stand er auf und sprach wie folgt:
170
,fürste hêr, bis iemer frô
„Erhabener Fürst, sei immer froh
171
umb daz keiserlîche leben
über das fürstliche Leben,
172
daz got ze sælden hât gegeben
das Gott dir zum Glück für
173
dir ze dirre welte frist.
diese Erdenfrist gegeben hat.
174
dîn lop sô verre erschollen ist
Dein Lob ist so weit
175
dur manic wîtez rîchez lant.
durch viele ferne Länder erklungen.
176
dîn nam dîn wirde sint erkant
Dein Name, deine Würde sind so weit
177
sô wît und alsô verre
und so fern bekannt,
178
daz ûf der welt kein herre
dass auf Erden kein Herr
179
lept an wirde dîn genôz.
lebt, der dir an Würde gleichkommt.
180
dîn êr dîn lop sô bodenlôs
Deine Ehre und dein Ruhm sind so grenzenlos,
181
kan niemen gar durgründen.
dass niemand sie vollständig beschreiben kann.
182
sus hoer ich wîten künden
So höre ich weitum künden
183
dîn lop in allen landen
dein Lob in allen Ländern:
184
sich hât dîn lîp ver schanden
Du hast dich bisher aus freiem Willen
185
behüetet har mit frîger ger.
vor jeglicher Schande bewahrt.
186
dâ von sô bin ich verre her
Deshalb bin ich von fern hierher
187
ze dînem hove gestrichen,
an deinen Hof gezogen
188
und künt dir sicherlichen
und künde dir verlässlich,
189
sunder rede zâfel
ohne blumige Worte,
190
ein ritterlîch runttâfel:
von einer ritterlichen Tafelrunde:
191
dar kument rotten starke.
Dorthin kommen starke Scharen.
192
sî hat von Tenemarke
Die [scil. die Tafelrunde] hat die Tochter des Königs
193
des künges tohter ûf geleit,
von Dänemark einberufen,
194
von der schoen man wunder seit
von deren Schönheit man sich
195
wît in aller lande kreiz.
in weitem Umkreis Wunder erzählt.
196
sich hebet dâ manic puneiz
Da hebt sich mancher Stoß
197
von starker tjostiure.
von starker Tjost.
198
in der âventiure
Zu dieser Aventiure
199
ligent zwei hundert ritter
sind zweihundert Ritter gekommen,
200
die sunder vorhte zitter
die, ohne vor Furcht zu zittern,
201
mit stechen einen tac wol werent
gut einen Tag mit Stechen überstehen
202
alle die es an sî gerent.
gegen alle, die sie herausfordern.
203
und swer der best ist mit dem sper,
Und wer der beste mit der Lanze ist,
204
dem gît diu minneclîchiu hêr,
dem gibt die liebliche, hehre,
205
diu süeziu wol getâne,
die süße wohlgestalte,
206
diu junge schoene Yrkâne,
die junge schöne Yrkane,
207
von Tenemark des künges kint,
das Kind des Königs von Dänemark,
208
der ouch die âventiure sint,
von der diese Aventiure auch handelt,
209
ein junge turteltûben.
eine junge Turteltaube.
210
bezeichenlîche klûben
Man soll ihre Keuschheit
211
sol man ir kiuschekeit dar an,
daran nur symbolisch rauben,
212
sît daz ir herze nie gewan
denn ihr Herz gewann bisher weder
213
âmîs noch wart âmîe.
einen Geliebten, noch wurde es Geliebte.
214
diu süeze wandels frîe
Die süße Makellose
215
kiusche mit einvaltekeit
verfügt über die durch die Taube bezeichnete
216
bezeichent mit der tûben treit:
Keuschheit und Reinheit:
217
des hoert man sî noch gesten.
Dafür wird sie heute noch gerühmt.
218
man siht ir schoene glesten
Man sieht ihre Schönheit
219
sô verre sunder lougen.
ganz ungelogen weithin glänzen.
220
ir spilet ûz den ougen
Ihr leuchtet die Liebe
221
diu minne mit ir stricke.
mit ihren Fallstricken aus den Augen.
222
ei got waz strenger blicke
Ach Gott, was für stechende Blicke
223
sî girdeclîche schiuzet!
sie voll Begierde verschießt!
224
der sælden tou begiuzet
Der Tau des Glücks benetzt
225
ir herze ir leben und ir muot.
ihr Herz, ihr Leben und ihre Gesinnung.
226
dar kunt sô manic ritter guot
Dorthin kommt so mancher gute Ritter
227
gevarn ûz verren rîchen,
aus fernen Reichen gereist,
228
daz sî die minneclîchen
auf dass sie alle die Liebreiche
229
beschouwen dur ein wunder.
wie ein Wunder bestaunen.
230
der strenge minne zunder
Der starke Zündstoff der Liebe
231
ist in ir munt versunken,
ist in ihren Mund gefahren,
232
daz man der minne funken
dass man die Funken der Liebe
233
dar ûz möht sehen gneisten.
daraus sprühen sehen könnte.
234
die vart solt du dar leisten:
Die Fahrt dorthin sollst du auf dich nehmen:
235
des wirt dîn lop geblüemet.
Davon wird dein Lob geschmückt.
236
dîn wirde ist gerüemet
Deine Würde wird
237
sô verre und alsô wîte,
so fern und so weit gerühmt, dass,
238
swar ich der lande rîte
in welche Länder auch immer ich
239
diu breiten phat, den smalen stîc,
auf breiten Pfaden, auf schmalen Steigen ritt,
240
sô frâget man ,von Brûneswîc
man fragte: » Von Braunschweig
241
der werde fürste kunt der dar?‘
der edle Fürst, kommt der dorthin? «
242
alsus in allen landen gar
Auf diese Weise wird wirklich in allen Ländern
243
sô wirt dîn nam genennet
– auch in denen man dich nicht persönlich kennt –
244
dâ man dich niht erkennt.
dein Name genannt.
245
Des soltu niht belîben.
Deswegen sollst du dich nicht aufhalten.
246
von megden noch von wîben
Es gab nie eine schönere Schar
247
wart schoener massenîe nie
von Jungfrauen und Frauen,
248
denn nu ze disem hove hie
als sich jetzt zu diesem Hoftag hier
249
sich sament ûz gesundert.
in besonderer Weise versammeln.
250
diu künegîn fünf hundert
Die Königin hat sich und fünfhundert andere
251
mit ir hât rîch bekleidet.
prunkvoll eingekleidet.
252
swem daz ze sehende leidet,
Wem dieser Anblick nicht gefällt,
253
der ist niht werdes gruozes wert.
der ist edlen Grußes nicht wert.
254
und swer der best ist mit dem swert,
Und wer der Beste mit dem Schwert ist,
255
dem ist ouch hôhez lop bereit.
dem winkt auch großer Ruhm.
256
diu junge küneginne treit
Die junge Königin trägt
257
ein küssen an ir mündelîn:
ein Küsschen auf ihren Lippen:
258
daz sol er nên, wan ez ist sîn,
Wer es mit Lob erringt,
259
swer ez mit lop erringet.
der soll es nehmen, denn es ist sein.
260
diu minneclîche ez bringet
Die Liebliche bringt es ihm
261
mit einem umbevange.
mit einer Umarmung.
262
sî drucket wang an wange
Sie drückt Wange an Wange
263
und munt an munt, daz ist sîn lôn.
und Mund auf Mund, das ist sein Lohn.
264
ein vingerlîn sô gît diu schôn
Einen Ring steckt die Schöne
265
im ouch an sînen vinger.
ihm auch an seinen Finger.
266
sîn nôt ist deste ringer
Wessen Lob in so hohem Ansehen steht,
267
iemer mê die wîl er lept,
dass er ihre Huld erwirbt,
268
swes lop sô hôhe in wirde swept
dessen Not ist gering,
269
daz er verdienet iren gruoz.
so lange er lebt.
270
nu gênt mir urlop, herre, ich muoz
Nun lasst mich gehen, Herr, ich muss
271
noch strîchen verre in frömdiu lant,
noch weiter in fremde Länder eilen,
272
die âventiure tuon bekant.‘
um die Aventiure bekannt zu machen.“
273
Sus hât der knappe geseit.
Dieses hat der Knappe gesagt.
274
der werde fürste unverzeit
Der edle unverzagte Fürst
275
sprach ,lâ dich niht betrâgen.
sprach: „Lass es dich nicht verdrießen.
276
ich muoz dich fürbaz frâgen
Ich muss dich weiter fragen,
277
wer in der mark mit namen lige,
wer sich namentlich in der Mark aufhält.
278
ob ich sô hôher sælden phlige
Wenn ich so großes Glück habe,
279
daz sich mîn muot ellendet dar,
dass meine Gesinnung in die Fremde strebt,
280
daz ich doch wizze wie ich var
muss ich doch wissen, wie ich reise
281
und war ich solle rihten mich.‘
und wohin ich mich wenden soll.“
282
der knappe sprach ,daz wîs ich
Der Knappe sprach: „Das zeige ich
283
dich, rîcher fürste hôch erborn.
dir, mächtiger, hochwohlgeborener Fürst.
284
die runttâfel hât gesworn
Zur Tafelrunde hat sich der Landesherr
285
von Tenemark des landes wirt,
von Dänemark verpflichtet,
286
ein künic den schande gar verbirt,
ein König, der sich gänzlich jeder Schande enthält
287
und ist genant Fontânâgris.
und Fontanagris genannt wird.
288
von Schotten den künc Lôrîs
Loris, den König von Schottland,
289
siht man ouch bî im rîten,
sieht man auch bei ihm reiten,
290
und bî ir beider sîten
und an ihrer Seite
291
rît Lerân von Berbester,
reiten Leran von Berbester und
292
ein herzog von Wintsester
Herzog Parlus
293
Parlus der fürste ziere.
von Winchester, die Zierde der Fürsten.
294
sus man die herren viere
So findet man diese vier Herren
295
mit zwein hundert ritter vint,
mit zweihundert Rittern,
296
wan sî zesamen komen sint
weil sie in Linion,
297
ze Liniôn der houbetstat
der dänischen Hauptstadt,
298
in Tenemarke, dar man hât
zusammen gekommen sind, wo man
299
den selben turnei hin genomen.
das erwähnte Turnier anberaumt hat.
300
vil werder helt, dar solt du komen
Edelster Held, dorthin sollst du dich schleunigst aufmachen,
301
nu schier ze mitter meigen zît
damit du um die Mitte des Monats Mai,
302
diu mit kunft uns nâhe lît.
der bald kommt, dort eintriffst.
303
dâ sol man vinden ritterschaft.
Da wird man Ritterschaft finden.
304
ich wæne wol daz groezer kraft
Ich glaube wohl, dass größere Stärke
305
von herren würd gesament nie
von Herren noch nie zusammengebracht wurde,
306
sô nu ze disen zîten hie.‘
als hier und jetzt.“
307
Der fürste sprach ,ich hân den sin
Der Fürst sprach: „Ich denke,
308
daz ich mich rüsten wil dâ hin,
dass ich mich dorthin aufmachen werde,
309
ob mir got gan der selben zît
wenn Gott mir gewährt, bis zum Termin
310
ze lebende als der turnei lît:
des Turniers am Leben zu bleiben:
311
sô lân ich mich dâ vinden.
Dann lasse ich mich dort sehen.
312
ich wil ie niht erwinden,
Ich werde nicht zurückkehren,
313
ich schouwe dâ der fürsten schar.‘
ehe ich da die Schar der Fürsten gesehen habe.“
314
sus hiez er balde bringen dar
So befahl er, dem Knappen
315
dem knappen rîcher gâbe solt
rasch reichen Sold zu geben,
316
und sprach ,ich muoz dir iemer holt
und sprach: „Ich werde dir immer gewogen
317
wesen dur die frumekeit,
sein wegen des Umstandes,
318
daz du den hof mir hâst geseit,
dass du mir von dem Hoftag erzählt hast,
319
dar ich mich wærlich rihten wil.
wohin ich mich zum Kampf gerüstet wenden will.
320
ich bin dâ ûf dem selben zil,
Ich komme dorthin,
321
mich irre, des ich niht enweiz,
wenn mich nicht etwas, wovon ich noch nichts weiß,
322
solich sach von der geheiz
aus zwingenden Gründen
323
ich niht enmüge vor noeten starc.‘
davon abhält.“
324
er gap dem knappen zehen marc
Er gab dem Knappen zehn Mark
325
und rîchiu kleit und liez in varn
und wertvolle Gewänder und ließ ihn abreisen
326
und bat got sîner verte warn.
und bat Gott, ihn auf seiner Reise zu behüten.
327
Des seit der knappe im dankes gruoz.
Dafür dankte der Knappe ihm.
328
gên sîner gâbe er ûf den fuoz
Für das Erhaltene verneigte er sich
329
im schôn und zühteclîchen neic.
hübsch anständig und tief vor ihm [scil. Reinfried].
330
ich weiz daz er sîn niht versweic
Ich weiß, dass er seinen Namen nannte,
331
swâ er vor hôhen fürsten stuont.
wo immer er vor einem hohen Fürsten stand.
332
tet man eht dô als sî nû tuont
Hätte man damals gehandelt, wie die es heute tun,
333
die guot für êr went triuten!
die Besitz der Ehre vorzuziehen belieben!
334
ich hoer sî vor den liuten
Ich höre sie vor den Leuten
335
ûf mangen werfen lobes braht,
manchen mit Lob überhäufen,
336
der doch in schanden lît verdaht:
der doch bis über beide Ohren in Schande steckt:
337
diz tuot er umb ein alte wât.
Er tut das um einen alten Lumpen.
338
dâ bî er ungerüemet lât
Dabei lässt er den Edlen ungerühmt
339
und treit dem werden hazzes nît,
und trägt ihm den Neid des Hasses nach,
340
ob er im gâbe niht engît.
wenn er ihm nichts gibt.
341
waz daz? er ist dest arger niht,
Was soll das? Er ist nicht umso böser,
342
ob der frome strâfe phliht
wenn der Fromme ihm
343
verdolt von solichen sachen.
die gerechte Strafe für solche Dinge erlässt.
344
kein gernder mac geswachen
Kein gernder kann den Ruhm des Frommen
345
des fromen lop, sîn art sîn leben.
schwächen, nicht seine Abstammung und auch nicht sein Leben.
346
er mag ouch êre niht engeben
Er kann umgekehrt auch keine Ehre dorthin bringen,
347
dar dâ sî ungehûset hât.
wo sie niemals zuhause war.
348
der gernden orden alsô stât,
Die Regel der gernden lautet,
349
der fromen lop ûf künden,
dass sie das Lob der Frommen verkünden
350
und die in schanden bünden
und die strafen sollen,
351
sint, die sönt sî strâfen.
die in Schande leben.
352
des muoz ich schrîgen wâfen
Darum muss ich laut aufschreien
353
über mangen affen,
über manchen Affen,
354
der dur eins giegen klaffen
der glaubt, sein Laster werde durch
355
wænt sîn laster sî verdruht
das Geschrei eines Narren übertönt,
356
und er doch hât ze schanden fluht.
und der dennoch bei der Schande Zuflucht findet.
357
Des was niht hie: der gernde kneht
So war es hier nicht: Der für sein Sprechen entlohnte Knappe
358
tet sînem lop mit lobe reht;
tat seinem [scil. Reinfrieds] Ruhm mit Ruhm Recht;
359
wan swer sîn lop ze lobe leit,
denn wer seinen Ruhm zu Ruhm legt,
360
dâ stât nâch lobe der êren kleit
dem gereicht das Kleid der Ehre zum Ruhm
361
und zieret wirde reine,
und ziert die reine Würde,
362
alsam die edeln steine
wie rotes Gold aus Arabien
363
tuot rôtez golt von Arâbi.
die edlen Steine ziert.
364
und swâ man den der lobes frî
Und wo man den, der frei von Ruhm
365
ist, mit lobe bekleidet hât,
ist, mit Ruhm bekleidet hat,
366
reht als der siuwe ein satel stât,
geht er unter der Last des Ruhmes
367
sô gât er under lobes soun.
wie eine Sau unter dem Sattel.
368
sîn lop zergât alsam der troun
Sein Ruhm zergeht wie der Traum,
369
der blinden troumet umb ir sehen.
den Blinde von ihrer Sehfähigkeit träumen.
370
an lop sol man die wârheit spehen:
An Ruhm soll man die Wahrheit erkennen:
371
unlop bî lobe niht gezam.
Schmähung und Ruhm zu vermischen, ziemt sich nicht.
372
alsus der knappe urlop nam
So nahm der Knappe Abschied
373
und kunte fürbaz in diu lant
und trug die Nachricht von der Aventiure weiter
374
die âventiure, als ir wol hânt
in die Länder, wie ihr davor
375
dâ vor vernomen umb sin vart,
in rechter Weise von seiner Reise, zu der
376
dar umb er ûz gesendet wart.
er ausgesandt worden war, vernommen habt.
377
Nu lâzen got des knappen phlegen.
Nun lasst Gott sich um den Knappen kümmern.
378
wie er gefüere under wegen,
Wie es ihm unterwegs erging,
379
daz lâzen sîn und hoerent wie
das lasst sein und höret, wie
380
von Brûneswic der fürste an vie
der Fürst von Braunschweig sich
381
sich rihten ûf die selben vart.
für diese Reise zu rüsten begann.
382
dô im sô ûz der mâze wart
Als ihm die junge Yrkane so
383
diu junge Yrkân gerüemet,
über die Maßen gepriesen worden war –
384
wie daz ir lop geblüemet
und wie sie durch Schönheit
385
ob allen frouwen hôhe flüge
übergroßen Ruhm auf sich zog,
386
und wie sî mit der schoene züge
wovon ihr Name an Würde
387
an sich sô übermæzic lop,
über allem Lobpreis schwebte –
388
dâ von ir nam an wirde op
wovon ihr Namen an Würde
389
allem prîse swepte,
über allem Ruhm schwebte –
390
und hôrt daz niemen lepte
und er hörte, dass niemand lebte,
391
an schoene an zühten ir genôz,
der ihr an Schönheit und Anstand gleichkam,
392
dâ von im in sîn herze flôz
floss ihm, an sie denkend, davon
393
ein smerze mit gedenken.
der Schmerz in sein Herz.
394
ein süezez jâmer senken
Eine süße Sehnsucht nach ihr
395
begunde er in sîns herzen grunt
schlich sich tief in sein Herz,
396
nâ ir, daz er etlîcher stunt
sodass er einige Stunden
397
sich selben gar verdâhte.
ganz in seinen Gedanken versunken war.
398
zehant im aber brâhte
Schnell brachte ihm sein Verstand
399
der sin ander unmuoze,
wieder anderes Ungemach
400
wie er sich nâ ir gruoze
wie er sich ihretwegen
401
solt erbeiten ûf die vart
auf die Reise machen sollte,
402
der er dur niht wendic wart.
von der ihn nichts abbrachte.
403
Daz leit er an, nu hoerent wie.
Nun hört, wie er die Sache anging:
404
er hiez besenden alle die
Er befahl, all jene zu informieren,
405
an den im triuwe was bekant
deren Treue ihm bekannt war
406
und swel er in dem sinne vant
und von denen er wusste,
407
daz sî des kunden ruochen,
dass sie mit ihm
408
ob er den hof wolt suochen,
auf seine Reise kämen,
409
daz sî füeren mit im dar.
wenn er besagten Hof aufsuchen wollte.
410
die nam er al ze sîner schar
Die nahm er alle in seine Schar auf
411
und hiez sî vazzen in ein kleit,
und befahl, sie gleichartig zu kleiden,
412
wol ahzic ritter, sô man seit,
gut achtzig Ritter, so sagt man,
413
junc unde starc, des lîbes frech.
jung und stark, auf ihre Körperkraft vertrauend.
414
und grôziu ros swarz als ein bech
Und große Rösser, schwarz wie Pech,
415
hiez er gewinnen dur diu lant.
befahl er in den Ländern zusammenzusammeln.
416
swaz man von rîcher koste vant,
Was man von hohem Wert befand –
417
orse kleider liehtiu wât,
Pferde, Kleider, hell glänzendes Gewand –
418
dâ mit diu welt iez umbe gât,
womit die Welt jetzt geizt,
419
des wolt er hân mê dan genuoc.
davon wollte er mehr als genug haben.
420
sîn herz sô frîgen willen truoc
Sein Herz war so freigebig,
421
daz er dur kost niht wolte lân
dass er sich durch keine Kosten von etwas abhalten lassen wollte,
422
swaz man ze êren solte hân.
das einem zur Ehre gereichen würde.
423
Daz tuont doch iez die herren niht.
Das machen die Herren heutzutage nicht.
424
in hôher fürsten hof man siht
Am Hof hoher Fürsten sieht man
425
klein guot dik wider êren sparn.
oftmals auf Kosten der Ehre an Kleinigkeiten sparen.
426
des muoz ir hêrschaft werden arn:
Davon wird ihre Herrschaft arm werden:
427
wan swaz man gên den êren spart,
Denn was man auf Kosten der Ehre spart,
428
daz wirt doch ûf unêren vart
das wird zuletzt doch auf dem Pfad der Schande
429
ze jungest lasterlich verzert.
auf lasterhafte Weise vernichtet.
430
alsus der herren guot ververt.
So geht das Gut der Herren verloren.
431
des tet er niht, er kunde lân
Das tat er [scil. Reinfried] nicht, er wusste
432
ze rehter zît und kund ouch hân
zu rechter Zeit zu geben und auch
433
in der mâze daz er nie
Maß zu halten, sodass in ihm nie
434
scham umbe hân noch lân enphie.
Scham über Haben oder Geben aufstieg.
435
alsus er sich ûf ruste.
So rüstete er sich.
436
under sîner bruste
In seiner Brust
437
lag ie verborgentlîch diu magt,
verborgen lag stets die Jungfrau,
438
von der der knappe hât gesagt,
von der der Knappe erzählt hatte,
439
diu süeziu wol getâne,
die süße, wohlgestalte,
440
diu minneclîch Yrkâne,
die liebliche Yrkane,
441
der schoen für alle frouwen brach.
deren Schönheit alle Frauen überstrahlte.
442
daz strenge süeze ungemach
Das harte süße Ungemach
443
tet in ersiufzen dicke.
ließ ihn oftmals aufseufzen.
444
im hât der minne stricke
Das Band der Liebe hat ihm
445
sîn wildez herz gezemmet,
sein unbändiges Herz gezähmt
446
mit süezer nôt beklemmet
und mit süßer Not beklommen gemacht,
447
mê denne er vor wær gewon.
mehr als er es zuvor gewohnt gewesen war.
448
zuo dem hove was im dâ von
Deshalb hatte er es so eilig,
449
sô gâch daz er niht wolte tweln.
an den Hof zu gelangen, dass er nicht warten wollte.
450
ûf siben soumer sunder zeln
Sieben Lasttiere befahl er, ohne darüber Buch zu führen,
451
hiez er golt und silber tragen.
mit Gold und Silber zu beladen.
452
er luot vil mangen starken wagen
Er belud manch starken Wagen
453
mit kleinet harnasch liehter wât,
mit Kleinodien, Rüstungen, hell glänzender Kleidung,
454
daz fürsten wol ze êren stât.
was ehrbaren Fürsten wohl geziemt.
455
Sus hât er sich gerüstet wol.
So hatte er sich gut gerüstet.
456
drivalteclichen, swaz man sol
Was man haben sollte,
457
hân, daz fuort er mit im dar.
führte er in dreifacher Ausführung mit sich.
458
nu kan diu zît ouch nâhe gar
Nun rückte die Zeit auch schon sehr nahe,
459
dar ûf der turnei was geleit.
auf die das Turnier gelegt worden war.
460
dâ von der helt von hûse reit
Daher ritt der Held von zuhause weg,
461
mit rîcher koste keiserlich.
reich und fürstlich ausgestattet.
462
sîn schar mit grôzen rotten sich
Seine Schar breitete sich
463
zerspreit ûf acker und ûf velt.
mit großen Rotten über Äcker und Felder.
464
sîn lop nâ hôher wirde gelt
Sein Lob nach der Geltung hoher Würde
465
was mê denn lange wernde.
währte mehr als lange.
466
ob iemen dâ wær gernde
Ob da jemand nach
467
umb êre guot? jâ, der was vil.
großer Ehre strebte? Ja, deren waren viele.
468
von rotten harphen seiten spil
Von rotten, Harfen, Saitenspiel,
469
tambûr bûsûn schalmîgen
Tamburinen, Posaunen und Schalmeien
470
hôrt man in lüften schrîgen
hörte man es in der Luft dröhnen
471
sam ungewiters dunres krach.
wie beim Donnergrollen eines Unwetters.
472
der dôz dur tal und berge brach
Der Schall brach durch Täler und Berge,
473
daz ez dâ von moht zittern.
dass es davon vibrierte.
474
er fuor mit ahzic rittern
Er [scil. Reinfried] fuhr mit achtzig Rittern,
475
gerüstet wol nâ ritters lop.
gerüstet, wie es Rittern gut ansteht.
476
von tanphe swebet ein nebel op
Vom Dampf schwebte ein Nebel über
477
in, swele strâze sî joch riten,
ihnen, auf welcher Straße sie auch ritten;
478
gar nâ keiserlîchen siten
ganz fürstlich
479
rûschent sam daz Wuotes her.
stürmten sie wie das Heer Wotans heran.
480
ir rîten mahte sunder wer
Ihr Reiten führte unweigerlich dazu,
481
daz der melm und ouch daz loup
dass der Staub und auch das Laub
482
ob in hôh in den lüften stoup,
über ihnen hoch in die Luft stiegen,
483
als ob ez allez brünne.
als würde alles brennen.
484
sîn oberestiu wünne
Seine [scil. Reinfrieds] größte Wonne
485
was niuwan der gedenken
war allein der Gedanke an diejenige,
486
diu im ze herzen senken
die sich ihm unsichtbar
487
sich kunde unsihteclîche.
ins Herz zu senken wusste.
488
diu süeze minneclîche
Die süße Liebliche
489
im nie kam ûz den sinnen.
kam ihm nie aus dem Sinn.
490
sîn herze muose minnen
Sein Herz musste lieben,
491
die doch sîn ouge nie gesach.
die sein Auge doch nie gesehen hatte.
492
ich wæn ez selten ie beschach
Ich glaube, es geschieht nicht oft,
493
daz sich ein herz lâ binden,
dass sich ein Herz binden lässt,
494
ê daz daz ouge vinden
bevor das Auge sein
495
künne sîn listic girde.
listiges Begehren finden kann.
496
sît nâch des ougen wirde
Denn nach dem, was dem Auge gefällt,
497
ein herz ûf minn sich rihtet,
richtet sich ein Herz auf Liebe;
498
daz ouge muoz gephlihtet
das Auge muss dem Herzen
499
ze boten an daz herze sîn.
als Bote dienen.
500
und swie sî went, der ougen schîn,
Und wohin immer es den Blick wendet,
501
dâ volget sin und herze nâch.
dahin folgen Verstand und Herz nach.
502
wie kam ez dô daz hie sô gâch
Wie kam es dann, dass hier das Herz
503
dem herzen was mit sinnen dar
mit den Sinnen so eilig zu ihr drängte,
504
ê ir daz ouge næme war?
noch bevor das Auge sie erblickt hatte?
505
Des wil ich iuch ûz rihten
Das will ich euch genau erklären
506
und ûf ein ende slihten,
und bis zum Ende darlegen,
507
ob mir got gan der sinne.
wenn Gott mir den Verstand dazu gab.
508
ich sprich daz rehtiu minne
Ich sage, dass rechte Liebe
509
sî sô gar gehiure
allen Lebewesen
510
für alle crêâtiure
so ganz und gar angenehm ist,
511
daz sî niht wan des besten gert.
dass sie ausschließlich das Beste begehren.
512
nu hât den hôhen fürsten wert
Nun hat den hohen werten Fürsten
513
diu stætiu minne enzündet.
die beständige Liebe entzündet.
514
dem herzen wart gekündet
Das Herz schloss Bekanntschaft
515
ein sendez lieplich ungemach.
mit einem sehnenden lieblichen Ungemach.
516
dar inne man ez ligen sach
Darin sah man es
517
verworren und verwalken.
verwirrt und verwelkt liegen.
518
an einer leige valken
An einer Falkenart
519
spür ich ein lobelîche art,
erkenne ich eine so ehrbare Haltung,
520
daz im sô wê von hunger wart
dass keinem von ihnen jemals so weh vom Hunger
521
nie, daz er iht næme
wurde, dass er irgendein Aas genommen hätte,
522
âz daz im missezæme:
das ihm nicht bekommen wäre:
523
er lite ê hungers smerzen.
Eher litte er die Schmerzen des Hungers.
524
er wil niht wan der herzen
Er will nichts außer den Herzen
525
im ze spîse niezen.
als Speise zu sich nehmen.
526
daz merken kan în giezen
Die Beobachtung zeigt,
527
daz er des besten niuwan wil.
dass er nichts als das Beste will.
528
alsus wil ouch der minne spil
Genauso will auch das Spiel der Liebe
529
gewalteclîch in herzen ligen.
mit Kraft in Herzen liegen.
530
swenn im daz herz lât an gesigen,
Wenn das Herz die Oberhand behält,
531
sô ist ouge und ôre tôt.
sind Auge und Ohr machtlos.
532
daz herze alleine lîdet nôt
Das Herz alleine leidet Not
533
und kan ouch trôst enphâhen.
und kann auch getröstet werden.
534
ein oug sich mac vergâhen
Ein Auge kann sich übereilen,
535
sô daz ein herze umbehuot
sodass ein unbewachtes Herz
536
dick wider sînem willen tuot
oft aus unvernünftiger Liebe
537
an unbesinter minne.
gegen seinen Willen handelt.
538
minn ist ein meisterinne
Die Liebe ist eine Meisterin,
539
diu sich ie hât geflizzen des,
die sich seit jeher dadurch auszeichnet,
540
daz sî niht nâ dem winkelmez
dass sie nicht nach dem Winkelmaß,
541
sunder ougen rihten wil.
sondern nach dem Auge richtet.
542
irs gewaltes ist sô vil
Ihre Gewalt und ihre
543
und irre wunderlîcher kraft,
wundersame Kraft sind so groß,
544
swar sî sich senket enkerhaft,
dass, wohin sie sich gleich einem Anker senkt,
545
dâ muoz ir maht ouch ob geligen.
dort ihre Macht auch oben zu liegen kommt.
546
oug unde herze an gesigen
Sie kann Auge und Herz
547
kan sî mit gewaltes maht.
mit der Macht ihrer Gewalt besiegen.
548
diu minne im an sîn herze vaht
Die Liebe griff ihm sein Herz an
549
und woldez best zem êrsten.
und wollte es auf der Stelle.
550
sî wîst in an die hêrsten
Sie lehrte ihn die hehrste,
551
lobelîchesten minne
löblichste Liebe,
552
die in keins herzen sinne
die bisher noch niemals
553
ie ungesehen wâren komen.
ohne Anblick in ein Herz gelangt war.
554
man hât ze Tenemark vernomen
Man hatte in Dänemark sehr wohl
555
wol von des werden fürsten kunft,
von der Ankunft des Fürsten gehört,
556
der iez mit ritterlîcher zunft
der jetzt mit ritterlicher Würde
557
und mit hôhes brahtes dôn
und mit lautem Getöse
558
was bî der stat ze Liniôn;
bei der Stadt Linion war,
559
dar ouch der turnei was geleit.
wo auch das Turnier anberaumt war.
560
Fontânâgrîse wart geseit,
Fontanagris, dem König aus
561
dem künge ûz Tenemarke,
Dänemark, wurde gesagt,
562
wie daz mit maniger barke
wie der von jeder Schande Freie
563
wær kon der schanden træge,
mit vielen Schiffen gekommen war;
564
ich mein von Norwæge
ich meine den jungen König
565
der junge künic Palarei.
Palarei von Norwegen.
566
sîn sorge diu was gar enzwei,
Seine Sorge war ganz und gar verflogen,
567
dô er sach der ritter schar
als er die Schar der Ritter
568
zuo sîgen allenthalben dar
schnell zu allen Seiten
569
vast ze allen sîten.
hernieder steigen sah.
570
von Brûneswic für rîten
Der von Braunschweig befahl
571
hiez und balde gâhen,
vorauszureiten und sich sehr damit zu beeilen,
572
im herberge enphâhen
ihm in der Stadt eine
573
wirdeclichen in der stat.
standesgemäße Unterkunft aufzutreiben.
574
daz was versûmet, wan sî hât
Da waren sie zu langsam,
575
Lôrîs der Schotten vogt belegen
denn Loris, der Herr der Schotten,
576
und Parlus ein vil werder degen,
und Parlus, ein überaus edler Held,
577
der herzog ûz Berbester.
der Herzog aus Berbester, hatten sie [scil. die Stadt Linion] belegt.
578
Jôrân von Wintsester
Auch Joran von Winchester
579
mit herberg in der stat ouch lac,
hatte Herberge in der Stadt genommen,
580
wan er der âventiure phlac.
da er wegen der Aventiure gekommen war.
581
Sus was er gar versûmet.
So war er wirklich zu langsam gewesen.
582
im mohte niht gerûmet
Ihm konnte keine Herberge
583
herberge werden sîner schar.
für seine Schar frei gemacht werden.
584
Sî fuoren zuo dem künge dar,
Sie wandten sich an den König,
585
ich mein Fontânâgrîsen.
ich meine Fontanagris.
586
nâch herberge wîsen
Sie baten seine Hoheit,
587
bâten sî sîn werdekeit.
sie zu einer Herberge zu weisen.
588
er sprach ,der turnei ist geleit
Er sprach: „Das Turnier ist draußen,
589
hin für die stat ûf einen plân,
auf einer Ebene vor der Stadt, anberaumt,
590
wan wir niht dinne wîte hân.
weil wir drinnen keinen Platz haben.
591
dâ herbergent ûf daz velt.
Lagert auf dem Feld.
592
ich schaffe iuch hütten und gezelt,
Ich beschaffe euch Hütten und Zelte,
593
dâ ir nâ lobelîcher maht
wo ihr auf ehrenhafte Weise
594
belîbent wol vil manic naht.‘
gut viele Nächte bleiben könnt.“
595
Des seiten im die boten danc.
Dafür sagten ihm die Boten Dank.
596
von Brûneswic, des herze ie ranc
Der von Braunschweig, dessen Herz stets nach
597
nâch hôhen êren, zogte în.
hohen Ehren strebte, zog in die Stadt.
598
sîn schar geordent muose sîn
Seine Schar soll ganz nach Wunsch
599
vil gar nâch des wunsches segen.
geordnet gewesen ein.
600
man sach von êrste drîzic wegen
Zuerst sah man dreißig Wägen
601
dur die stat ze Liniôn.
durch die Stadt Linion ziehen.
602
dar nâch man siben soumer schôn
Nach ihnen führte man sieben herrliche
603
zôch, die truogen goldes last
Lastpferde, die so schwer an Gold trugen,
604
sô daz in koste niht gebrast.
dass es ihnen an nichts fehlte.
605
dar nâch man zühtenclichen zôch
Danach führte man sehr anständig
606
wol hundert ros, diu wâren hôch,
an die hundert langbeinige Pferde,
607
alsô grôz und alsô starc,
so groß und so kräftig,
608
daz alle die von Tenemarc
dass sämtliche Dänen
609
sô grôziu nie gesâhen,
so große noch nie gesehen hatten,
610
des sî gemeine jâhen.
wie sie einstimmig erklärten.
611
Sus fuoren sî hin dur die stat.
So zogen sie hin zur Stadt.
612
und als daz volc bevunden hât
Und als das Volk die Ankunft des Fürsten
613
des fürsten kunft und ouch sîn siten,
und auch sein Auftreten mitbekommen hatte,
614
dô wart niht langer dô gebiten:
wurde da nicht länger gewartet:
615
dur schouwen sî ûz liefen.
Sie liefen heraus um zu schauen.
616
die krîer lûte riefen
Die Ausrufer schrien laut:
617
,von Brûneswic der Sahsen vogt
„Von Braunschweig der Landesherr der Sachsen,
618
der kunt sô keiserlîch gezogt
der kommt so fürstlich dahermarschiert,
619
daz sin lop hôch in wirde swept.
dass sein Ruhm hoch in Würde schwebt.
620
danc hab ein fürste der sô lept
Dank sei dem Fürsten, der so gegenüber
621
gên got und gên der welte.
Gott und der Welt lebt.
622
er tuot mit sînem gelte
Mit seinem Einsatz leistet er
623
vil unde vil mê danne vil.
viel und viel mehr als viel.
624
ei waz er sper verswenden wil
Ei, was er der Ehre wegen und um die Gunst edler Frauen
625
dur êre und werder wîbe segen.‘
an Lanzen verschwenden wird!“
626
alsus sî liefen after wegen
So liefen sie hinter ihm her
627
und schriuwen lop mit schalle.
und verkündeten laut sein Lob.
628
die liut gemeinlich alle
Die Leute waren alle gemeinsam
629
dur schouwen wârn geloufen dar.
herbeigelaufen um zu schauen.
630
zwei hundert was der êrsten schar,
Die erste Schar zählte zweihundert
631
schiltknehte, die mit guoten siten
Schildknechte, die hübsch ordentlich
632
ie zwêne bî ein ander riten:
zwei und zwei nebeneinander ritten:
633
die fuorten sper und kreiger dâ.
Die trugen Lanzen und Helmzeichen.
634
den kam zehant geriten nâ
Unmittelbar hinter ihnen ritt
635
ein jungiu schar gesundert,
geschlossen eine junge Schar.
636
der was wol ûf hundert
Ihrer waren gut hundert
637
zwei und zwei der schoensten knaben
der hübschesten Knaben – immer zwei und zwei –
638
sô edel art ie moht gehaben
von so edler Abstammung, wie es
639
über allez Sahsen lant.
im ganzen Sachsenland nur geben konnte.
640
ieclîcher fuort ûf sîner hant
Ein jeglicher führte auf seiner Hand
641
ein sprinzelîn dur muotes guft.
zur Freude des Gemüts ein kleines Sperberweibchen.
642
dar nâ gezieret wart der luft
Danach wurde die Luft erfüllt
643
von überdôn des schalles krach,
vom Dröhnen lauten Lärms,
644
sô daz ez dur die wolken brach
so dass es mit Getöse durch die Wolken
645
mit brahte sam ein dunres dôz.
brach wie das Grollen des Donners.
646
der schal von phîfen wart sô grôz
Der Schall der Blasinstrumente wurde so laut,
647
daz ez in leit zerstôrte.
dass er ihnen ihren Kummer nahm.
648
nieman den andern hôrte,
Niemand hörte vom anderen,
649
waz er seite ald waz er sprach.
was er sagte oder sprach.
650
dar nâch man hundert ritter sach
Danach sah man hundert Ritter
651
ie zwêne sament rîten:
immer zu zweit nebeneinander reiten:
652
sît noch vor den zîten
Weder vorher noch nachher
653
wart nie beschouwet schoener schar,
wurde jemals eine schönere Schar betrachtet.
654
in ein kleit alle sament gar
Sie alle trugen wahrhaftig
655
von phell bekleidet ungelogen,
Kleider ganz aus Pelz,
656
mit hermîn wîz schôn underzogen
mit Hermelin weiß unterfüttert
657
und von koste tiure.
und überaus wertvoll.
658
dar nâch kam der gehiure
Danach kam der herrliche
659
Reinfrit von Bruneswîc gezogt.
Reinfried von Braunschweig daher geritten.
660
wær er ze Rôm gewesen vogt,
Wäre er Herrscher in Rom gewesen,
661
dâ moht niht mê sîn schalles.
hätte nicht mehr Getöse sein können.
662
nu kan geloufen allez
Nun kam alles gelaufen,
663
daz in der stat von liuten was,
was an Leuten in der Stadt war,
664
beidiu dur wunder und dur daz
sowohl aus Neugier als auch, damit
665
sî den keiserlichen helt
sie den fürstlichen Helden
666
sæhen der dâ ûz erwelt
sähen, der da auserwählt
667
was vor den argen veigen.
war vor den bösen Todgeweihten.
668
wê wel ein vingerzeigen
Weh, wie die Leute da anhoben,
669
huop sich von den liuten
mit dem Finger auf ihn zu zeigen,
670
ûf in der êre triuten
der mit der Begierde seines Herzens
671
kunde mit herzegirde.
Ehre auf sich zu ziehen wusste.
672
sîn hôchgelopte wirde
Seine hoch gepriesene Würde
673
wart lûterlîch gerüemet.
wurde lautstark gerühmt.
674
sîn lop daz wart geblüemet
Sein Ruhm wurde von Einheimischen
675
von kunden und von gesten.
und Fremden geschmückt.
676
die dannoch niht enwesten
Die seine Abstammung da
677
sîn art, die hôrt man prîsen
noch nicht kannten, die hörte man
678
den zühterîchen wîsen
den hochanständigen Weisen
679
beidiu edel und gedigen.
als edel und tüchtig preisen.
680
aller herren lop geswigen
Das Lob aller anderen Herren
681
wart ân in, hân ich vernomen,
verstummte vor ihm, habe ich gehört,
682
wan sîn lop was vollekomen.
denn sein Lob war vollkommen.
683
Sus was er komen ûf daz velt.
So war er auf das Feld gekommen.
684
er sluoc manic hôh gezelt
Er schlug viele hohe Zelte
685
und manic wîtez pavilûn.
und manch geräumigen Pavillon auf.
686
sîn schar diu nam sô wîten rûn
Seine Schar, die brauchte so viel Platz,
687
daz er des veldes vil belac.
dass er einen Großteil des Feldes besetzte.
688
sîn sin sô hôher koste phlac
Er war von so freigebiger Gesinnung,
689
daz er vil guotes rêrte.
dass er reichlich austeilte.
690
ê man ein hant bekêrte,
Von einem Augenblick auf den anderen
691
dô was reht als ein grôziu stat
war da wirklich so etwas wie eine große Stadt,
692
dâ er ûf geslagen hât
wo er seine Herberge
693
sîn herberg ûf dem plâne:
auf der Ebene aufgeschlagen hatte:
694
der fürste wandels âne
Der makellose Fürst befahl,
695
hiez dur die stat hin schrîgen,
zur Stadt hin zu verkünden, dass,
696
swâ ritter grâven frîgen
wo immer Ritter, Grafen oder Freie
697
wæren unenthalten,
voll Tatendrang wären,
698
die solten unverschalten
sie seiner Schar
699
sîn sîner massenîe.
willkommen sein sollten.
700
al diu companîe
Die ganze Gruppe
701
der gernden hât sich dar gemaht,
der Tatendurstigen hat sich dorthin aufgemacht,
702
daz niemen hâte keinen braht
sodass niemand jemanden gebracht hatte,
703
wan er der schande ie schûhte.
der nicht seit jeher Schande scheute.
704
al dur die naht sô lûhte
Durch die Nacht leuchtete
705
von kerzen manic grôzez fiur.
manch großes Feuer von Kerzen.
706
giuden brehten was niht tiur
Freudenlärm war nicht selten
707
in der herberge dâ er lac,
in der Herberge, wo er lag,
708
die ganze naht unz an den tac.
die ganze Nacht bis Tagesanbruch.
709
Alsus diu vinster naht zergie
So verging die dunkle Nacht
710
mit grôzem schalle unde vie
mit großem Lärm und begann
711
der tac mit liehtem schîne zuo.
der Tag mit hellem Schein.
712
und man den sunnen morgen fruo
Und als man die Sonne früh am Morgen
713
die wolken sach durschrenzen,
die Wolken durchbrechen sah,
714
dô spurte man ein glenzen
da sah man von der Stadt aus
715
ûz der stat har ûf daz velt,
ein Glänzen auf dem Feld,
716
dâ manic keiserlîch gezelt
wo manch fürstliches Zelt am Spieß
717
stuont ûf geriht in knophes spiz,
des Knaufs aufgerichtet stand,
718
daz diu sunne widergliz
sodass die Sonne vom Gold,
719
nam von dem golde daz dâ schein.
das da glänzte, widerspiegelte.
720
vil kurzelîche wart dô ein
Schon bald wurde da
721
messe schôn gesungen
in angemessener Weise eine Messe gesungen,
722
und wart dô zuo gedrungen
zu der die Herren
723
von herren zühteclichen schôn.
wohlgesittet herbeiströmten.
724
dar nâch man hôrte mangen dôn
Danach hörte man manchen Ton
725
von phîfen und tambûren.
von Blasinstrumenten und Handtrommeln.
726
man sach dâ niemen tûren
Man sah da niemanden trauernd
727
noch haben keine swære.
oder bedrückt.
728
ir herze an sorgen lære
Ihr sorgenfreies Herz
729
kund in den muot erfrischen.
wusste ihnen das Gemüt zu erfrischen.
730
sus gie man zuo den tischen
So ging man zu den Tischen,
731
und âzen alle schiere
und die sich da ritterlich betätigen wollten,
732
ein klein pittimansiere,
aßen alle schnell
733
die wolten würken schiltes amt.
ein kleines Frühstück.
734
dar nâch geswinde alle samt
Danach rüsteten sich alle geschwind,
735
sich rusten ûz ze velde
um mit öffentlicher Ankündigung
736
mit offenlîcher melde.
auf das Feld zu ziehen.
737
Sus warp der wandels frîe.
So handelte der Makellose.
738
nu kam ûf der plânîe
Nun kam auch ein starkes Heer
739
mit rotten ouch ein kreftic her.
mit Kampfgruppen auf die Ebene.
740
die hât gefüeret über mer
Die hatte der König Palarei
741
mit im der künic Palarei
mit sich über das Meer geführt,
742
des herze ie nâ triuwen schrei,
dessen Herz immer nach Treue rief,
743
wan im kein laster was bekant.
weil ihm kein Laster bekannt war.
744
dar was der künc von Engellant
Auch der König von England
745
ouch komen hin mit grôzer maht,
war mit einer großen Streitmacht dorthin gekommen
746
Flôrin, der ie nâ êren vaht,
– Florin, der immer um Ehre kämpfte –
747
und wolt dâ prîs erringen.
und wollte da Ruhm erringen.
748
alsus mit disen dingen
So, mit diesen Details,
749
sô kunt diu âventiure.
erzählt es die Aventiure.
750
Lôrîs der künc gehiure
Loris, der gute König
751
von Schotten und Fontânâgrîs
von Schottland, und Fontanagris
752
von Tenemark die fürsten wîs
von Dänemark, die weisen Fürsten
753
und Jôrân von Berbester,
und Joran von Berbester,
754
der herzog ûz Wintsester
der Herzog aus Winchester,
755
kan mit in ze velde dar
der mit ihnen dorthin auf das Feld kam,
756
und brâhten schôn in einer schar
führten, schön in einer Schar,
757
vier hundert werder ritter,
vierhundert werte Ritter,
758
die âne vorhtes zitter
die ohne das Zittern der Furcht
759
wol kunden werben ritters tât.
gut nach ritterlicher Tat zu streben wussten.
760
ein wâfen schôn bekleidet hât
Sie alle kleidete eine Rüstung
761
sî al mit einer varwe.
hübsch in der gleichen Farbe.
762
man unde ros man garwe
Mann und Ross sah man
763
sach einer varwe liuhten.
gar in einer Farbe leuchten.
764
von mangem grüenn geriuhten
Von viel grünem aufgerauten
765
samît was ir wâfenkleit.
Samt war ihr Waffenkleid.
766
ein turteltûbe schôn geleit
Eine Turteltaube war schön
767
was dar în ûf des schiltes tach.
in die Schildbedeckung eingelegt.
768
die baner man ouch glesten sach
Die Banner sah man auch
769
nâ dem selben glanze.
im selben Glanze glänzen.
770
mit mangem rôsen kranze
Mit manchem Kranz von Rosen
771
wâren sî gekroenet.
waren sie gekrönt.
772
diu heide was geschoenet
Die Heide war von viel
773
mit manger hôhen wirdekeit.
großer Herrlichkeit verschönert.
774
dar nâch in hôher wirde reit
Dorthin ritt in hoher Würde
775
des Wunsches kint, der sælden hort,
das Wunschkind, der Hort des Glücks,
776
ein reizel gar ûf alliu ort
allerorten eine Verlockung
777
gên minneclîcher minne,
gegenüber lieblicher Liebe,
778
der sinne stoererinne,
die Aufrührerin der Sinne,
779
diu mangen ân ir wizzen bant.
die manchen ohne sein Wissen fesselte.
780
ein turteltûbe ûf der hant
Die Schöne führte
781
fuorte diu gehiure.
eine Turteltaube auf der Hand.
782
ich wæn diu âventiure
Ich glaube, die Aventiure
783
wær komen von dem grâle,
stammte vom Gral,
784
wan man ze mangem mâle
weil man immer wieder
785
in stürmen und in reisen
bei Sturmangriffen oder auf dem Kriegszug
786
sach die templeisen
die Templeisen die Reinheit der Turteltaube
787
der turtur kiusche füeren.
als Zeichen führen sah.
788
unkiusch getorst gerüeren
Unkeuschheit wagte keinen
789
keinen, seit man sunder wân,
zu berühren, der dem Gral diente,
790
der dem grâl was undertân:
so sagt man voll Überzeugung:
791
des fuorten sî diz zeichen.
Darum führten sie dieses Zeichen.
792
man sach ûf hôhe reichen
Man sah hoch oben
793
ein purpur an vier scheften,
einen Purpurstoff auf vier Stangen,
794
daz wart gefüert mit kreften
der mit Kraftaufwand
795
enbor von grâven vieren.
von vier Grafen in der Höhe getragen wurde.
796
dar under bî den zieren
Darunter ritt mit Schmuck
797
reit diu minneclîche magt.
die liebliche Magd.
798
swaz man singet oder sagt,
Was auch immer man singt oder erzählt,
799
daz was niht gên dem schouwen.
war nichts gegenüber dem, was man hier sah.
800
sî hât fünf hundert frouwen
Sie hatte fünfhundert Frauen
801
mit ir in ein gekleidet.
genau wie sich selbst gekleidet.
802
diu welt sô hinnen scheidet
Die Welt geht unter,
803
daz niemer solich hof ergât:
bevor es wieder so einen Hoftag gibt:
804
des wæn ich wol als ez nû stât.
So, wie es jetzt steht, glaube ich das bestimmt.
805
Sus kômen sî ze velde her.
So kamen sie hierher auf das Feld.
806
man fuort in vor sô manic sper
Vor ihnen führte man so viele Lanzen
807
von dürren stangen vesten,
aus trockenen, festen Stangen,
808
daz dâ dur niht gelesten
dass da kein heller Sonnenstrahl
809
moht der liehten sunnen glast.
hindurch leuchten konnte.
810
ich wæne verrer denn ein rast
Ich glaube, weiter als eine rast entfernt
811
hôrte man des dônes guft,
hörte man des Lärmes Schall,
812
als ob diu erde und der luft
als ob Erde und Luft
813
wider ein ander duzzen.
aufeinander prallten.
814
sus in den wolken schuzzen
So dröhnten in den Wolken
815
bûsînen tambûre slagen,
Posaunen und das Schlagen der Tamburine,
816
dâ von die berge mohten wagen.
dass die Berge davon erzittern konnten.
817
sus gieng ez allez dôsen.
So toste alles.
818
ezn dorfte niemen kôsen
Es brauchte niemand zu versuchen
819
dem andern in sîn ôre.
dem anderen ins Ohr zu flüstern.
820
noch dicker denn in rôre
Noch besser, als wenn sie aus Rohr gewesen wären,
821
diu sper dâ sament hielten.
hielten die Lanzen da zusammen.
822
niht langer dâ entwielten
Der Braunschweiger und seine Schar
823
von Brûneswîc mit sîner schar:
warteten da nicht länger:
824
die kâmen ouch ze velde dar.
Die kamen auch hierher auf das Feld.
825
Der hât sich ûz gesundert,
Er und seine hundert Ritter
826
er und sîn ritter hundert:
hatten sich besonders hervorgetan:
827
die dorfte niemen strâfen.
Die brauchte niemand zu tadeln.
828
sî fuorten alle ein wâfen
Sie trugen alle eine Rüstung
829
von kostelîcher stiure,
von hohem Wert,
830
wan nâ der âventiure
denn auf der Jagd nach dieser Aventiure
831
in keiner kost bevilte.
scheuten sie keine Kosten.
832
man sach daz in die schilte
Man sah, dass ihre Schilde
833
geteilet wâren in zwei vach,
in zwei Felder geteilt waren:
834
von obene dur des randes tach
vom oberen Rand
835
gehalbieret dur den spiz.
zum Spitz hin halbiert.
836
von Arâbî gap liehten gliz
Aus dem einen Feld leuchteten
837
daz ein vach von drîn stücken.
drei Teile aus arabischem Gold.
838
daz golt sich underdrücken
Kein Glanz ist heller
839
niht lât mit keinem glaste.
als der dieses Goldes.
840
von zobel glizzen vaste
Drei andere Teile aus Zobel
841
driu ander stucke gezilt.
glänzten genauso hell.
842
sô fuorten sî den halben schilt
So führten sie [scil. Reinfrieds Ritter] den halben Schild
843
geworht mit hôhem flîze.
mit großem Fleiß gefertigt.
844
von fînen berlen wîze
Die andere Hälfte war
845
was daz ander überleit,
von feinen weißen Perlen überzogen
846
und was nâ wunsch dar în gespreit
und es war aufs Schönste aus roten Rubinen
847
von rubîn rôt ein halber ar.
ein halber Adler darin ausgebreitet.
848
swenn man genam ze rehte war,
Wenn man zur Rechten sah,
849
wie sunne an golt ir glenzen nan
wie die Sonne sich im Gold widerspiegelte
850
und zobel swarz dar under bran
und der schwarze Zobel darunter glühte
851
und wie sîn ar der roete gliz
und wie sein [scil. des Schildes oder Reinfrieds] halber Adler
852
gap halp dur wîzes schiltes spiz,
rot aus der weißen Schildspitze hervor leuchtete,
853
sô sach man rîche koste grôz.
dann sah man eine überaus große Kostbarkeit.
854
ir herze gar an sorgen blôz
So ließen sie sorglosen Herzens ihre Pferde
855
sus ûf den hof leisierten.
mit verhängtem Zügel an den Hof laufen.
856
die krîger vast grôierten
Die Kämpfer riefen laut
857
ûf in, des herze ie schande flôch.
zu ihm, dessen Herz immer die Schande floh.
858
Fontânâgrîs der alte zôch
Fontanagris der Alte zog
859
gên im entwerhes ûf den rinc.
ihm in den Ring entgegen.
860
umb eine tjost der jungelinc
Um eine Tjost wurde der Jüngling
861
von im wart dâ gebetten.
da von ihm gebeten.
862
sîn herz nie übertretten
Sein Herz hatte niemals
863
hât keine stunt der mâze riz.
das rechte Maß überschritten.
864
des saz er sunder ruomes gliz
Darum saß er ohne den Glanz der Prahlerei
865
hôh ûf der êren sedele.
hoch auf dem Sitz der Ehre.
866
sîns helmes tach zwên wedele
Seinen Helm bedeckten
867
von phâwen hânt bedecket.
zwei Wedel aus Pfauenfedern.
868
in schrankes wîs gestrecket
Oben
869
heten sî sich bevangen.
verschränkten sie sich.
870
von golde lieht die stangen
Die einzelnen Federn der Wedel
871
ûf den wedeln glizzen.
glänzten von hellem Gold.
872
ûf eine tjost geflizzen
Die beiden mächtigen Fürsten hatten sich
873
sich hatten beide fürsten rîch.
für die Tjost herausgeputzt.
874
des wart ein schrîen ,wîchâ wîch!
Deshalb wurde geschrien: „Platz da, mach Platz!
875
lâ milte hie gên zühte varn!‘
Lass Freigebigkeit hier gegen Wohlerzogenheit antreten!“
876
ûz Sahsenlant des fürsten arn
Der Arm des Fürsten aus Sachsen
877
ein kreftic sper dâ sancte.
senkte da eine starke Lanze.
878
Fontânâgrîs dâ sprancte
Da sprengte auch Fontanagris
879
gên im ouch ûf dem ringe her.
im Ring auf ihn zu.
880
zwei dürriu kurziu vestiu sper
Zwei trockene kurze feste Lanzen
881
sach man sî beide füeren.
sah man sie beide führen.
882
ob sî diu ors iht rüeren
Ob sie die Pferde nicht
883
konden zuo den sîten?
in die Seiten stoßen konnten?
884
jâ ir snellez rîten
Ja, ihr schnelles Reiten
885
was sam des valken fliegen.
war wie der Flug des Falken.
886
diu bein sach man sî biegen
Die Beine sah man sie
887
dâ neben zuo den lenken.
fest um die Leiber der Tiere schließen.
888
ir sper sî kunden senken
Sie wussten ihre Lanzen
889
hin zuo der schilte riemen.
hin zu den Riemen der Schilde zu senken.
890
ir dewedere gunde niemen
Keiner gönnte da dem anderen,
891
für sich dô prîs erringen.
Ruhm für sich zu erringen.
892
man sach diu ors erspringen
Man sah die Pferde wie
893
sam in dem walde hirzetier.
das Wild im Wald umher springen.
894
mit starken kreften man sî schier
Mit großen Kräften sah man sie schnell
895
har ûf den orsen trîben sach,
auf den Pferden umherhetzen,
896
und daz ietweders schaft zerbrach:
und dass der Schaft eines jeden zerbrach:
897
mê dan in tûsent stücken
In mehr als tausend Stücken
898
sach man die sprîzen flücken
sah man die Lanzensplitter
899
hôh ûf in den lüften.
hoch in die Lüfte aufstieben.
900
ein ritterlîchez güften
Von dem Klang erhob sich
901
huop sich von dem duzze.
ein ritterliches Freudengeschrei.
902
reht als der dunre schuzze,
Genauso wie Donnergrollen
903
sô wart ein schal und ouch ein krach.
erhoben sich Schall und Lärm.
904
ietweders schilt dâ nider brach
Da zerbarst eines jeden Schild
905
und wurden ouch der helme bar.
und sie verloren auch ihre Helme.
906
alsus sî von dem stiche gar
So wurden beide
907
wurden beide entrümmert.
von dem Stoß völlig erschüttert.
908
ir lîp sî vast bekümmert
Ihr Leib ließ sie sich
909
umb êre und ritterlîche tât,
um Ehre und ritterliche Tat sorgen,
910
daz fürsten wol ze lobe stât.
um Ehre und Ritterliche Tat sorgen.
911
Sus pînten sî sich beide.
So rackerten sie sich beide ab.
912
nu kan dort ûf der heide
Nun kam dort auf der Heide Palarei,
913
Palarei, künc von Engellant,
der König von England,
914
den hôhiu wirde ûz gesant
den hohe Würde ausgesandt
915
hât umb êre und werdez lop.
hatte um Ehre und ehrlichen Ruhm.
916
ein rîche banier swepte op
Ein prächtiges Banner schwebte über
917
im, des herze ie schande meit.
ihm, dessen Herz sich immer von Schande fernhielt.
918
umb zuht êr unde miltekeit
Anstand, Ehre und Freigebigkeit gering zu achten,
919
dorft in niemen strâfen.
brauchte ihm niemand nachzusagen.
920
er hât ûf sîne wâfen
Er hatte auf seine Ausrüstung
921
nâ küneclîcher kost gezilt.
königliche Kostbarkeit verwandt.
922
ûz Arâbîe was sîn schilt
Sein Schild war aus glänzendem Gold
923
von glanzem golde, als ich ez las.
aus Arabien, wie ich las.
924
ob daz gebirge in Caukasas
Wenn das Gebirge im Kaukasus
925
hete gedienet sîner hant,
unter seiner Herrschaft gewesen wäre,
926
er moht niht rîcher sîn bekant.
hätte er nicht reicher sein können.
927
als uns diu âventiure seit,
Wie uns die Aventiure berichtet,
928
von rubîn lâgen drîn gespreit
lagen darin [scil. im Schild] quer
929
entwerhes drî lêparten.
ausgebreitet drei Leoparden.
930
man sol dem herren zarten,
Man soll diesem Herrn wohl gesonnen sein,
931
der alsus keiserlichen vert
der so fürstlich daher kommt
932
und lîp und guot nâch êren zert.
und Leib und Gut um der Ehre willen aufs Spiel setzt.
933
Er kan ze velde schiere.
Er kam eilig auf das Feld.
934
under sînr baniere
Unter seinem Banner
935
fuort er hundert ritter dar,
führte er dorthin hundert Ritter,
936
die sîner krône nâmen war:
die zu seiner Herrschaft gehörten:
937
des was sîn sorge gar enzwei.
Darum hatte er keine Sorge.
938
der junge künic Palarei,
Der junge König Palarei,
939
an schanden gar der træge
der ohne Schande lebte
940
(er was ze Norwæge
(er war in Norwegen
941
gewaltic künic unde vogt),
ein mächtiger König und Landesherr),
942
kam ûf die heide ouch gezogt
kam auch mit dem Lärm
943
mit krache manges schalles.
manch kräftigen Tones auf die Heide gezogen.
944
sîn kunft diu maht daz allez
Seine Ankunft bewirkte, dass alles,
945
daz dâ was in ein ander dôz.
was da war, durcheinander tönte.
946
sîn schar was kreftic unde grôz
Groß und stark war seine Schar,
947
die er enthielt von helden zier,
die er mit Helden zierte,
948
wan under sîner banier
denn unter seinem Banner
949
hât er ouch ûz gesundert
hatte er hundert
950
sô fromer ritter hundert
so tadellose Ritter gesammelt,
951
daz ir genôze nie gesehen
dass ihnen an Würde niemand
952
an wirde wart, sô hoer ich jehen.
gleichkam, wie ich sagen höre.
953
Sî fuorten sîniu zeichen,
Sie trugen die Zeichen desjenigen,
954
des herze nie erweichen
dessen Herz durch keine Furcht
955
moht von keinen vorhten.
schwach werden konnte.
956
ei waz sî wunders worhten
Ei, was für Wunder sie
957
in stürmen und in strîten!
in Stürmen und Kämpfen wirkten!
958
sî kâmen zuo den zîten
Sie kamen jetzt
959
mit im, des herze ie schande flôch.
mit ihm, dessen Herz stets Schande mied.
960
ein kreftic ors stüef unde hôch
Es war ein starkes Pferd, wacker und
961
was, dar ûf der fürste saz;
groß, auf dem der Fürst saß;
962
sîn wâpenkleit, als ich ez las,
seine Rüstung war, wie ich las,
963
von kostelîcher stiure.
von hohem Wert.
964
sô rîche kovertiure
So prächtige kovertiure
965
wæn ich sî selten mê gesehen.
sieht man, glaube ich, selten.
966
von liehtem rubîn schôn durbrehen
Man sah seine Rüstung
967
alsus sîn wâpenkleit man sach,
von leuchtendem Rubin durchzogen,
968
und was ûf des schiltes tach
und in die Schildbespannung
969
geworht ein meisterlîchez schif
war ein meisterhaftes Schiff
970
von fînem golde, und was sîn grif
aus feinem Gold eingearbeitet und in seiner
971
des schilt entwerhes überlegen.
Breite über den Schild erhaben.
972
ein ort des schiffes sach man phlegen
Am einen Ende des Schiffs sah man
973
ein ruoder klein daz dar an hienc.
ein kleines Ruder, das daran hing.
974
von dem andern orte gienc
Am anderen Ende war
975
ein boun der den schilt hât verdaht.
ein Mast auf dem Schild befestigt.
976
dar an ein segel was gestraht
Daran war ein Segel aus
977
von kleinen wîz mergriezen,
kleinen weißen Perlen aufgezogen,
978
und kund der unden sliezen
das sich unten
979
sich wider zuo der stangen.
wieder mit dem Mast traf.
980
ich wæn daz er enphangen
Ich glaube, dass er [scil. Palarei] da
981
dâ würd mit mangem gruoze.
mit manchem Gruß empfangen wurde.
982
vil lieplîcher unmuoze
Viel liebe Unruhe
983
schuof er in wîbes ougen
brachte er da in die Augen der Frauen,
984
diu in erblihten tougen.
die ihn verstohlen ansahen.
985
Alsus kam er mit grôzer maht.
So kam er mit großer Stärke.
986
sich huop dô manic lûter braht,
Da erhob sich ohrenbetäubender Lärm
987
von phîfen dôz und scheften krach.
vom Schall der Pfeifen und Krachen der Lanzenschäfte.
988
man sach daz dirre jenen stach:
Man sah, dass dieser jenen stach:
989
sô viel dort einr von jenem nider.
So fiel dort einer, von jenem getroffen, nieder.
990
sich pînten manges ritters lider
Vieler Ritter Glieder
991
ûf der âventiure trôst.
quälten sich um den Preis der Aventiure.
992
von riemen manic schilt erlôst
Viele Schilde wurden
993
wart von starken scheften,
durch starke Lanzenschäfte,
994
die sî mit hôhen kreften
die sie mit großer Kraft zu Pferd
995
ze orse ûf ein ander triben.
gegeneinander trieben, von ihren Riemen erlöst.
996
dâ was niemen ruowic bliben:
Da blieb keiner säumig:
997
man hôrte schrîgen ,wîchâ wîch!
Man hörte schreien: „Aus dem Weg!
998
von Brûneswic der fürste rîch
Der mächtige Fürst von Braunschweig
999
kunt aber hie mit frîger ger.
kommt wieder mit ungezügeltem Verlangen hierher.
1000
sîn hant diu hât wol zwênzic sper
Seine Hand hat gut zwanzig Lanzen
1001
mit der tjost verswendet.‘
bei der Tjost zerbrochen.“
1002
nu was aldar gesendet
Nun war ein stolzer Ritter
1003
ein stolzer ritter ûzerkorn.
ausgewählt und dorthin geschickt worden.
1004
von Parmenîe geborn
Sein kühner starker Leib war
1005
was sîn frecher starker lîp
aus Parmenien gebürtig
1006
und mohte sunder vorhtes kîp
und konnte, von keiner Angst gehindert,
1007
wol üeben ritterlîch getât.
sehr gut ritterliche Taten vollbringen.
1008
dâ von er sich bekleidet hât
Darum hatte er sich in Lasurblau,
1009
in stæte varwe lâsûrblâ.
die Farbe der Beständigkeit, gekleidet.
1010
ein grôzez ros, was apfelgrâ,
Sein großes Pferd, ein Apfelschimmel,
1011
daz lief in sprungen sam ein tier,
sprang umher wie ein Reh.
1012
dar ûf der werde ritter zier
Auf ihm saß die Zier edler Ritter
1013
saz alsam ein vestiu want.
wie angegossen.
1014
ich wæne daz in dar gesant
Ich glaube, dass seine Geliebte
1015
hette sîn âmîe.
ihn dorthin geschickt hatte.
1016
mit manger lûten krîe
Mit manch lautem Ruf
1017
wart lobelîch gewüefet
wurde ruhmreich angekündigt
1018
und über lût gerüefet,
und überlaut ausgerufen,
1019
dâ wær ein fromer ritter komen.
da wäre ein vortrefflicher Ritter gekommen.
1020
schiere wart diz mær vernomen
Schnell verbreitete sich die Kunde,
1021
dâ manger gên im drapte.
da mancher ihm entgegen trabte.
1022
von Brûneswîc der hapte
Der von Braunschweig ritt
1023
gên im ûf der plânîe.
ihm auf der Ebene entgegen.
1024
und als der wandels frîe
Und als der Makellose
1025
ûf in gehôrt daz kapfen,
das Lobgeschrei auf ihn hörte,
1026
man sach in drâte stapfen
sah man ihn dem anderen entgegeneilen,
1027
gên im ûf ein tjoste.
um eine Tjost gegen ihn zu reiten.
1028
ez lac sô rîchiu koste
Er trug solche Reichtümer
1029
an im daz ez was wunder.
an sich, dass es ein Wunder war.
1030
sîn sper daz sluog er under
Er hakte die Lanze ein
1031
und tet im selben rûmeiz.
und verschaffte sich Raum.
1032
ûf einen langen puneiz
Man sah ihn sein Pferd so führen,
1033
sach man in sîn ors ziehen.
dass er langen Anlauf nehmen konnte.
1034
nu wolt ouch genre fliehen
Nun wollte auch der andere ungern
1035
niht, dô er in komen sach.
fliehen, als er ihn kommen sah.
1036
für sich er druht des schiltes tach
Er hielt den Schild vor sich
1037
und sprancten gên ein ander her.
und die beiden sprengten aufeinander zu.
1038
mit frîger tât ietweders sper
Ungehindert neigte
1039
sî gên ein ander neigten.
ein jeder die Lanze gegen den anderen.
1040
ir hôhe kraft si zeigten
Sie bewiesen ihre große Kraft
1041
und ouch ir ritterlîche kunst.
und auch ihr ritterliches Können.
1042
vor in sô gie ein starker tunst,
Vor ihnen erhob sich eine dichte Staubwolke,
1043
dô sî sus kâmen gedræget.
als sie so aufeinander zustürmten.
1044
reht als diu ors gewæget
Genauso wie die Pferde
1045
an loufen kæmen dur den luft,
beim Laufen durch die Luft wirbelten,
1046
sus fuoren sî nâ muotes guft
so ritten sie voll Übermut
1047
und ouch mit grôzer krefte
und auch mit großer Kraft
1048
und stâchen daz die schefte
und stachen, dass die Lanzenschäfte
1049
in kleine sprîzen hôhe flugen
in kleinen Splittern hochflogen
1050
und daz diu ors sich beide bugen
und die Pferde hinten einknickten
1051
hinden von dem stiche.
von dem Stoß.
1052
ob aber keinre entwiche
Ob dabei auch keiner
1053
dem satel hie dur rûmen? jâ,
den Sattel räumen musste? Ja doch,
1054
der frouwen ritter der lac dâ
der Ritter der Dame; der lag da sehr wohl
1055
von dem orse wol hin dan
vom Pferde hinunter
1056
und was gevallen ûf den plân.
und auf die Wiese gefallen.
1057
Als daz der Schotten künic sach,
Als das Parlus, der König von Schottland
1058
Parlus, dur mange rotte er brach
sah, drängte er sich durch die Scharen
1059
her gên dem von Brûneswîc.
dem von Braunschweig entgegen.
1060
ob sîn muot iht hôhe stîc
Ob seine [scil. Reinfrieds] Stimmung sich da
1061
an fröuden ûf? jâ, herre, jâ.
nicht freudig hob? Ja, Herr, ja.
1062
als er gesach Parlûsen dâ
Als er Parlus da vor sich
1063
vor im ûf des ringes kreiz,
im Ring erblickte,
1064
gên eim starken puneiz
rüstete er sich abermals
1065
er sich aber ruste.
für einen kraftvollen Stoß gegen ihn.
1066
den schilt er zuo der bruste
Er zog den Schild
1067
gar ritterlîche druhte.
gar ritterlich an die Brust heran.
1068
den lîp er samfte ruhte
Den Körper bewegte er, sich
1069
hin und her gên der tjost.
geschmeidig wiegend, auf die Tjost zu.
1070
sîn herze sunder meiles rost
Sein von Schande unbeflecktes Herz
1071
in hôhen fröuden swepte.
wurde ihm vor Freude leicht.
1072
in dûht daz iemen lepte
Ihn dünkte, dass niemand lebte,
1073
an hôher wunne sîn genôz.
der so glückselig war wie er.
1074
ein vestez sper unmâzen grôz
Er bat, ihm schnell eine feste,
1075
bat er im balde reichen.
besonders große Lanze zu reichen.
1076
der âne lobes smeichen
Der ohne lobende Schmeicheleien
1077
ie hôchgelopter êren wielt,
immer hoch gelobte Ehre verkörperte,
1078
er sach Parlûsen wie er hielt
der sah Parlus, wie er auf ihn zu
1079
gên im und hiez wîchen.
hielt und aus dem Weg zu gehen befahl.
1080
ob sî zesamen strîchen
Ob sie die Pferde hier
1081
diu ors hie liezen? jâ sî, jâ;
einander berühren ließen? Ja, sie taten es, ja;
1082
die krîger liefen ûf ir slâ
die Kämpfer liefen auf ihrer Spur
1083
mit manger lûten krîge.
mit manch lautem Kriegsruf.
1084
hie was der schanden frîge
Hier war der Schandenfreie
1085
kon an den êren stæten.
an den in Sachen Ehre Beständigen geraten.
1086
diu ors zesamen dræten
Die Pferde wirbelte aufeinander zu,
1087
reht als ob sî beide flugen.
als ob sie beide flögen.
1088
ûf eine rîche tjost sî zugen
Sie zielten beide auf eine herrliche Tjost,
1089
mit der sî beid vertâten
bei der sie beide ihre Lanzen
1090
diu sper, dazs hôhe wâten
verstachen, dass das hohe wâten
1091
in den lüften klein zerschivert
in der Luft in kleine Splitter zerbarst
1092
und man die trunzen gar zerrivert
und man die Lanzenstücke zersplittert
1093
sach ob den helmen fliegen.
über die Helme fliegen sah.
1094
von dem stiche biegen
Von dem Stich musste sich
1095
des künges rugge muoste.
der Rücken des Königs krümmen.
1096
ich wæne daz in gruoste
Ich glaube, dass ihm heimlich
1097
tougen manges herzen sin.
manches Herz zuflog.
1098
alsus der herzog kêrte hin
So machte der Herzog [scil. Reinfried]
1099
aber von rinc ze ringe.
abermals auf dem Kampfplatz kehrt.
1100
wer in hie zuo twinge?
Wer ihn dazu zwang?
1101
daz tuot ein unsihtigiu nôt.
Das tut eine unsichtbare Kraft.
1102
lîp unde herze er beide bôt
Körper und Herz bot er beide
1103
dar dâ er was unbekant.
dort feil, wo er fremd war.
1104
ei süeziu minne, dîniu bant
Ei, süße Liebe, deine Fesseln
1105
bindent sunder heften.
binden, ohne zu berühren.
1106
swâ du mit dînen kreften
Wo auch immer du dich mit deinen Kräften
1107
wilt gewalteclichen ligen,
gewaltig niederlässt,
1108
dâ mag und kan dîn maht gesigen
da kann und wird deine Macht
1109
gar ân allez dunken.
ohne jeden Zweifel siegen.
1110
swâ dîner gneisten funken
Wo auch immer deine Funken
1111
gedenke in herze enzündent,
liebendes Gedenken in einem Herz entfachen,
1112
ich weiz daz sî durgründent
weiß ich, dass sie mit Verlangen
1113
mit luste alle sinne.
alle Wahrnehmung durchziehen.
1114
swâ sin nâ hôher minne
Wo auch immer der Verstand
1115
ist mit luste girdic,
mit Verlangen nach hoher Minne strebt –
1116
ist dâ daz herze wirdic
wenn da das Herz
1117
sô lobelîcher minne,
so ehrbarer Liebe wert ist,
1118
diu minne tuot dem sinne
tut diese Liebe dem Verstand
1119
mit gedenken dicke wol.
mit liebendem Gedenken oft gut.
1120
swie daz sîn herze leides vol
Obwohl sein Herz oft
1121
sî dicke nâ dem luste,
vor körperlichem Verlangen des Leides voll ist,
1122
sô lît doch in der bruste
so liegt doch in der Brust
1123
diu fröude hôhes gingen.
die Freude hoher geistiger Begierde.
1124
mit sus getânen dingen
An solchen Dingen
1125
fröut sich ein herze mange stunt
erfreut sich das Herz gar manche Stunde,
1126
daz im ze handen selten kunt.
was ihm doch selten zuteil wird.
1127
Diz ist der minne senken.
Das ist die vernichtende Kraft der Liebe.
1128
ez mac mit gedenken
Ein Herz kann sich mit liebendem
1129
ein herz sich dar zuo twingen,
Gedenken dorthin zwingen,
1130
dâ von ez kûme bringen
wovon es kaum jemand anderer
1131
mag iemen sunder sterben.
als der Tod abbringen kann.
1132
swâ nâch der lîp wil werben,
Wonach der Körper auch strebt –
1133
ist ouch dem herzen dar zuo gâch,
zieht es auch das Herz dorthin,
1134
er wirbet deste baz darnâch.
strebt er umso stärker danach.
1135
Sus was ouch disem fürsten.
So erging es auch diesem Fürsten.
1136
sîn frîgez herze er türsten
Sein freimütiges Herz ließ er
1137
liez nach hôher minne.
nach hoher Minne dürsten.
1138
er hâte sîne sinne
Er hatte seine Sinne
1139
mit den gedenken dar zuo brâht,
mit stetem Denken dazu gebracht,
1140
daz sî alle zît verdâht
dass sie immer auf die eine
1141
wâren an die einen,
konzentriert waren,
1142
die hôchgelopten reinen,
die hoch gelobte Reine,
1143
die kiuschen wol getânen,
die keusche schön Gestalte,
1144
die minneclîch Yrkânen,
die liebliche Yrkane,
1145
der schoen für alle schoene wac.
deren Schönheit alle anderen übertraf.
1146
diu trûtschaft im ze herzen lac
Die Angebetete lag ihm so
1147
sô vesteclîche ûf den grunt,
fest auf dem Grund des Herzens verankert,
1148
daz ir bilde alle stunt
dass ihr Bild allezeit
1149
was vor sîns herzen angesiht,
vor seines Herzens Angesicht war.
1150
ê er mit sîner ougen phliht
Bevor er die Liebliche mit
1151
die minneclichen hât gesehen.
eigenen Augen gesehen hatte,
1152
des muos sîn herze ir schoene jehen.
musste ihm deshalb sein Herz von ihrer Schönheit erzählen.
1153
offenlîch und tougen
Öffentlich und geheim
1154
was daz ob sînen ougen
war, dass ihre Schönheit sich
1155
ir schoene was verwildet.
vor seinen Augen noch verborgen hielt.
1156
sîn herz daz hât gebildet
Sein Herz, das hatte sie
1157
sî nâch sîner girde,
nach seinem Wunsch gestaltet;
1158
und was ir hôhiu wirde
und ihre hohe Würde
1159
alsus in sînem sinne,
war dergestalt in seinem Denken,
1160
daz in betwang ir minne,
dass ihn ihre Liebe bezwang,
1161
ê sî sîn ouge ie gesach.
bevor sein Auge sie erblickt hatte.
1162
hie nâch dô aber daz geschach
Als es aber hernach geschah,
1163
daz diu ougen sâhen
dass die Augen sahen,
1164
dar dâ daz herze gâhen
wohin das Herz mit den Gedanken
1165
hin kunde mit dem sinne,
zu eilen wusste,
1166
dô kan diu süeziu minne
da kam die süße Liebe
1167
und strihte ouge und herz inein,
und führte Auge und Herz zusammen,
1168
alsô daz under disen zwein
sodass diese beiden
1169
niht was wan ein einic lust.
dasselbe begehrten.
1170
den truog er under sîner brust
Das trug er verborgen
1171
verborgenlichen stille.
still in seiner Brust.
1172
sus fuor sîn frîger wille
So erhob sich sein freier Wille
1173
hôch mit den gedenken.
mit den Gedanken.
1174
man sach in aber senken
Man sah ihn abermals harte Lanzen
1175
vestiu sper und stechen.
senken und verstechen.
1176
grôze schefte brechen
Große Lanzenschäfte zu brechen,
1177
was man an im wol genant.
war man von ihm gewohnt.
1178
des landes vogt ûz Engellant,
Der Landesherr aus England,
1179
der junge künic Flôrîs,
der junge König Floris,
1180
bejagt ouch ritterlichen prîs
erjagte mit seinem Gefolge
1181
mit sîner massenîe.
auch ritterlichen Ruhm.
1182
der kiusche wandels frîe
Der keusche Makellose
1183
vertet mit frîges herzen ger
verstach mit dem Begehren seines freimütigen Herzens
1184
manic starkez vestez sper
manch starke feste Lanze
1185
und warp nâ hôhen êren.
und strebte nach hohen Ehren.
1186
mit hôher koste kêren
Mit hohem Einsatz wiederkehren
1187
sach man den schanden trægen,
sah man den Schandelosen.
1188
ich mein von Norwægen
Ich meine den König
1189
den künic mit den barken.
von Norwegen mit den Barken.
1190
in allen Tenemarken
In ganz Dänemark
1191
was niht sô rîcher koste.
gab es keine solchen Reichtümer.
1192
des schilt in roete gloste
Sein Schild leuchtete rot
1193
von rubîn rôt alsam ein gluot.
wie Glut von rotem Rubin.
1194
er und sîn massenîe guot
Er und sein edles Gefolge
1195
ouch worhten ritterlîche tât.
vollbrachten auch ritterliche Taten.
1196
der bûhurt sich gezogen hât
Der Buhurt hatte sich
1197
vast unz ûf des âbents zît.
bis zum Abend gezogen.
1198
man hiez besenden sunder nît
Ohne Hintergedanken befahl man,
1199
die fürsten von den landen
die Fürsten der Länder zu holen,
1200
die ritterschaft erkanden,
denen ritterliche Kultur bekannt war,
1201
wan man die âventiure
da man die Aventiure
1202
mit lobelîcher stiure
auf ehrbare und würdige
1203
wirdeclichen solte geben.
Weise übergeben sollte.
1204
sîn herze in hôher wunne sweben
Das Herz desjenigen kann in hoher Wonne
1205
mac, swem diu sælde ist beschert
schweben, dem das Glück beschert ist,
1206
daz daz heil im widervert
dass ihm das Heil
1207
von der grôzen êre.
durch große Ehre widerfährt.
1208
sîn lîp ist iemer mêre
Er wird davon
1209
dâ von getiuret alliu zil.
immer aufgewertet.
1210
nu was dâ hôher herren vil
Nun waren da viele hohe Herren,
1211
die bî ir triuwe erkanten
die bei ihrer Treue anerkannten
1212
und al dar an genanten
und alle einhellig und
1213
einhelleclichen sunder haz,
neidlos verkündeten,
1214
daz niemen het verdienet baz
dass niemand die Aventiure,
1215
mit sper und ritterlîcher tât
die da des Königs Tochter ausgerufen hatte,
1216
die âventiure, die dô hât
besser mit Lanze und ritterlicher Tat
1217
des künges tohter ûz gesant,
gemeistert hätte,
1218
denn der fürste ûz Sahsen lant
als der Fürst von Sachsen, Reinfried,
1219
Reinfrit, des herze ie schande meit.
dessen Herz sich allzeit von jeglicher Schande fernhielt.
1220
nu sach er wie dort gên im reit
Nun sah er, wie ihm dort diejenige entgegen ritt,
1221
diu der sîn herz ie frouwe jach,
die sein Herz seit jeher »Herrin« nannte,
1222
die sîn gedanc und ouge sach,
die sein Denken und sein Auge sah,
1223
diu in vast ân ir wizzen bant.
die ihn fest, doch ohne ihr Wissen band.
1224
ein turteltûben ûf der hant
Eine Turteltaube brachte
1225
brâhte diu gehiure.
die Schöne auf der Hand.
1226
diz was diu âventiure,
Das war die Aventiure,
1227
als ir dâ vor wol hânt vernomen.
wie ihr davor wohl vernommen habt.
1228
man hiez daz sî dem fürsten fromen
Man befahl, dass sie dem frommen Fürsten
1229
solt die âventiure geben,
die Aventiure übergebe,
1230
sît daz sîn lîp und ouch sîn leben
da sein Leib und auch sein Leben
1231
sich an êren nie versneit.
sich nie von Ehre entfernt hatten.
1232
im hiez diu minneclîche meit
Das liebe Mädchen befahl ihm,
1233
den heln selbe binden dan.
selbst den Helm abzubinden.
1234
ir lieplîch smieren sach in an
Sie lächelte ihn lieb an
1235
und sprach ,fromer fürste wert,
und sagte: „Frommer werter Fürst,
1236
dîn lîp der hôher êren gert,
dein Leib, der hohe Ehren begehrt,
1237
hât grôzen lop errungen,
hat großes Lob errungen,
1238
sît daz dir ist gelungen
weil du dich hier
1239
hie an ritterschefte.
im ritterlichen Kampf bewiesen hast.
1240
wol der starken krefte
Heil der starken Kraft,
1241
diu sô manlîch ellent hât,
die so männlichen Mut hat,
1242
daz sî sô wirdenclichen gât
dass sie so würdevoll
1243
nâ hôher êren stiure.
zum Ziel hoher Ehren strebt.
1244
sich, diu âventiure
Sieh, die Aventiure
1245
ist dir ze gebende bereit.
ist bereit, sich dir zu schenken.
1246
des sol dîn êre werden breit
Dadurch soll deine Ehre berühmt werden
1247
für alle die har komen sint.‘
vor allen, die hierher gekommen sind.“
1248
alsus daz minneclîche kint
So wusste das liebliche Kind
1249
dem fürsten kunde zarten.
dem Fürsten zu schmeicheln.
1250
er lie sîn ougen warten
Er ließ seine Augen auch
1251
ouch an daz grôze wunder,
das große Wunder anstaunen,
1252
daz im wê tet under
das ihm in der Brust
1253
sîner bruste und dâ bî wol.
zugleich wohl und wehtat.
1254
sîn herze wart sô fröuden vol
Sein Herz war so von Freude erfüllt,
1255
daz im sorge gar entweich.
dass ihn jegliche Sorge floh.
1256
ir angesiht diu tet in bleich
Ihr Gesicht ließ ihn
1257
von rehter fröuden schrecken.
vor ehrlicher Freude erbleichen.
1258
diu fröude in herzen stecken
Die Freude verursachte
1259
tet jâmer nâ dem luste.
in seinem Herzen schmerzliches Verlangen.
1260
daz herz mit manigem juste
Das Herz erhob sich mit manchem Stoß
1261
fuor über sich alsam ez flüge.
über sich selbst, als ob es flöge.
1262
ich wæne ir schoene ez an sich züge
Ich glaube, ihre Schönheit zog es stärker
1263
vaster denn der agestein
an sich, als es der Magnet
1264
daz îsen tuot: ir schoene schein
mit dem Eisen tut: Ihre Schönheit strahlte
1265
im dur sîns vesten herzen grunt.
bis auf den Grund seines standhaften Herzens.
1266
er was sô süezer wunden wunt,
Er litt an so süßen Wunden,
1267
swenn in ir süezer smerze lie,
dass er sich danach zurücksehnte
1268
daz er ein trûren denne enphie
wenn ihr süßer Schmerz ihn verließ,
1269
und wart jæmerlîche var.
und ganz bleich wurde.
1270
und sô sîn sendez herze dar
Und wenn es sein sehnsuchtsvolles Herz
1271
in jâmer mit gedenken swanc,
in schmerzlichem Gedenken dorthin zog,
1272
sô wart daz trûren daz în twanc
so wurde der Schmerz, der ihn gefangen hielt,
1273
dest ringer und dest kleinre.
umso weniger und umso kleiner.
1274
minne twanc ist reinre
Die Gewalt der Liebe ist reiner
1275
denn ihts iht, des ich wæne.
als alles andere, vermute ich.
1276
ir art ist seltsæne,
Ihr Wesen ist einzigartig,
1277
sît ir wê gît hôhen muot.
da ihr Weh die Stimmung hebt.
1278
sô sî dem man ie wirser tuot,
Überfällt sie einen Mann besonders schlimm,
1279
sô liebet sî im aller meist.
liebt sie ihn am allermeisten.
1280
diz hât mit ganzer volleist
Das hat in ganzer Vollendung
1281
der fürste wol enphunden.
der Fürst sehr wohl empfunden.
1282
der süezen minne wunden
Die süßen Schmerzen der Liebe
1283
hâten in bevangen.
hielten ihn gefangen.
1284
ir senfter blic durgangen
Ihr sanfter Blick hatte
1285
hât gar sînes herzen sin:
den Verstand seines Herzens durchdrungen:
1286
des was sîn trûren gar dâ hin.
Deswegen war seine Trauer verschwunden.
1287
Sus twang in in dem sinne
So bezwang ihn in seinem Verstand
1288
diu süeze strenge minne
die süße strenge Liebe
1289
und lie sî lidic unde frî.
und er ließ sie ledig und frei.
1290
diu küneginne hielte bî
Die Königin weilte bei
1291
im, dem sî in herzen lac.
ihm, der sie im Herzen trug.
1292
sîn herze mit gedenken pflac
Sein Herz war in liebendem Gedenken
1293
sô minneclîche schône,
so um Liebe bemüht
1294
und gap sî im ze lône
und sie gab ihm nichts als
1295
niht wan süezez ungemach.
süßes Ungemach als Lohn.
1296
sus huop der fürste unde sprach:
So hob der Fürst an und sprach:
1297
,Ei werdiu küneclîchiu fruht,
„Ei, werter königlicher Spross,
1298
ir hânt an mir sô grôze zuht
Ihr habt mir so viel Liebenswürdigkeit
1299
begangen daz ir ist ze vil.
erwiesen, dass es zu viel ist.
1300
het ich der âventiure zil
Habe ich das Ziel der Aventiure
1301
errungen, des enweiz ich niht.
errungen, so weiß ich nichts davon.
1302
sît daz man hôhe krône siht
Weil man nämlich gekrönte Häupter
1303
hie werben nâ dem prîse,
hier nach Ruhm streben sieht,
1304
sol mit des lobes rîse
weiß ich, dass es für mich
1305
mîn lîp gezieret schînen,
viel zu viel der Ehre ist,
1306
sô weiz ich daz ez mînen
sollte mein Leib mit dem Ruhmeszweig
1307
êren ist mê denn ze vil.‘
geschmückt erscheinen.“
1308
sî sprach ,ich heizez unde wil,
Sie sprach: „Ich befehle und will es,
1309
daz ir sî enphâhent.
dass Ihr sie [scil. die Taube] empfangt.
1310
wan ob ir ez versmâhent,
Denn wenn Ihr sie verschmäht,
1311
ir sint niht guotes gruozes wert.
seid Ihr rechten Gruß nicht wert.
1312
morne solt ir mit dem swert
Morgen sollt Ihr auch
1313
diu lider ouch erswingen.
mit dem Schwert antreten.
1314
mügt ir den prîs erringen,
Könnt Ihr den Preis erringen,
1315
iuch wirt daz golt und ouch mîn kus.‘
werden das Gold und auch ein Kuss von mir Euch gehören.“
1316
diu wort dur sînes ôren duz
Die Worte drangen ihm
1317
reht als ein mezzer hiuwen.
gerade so wie Messer in die Ohren.
1318
sî stôrten senden riuwen
Sie störten den sehnsuchtsvollen Schmerz
1319
und brâhten lustic girde.
und brachten verlangende Begierde.
1320
ir hôherborne wirde
Ihre hochwohlgeborene Würde
1321
im tougen in sîn herze seic.
senkte sich ihm heimlich ins Herz.
1322
lîp und gedanc mit sinnen neic
Körper und Gedanke neigten sich mit den Sinnen
1323
der kiuschen wandels kranken.
hin zur keuschen Makellosen.
1324
,ich mac noch kan voldanken‘,
Er sagte: „Ich kann Euch nicht einmal
1325
sprach er, ,iuch halp der êre niht
für die Hälfte der Ehre, die mir
1326
diu unverdienet mir beschiht.‘
unverdient zukommt, ausreichend danken.“
1327
Sus bôt sî im die tûben dar.
So streckte sie ihm die Taube hin.
1328
nu kam gerennet manic schar
Nun eilten viele heran
1329
dur hoeren und dur schouwen.
um zu hören und zu sehen.
1330
mit allen iren frouwen
Mit allen ihren Hofdamen
1331
diu küngîn mit im zogte.
ging die Königin mit ihm.
1332
ich wæn daz es dem vogte
Ich glaube, dass es dem Herrn
1333
von Rôm gewesen wær ze vil.
von Rom zu viel gewesen wäre.
1334
alsus hât sich der ritter spil
Ob da jemandem seine Freude
1335
den tac rîlîch volendet.
durch Neid geschmälert wurde?
1336
ob iemen dâ gephendet
Ob da jemand in seiner Freude
1337
an fröuden würde dur den nît?
durch den Neid gestört wurde?
1338
nein, sîn lop sô hôhe lît
Nein, sein Lob war so erhaben
1339
und was sô wît erklungen,
und so weithin erklungen,
1340
daz im gemeine zungen
dass ihm alle
1341
für ander lobes jâhen.
vor den anderen Lob zusprachen.
1342
man sach dar balde gâhen
Man sah die gernden alle in gleicher Weise
1343
die gernden al gelîche.
gar schnell eilen.
1344
mit manger krîge rîche
Mit manch lautem Ruf
1345
hôrte man in grüezen.
hörte man ihn grüßen.
1346
daz lop begunde süezen
Das Lob klang auch
1347
ouch in der frouwen ôre.
in den Ohren der Damen süß.
1348
ûz seiten noch ûz rôre
Weder von Saiten- noch von Blasinstrumenten
1349
wart nie sô senftez doenen,
kam jemals so lieblicher Klang,
1350
als dâ man einen kroenen
wie man da einen mit Worten
1351
mit worten lobelichen kan.
lobend zu krönen wusste.
1352
sî reit im bî und sach in an
Sie [scil. Yrkane] ritt neben ihm und sah ihn an,
1353
biz daz sî gedahte
bis sie bei sich dachte:
1354
,disen helt den brâhte
„Diesen Helden, den führte
1355
sîn ellent har dur ritterschaft.
seine Tapferkeit zur ritterlichen Bewährung hierher.
1356
ei got wie hât sîn manlîch kraft
Ach Gott, wie hat seine männliche Kraft
1357
sô ritterlîch gehurtet.
so ritterlich gekämpft.
1358
sîn adel hôhgeburtet
Sein angeborener hoher Adel
1359
in lobelichen zieret.
ziert ihn rühmlich.
1360
sîn lîp sô gar gefieret
Sein Leib erstrahlt so schön
1361
in hôher wirde schînet.
geschmückt in großer Würde.
1362
hât er sich hie gepînet
Hat er sich hier im Dienst
1363
in dienest keiner frouwen,
einer Dame gequält,
1364
der herze mac betouwen
kann deren Herz gut
1365
wol mit hôher wünne.
mit hoher Würde behaftet werden.
1366
er hât sô hôhez künne,
Er ist von so hoher Abstammung,
1367
sô rîche lant, sô manlîch kraft,
besitzt so reiche Länder, so männliche Kraft,
1368
sô starken lîp ze ritterschaft,
einen so starken Körper für ritterliche Bewährung,
1369
daz er ist hôhes gruozes wert.
dass er hoher Anerkennung wert ist.
1370
ob er eht gruoz von wîben gert?
Ob er nach der Anerkennung der Damen strebt?
1371
jâ er, jâ: war hât mîn sin
Ja, wahrhaftig, ja: Wohin hat mein Verstand
1372
mich selben brâht? wâ was ich hin?
mich gebracht? Wo dachte ich hin?
1373
solt er niht wîbe gruozes gern?
Sollte er etwa nicht nach der Anerkennung der Damen streben?
1374
ich wæne daz sîn herze wern
Ich glaube, dass sein Herz sehr wohl
1375
künne hôhen dienest wol
Damen, denen er dienen soll
1376
frouwen den er dienen sol
und denen sein Herz ergeben ist,
1377
und den sîn herze dienest treit.
hohen Dienst leisten könnte.
1378
ich weiz sîn niht, iedoch sô seit
Ich kenne ihn nicht, doch sagt
1379
mir mîn sin ez sî alsus.
mir mein Verstand, dass es so ist.
1380
wolte got solt im der kus
Wollte Gott, würde er
1381
morne von mir werden.
morgen den Kuss von mir bekommen.
1382
ich wæn ûf aller erden
Ich glaube, auf der ganzen Erde
1383
man iender ritter funde
fände man keinen Ritter,
1384
dem ich sîn lieber gunde
dem ich ihn lieber gönnte
1385
denn im der mit rîlîcher tât
als ihm, der mit herrlicher Tat
1386
sô hôhez lop erworben hât.‘
so großes Lob erworben hat.“
1387
Sus was ir in gedenken.
So dachte sie bei sich.
1388
ir herz sich wolte senken
Ihr Herz wollte sich ebenfalls
1389
ouch nâ minne girde.
dem Verlangen der Liebe anheim geben.
1390
sus reit mit hôher wirde
So ritt mit großer Würde
1391
des wunsches kint, ein wünschelî
das Wunschkind, das Wünschelein.
1392
ob ir gedenke sîen frî?
Ob ihre Gedanken frei waren?
1393
nein sî, nein, sî vâhten
Nein, sie waren es nicht, sie fochten
1394
mit süezer nôt und flâhten
mit süßer Not und verflochten
1395
sich vast in minne stricke.
sich fest in die Fallstricke der Liebe.
1396
dâ zuo ir senden blicke
Dazu schossen ihre sehnsuchtsvollen Blicke
1397
ûz ouge in ougen schuzzen.
aus ihrem Auge in die Augen des anderen.
1398
dur herzen grunt sî guzzen
Auf den Grund des Herzens
1399
minneclîche swære.
gossen sie die Last der Liebe.
1400
wie der zarten wære,
Die Liebliche wusste nicht,
1401
des wist sî niht: ir was niht wê,
wie ihr geschah: Ihr war nicht weh,
1402
und wart ir herze doch nie mê
doch wurde ihr das Herz so schwer
1403
sô swær und sô ânmehtic.
und ohnmächtig, wie später nie mehr wieder.
1404
ir sinne wâren trehtic
Ihre Sinne zog es
1405
dar dâ sî meisterinne was
dorthin, wo sie Herrin war
1406
und gewalteclichen saz
und mit Macht in der Kammer
1407
in sîns herzen klûse,
des Herzens desjenigen saß,
1408
der bî dem künc Artûse
der bei König Artus
1409
mit hôhen êren under
mit großen Ehren unter
1410
den von der tâvelrunder
denen von der Tafelrunde
1411
het genomen werden siz,
den Ehrenplatz eingenommen hätte.
1412
sît daz sîn zuht der mâze riz
weil seine Wohlerzogenheit
1413
an keinen sachen nie versneit.
immer das rechte Maß hielt.
1414
alsus er von dem plâne reit
So ritt er von der Wiese
1415
und hât erfohten hôhen prîs,
und hatte großen Ruhm erfochten
1416
mit im der künc Fontânâgrîs
und mit ihm der König Fontanagris
1417
und Parlus von den Schotten.
und Parlus von Schottland.
1418
ei waz man süezer notten
Ei, was man vor Freude
1419
vor in schôn dur güften blies.
für liebliche Töne für ihn blies.
1420
wie jener stach und dirre stiez,
Wie jener stach und dieser stieß
1421
waz iegelîcher sper vertet,
und was ein jeder an Lanzen verstach,
1422
des möht ich künden niht, und het
das könnte ich gar nicht berichten – und hätte
1423
ich eine tûsent herzen sin.
ich den Verstand von tausend Herzen.
1424
sî kêrten von dem plâne hin
Sie kehrten von der Ebene hin
1425
ze herberge dur gemach.
zur Herberge um auszuruhen.
1426
ei waz man grôzer kerzen sach
Ei, was man an großen Kerzen
1427
brinnen dur die ganze naht.
die ganze Nacht hindurch brennen sah!
1428
ez hâte niemen schalles braht
Es sorgte niemand für so viel Lärm
1429
wan er, des herz ie wandel flôch.
wie er, dessen Herz stets jeden Makel floh.
1430
er hiez besenden unde zôch
Er ließ holen und zog
1431
an sich swer unenthalten was,
an sich, wer ungebunden war,
1432
ellende ritter, unde las
tapfere Ritter, und sammelte
1433
der sô vil ze sîner schar,
ihrer so viele in seiner Schar,
1434
daz er nâch den turnei gar
dass er nach dem Turnier alle
1435
het gehapt ze sîner sit.
an seiner Seite gehalten hätte.
1436
al dur die naht in widerstrît
Die ganze Nacht über in fröhlichem Wettstreit,
1437
sô wâren sî an sorgen swach,
waren sie ausgelassen,
1438
unz man den liehten morgen sach
bis man den hellen Morgen
1439
al dur die wolken glesten,
überall durch die Wolken blitzen sah
1440
und man ûf grüenen esten
und man in den Bäumen
1441
hôrt kleiner vogel doene.
das Zwitschern kleiner Vögel hörte.
1442
der küele tou hât schoene
Der kühle Tau
1443
anger wisen überspreit.
glitzerte auf den Wiesen.
1444
swaz meie schoener bluomen treit,
Was der Mai an schönen Blumen vorrätig hat,
1445
die wâren dâ entsprungen.
das war da erblüht.
1446
vil schiere wart gesungen
Sogleich wurde ihnen da
1447
in ein schoeniu messe,
eine schöne Messe gesungen.
1448
dar nâch vil manic presse
Danach rüsteten sich
1449
sich ruste ûf den turnei.
alle Scharen für das Turnier.
1450
wie man die herren brach enzwei,
Wie man die Herren in zwei Gruppen teilte,
1451
daz sî sich glîch rottierten,
sodass sie sich gleichmäßig aufteilten,
1452
und wele samt turnierten,
und welche miteinander kämpften,
1453
daz wart geteilet schiere.
das wurde schnell bestimmt.
1454
der künge wâren viere,
Es gab vier Könige.
1455
von Tenemark, von Schotten,
Der von Dänemark und der von Schottland
1456
die mit grôzen rotten
standen beim Turnier mit ihren großen Truppen
1457
den turnei hielten zeiner sît.
auf der einen Seite.
1458
Mit in in dem teile lît
Mit ihnen in der Gruppe war
1459
der herzog ûz Wintsester.
der Herzog von Winchester.
1460
der herre von Berbester,
Der Herr von Berbester,
1461
der in der âventiure lac,
der in die Aventiure verwickelt war,
1462
ouch der selben rotten phlac
gehörte mit großem Ruhm
1463
mit hôhgeloptem prîse.
auch zur selben Truppe.
1464
man fuort Fontânâgrise
Man gab Fontanagris
1465
vor ein kreftic ros, was starc,
ein kräftiges, starkes Pferd,
1466
dar ûf der künc von Tenemarc
auf dem der König von Dänemark
1467
sich wolte lâzen schouwen.
sich sehen lassen wollte.
1468
er fuorte von den frouwen
Er trug von den Frauen gefertigte
1469
sô küneclîchiu wâfenkleit,
so königliche Waffenkleider,
1470
daz mîn munt niemer halbes seit
dass mein Mund nie auch nur zur Hälfte die reiche Kostbarkeit,
1471
die rîche koste diu dâ lac,
die darauf verwendet worden war, auszudrücken vermöchte,
1472
wan er sô hôher êren phlac
denn er [scil. Fontanagris] lebte so ehrenvoll,
1473
daz man sîn noch ze guote sol
dass man ihn noch heute zu Recht
1474
niht vergezzen, daz zimt wol.
nicht vergessen soll; das geziemt sich.
1475
Sus fuor an sîner sîten
So war an seiner Seite
1476
und sach man bî im rîten
und sah man bei ihm reiten
1477
Lorîs den künec von Schotten.
Loris, den König von Schottland.
1478
sîn triuwe im hât gebotten
Seine Aufrichtigkeit hatte ihm geboten,
1479
daz er schande gar vermeit.
dass er Schande ganz und gar mied.
1480
sîn küneclîchez wâfenkleit,
Wer seine königliche Turnierausrüstung
1481
swer daz prüeven welle,
prüfen wollte, fand sie, wie folgt:
1482
von golt ein liehter phelle
Aus Gold und glänzendem Fell
1483
was sîn covertiure,
war seine covertiure
1484
und was nâ hôher stiure
und gemäß edler Sitte
1485
von kelen rôt dar în geleit
war aus dem roten Kehlstück
1486
ûf schiltes tach und wâfenkleit
in Schildbespannung und Rüstung
1487
eins löwen bilde grimmende
das Bild eines brüllenden und
1488
und ûf ze berge klimmende
sich hoch aufrichtenden Löwen eingearbeitet,
1489
reht alsam er lepte.
ganz so, als lebte er.
1490
umb den löwen swepte
Um den Löwen rankte sich
1491
ein smal gezieret schiltes rant.
am Rand des Schildes ein schmales Schmuckband.
1492
von golde rîch der strich erkant
Das Band war aus hochkarätigem Gold
1493
was und dar în geströuwet
und hineingestreut war
1494
ein kost diu mich erfröuwet,
eine Kostbarkeit, die mich erfreut,
1495
swenn ich dar an gedenke.
wann immer ich daran denke.
1496
umb des schiltes renke,
Um den Rand des Schildes,
1497
die des löwen phlâgen,
der den Löwen umfasste,
1498
von saphîren lâgen
waren kleine Lilien
1499
liljen klein dar în geworht,
aus Saphiren eingelegt,
1500
die der fürste unervorht
die der unerschrockene Fürst
1501
ze velde wolte füeren.
mit ins Feld führen wollte.
1502
von dem striche rüeren
Von dem Strich sah man
1503
sach man die bluomen ûz und în.
links und rechts die Blumen abstehen.
1504
ein liehtiu krône guldîn
Eine strahlende Krone aus Gold
1505
lag ûf sînes helmes tach.
lag oben auf dem Helm.
1506
dar nâch man schiere rîten sach
Gleich dahinter sah man Parlus
1507
Parlûsen von Wintsester,
von Winchester reiten,
1508
des herze an triuwen vester
dessen Herz in Bezug auf Treue beständiger
1509
was denn ein herter adamas.
war als ein harter Diamant.
1510
sîn wâfenkleit, als ich ez las,
Seine Rüstung leuchtet, wie ich las,
1511
schein rôt von rubînen,
rot von Rubinen
1512
und sach man verre schînen
und man sah daraus
1513
dar ûz ab des schiltes tach
weithin vom Dach des Schildes
1514
von golde ein strîmel, diu brach
einen Streifen aus Gold leuchten, der
1515
von obnen ab unz in den spiz,
von oben bis zur Spitze verlief,
1516
und gâben dar ûz liehten gliz
und drei Rosen aus Zobel
1517
von zobel rîcher rôsen drî.
leuchteten hell daraus hervor.
1518
dar under sich der wandels frî
Darunter wollte sich der Makellose
1519
ze velt wil lâzen schouwen
auf dem Kampfplatz
1520
in dienste werder frouwen.
im Dienst edler Damen sehen lassen.
1521
Sus man den fürsten rîten sach.
So sah man den Fürsten reiten.
1522
von golde lieht sîns helmes tach
Zwei Hörner aus leuchtendem Gold
1523
zwei horn hâten bedecket,
hielten seinen Helm oben bedeckt
1524
und was dar ûf gestecket
und darauf gesteckt war
1525
ein grât von manges phâwen veder,
ein Kamm aus vielen Pfauenfedern
1526
unde hât der horn ietweder
und jedes Horn hielt
1527
von zobel rîchiu jagebant.
ein wertvolles Jagdband aus Zobel.
1528
bî im man nâhe rîten vant
Nahe bei ihm reiten sah man
1529
den fürsten rîch Turnîsen
den mächtigen Fürsten Turnis
1530
von Berbester, des prîsen
von Berbester, dessen Ruhm man
1531
man hôrte verre in wîtiu lant.
noch weithin in fernen Ländern hörte.
1532
sîniu wâfen unerkant
Seine Turnierausrüstung war
1533
waren zuo den zîten.
zu dieser Zeit noch unbekannt.
1534
den fürsten sach man rîten
Man sah den Fürsten
1535
in rôter wât alsam ein bluot.
in blutrotem Gewand reiten.
1536
ich wæne daz der minne gluot
Ich glaube, dass die Glut der Liebe
1537
im sîn herze brante.
ihm sein Herz entzündete.
1538
dâ von man in erkante
Daher erblickte man ihn
1539
under der minne varwe.
in der Farbe der Liebe.
1540
ors unde man begarwe
Ross und Reiter glühten
1541
in rôter varwe brunnen,
ganz in Rot,
1542
sô daz ez gên der sunnen
sodass sie den Augen
1543
gab ougen liehten widerglanz.
das Sonnenlicht hell zurückwarfen.
1544
wie iegelîcher wâfen ganz
Wie die Ausrüstung eines jeden genau
1545
fuorte, des enweiz ich niht.
beschaffen war, weiß ich nicht.
1546
ir lande noch ir namen phliht
Weder ihre Länder noch ihre Namen
1547
hân ich niht wol genomen war.
habe ich vollständig erfahren.
1548
sî fuorten ie in irre schar
Sie führten jeder in ihrer Schar
1549
vil röscher ritter tûsent.
viele tausend wackere Ritter.
1550
hin ûf den plân sî sûsent
Sie eilten mit herrlichen großen Truppen
1551
mit rîchen rotten grôzen.
hin auf den Kampfplatz.
1552
man sach die schanden blôzen,
Man sah die ohne Schande,
1553
den künc von Engellanden
den König von England
1554
und von Norwæg, sich handen
und den von Norwegen, sich ebenfalls
1555
ouch zuo der plânîe.
ihren Weg hin auf die Ebene bahnen.
1556
wie ir geræte sîe
Wie ihre Waffen und ihre Ausrüstung
1557
und wâfen, daz ist iuch bekant.
waren, ist euch bekannt.
1558
sî hâten den von Sahsen lant
Sie hatten sich den aus Sachsen
1559
ze houbetman in ûz erkorn.
zum Anführer auserkoren.
1560
dur ir zuht des wolt enborn
Ihrer Abstammung wegen wollte er darauf
1561
er hân, dô moht es niht ensîn.
verzichten, aber das konnte nicht sein.
1562
sî tâten hôhe wirde schîn
Sie machten große Würde offenbar
1563
an im, der sich ie êren fleiz.
an ihm, der sich stets um Ehre bemühte.
1564
hin ûf der planîe kreiz
Hin zur Kampfarena
1565
sî hurten alle schiere.
eilten sie alle schnell.
1566
under der baniere
Unter dem Banner
1567
von der âventiure
der Aventiure
1568
wolt sich der gehiure
wollte sich der Treffliche
1569
des tages lâzen schouwen.
an diesem Tag sehen lassen.
1570
ob im von werden frouwen
Ob ihm von edlen Damen
1571
ie tougen würd gezartet?
da heimlich ihr Wohlwollen gezeigt wurde?
1572
jâ, iedoch sô wartet
Ja, jedoch hielt er
1573
er ûf sî altere eine,
ganz allein nach derjenigen Ausschau,
1574
diu ie von kindes beine
die schon von Kindesbeinen an
1575
was der minne wünschelrîs.
alle Liebe auf sich gezogen hatte.
1576
er leit ie allen sînen flîz,
Er sann mit aller Kraft darauf,
1577
wie er sich meht genæhen dar,
wie er sich ihr nähern könnte,
1578
daz sî der tæte næme war
damit sie die Taten wahrnähme,
1579
die er dur sî begienge.
die er ihretwegen beginge.
1580
,ei süeze minn, wan vienge
„Ei süße Liebe, wenn deine Kraft
1581
sî dîn gewalt, als du mich hâst
sie nur einfinge, wie du mich gefangen
1582
gevangen! minne, war um lâst‘,
hast! Liebe, warum“,
1583
sprach er, ,du sî sorgen bar,
sprach er, „lässt du sie sorglos
1584
und ninst sô herreclichen war
und widmest dich mir
1585
mîn ze allen stunden?
so herrisch zu jeder Zeit?
1586
sî hât mîn herz gebunden
Sie hat mein Herz gefesselt
1587
und ist sî lidic unde frî.
und ist selbst unbeschwert und frei.
1588
sol der smerze wonen bî
Wenn der Schmerz allein bei mir
1589
mir alleine, ich bin tôt.
zuhause ist, bin ich tot.
1590
ouwê, süezez mündel rôt,
Oh weh, süßes rotes Mündchen,
1591
würde dir mîn swære kunt!
würde dir doch mein Elend bekannt!
1592
wie hât sô gar der sælden funt
Wie hat die Kunst der Glückseligkeit
1593
an dich geleit sîn vollez mez!
so ganz ihr volles Maß an dich gelegt!
1594
mîn herze entoeret sich, wan ez
Mein Herz macht sich zum Idioten, indem
1595
ûz jâmer nâ dir ringet.
es aus Schmerz um dich kämpft.
1596
ei got, ob mir gelinget,
Ach Gott, wird es mir gelingen,
1597
daz mir ir munt gît kusses gruoz?
dass mich ihr Mund küsst?
1598
jâ, mîn lîp sol unde muoz
Ja, mein Körper soll und wird sich
1599
arbeiten ûf die zuoversiht.
in der Hoffnung darauf plagen.
1600
ob daz grôze heil beschiht
Wenn mir das große Glück
1601
mir, sô ist mir deste wirs.
beschieden ist, geht es mir umso schlechter.
1602
ob daz lieplîch küssen irs
Wenn mich das liebliche Küssen
1603
mündels mich berüeret,
ihres Mündchens berührt,
1604
dâ von wirt zerfüeret
wird davon die höchste Kraft
1605
mîner fröude hoehstiu maht,
meiner Freude zerstört,
1606
ob ir sin niht nimet aht
wenn sie den bitterlichen Schmerz
1607
des bitterlichen smerzen
nicht bemerkt,
1608
den ich in grunt des herzen
den ich im Grunde meines Herzens
1609
unmæzlîche lîde.
ohne Maß leide.
1610
nâ ir des tôdes snîde
Ihretwegen wird die Klinge des Todes
1611
wirt gegen mir gewetzet,
gegen mich gewetzt,
1612
wan daz küssen hetzet
weil mich das Küssen
1613
mich in den tôt mit senfter gift,
mit dem zarten Geschenk in den Tod treibt,
1614
sam diu Syrêne, sô man schift
wie die Sirene es mit der Stimme macht,
1615
bî ir, tuot mit der stimme.
wenn man mit dem Schiff in ihre Nähe kommt.
1616
sus in des tôdes grimme
So führt mich ihre Schönheit
1617
leitet mich ir schoene.
in den Abgrund des Todes.
1618
ei waz strenger loene
Ach, welch harten Lohn
1619
gîst du mir, süeze minne!‘
gibst du mir, süße Liebe!“
1620
nu saz diu küneginne
Nun saß die Königin
1621
hôh enbor dur schouwen
der Sicht wegen hoch oben
1622
wol mit fünf hundert frouwen.
mit fünfhundert Damen.
1623
Als sî den hôherbornen sach,
Als sie den Auserwählten sah,
1624
dem ir herze tougen jach
dem ihr Herz heimlich
1625
lieplîcher friuntschefte,
liebevolle Freundschaft zusagte,
1626
minne mit ir krefte
brachte die Liebe mit ihren Kräften
1627
hât ir herze dâ zuo brâht
ihr Herz dazu,
1628
daz sî was an in verdâht
dass sie die ganze Nacht über
1629
gar gesîn die ganze naht,
in Gedanken an ihn versunken war,
1630
wan sî mit gedenken vaht
weil sie in Gedanken focht,
1631
hin und har als ob sî strite.
hin und her, als ob sie kämpfte.
1632
ob ir herze iht kumber lite
Ob ihr Herz leicht
1633
alles mit gedenken?
in Gedanken Kummer litt?
1634
als sî wolte wenken
Sobald sie von ihm lassen
1635
von im, sô zôch der sin hin zuo,
wollte, zog der Verstand sie hin zu ihm,
1636
die ganze naht biz morgen fruo,
die ganze Nacht bis zum frühen Morgen,
1637
daz sî lac in sorgen tief.
sodass sie in tiefen Sorgen dalag.
1638
swenn ir ouge êrst entslief,
Sobald ihr die Augen zufielen,
1639
des sî niuwan dûhte,
schien ihr erneut,
1640
ie zehant sô lûhte
er leuchtete sofort
1641
er vor ir in dem schîne
vor ihr auf und erweckte den Anschein,
1642
als ob er solte sîne
als ob er seinen Mund
1643
mündel an irz drücken.
auf ihren drücken würde.
1644
der troun begunde lücken
Der Traum lockte
1645
ir herze gên der minne zil,
ihr Herz hin zum Ziel der Liebe,
1646
alsam ein jungez vederspil
wie ein junger Greifvogel,
1647
daz man mit luoder reizet,
den man mit Lockspeise reizt,
1648
ê mit im werd gebeizet.
bevor mit ihm gejagt wird.
1649
Swenn sich der troun volendet,
Sobald der Traum zum Ende kam,
1650
sô wart diu schoen gephendet
wurde die Schöne
1651
girdeclîcher küsse.
begieriger Küsse beraubt.
1652
des jâmers überflüzze
Aus Überfluss des Jammers
1653
sî tet ersiufzen dicke.
seufzte sie oft auf.
1654
sî sprach mit mangem schricke
Erschrocken sprach sie:
1655
,wâfen, wie ist mir beschehen?
„Aufgewacht! Wie ist mir geschehen?
1656
nu hânt mîn ougen doch gesehen
Nun haben meine Augen doch schon
1657
mengen ritterlîchen helt,
manchen ritterlichen Helden gesehen,
1658
des prîs, des lop, des lant gezelt
dessen Ruhm, Lob und Länder
1659
an êren ist wol im gelîch,
sicherlich ebenso ehrenvoll wie seine sind,
1660
und wart mîn herz sô jâmers rîch
und doch wurde mein Herz
1661
nie von der gesihte.
von ihrem Anblick nie so voll des Jammers.
1662
hât er mit zoubers phlihte
Hat er mich mit Zauberkräften
1663
mich von sinnen alsus brâht?
meiner Sinne beraubt?
1664
nein, mîn sin hât sich vergâht,
Nein, mein Verstand war vorschnell,
1665
daz ich in zoubers zîhe.
dass ich ihn der Zauberei bezichtigte.
1666
ûz herzen grunt ich lîhe
Aus dem Grund meines Herzens
1667
im lieplîchez gedenken.
lasse ich ihm liebreiches Gedenken zukommen.
1668
der sin kan sich mir senken
Der Verstand kann sich mir
1669
von im har in mîn herze.
von ihm her in mein Herz senken.
1670
diz ist der bernde smerze,
Das ist der furchtbare Schmerz,
1671
dar an ich mîne sinne wene.
auf den ich meine Sinne lenke.
1672
sô ich ie vaster nâ im sene,
Je stärker ich mich nach ihm sehne,
1673
sô mir ie wirser von im wirt.
umso schlechter geht es mir deshalb.
1674
ach daz sô strenge swære birt
Ach, dass mich sein freimütiges Tjostieren
1675
mir sîn frîlîch justen!
so schwer bedrückt!
1676
under mînen brusten
In meiner Brust
1677
lît diu lustic girde
liegt das begierige Verlangen,
1678
dâ mit sîn hôhiu wirde
mit dem seine hohe Würde
1679
mich minneclîchen bindet.
mich liebevoll fesselt.
1680
ich suoche fröud, sô vindet
Suche ich Freude, so findet
1681
mîn herze bitter swære.
mein Herz bittere Bedrückung.
1682
sol ich niht sorgen lære
Wenn ich von dem Anblick
1683
werden von der angesiht,
nicht meiner Sorgen ledig werde,
1684
sô weiz ich daz mir reht beschiht
so weiß ich, dass mir recht geschieht
1685
nâ mîner sinne dunke
wie ich vermute,
1686
als man seit von dem unke,
wie man auch vom Basilisken sagt,
1687
swen der siht, der sîe tôt.
dass stirbt, wen er anblickt.
1688
sîn sehen mir ouch tôdes nôt
Sein Blick bringt auch mich in
1689
tuot, ob ez niht senftet sich.
Todesnot, wenn sich das nicht beruhigt.
1690
ei süeziu minne minneclich,
Ei, süße liebliche Liebe,
1691
troest und hilf und gib mir rât,
tröste und hilf und gibt mir Rat,
1692
sît al mîn leben an dir stât.‘
weil mein ganzes Leben von dir abhängt.“
1693
Alsus was ir gedenken.
So waren ihre Gedanken.
1694
swenn ir sin wolte wenken,
Wann immer ihr Verstand davon lassen wollte,
1695
sô wolt ir herze niht dâ von.
wollte das Herz nicht davon weg.
1696
sî lernet des sî ungewon
Sie lernte, was sie im Herzen
1697
biz dar in herzen was gewesen.
bis jetzt nicht gewöhnt gewesen war.
1698
,ei‘, sprach sî, ,sol ich genesen
„Ei“, sprach sie, „werden meine Sinne
1699
in den sinnen iemer?
jemals genesen?
1700
nein zwâre, ich mac niemer
Nein, fürwahr, ich kann
1701
werden frô die wîl ich lebe,
mein Lebtag nicht mehr froh werden,
1702
ez kume denn sô hôhiu gebe
es sei denn, es käme ein so hohes Geschenk
1703
von im ze mir, dâ von mîn sin
von ihm zu mir, wovon mein Verstand
1704
gelîhtet werde, wan ich bin
unbeschwert würde, weil ich
1705
alze vast an in verdâht.
meine Gedanken allzu sehr an ihn verloren habe.
1706
dâ zuo hât mich minne brâht.‘
Dazu hat mich die Liebe gebracht.“
1707
Sus saz sî mit der trahte
So saß sie mit ihren schweren Gedanken
1708
und hât dekeine ahte
und nichts in der Welt war
1709
ûf al die welte wan ûf in,
ihr wichtig außer ihm,
1710
dem ir herze und ouch ir sin
dem ihr Herz und auch ihr Verstand
1711
was lieplîch zuo gebunden.
in Liebe verbunden waren.
1712
nu hâten an den stunden
Nun hatten sich zu dieser Zeit
1713
die schar sich gerottieret.
die Scharen zusammengefunden.
1714
schône geflôrieret
Schön geschmückt
1715
sach man sî zemen stapfen.
sah man sie nebeneinander marschieren.
1716
ez solte niemen kapfen
Es sollte niemand den anderen
1717
dem andern dô dur füeren.
wegen des Führens angaffen.
1718
ob sî diu ors iht rüeren?
Ob sie die Pferde nicht mit den Sporen rührten?
1719
jâ vaste zuo den sîten.
Ja, sie traten sie fest in die Flanken.
1720
ir hurteclîchez rîten
Ihr schnelles Reiten ließ
1721
tet anger plân erzittern.
den Rasenplatz erzittern.
1722
von zwein tûsent rittern
Zweitausend Ritter
1723
huob sich ein rîlîch vehten.
begannen eifrig zu kämpfen.
1724
man sach die rotten flehten
Man sah die Rotten sich
1725
sich vaste in ein ander.
fest ineinander verstricken.
1726
swer ihts iht suoht, daz vander
Wer auch immer Ritterschaft
1727
dâ von ritterschefte.
suchte, fand sie da.
1728
bî ellenthafter krefte
In der Ausübung tapferer Kräfte
1729
sich schar und schar verwurren.
geriet Schar um Schar ineinander.
1730
man hôrt die slege snurren
Man hörte die Schläge sirren
1731
und in den lüften dôsen.
und in der Luft tönen.
1732
dô wurden liehte rôsen
Da wurden viele leuchtende Rosen
1733
und bluomen vil zertrettet.
und Blumen zertrampelt.
1734
ob iemen wart gesettet
Ob da jemand genug
1735
dâ von ungefüegen slegen?
von wilden Schlägen bekam?
1736
jâ, sich muoste manger legen
Ja, mancher musste sich vorne
1737
vorne ûf den satelbogen.
auf den Sattelbogen legen.
1738
sô der turnei wart gezogen
Wie sich das Turnier hinzog,
1739
hin, sô kam er denne har.
So kam es dann wieder her.
1740
rot und rot sich zemen war
Rotte und Rotte stritten da
1741
hie dâ ûf einen hûfen.
zusammen auf einem Haufen.
1742
sô man den teil ûfen
Sobald man den einen Teil oben
1743
sach, sô lag er denne nider.
sah, lag er auch schon wieder danieder.
1744
ein ritter moht dô sîniu lider
Ein Ritter konnte seine Glieder da
1745
ritterlîch erswingen.
ritterlich gebrauchen.
1746
schar in schar sich dringen
Kämpferisch konnte sich da
1747
dâ vîentlîche kunde.
eine Schar in die andere drängen.
1748
nieman dem andern gunde
Niemand gönnte dem anderen,
1749
für sich nâ prîse stellen.
erfolgreicher als er selbst nach Ruhm zu streben.
1750
man sach dâ mangen vellen
Man sah da manchen vom Pferd
1751
von orse ûf die erde.
auf die Erde fallen.
1752
golt und gestein unwerde
Unnützes Gold und Gestein
1753
ûz schilten wart gekloezet.
wurde aus Schilden geschlagen.
1754
vil setel man enbloezet
Viele Sättel konnte man
1755
moht ûf dem plâne schouwen.
leer geräumt auf der Ebene sehen.
1756
ûz helmen lieht gehouwen
Aus glänzenden Helmen wurden
1757
wurden fiures blicke.
Funken geschlagen.
1758
sich flâhten sunder stricke
Ohne Stricke verflochten sich
1759
die rotten in ein kuppel.
die Rotten zu einer Schar.
1760
zehant sô wart ein truppel
Sogleich wurde ein Trupp dahin
1761
zerstoeret hin, diu ander her.
zerschlagen, der andere dorthin.
1762
dirre sluoc, sô wolte der
Dieser schlug, ein anderer wollte
1763
den ûz dem satel bürzen.
jemanden aus dem Sattel werfen.
1764
dem dritten sach man stürzen
Dem Dritten sah man sein Pferd
1765
sîn ors ûf die plânîe.
auf die Ebene stürzen.
1766
wie sich der wandels frîe
Wie sich der Makellose
1767
von Brûneswîc gehüebe?
von Braunschweig bewährte?
1768
in dem genibel trüebe
In dem Dunstschleier
1769
sach man diu wâfen glenzen.
sah man die Waffen glänzen.
1770
die rotten er durschrenzen
Er wusste die Rotten
1771
kund mit drâtem juste.
mit schnellen Tjosten zu durchbrechen.
1772
er hatte zuo verluste
Er hatte da manchen
1773
mangen dâ gestellet,
zu seinem Schaden gestellt,
1774
der hurteclîch gevellet
der hurtig von ihm
1775
von im zuo dem plâne wart.
auf den Boden befördert wurde.
1776
ei waz liehter schilte schart
Ei, was man an glänzenden Schilden
1777
man sach von sînen handen!
von seinen Händen schartig werden sah!
1778
nu wart der helt bestanden
Nun wurde der Held
1779
von krefteclîchen rotten.
von starken Rotten angegriffen.
1780
der junge künc von Schotten
Der junge König von Schottland
1781
mit slegen ûf in berte,
drang mit Schlägen auf ihn ein,
1782
des sich der fürste erwerte
derer sich der Fürst so
1783
sô ritterlîche snelle,
ritterlich und schnell erwehrte,
1784
daz sîne slege helle
dass seine Schläge hell
1785
dur die wolken duzzen
durch die Wolken tönten
1786
und von den helmen schuzzen
und von den Helmen schossen
1787
des wilden fiures gneisten.
die Funken wilden Feuers.
1788
man sach den fürsten leisten
Man sah den Fürsten
1789
hôhe ritterlîche tât.
hohe ritterliche Taten vollbringen.
1790
sîn frîgez herze niht enlât
Sein freimütiges Herz zögerte nicht,
1791
sich an wirde sûmen.
nach Würde zu streben.
1792
er konde im selben rûmen
Er wusste sich selbst Raum zu verschaffen
1793
mit starken ungefüegen slegen.
mit kräftigen ungebändigten Schlägen.
1794
man sach in mangen ritter wegen
Man sah ihn manchen Ritter
1795
von dem satel ûf die wisen.
aus dem Sattel auf die Wiese bringen.
1796
sîner kraft mües einen risen
Seine Kraft müsste einem Riesen
1797
völleclîch benüegen.
vollkommen ausreichen.
1798
man sach in ie sich füegen
Man sah ihn sich immer hin
1799
hin in daz gedrenge.
in das Gedränge stürzen.
1800
man hât in kurzer lenge
Man erhielt von ihm
1801
von im ein grôz getengel.
in kurzer Zeit viele Schwerthiebe.
1802
alsam die hanfstengel
Wie die Hanfstängel
1803
sach man die rotten spalten.
sah man die Rotten auseinanderbrechen.
1804
ze beiden sîten valten
Zu beiden Seiten fällten
1805
sî ritter ûz der mâze.
sie unmäßig viele Ritter.
1806
ez wart ein wîtiu strâze
Es entstand eine breite Spur
1807
in enge swar er kêrte.
in dem Gedränge, wohin auch immer er sich wandte.
1808
ei waz sîn swert verrêrte
Ei, was sein Schwert an Seide,
1809
sîden golt und steine!
Gold und Steinen verstreute!
1810
nu kan der wandels eine
Nun kam der makellose
1811
Fontânâgrîs mit grôzen scharn
Fontangris mit großen Scharen
1812
hurteclîchen har gevarn
hurtig hierher
1813
ûf den von Engellanden,
gegen den von England geritten,
1814
Florîs, der von schanden
Floris, der sein Herz
1815
sîn herze hât gefrîget.
von Schande befreit hatte.
1816
,Tenemark‘ sô schrîget
„Dänemark“, so schrie
1817
man ûf der einen sîten.
man auf der einen Seite.
1818
sich huop in schimph ein strîten
Im Scherz erhob sich ein Kämpfen,
1819
als ob ez gult ein rîchez lant.
als ob es um ein mächtiges Land ginge.
1820
sus wart der künc von Engellant
So wurde der König von England
1821
von starken rotten umbehabt.
von starken Rotten umschlossen.
1822
ein knappe drâte kam gedrabt
Ein Knappe kam flott herangetrabt
1823
und seit ez dem von Sahsen.
und sagte es dem von Sachsen.
1824
des muoste helfe wahsen
Daraus musste dem jungen Helden
1825
dem jungen helt Florîsen.
Floris Hilfe erwachsen.
1826
man sach in manic îsen
Man sah ihn [scil. Reinfried] manches Eisen
1827
mit swerten nider schrôten.
mit seinem Schwert zerhauen.
1828
diu ors begunden rôten
Die Pferde wurden an den Seiten
1829
von bluote zuo den sîten.
rot von Blut.
1830
dur die rotten rîten
Man ließ ihn unangefochten
1831
man in ungevohten lie.
durch die Rotten reiten.
1832
mit armes swang er umbevie
Mit den Armen umfing er
1833
den künc Fontânâgrîsen,
den König Fontanagris,
1834
des lop man hôhe prîsen
dessen Lob an ritterlichen Taten
1835
sol an ritterlîcher tât.
man hoch rühmen soll.
1836
wes er in nu geniezen lât
Aus welchem Grund
1837
daz er in niht her under warf?
er ihn nicht aus dem Sattel warf?
1838
niemen mich des frâgen darf.
Das braucht mich niemand zu fragen.
1839
doch tet er mit gewalte schîn
Dennoch machte er deutlich klar,
1840
daz ez wol möht gewesen sîn
dass es ohne den geringsten Zweifel
1841
sunder zwîvels wanke.
gut möglich gewesen wäre.
1842
diz lie der schanden kranke
Der ohne Schande war, ließ
1843
dur sîne zuht belîben.
es aus Anstand bleiben.
1844
ob er von reinen wîben
Ob er von reinen Damen
1845
dar umb iht würd gegrüezet?
deswegen etwa geachtet wurde?
1846
jâ, sîn lop daz süezet
Ja, heimlich klang sein Ruhm
1847
in ir ôre tougen.
süß in ihren Ohren.
1848
er hatte sunder lougen
So hatte er [scil. Reinfried] fürwahr
1849
sus den von Engellanden,
den von England,
1850
dô er sô was bestanden,
als er angegriffen wurde,
1851
fridelîch erloeset.
kampflos befreit.
1852
des wart sîn lop geroeset
Davon wird sein Lob geblümt
1853
mit manges ruomes kranze.
mit manchem Ruhmeskranz.
1854
man sach die schilte glanze
Man sah den hellen Schein
1855
mit liehtem schîn erloschen.
der glänzenden Schilde erloschen.
1856
ûf helme gar zerdroschen
Ganz zerhauen lag manch
1857
manic rîch zimierde lac.
teurer Schmuck auf dem Helm.
1858
wes der hôchgelopte phlac
Was der hoch Gerühmte tat,
1859
von Norwæg künic Palarei?
der König Palarei von Norwegen?
1860
mit kreften von im der turnei
Das Turnier wurde von ihm
1861
von juste wart durfüeret.
nach Kräften mit Tjosten gespickt.
1862
vil manic ritter rüeret
Viele Ritter brachten
1863
den plân von sînem hurte.
die Ebene mit ihrem Stoßen in Bewegung.
1864
er kunde ûz engem furte
Er konnte auch aus engen Durchlässen
1865
ouch houwen wîte gazzen.
weite Gassen hauen.
1866
man sach den schanden lazzen
Man sah den von jeder Schande Freien
1867
dur daz gedrenge brechen.
durch das Gedränge brechen.
1868
den jungen künic frechen
Den jungen kühnen König
1869
lie man nâ prîse ringen.
ließ man um Ruhm kämpfen.
1870
diu swert man hôrt erklingen
Die Schwerter hörte man hoch
1871
hôch ûf in den lüften.
oben in den Lüften erklingen.
1872
diz ritterlîche güften
Man sah nicht, dass dieses ritterliche Tönen
1873
sach man ûf sic niht velzen.
zum Sieg geführt hätte.
1874
die rotten kunden welzen
Die Kampfgruppen wussten den Sieg
1875
nu hin nu har mit sigenunft.
mal auf die eine, mal auf die andere Seite zu ziehen.
1876
diz was ie swâ des fürsten kunft
Das war die Situation, auf die der Fürst
1877
von Brûneswîc sich halten
von Braunschweig zusteuerte,
1878
wolt, dâ sach man spalten
als man die Rotten
1879
die rotten sunder bîten.
sich unverzüglich teilen sah.
1880
ungevohten rîten
Unangefochten reiten
1881
lie man in sunder irren,
ließ man ihn ohne einzugreifen.
1882
swenn er sich verwirren
Wann immer er sich
1883
wolt in daz gedrenge,
in das Gedränge mischen wollte,
1884
sô wert daz gar unlenge
so dauerte es nicht lange,
1885
daz manneclîcher von im zôch.
bis jeder sich vor ihm zurückzog.
1886
sîn übermæzic kraft die flôch
Seine übermäßige Kraft floh
1887
maniger der in schûhte.
mancher, der ihn zuerst verjagen wollte.
1888
die liut gemeine dûhte,
Den Leuten kam es allen vor,
1889
sîn einic lîp der wær ein her.
als wäre er allein ein ganzes Heer.
1890
er hât mit ritterlîcher wær
Er hatte mit ritterlichem Gebaren
1891
des tages ûf dem plâne
an diesem Tag auf der Ebene
1892
gemachet ritter âne
fünfzehn Ritter von
1893
fünfzehen ors, diu wâren hôch,
ihren hohen Rössern gefällt.
1894
diu man alle sament zôch
Welchen Erfolg jene dort und
1895
den gernden ûz dem ringe.
dieser hier hatten, lassen wir.
1896
wie jenen dort gelinge
Welcher Erfolg jener dort und
1897
und disem hie, daz lâzen sîn.
dieser hier hatte, lassen wir.
1898
minne tet ir zeichen schîn
Die Liebe zeigte sich oft
1899
dicke an im der schande ie meit,
an ihm, der Schande von jeher mied,
1900
wan er sich sô überstreit
weil er sich so verausgabte,
1901
daz in betwanc diu müede.
dass ihn die Müdigkeit bezwang.
1902
ob sich noch überlüede
Wenn sich ein Ross so viel
1903
ein ros alsus, ez würde swach.
zu viel auflüde, würde es schwach.
1904
swenn er denn êrst mit ougen sach
Sobald er dann aber die erblickte,
1905
die die sîn herze meinte,
an die sein Herz dachte,
1906
an die sîn sin sich einte,
an die sein Verstand sich band,
1907
der sîn gedanc mit wunsche phlac,
auf die sich sein Wunschdenken richtete,
1908
diu im sô nâhe im herzen lac
die ihm so sehr am Herzen lag,
1909
daz al sîn sin und sîn gedanc
dass sein ganzer Verstand und sein Denken
1910
zuo ir sunder valschen wanc
mit ihr ohne falsches Zögern
1911
einlich was gemischet,
eine Einheit bildeten,
1912
sô wart sîn kraft erfrischet
so wurde seine Kraft aufgefrischt
1913
und lûterlîch erniuwet.
und rein erneuert.
1914
alsus er aber bliuwet
So schlug er wieder
1915
mit swerten ûf der helme tach.
mit Schwerschlägen auf Helme.
1916
sîn herze dicke tougen sprach
Sein Herz sagte oft heimlich:
1917
,ach wær daz küssen mir beschert!‘
„Ach, würde ich doch den Kuss bekommen!“
1918
wartâ wart, wie er nu vert
Aufgepasst, wie er nun reitet
1919
und nâ dem prîse vihtet!
und um Ruhm kämpft!
1920
wie er die krumbe slihtet
Wie er die Unordnung schlichtet
1921
mit hurtender malîe!
mit Sturmangriff.
1922
wie nu in herzen sîe
Wie es nun um das Herz derjenigen bestellt
1923
der diu im in sinnen lac
war, die seinen Verstand beherrschte
1924
und diu sîn mit gedenken phlac
und die seiner so
1925
sô gar durliuhteclîche,
ganz und gar strahlend gedachte,
1926
wie diu minneclîche
wie der Lieblichen
1927
in herzen sich gehüebe?
ums Herz war?
1928
ir ougen wurden trüebe
Ihre Augen wurden oftmals trüb
1929
dicke von den schricken,
vor Schreck,
1930
swenn sî diu swert erblicken
wenn sie die Schwerter auf dem Helm
1931
sach ûf ir friundes helme,
ihres Geliebten aufblitzen sah
1932
und sô er in dem melme
und er in dem Staub
1933
leit ritterlîchen ungemach.
ritterliches Ungemach litt.
1934
swenn aber er die rotten brach
Wann immer er aber mit gewaltigen
1935
mit gewaltes hurte,
Stößen die Rotten durchbrach,
1936
zehant diu minne schurte
schürte die Liebe sogleich
1937
ir fiur in herzen nâher,
ihr Feuer näher am Herzen,
1938
daz ir gedenken gâher
sodass ihr Gedenken ihm ungeduldiger
1939
wart zuo im denn ez wære.
zueilte als zuvor.
1940
ir aller groestiu swære
Ihre allergrößte Sorge
1941
was wie sî daz minnen
war, wie sie ihm die Liebe
1942
in möhte bringen innen
auf so angemessene Weise
1943
und doch mit dem gelimphe
vermitteln könnte,
1944
daz ez im iht ze schimphe
dass sie ihm nicht zum Spott
1945
wær, ob ers niht enmeinde.
gereichte, wenn er sie nicht erwiderte.
1946
ir herze tougen weinde
Ihr Herz weinte heimlich
1947
umb die zwîvellîche nôt.
aus großer Verzweiflung.
1948
sî wiste niht ob er sich bôt
Sie wusste nicht, ob er ihr zu dienen
1949
in ir dienest oder niht,
bereit wäre oder nicht,
1950
und seit ir doch irs herzen phliht,
und doch sagte ihr ihr Herz,
1951
sî wær ez nâ ir dunken.
sie wäre ihm die, die sie ihm zu sein glaubte.
1952
sîn geberde sunken
Seine Gebärden berührten
1953
sô tief in ires herzen grunt
sie so tief im Herzen,
1954
daz ir in den sinnen kunt
dass sie wahrnahm,
1955
wart des sî wiste kleine.
was sie doch kaum wusste.
1956
mit alsô ganzer meine
Mit all ihrer Liebe
1957
trût sî den sælden rîchen,
war sie dem Glückreichen hold,
1958
daz sî unzwîvellîchen
sodass sie ohne Zweifel
1959
wolt wizzen daz siz wære
wissen wollte, dass sie es wäre,
1960
dur die der fürste mære
für die der herrliche Fürst
1961
sich alsus arbeite.
sich so abrackerte.
1962
irs herzen sin der seite
Der Verstand ihres Herzens ließ sie
1963
ir sicher sîner noete phliht.
über das Ziel seiner Anstrengung nicht im Unklaren.
1964
wizzent daz ez wol beschiht
Wisst, dass es sehr wohl vorkommt
1965
und aller meist von minne,
und zumeist aus Liebe,
1966
daz eines herzen sinne
dass die Sinne eines Herzens
1967
dem andern swære kündent
dem anderen Betrübnis bringen,
1968
alsô daz sî durgründent
sodass einer ständig
1969
die sinne mit gedenken,
an den anderen denken muss.
1970
dâ zuo kan sich senken
In der Folge meint man rasch,
1971
schier der minne merken.
es mit Liebe zu tun zu haben.
1972
daz merken kan denn sterken
Das kann den Zweifel
1973
den zwîvel daz er wizzen wil,
stärken, sodass man wissen will:
1974
,wie ich mîner denke vil
„Sowie ich möglichst viele meiner Gedanken
1975
hin senke mit der trahte:
in Betrachtung auf etwas richte,
1976
dar hab ich bezzer ahte
erfahre ich dort mehr Beachtung
1977
denn dâ ich hin gedenke niht.
als da, wohin sich meine Gedanken nicht richten.
1978
und swaz mîn ouge guotes siht,
Und was mein Auge Gutes sieht,
1979
daz nim ich mir ze heile.‘
das nehme ich zu meinem Vorteil.“
1980
sus wart ouch ir ze teile
So entstand auch ihr
1981
von dem merken wizzen.
aus der Wahrnehmung Wissen.
1982
sî was dar an geflizzen
Sie bemühte sich darum
1983
mit al irs herzen trahte,
mit dem ganzen Streben ihres Herzens,
1984
daz sî ûf in ahte
dass sie auf ihn achtete,
1985
swaz er tet und ie begienc,
was er tat und je beging,
1986
daz sî daz in ir herze vienc
dass sie das in ihrem Herzen sammelte,
1987
und jagt im mit den ougen nâch.
und folgte ihm mit den Augen.
1988
der strengen süezen minne schâch
Das unerbittliche süße Spiel der Liebe
1989
dem fürsten under helme sprach.
geisterte ihm im Kopf umher.
1990
er wartet ûf sî unde sach
Er suchte sie und sah
1991
ir ougen ûf in blicken.
ihre Augen auf ihn gerichtet.
1992
daz blicken kunde stricken
Ihr Blick wusste ihm
1993
im swære in die sinne.
die Sinne schwer zu machen.
1994
diu künsterîchiu minne
Die trickreiche Liebe
1995
sî lêrte an den stunden,
lehrte sie zu dieser Stunde,
1996
sô sî schier befunden
wie sie bald feststellten,
1997
ein einhelligez meinen,
das Gleiche zu denken,
1998
und kunden daz bescheinen
und sie wussten das gut
1999
beidiu wol ein ander.
einer dem anderen zu zeigen.
2000
er suochte blic, sô vander
Suchte er ihren Anblick, so sah er,
2001
an ir widerblicke.
dass sie zurückblickte.
2002
die blicke in minne stricke
Die Blicke verknoteten
2003
ir beider herze knupften
ihrer beider Herzen in die Stricke der Liebe,
2004
alsô daz sî erlupften
sodass sie durch das liebende Gedenken
2005
von der minne meine.
in die Höhe gehoben wurden.
2006
diu minneclîche reine
Die liebliche Reine
2007
den zwîvel snelleclîchen liez
vergaß den Zweifel schnell,
2008
der ir in ir herze stiez,
der sie im Herzen damit gepeinigt hatte,
2009
ob sî ez wære oder niht.
ob sie es wäre oder nicht.
2010
er hât ouch guote zuoversiht
Er machte sich auch große Hoffnungen
2011
gên ir, daz maht ir kapfen.
auf sie; das bewirkte ihr intensives Schauen.
2012
sô er ie nâher stapfen
Je näher er sich auf sie
2013
ze ir began, sô spurt er daz
zu bewegte, umso mehr spürte er, dass
2014
in ir ouge nie vergaz.
sie ihn nicht aus den Augen ließ.
2015
Diz tet im sorge kranken.
Das ließ seine Sorgen schrumpfen.
2016
im was in den gedanken
Er wusste auch
2017
ouch kunt ir lieplich triuten.
um ihre liebevolle Zuneigung.
2018
dâ von sô muos er riuten
Daher musste er sich die Sorge
2019
sorge ûz dem sinne.
aus dem Kopf schlagen.
2020
wes er nu beginne,
Was er nun anfing,
2021
des nement war, wie er nu vert,
das vernehmt, wie er nun verfährt,
2022
wie sîn swert ûf helme bert,
wie sein Schwert auf Helme schlägt,
2023
wie er schilt zerstücket,
wie er Schilde zerhaut,
2024
wie er helde drücket
wie er Helden mit Gewalt
2025
mit gewalt her under.
niederdrückt.
2026
er mohte wol, sô kunder
Er vermochte es wohl, so wusste er
2027
ouch würken ritterlîche tât.
auch ritterliche Taten zu vollbringen.
2028
sus der tac vollendet hât
Auf diese Weise verging
2029
sich unz ûf die âbentzît.
der Tag bis zum Abend.
2030
wê waz grôzer koste lît
Weh, was an Werten auf
2031
ûf dem plân geströuwet!
der Ebene verstreut liegt!
2032
ob iemen dâ erfröuwet
Ob da jemand
2033
wart von gebender hende?
von freigebigen Händen erfreut wurde?
2034
jâ, sunder missewende
Ja, ohne eine schändliche Handlung
2035
wart man dâ rîch und niemen arn.
wurde man da reich und niemand arm.
2036
och waz krîger kan gevarn
Ach, was an Kämpfern,
2037
dar mit lobendem schalle!
von Jubelrufen begleitet, daher kam!
2038
man hiez die herren alle
Man gebot den Herren allen
2039
erteilen nâ dem kusse.
über den Kuss ein Urteil zu fällen.
2040
ob des ieman verdruzze?
Ob das jemanden verdross?
2041
jâ, wan er was hin gegên
Ja, denn er wurde mit der Intention
2042
in dem sinne, in solte nên
gegeben, dass derjenige ihn empfangen sollte,
2043
der des er eigenlîche was,
dem er rechtmäßig zustand,
2044
der gewalteclîchen saz
der heimlich mit aller Macht
2045
in ir herzen tougen.
in ihrem Herzen saß.
2046
dô wart ie âne lougen
Da wurde gleich unleugbar
2047
erteilet ritterlîchen
und ritterlich von Armen
2048
von armen und von rîchen,
und Reichen entschieden,
2049
er het in ouch errungen.
er [scil. Reinfried] hätte ihn auch errungen.
2050
man hôrte manic zungen
Man hörte viele Zungen
2051
sîn lop in wirde gesten.
sein Lob in Würde preisen.
2052
man zalt in für den besten
Man zählte ihn auf beiden Seiten
2053
verre ûf beiden sîten.
weitaus zu den Besten.
2054
nu hiez man balde rîten
Nun gebot man, schnell
2055
nâ der wolgetânen,
die wohlgestalte,
2056
der minneclîchen Yrkânen,
liebliche Yrkane zu holen,
2057
diu daz küssen bî ir truoc.
die den Kuss bei sich trug.
2058
wê wie dô ir herze sluoc,
Weh, wie da ihr Herz klopfte,
2059
dô sî solte zuo im dar!
als sie zu ihm hin sollte!
2060
under iren armen har
Unter dem Schutz ihrer Arme brachten
2061
sî hôhe fürsten fuorten
hohe Fürsten sie her,
2062
die sî doch niht enruorten
die sie doch nicht mehr berührten,
2063
wan als diu rehte mâze hiez.
als das rechte Maß es zuließ.
2064
nider von dem orse liez
Manch verdienter Held ließ sich
2065
sich gên ir manic werder helt.
vor ihr von seinem Ross gleiten.
2066
den aber sî hât uz erwelt
Den sie sich aber in ihrem Kopf
2067
ze trût in irme sinne
als Liebsten ausgewählt hatte
2068
und den ir herzen minne
und die Liebe ihres Herzens
2069
für alle fürsten wolte,
vor allen anderen Fürsten wollte,
2070
dem sî ouch geben solte
dem sie auch die Krone
2071
der âventiure krône,
der Aventiure geben sollte,
2072
der stuont vor ir dô schône
der stand da schön, mit Anstand
2073
mit zühten fröuden rîche.
und voll Freude vor ihr.
2074
und in diu minneclîche
Als ihn die Liebliche
2075
sô ruozig under ougen sach,
so schmutzig unter den Augen sah,
2076
in ir herz sî tougen jach:
sprach sie heimlich in ihrem Herzen:
2077
,Ei daz sint ritterlîchiu mâl.
„Ei, das sind ritterliche Male.
2078
lept Rischaude die der Grâl
Lebte Rischaude, von der der Gral
2079
sich von êrste tragen lie,
sich zuerst tragen ließ,
2080
ir wær ze vil und solt sî hie
wäre es ihr zu viel, sollte sie hier
2081
den fürsten küssen als ich sol.
den Fürsten küssen, wie ich es soll.
2082
ach süeziu minne, tuo sô wol,
Ach, süße Liebe, sei so gut,
2083
lâ sîn herze erkennen
lass sein Herz das liebliche
2084
daz minneclîche brennen
Brennen erkennen,
2085
sô ich nâ im lîde.
das ich nach ihm leide.
2086
mir hât der sorgen snîde
Mir hat die Klinge der Sorgen
2087
ze herzen jâmers vil geleit.
viel Leid im Herzen verursacht.
2088
wol der hôhen manheit
Wohl der hohen Männlichkeit,
2089
diu sô vil êren wirbet!
die so viel Ehre erwirbt!
2090
mîn fröude in wâne stirbet
Meine Freude stirbt vor
2091
nâ im, die sol er troesten.
Sehnsucht nach ihm; die soll er trösten.
2092
mîner sinne roesten
Das Brennen meiner Sinne
2093
ist von im schier erloeset,
wird sogleich besänftigt durch ihn,
2094
des lop sô hôch geroeset
dessen Lob so hoch verherrlicht
2095
für alle fürsten liuhtet.
vor allen Fürsten leuchtet.
2096
ei wirt sîn herze erfiuhtet
Ei, verspürt sein Herz
2097
ouch nâ girdes luste,
auch die begierige Lust,
2098
sô daz in under bruste
sodass ihn in der Brust
2099
ouch twunge daz mich twinget,
dasselbe drängte, was mich bezwingt,
2100
sô wær mîn leit geringet
so wäre mein Leid geschmälert
2101
und müest mîn herze fröude hân.‘
und müsste mein Herz Freude haben.“
2102
sus stuont sî ûf und sach in an
So stand sie auf und sah ihn an,
2103
verdâht mit dem gedenken.
ganz versunken in Gedanken.
2104
ir schoene sich ouch senken
Ihre Schönheit berührte ihn
2105
ze sînes herzen grunde
ab dieser Stunde
2106
begunde an der stunde.
tief im Herzen.
2107
Dô er sî sô schoene ersach,
Als er sie so schön erblickte,
2108
daz sîn herze niht enbrach
war es ein Wunder, dass sein Herz
2109
von fröuden, daz was wunder.
vor Freude nicht zersprang.
2110
ir reidez hâr ir under
Ihr blondes Haar schien
2111
der vil rîchen krône schein
unter der überaus wertvollen Krone
2112
durliuhteclîchen reht als ein
von innen heraus leuchtend, ganz wie
2113
schôn durwünscht gespunnen golt.
fein gesponnenes Gold.
2114
got hât hôher fröuden solt
Gott hat den Lohn hoher Freuden
2115
an ir lîp erzöuget.
an ihrem Körper geoffenbart.
2116
ach wie schôn geböuget
Ach, wie schön gebogen
2117
ûz wîzer stirnen glizzen,
glänzten braune Brauen
2118
reht als sî dar gerizzen
aus ihrer weißen Stirn, ganz so
2119
wæren, brûne brâwen!
als wären sie aufgezeichnet!
2120
gelwer denn ie klâwen
Gelber als Horn je sein
2121
würden oder sîgen
könnte oder der Urin
2122
eines wilden wîgen,
einer wilden Weihe,
2123
sô was ir goltvarwez hâr.
so war ihr goldfarbenes Haar.
2124
ûf dem schein durliuhtic klâr
Darauf glänzten leuchtend klares
2125
golt, und drin gewieret
Gold und eingearbeitete
2126
edel stein, daz zieret
Edelsteine, das zierte
2127
wol die zarten fînen.
die zarte Feine gut.
2128
dem glaste widerschînen
Diesem Glanz entgegen strahlen
2129
sach man ir klârez bilde.
sah man ihr klares Antlitz.
2130
nie herze wart sô wilde,
Nie gab es ein so rohes Herz,
2131
ir schoene möht ez binden
dass ihre Schönheit es nicht gefesselt hätte,
2132
und künde herzen linden
die Herzen zu erweichen vermocht hätte,
2133
diu herter wæren denn ein stein.
die härter als Stein waren.
2134
sô gar minneclîche schein
So ganz und gar lieblich leuchtete
2135
ir scheitel sam ein krîde.
ihr Scheitel wie Kreide.
2136
ich waene daz kein sîde
Ich glaube, dass keine Seide
2137
sô klein ie wart gespunnen
jemals so fein gesponnen wurde
2138
als ir löcke. entrunnen
wie ihre Locken. Allem Leid
2139
wær er allem leide,
entronnen wäre,
2140
swer ir zöphe reide
wer auch immer ihre blonden Zöpfe
2141
solde girdeclîche sehen
begierig sehen sollte
2142
und ir neckel dâ dur brehen
und ihren Nacken, der weißer
2143
wîzer denn ein simelmel.
als feines Weizenmehl hindurchblitzte.
2144
lanc und als ein sîde gel
Lang und gelb wie Seide
2145
was ir hâr, daz verre hienc
war ihr Haar, das bis über den Gürtel
2146
für den gürtel, swar sî gienc.
herabhing, wo immer sie ging.
2147
Sus was sî geschicket,
So war sie beschaffen.
2148
swer sî reht erblicket,
Wer immer sie recht erblickte
2149
hâr scheitel und ir stirne,
– Haar, Scheitel und ihre Stirn –,
2150
sô weiz ich daz sîn hirne
von dem weiß ich, das sein Hirn
2151
nâ ir mit sinne wüete.
sich mit allen Sinnen nach ihr verzehrte.
2152
diu minneclîche blüete
Die liebliche Blüte,
2153
durliuhter denn ein mandel.
durchscheinender als die einer Mandel.
2154
an ir sô wart kein wandelflecke
An ihr wurde niemals
2155
nie beschouwet.
irgendein Makel entdeckt.
2156
ir lîp den hât betouwet
Ihren Körper hat heimlich
2157
alliu sælde tougen.
alles Glück mit Tau überzogen.
2158
ach wie lieht ir ougen
Ach, wie hell ihre Augen
2159
nâ sternen funken schuzzen!
gleich Sternen Funken versprühten!
2160
ich wæne daz sî guzzen
Ich glaube, dass sie, indem
2161
in herze mit ir senke
sie Eingang ins Herz fanden, diesem
2162
senelîch gedenke
sehnsuchtsvolle Gedanken eingaben,
2163
die sî wol kunden stricken.
mit denen sie gut zu fesseln verstanden.
2164
ach ir friuntlich blicken
Ach, ihr freundliches Schauen,
2165
wie sach man daz dô schiezen
wie sah man das da schießen
2166
und tougenlîchen sliezen
und heimlich schließen
2167
herze in herz und sin in sin!
Herz in Herz und Verstand in Verstand!
2168
die gedenke sam ein zin
Die Gedanken verschmolzen
2169
tâten sî versmelzen.
wie Zinn.
2170
vesteclîchen velzen
Tief im Herzen wussten sie
2171
sich kunden sî in herzen grunt.
sich fest ineinander zu legen.
2172
ganziu herzen wurden wunt
Heile Herzen wurden wund
2173
von ir angesihte.
von ihrem Anblick.
2174
swaz ie mit getihte
Was auch immer jemals mit Reimen
2175
an frouwen schoene wart geleit,
Frauen an Schönheit zugesprochen wurde,
2176
daz wac gên ir schônheit
das zählte gegenüber ihrer Schönheit
2177
niht als umb ein bappel.
nicht mehr als eine bappel.
2178
irre krône schappel
Der Zierde ihrer Krone
2179
und irre ougen liuhten
und das Leuchten ihrer Augen
2180
mehten noch durfiuhten
könnten gar noch eine vom Wind
2181
ein kerze gar wintdürre.
ausgeblasene Kerze entzünden.
2182
ob ir gesihte würre
Ob ihr Äußeres etwa
2183
gedenke iht zuo gedenken?
die Gedanken verwirren könnte?
2184
jâ, sî kunden krenken
Ja, es konnte Sorgen
2185
sorge und dâ bî füegen nôt.
schmälern und dabei Leid zufügen.
2186
nie kein munt sô rôsenrôt
Niemals wurde ein so rosenroter Mund
2187
als ir mündel wart gesehen
wie der ihre gesehen,
2188
schôn durliuhteclîchen brehen
der so herrlich hervorleuchtete
2189
sam ein rôse in touwe.
wie die Rose aus dem Tau.
2190
wâ wart reiner frouwe
Wo gab es jemals eine reinere
2191
ie? des weiz ich sicher niht.
Frau? Das weiß ich wirklich nicht.
2192
alsô minneclîch gesiht
Ein so liebliches Gesicht
2193
wart nie an ritters trûte.
gewann niemals die Zuneigung eines Ritters.
2194
swaz man von Jeschûte
Was immer man von dem Mund der
2195
de la Lander mündel seit,
Jeschute von Lalander sagte,
2196
der truoc halbe schônheit
dessen Rot war nicht
2197
nie sô dirre gerwe.
halb so schön.
2198
ich wæn dâ mit man verwe,
Ich glaube, damit [scil. mit Yrkanes Mund] könnte man
2199
ez sîge minwe ald zinober,
sogar Mennige oder Zinnober färben.
2200
ir under mündel und der ober
Ihre Lippen
2201
tragent liehter varwe schîn.
leuchteten hell.
2202
ein bild niht schoener möhte sîn,
Ein Bild könnte nicht schöner sein,
2203
stüend ez in einer kefsen.
stünde es in einem Rahmen.
2204
ze mâzen dicke ir lefsen
Ihre Lippen mäßig voll,
2205
sam ein zunder brunnen.
wie eine Zündquelle,
2206
noch liehter denn der sunnen
noch heller als die Sonne
2207
was ir zarter ougen brehen.
war das Strahlen ihrer zarten Augen.
2208
ûz dem mündel wart gesehen
Aus ihrem Mund blitzten
2209
zene nâ helfenbeine.
Zähne wie Elfenbein.
2210
wîze dünne und kleine
Weiß, schmal und klein waren
2211
sî gewünschet wâren dar.
sie darin, wie man sie sich wünschte.
2212
sam die wilden rôsen var
In der Farbe wilder Rosen
2213
lûhten lieht ir wengel,
leuchteten hell ihre Wangen
2214
und hienc des hâres strengel
und es hing ihr eine blonde
2215
ein löckel reit dâ bî zetal.
gelockte Haarsträne daneben herab.
2216
diu schoene süeze über al
Die schöne Süße erstrahlte
2217
sô minneclîch erlûhte,
überall so lieblich,
2218
daz einen wol bedûhte,
dass es wohl schien,
2219
ez wær ein engel, niht ein wîp.
sie sei ein Engel, keine Frau.
2220
minneclîcher schoener lîp
Ein lieblicher schöner Körper
2221
wart nie sô süezer noch sô guot
entstand niemals so süß noch so gut
2222
als dâ man milch und dâ zuo bluot
wie da, wo man Milch und Blut
2223
in rehter mâze mischet.
nach rechtem Maß mischte.
2224
noch reiner wart erfrischet
Noch reiner wurden ihr Mund
2225
ir mündel und ir wangen.
und ihre Wangen erfrischt.
2226
strenger minne zangen
Die Zangen unerbittlicher Liebe
2227
lâgen dinn verborgen.
lagen in ihnen verborgen.
2228
ich weiz daz an dem morgen
Ich weiß, dass am Morgen
2229
nie lûhte liehter morgenrôt
das Morgenrot niemals heller leuchtete,
2230
als ir schîn dem golde bôt
als ihr Leuchten auf Gold abstrahlte
2231
und daz golt dem schîne wider.
und das Gold den Schein reflektierte.
2232
ez solten noch eins ritters lider
Es sollten noch die Glieder eines Ritters
2233
umb den kus erkrachen.
wegen des Kusses krachen.
2234
ich wæne daz ir lachen
Ich glaube, dass ihr Lachen
2235
træge sinne mahte snel.
träge Sinne schnell machte.
2236
da bî ein kerz ir slehtiu kel,
Dazu wie eine Kerze ihr zarter Hals,
2237
wîzer denn ein hermel.
weißer als Hermelin.
2238
ich weiz wol, swen ir ermel
Ich weiß genau, dass, wen immer ihr Arm
2239
solt lieplîch umbevâhen,
liebevoll umfangen sollte,
2240
daz dem müese nâhen
dem Freude und freudige Stimmung
2241
fröude und hôchgemüete.
zukommen müssen.
2242
munt und wengel blüete
Mund und Wangen erstrahlten so,
2243
daz nie sin sô listic wart
dass kein Verstand jemals so erfinderisch war,
2244
der gewünschen halber vart
dass er sich auch nur halb so viel wünschen
2245
künde daz dâ gerwer schein.
konnte, wie da an Farbe leuchtete.
2246
sô gar minneclîche rein
So ganz und gar lieblich rein
2247
was krône schappel gelwez hâr,
waren Krone, Kopfschmuck, blondes Haar,
2248
stirne brâwen oügel klâr,
Stirn, Brauen, klare Äuglein,
2249
nase mündel tinne,
Nase, Mund, Schläfe,
2250
hüffel wengel kinne,
Hüften, Wangen, Kinn,
2251
kele neckel, al der lîp
Hals, Nacken – kurz: der ganze Körper,
2252
der sol zieren reiniu wîp
der reine Damen zieren soll,
2253
ân alle vingerzeige.
ohne dass jemand mit dem Finger auf sie zeigte.
2254
swaz ich lobes seige
Was immer ich an demütigem Lob
2255
ûffen sî, daz ist ein wint.
in den Himmel riefe, das wäre nichts.
2256
hendel wîz und vinger sint
Die Händchen sind weiß und die Finger
2257
lanc sleht unde sinewel.
lang, schmal und wohlgeformt.
2258
sô durliuhtic libes vel
Die Haut eines so strahlenden Körpers
2259
wart nie noch sô reine
aus Fleisch und Knochen
2260
von fleische noch gebeine
war noch nie so rein,
2261
swâ sî schein vor der wæte.
wo sie hinter der Kleidung hervorleuchtete.
2262
waz sî dar under hæte,
Was sie darunter hatte,
2263
daz weiz sî wol, ich sach sîn niht.
das weiß sie wohl, ich sah es nicht.
2264
doch dunket mich, irs lîbes phliht
Doch kommt mir vor, die Beschaffenheit ihres Körpers
2265
wær gar nâ wunsches luste.
war ganz nach der Begierde des Wunsches.
2266
hôch und kleine bruste
Eine hohe und kleine Brust,
2267
reht als ein apfel sinewel.
rund wie ein Apfel
2268
wîzer denn ie krîdemel
und weißer als jemals Kreidestaub,
2269
wæn ich daz ez wære.
glaube ich, dass es wäre.
2270
sus der sorgenbære
So stand der Unglückliche
2271
vor der hôchgelopten stuont,
vor der Hochgelobten,
2272
und tet als alle die noch tuont
und tat, was noch heute alle die tun,
2273
die sich nâ minne senkent
die sich um Liebe bemühen
2274
und ungedâht gedenkent
und gedankenlos denken,
2275
alsô daz sî verstumment.
sodass sie ganz verstummen.
2276
ir ôren diu vertumment
Ihre Ohren ertauben,
2277
daz sî niht hoerent waz man seit.
sodass sie nicht hören, was man sagt.
2278
swer ein sendez herze treit,
Wer immer ein sehnsuchtsvolles Herz hat,
2279
der merket daz ich sunder vâr
der wird feststellen, dass ich ohne Schlechtigkeit
2280
hân an mangen dingen wâr.
über viele Dinge Wahres gesagt habe.
2281
Alsus wart hie ein brehten
So erhob sich ein Lärmen
2282
von herren unde knehten,
von Herren und Untergebenen,
2283
rittern unde frouwen,
Rittern und Damen,
2284
die alle wolten schouwen
die alle sehen wollten,
2285
wie ez dâ ergienge,
wie es da zuging,
2286
wie er den kus enphienge
wie er den Kuss und auch
2287
und ouch daz golt. dô daz beschach,
das Gold entgegennahm. Als das geschah,
2288
Fontânâgrîs der alte sprach
sprach der alte Fontanagris:
2289
,hoerent, alle die hie sint,
„Hört alle, die ihr hier versammelt seid,
2290
der die âventiure nint,
wer die Aventiure gewonnen hat,
2291
ein fürste ûz Sahsen lande,
ein Fürst aus Sachsen,
2292
des werder lîp vor schande
dessen edler Leib sich bisher
2293
sich har hât gefrîget.
jeglicher Schande enthalten hat,
2294
ûf in hât gezwiget
nach ihm hat die Ehre
2295
êre ir frühtic lobes rîs.
ihren fruchtbaren Zweig des Ruhmes ausgestreckt.
2296
im ist der âventiure prîs
Ihm wurde der Preis dieser Aventiure
2297
mit urteil hie erteilet,
hier durch Urteilsspruch zuteil,
2298
sît er umb êre veilet
weil er Körper, Geist und Leben
2299
lîp geist unde dâ zuo leben.
für die Ehre riskiert.
2300
tohter schoen, dem soltu geben
Schöne Tochter, dem sollst du
2301
der hôhen âventiure zins.
den Preis der hohen Aventiure geben.
2302
sîn lîp herter denn ein flins
Sein Körper ist an großer Kraft
2303
ist an hôher krefte.
härter als Fels.
2304
er hât mit ritterschefte
Er hat mit Ritterschaft
2305
den hôhen prîs errungen.
großen Ruhm errungen.
2306
im sont alle zungen
Darum sollen ihm alle
2307
lobes dar umb flêhen.
Zungen Lob singen.
2308
sô starker slege lêhen
Er hat hier heute
2309
het er hiut hie verliuhen,
so starke Schläge ausgeteilt,
2310
daz man in billich schiuhen
dass man zu Recht Respekt
2311
sol an ritterlîcher tât.‘
vor seinen ritterlichen Taten haben soll.“
2312
sî sprach ,herre, sît er hât
Sie sprach: „Herr, weil er hier
2313
genomen hie des siges prîs
den Sieg errungen hat,
2314
sô lege ich gerne mînen vlîz
so gewähre ich ihm gerne,
2315
an in nâ dînem râte.‘
was Ihr mir befehlt.“
2316
hin sô bôt sî drâte
Sie streckte ihm sogleich
2317
daz golt mit ir snêwîzen hant.
mit ihrer schneeweißen Hand das Gold hin.
2318
,veterlîn, tuo mir bekant‘,
„Väterlein, sag mir“,
2319
sprach sî ,wie sol daz küssen sîn?‘
sprach sie, „wie soll das Küssen vonstatten gehen?“
2320
,sîn mündel sol sich an daz dîn
„Sein Mund soll sich liebevoll
2321
triuten minneclîche‘,
an deinen drücken“,
2322
sprach der künic rîche.
sprach der mächtige König.
2323
,Nein‘, sprach der fürste, ,ich enwil.
„Nein“, sagte der Fürst, „ich will nicht.
2324
der êren wære gar ze vil,
Das wäre der Ehren gar zu viel,
2325
die ich unverdienet hân.
die ich nicht verdient habe.
2326
kusses wil ich sî erlân:
Mir soll das Küssen, bitte, erlassen werden:
2327
mich wil sus wol benüegen.‘
Ich werde mich so zufrieden geben.“
2328
daz weren kunde füegen
Seine Abwehr machte
2329
der minneclîchen swære.
es der Lieblichen schwer.
2330
sî dâht ,im ist unmære
Sie dachte: „Vielleicht ist ihm
2331
lîht mînes mundes rüeren.
die Berührung meines Mundes egal.
2332
er wil sîn küssen füeren
Er will dort küssen,
2333
dar dâ er holder herze treit.‘
wo er mehr liebt.“
2334
daz brâht ir ein strengez leit
Das verursachte ihr hartes Leid
2335
in sinnen und in muote.
in Kopf und Gemüt.
2336
,nein‘, sprach der hôchgemuote
„Nein“, sprach der hochgestimmte
2337
Fontânâgrîs, ,daz sol niht sîn.
Fontanagris, „das soll nicht sein.
2338
sît ich und mîn töhterlîn
Immerhin ließen ich und mein Töchterlein
2339
die âventiure ûz hiezen
diese Aventiure ausrufen,
2340
schrîgen, unde liezen
und ließen
2341
wir sî denn sô under wegen,
wir sie so im Sand verlaufen,
2342
dâ von lasters müese phlegen
müsste meine Ehre davon
2343
mîn êre. nement hin den kus.
Schaden nehmen. Empfangt diesen Kuss,
2344
ez ist niht anders denn alsus,
es geht nicht anders,
2345
sît ir hânt von schanden fluht.‘
weil Ihr Schande flieht.“
2346
diz versprach er dur sîn zuht
Er [scil. Reinfried] versprach es aus Anstand
2347
und lie sich doch wol twingen
und ließ sich doch gern
2348
mit gar senften dingen.
mit sehr sanftem Druck dazu zwingen.
2349
Sus daz küssen dô ergienc
So ging das Küssen also vonstatten,
2350
daz sî gap und er enphienc
das sie gab und er empfing,
2351
mit einem umbevange.
wobei sie einander umarmten.
2352
sî druhten wang an wange
Sie drückten Wange an Wange
2353
und minneclîche munt an munt.
und liebevoll Mund auf Mund.
2354
ob kein herze würde enzunt
Ob da die Herzen nicht von
2355
dâ von süezer minne?
süßer Liebe entzündet wurden?
2356
jâ, ich wæne ez brinne
Ja, ich vermute, sie entbrannten
2357
dur lusteclîche wirde
bei der lustvollen Ehrung
2358
nâ der süezen girde
in süßer Begierde,
2359
diu in ir herze ûf kîmet,
die in ihrem Herzen aufkeimte,
2360
dô munt an munt gelîmet
als so liebevoll und eng
2361
sus minneclîche klepte.
Mund an Mund klebte.
2362
ir beider herze swepte
Ihrer beider Herzen wurden ihnen
2363
hôch in fröuden sam sî flugen.
vor Freude leicht, als ob sie flögen.
2364
in ein einic sî sî zugen
Herz, Verstand und Gefühl
2365
beide herze sin und muot.
verschmolzen zu einer Einheit.
2366
ach waz minne wunders tuot
Ach, was Minne noch heute
2367
noch an zwein gelieben!
zwischen zwei Liebenden an Wundern bewirkt!
2368
von herz in herz sî schieben
Von einem Herz ins andere kann
2369
kan wunderlîche fünde,
sie wunderliche Dinge stoßen,
2370
alsô daz ouch die münde
so dass kein Mund
2371
ir leit niht hânt gekündet:
ihr Leid verkündet:
2372
dâ wirt der sîn durgründet
Da wird der Verstand ohne Worte
2373
ân sprâchen mit gedenken.
mit Gedanken erfüllt.
2374
wâ von sich aber senken
Wovon sich die Liebe aber
2375
diu minne mê mit flüzzen
mit feuchten Küssen
2376
von eines mundes küssen
mehr als durch andere Sachen
2377
kan dan von ander sache,
ins Herz senken kann,
2378
ob ich kan, daz mache
das mache ich euch,
2379
ich iuch kunt mit sinne.
wenn ich kann, verständig kund.
2380
wizzent daz diu minne
Wisst, das die Liebe
2381
niht ist wan ein gedenken
nicht mehr ist als ein Denken
2382
und ein lieplîch senken
und ein liebliches Sehnen
2383
mit minneclîcher girde
mit liebevoller Begierde
2384
nâ hôchgelopter wirde,
nach hochgelobter Auszeichnung,
2385
vor allem valsch gefrîet,
frei von allem Falsch,
2386
und wirt von êrst gezwîet
und sie befällt zuerst
2387
in ougen und in herzen.
Augen und Herzen.
2388
daz senen senftet smerzen,
Die Sehnsucht dämpft die Schmerzen,
2389
gir und fröude beide.
ebenso die Begierde und die Freude.
2390
ez fröuwet in dem leide
Sie erfreut im Leid
2391
und smirzet in der liebe.
und schmerzt in der Liebe.
2392
man zellet sî ze diebe
Man rechnet sie zu den Dieben
2393
an herzen und an sinnen.
an Herzen und Sinnen.
2394
wizzent mê von minnen:
Erfahrt noch mehr von der Liebe:
2395
swâ ir name ist als vergift
Wo immer ihr Name fälschlich in den Mund genommen wird,
2396
daz er niht zem besten trift
sodass er nicht zutrifft
2397
und velschet sich in muote,
und nicht mit der Empfindung übereinstimmt,
2398
sô daz er schînet guote
sodass er gut erscheint,
2399
und treit doch leides angel,
aber doch die Spitze des Leides in sich trägt,
2400
wizzent daz man mangel
wisst, dass man da
2401
dâ hât rehter minne.
aufrichtiger Liebe entbehrt.
2402
minne wîset sinne
Die Liebe weist die Sinne
2403
niuwan an daz guote.
ausschließlich zum Guten.
2404
swer sich sô hât in huote
Wer sich so in der Gewalt hat,
2405
daz er sich niht vergâhet
dass er sich mit den Sinnen
2406
mit sinnen, seht dem nâhet
nicht übereilt, seht, dem wird
2407
von minnen hôher sælden funt.
durch die Liebe hohes Glück zuteil werden.
2408
minne in sender herzen grunt
In der Tiefe sehnsuchtsvoller Herzen
2409
ûf wahset unde würzet.
wächst und wurzelt die Liebe.
2410
swar der sin sich schürzet,
Wohin immer der Verstand zieht,
2411
dâ jagent die gedenke nâch.
dahin jagen die Gedanken nach.
2412
nu mac den sinnen wol ze gâch
Nun können sich die Sinne wohl
2413
werden, daz si vælent
übereilen, sodass sie die rechte Liebe
2414
an rehter minne und mælent
nicht treffen und sich
2415
sich ze ungenôzen.
mit Unpassendem paaren.
2416
dâ hant gedenk verstôzen
Da haben sich die Gedanken
2417
an herzen und an sinne.
an Herz und Sinnen vergangen,
2418
des ist unschuldic minne,
daran ist die Liebe unschuldig,
2419
wan diu wil niht wan guotes.
denn sie will nichts als Gutes.
2420
minne phliget des muotes
Liebe tut dem Gemüt gut,
2421
dem sin und herz ist undertân.
dem Verstand und Herz unterstellt sind.
2422
sît sî alsus senken kan
Da sie sich auf diese Weise
2423
sich in vester herzen grunt,
tief in harte Herzen senken kann,
2424
dâ von sol ein ieclich munt
soll und wird jeder Mund
2425
und muoz ein wârer bote sîn
ein glaubwürdiger Bote
2426
des herzen, dâ diu minne în
des Herzens sein, wo die Liebe
2427
sich hât geleit mit sinnen.
sich mit den Sinnen niedergelassen hat.
2428
swar daz herze minnen
Worauf das Herz seine Liebe richten
2429
wil, dâ sol ouch hin der munt
will, dorthin soll auch der Mund
2430
ein bote sîn und machen kunt
Botschaft senden und des Herzens
2431
des herzen kumber unde pîn.
Kummer und Leid bekannt machen.
2432
der minne slôz sô sol er sîn,
Er soll wie das Schloss der Liebe sein,
2433
diu zunge ein starker vester rigel,
die Zunge einer starker fester Riegel,
2434
ein kus ein wârez ingesigel
ein Kuss ein glaubhaftes Siegel
2435
friuntlîcher trûtschefte.
freundschaftlicher Zuneigung.
2436
swâ minne mit ir krefte
Wo Liebe sich mit ihrer Macht
2437
gesiget in zwein herzen,
in zwei Herzen versenkt,
2438
diu gelîchen smerzen
die die gleichen Schmerzen
2439
nâ ein ander lîdent,
nacheinander leiden,
2440
die gedenke snîdent
schneiden die Gedanken
2441
beidenthalben sam ein swert.
auf beiden Seiten wie ein Schwert.
2442
swaz dâ herz und herze gert,
Was auch immer Herz und Herz da begehren,
2443
dâ ist niht wan ein einlîch ein,
da ist nichts als genau das Gleiche,
2444
ein liep, ein leit, ein jâ, ein nein,
eine Liebe, ein Leid, ein Ja, ein Nein,
2445
sô gar in ein betwungen
so ganz übereinstimmend,
2446
daz irre münde zungen
dass die Zungen ihrer Münder
2447
die einhelligen sinne
weder die übereinstimmenden Sinne
2448
noch die lûter minne
noch die aufrichtige Liebe
2449
niht mügent gar durgründen.
vollständig erklären könnten.
2450
dâ von sô wirt den münden
Deswegen haben es die Münder
2451
gâch nâ des küssens niezen,
mit dem Küssen so eilig,
2452
daz sî dâ mit versliezen
weil sie damit beider Herzen
2453
went beider herzen sinne,
Sinne zu verschließen glauben,
2454
und allez daz sî inne
und vor allem, was sie hinter
2455
des herzen tür gedenkent,
der Tür des Herzens denken,
2456
dâ für die münde schrenkent
schließen die Münder
2457
der stæten zungen vesten rigel.
den festen Riegel der beständigen Zungen.
2458
des wâren kusses ingesigel
Das Siegel des wahren Kusses
2459
für munt und herz sich drücket.
schiebt sich vor Mund und Herz.
2460
alsus mit kusse lücket
So erregt man mit einem Kuss
2461
man minneclîcher minne,
liebevolle Liebe,
2462
niht dâ man die sinne
nicht wo man die Sinne
2463
nu wendet hin und denne her.
einmal dahin, einmal dorthin wendet.
2464
manger hât nâ kusse ger
So mancher sehnt sich nach einem Kuss,
2465
der sich nâ minne biuget
der sich nach der Liebe streckt
2466
und doch mit kusse triuget:
und mit dem Kuss dennoch betrügt:
2467
der tuot offenlîche mort.
Der begeht einen öffentlichen Mord.
2468
küssen ist ein solich hort
Küssen ist solch ein Schatz,
2469
dâ mit man leit vernihtet
mit dem man Leid vernichtet
2470
und vîentschaft verslihtet
und Feindschaft schlichtet
2471
und friundet friunt in friundes trift.
und den Freund in freundschaftlicher Weise behandelt.
2472
swâ man aber bringet gift
Wo immer man aber mit den Sinnen
2473
in küssen mit den sinnen,
Falschheit ins Küssen bringt,
2474
daz ist niht von minnen.
kommt das nicht von der Liebe.
2475
Diz was niht hie: ir küssen was
Das war hier nicht der Fall: Ihr Küssen war
2476
geliutert reht alsam ein glas
so rein und klar wie Glas
2477
und slôz in herz und sin in ein:
und umfasste ihr Herz und ihren Verstand:
2478
daz wol an in beiden schein.
Das war deutlich an ihnen zu sehen.
2479
von des kusses zeichen
Aufgrund des Kusses
2480
sach man ir varwe bleichen
sah man sie erbleichen
2481
und zehant denn aber rôt
und dann sogleich wieder rot
2482
werden. senelîche nôt
werden. Sehnsuchtsvolle Not
2483
liten sî in sinne,
litten sie in ihren Sinnen
2484
und wâren doch ir minne
und waren sich ihrer gegenseitigen Liebe doch
2485
verspart in allen und unkunt.
in keinster Weise bewusst.
2486
sî dâhten ,scham diu het enzunt
Sie dachten: „Die Scham vor den Leuten
2487
ir varwe vor den liuten.‘
ist für das Erröten verantwortlich.“
2488
ir lieplîchez triuten
Auf diese Weise blieb ihre
2489
alsô beleip vil tougen.
liebevolle Zuneigung sehr geheim.
2490
sî zogten sunder lougen
Sie zogen fürwahr
2491
în mit grôzem schalle.
mit großem Lärm ein.
2492
diu gemeinde alle
Alle Anwesenden gestanden
2493
in hôher wirde jâhen.
ihnen hohe Würde zu.
2494
ze herberge gâhen
Man sah sie herrschaftlich
2495
sach man sî keiserlîche.
zur Herberge eilen.
2496
nu reit diu minneclîche
Nun ritt die Liebliche
2497
bî im ûf der wisen velt
neben ihm über den Rasenplatz
2498
unzent hin dâ sîn gezelt
bis dorthin, wo sein Zelt
2499
stuont mit rîlîcher koste.
in ritterlichem Prunk stand.
2500
golt in sîden gloste
An Seide befestigtes Gold
2501
dar an alsam ez brunne,
glänzte, als würde es brennen,
2502
daz diu liehtiu sunne
dass die helle Sonne
2503
dâ schein mit widerglaste.
sich darin spiegelte.
2504
zuo dem werden gaste
Zu dem edlen Gast
2505
sprach diu rein gehiure,
sprach die reine Wohlgestalte,
2506
des wunsches âventiure,
der Wunschtraum:
2507
,got lâze iuch herre wol geschehen.
„Gott lasse es Euch, Herr, gut ergehen.
2508
doch sönt ir mich mê gesehen
Doch Ihr sollt mich noch öfter sehen,
2509
ê daz ir scheident hinnen.
bevor Ihr diesen Ort verlasst.
2510
got lâz iuch gewinnen
Gott lasse Euch Freude
2511
fröude und hôhe wunne.
und großes Glück zuteil werden.
2512
swes iuch mîn herze gunne,
Was immer Euch mein Herz gönnt,
2513
des sönt ir niemer werden ân.
das sollt Ihr niemals entbehren müssen.
2514
heizent weschen ab den rân
Lasst Euch den Schmutz der Rüstung abwaschen
2515
und füegent iuch in ruowe phliht.‘
und gönnt Euch selbst Ruhe.“
2516
er sprach ,des entuon ich niht
Er sprach: „Das tue ich nicht,
2517
al die wîl ich iemer leben.
solange ich lebe.
2518
rân und ruoz die müezen kleben
Schmutz und Dreck müssen immer
2519
dâ dâ iuwer mündel lac.
dort kleben, wo Euer Mund mich berührte.
2520
solt der minneclîch bejac
Sollte der liebliche Lohn
2521
sô schiere an mir enden?
an mir so rasch sein Ende nehmen?
2522
nein, mich müez ê phenden
Nein, mir müsste eher der Tod
2523
der tôt an dem lîbe
das Leben rauben,
2524
ê mîn munt keinem wîbe
ehe mein Mund sich einer Frau
2525
ze kus sich iemer biete
zum Kuss darbietet
2526
ald mîn lîp sich niete
oder mein Leib sich
2527
dekeiner slahte friundîn.
irgendeiner Geliebten hingibt.
2528
ich wil ûf mîn ende sîn
Ich will bis an mein Lebensende
2529
liebes ân und doch alsô
auf Liebe verzichten und doch
2530
êweclîche wesen frô
immerzu froh sein
2531
dur iuch kiuschen reinen.
wegen Euch keuscher Reiner.
2532
mîn herze mac gemeinen
Mein Herz kann sich mit niemand
2533
niemer anders denn an iuch.
anderem mehr vereinigen als mit Euch.
2534
swar ich in der welte fliuch,
Wohin in die Welt ich auch fliehe,
2535
sô jaget mir diu minne nâch.
jagt mir die Liebe nach.
2536
fliuch ich von iuch, ir ist gâch
Fliehe ich von Euch, hat sie es eilig,
2537
wie sî mir die sinne
mir die Sinne
2538
gebinde an iuwer minne:
an Eure Liebe zu ketten:
2539
des ich doch unwirdic bin.
Dabei bin ich dessen nicht würdig.
2540
iuwer kus hât mînen sin
Euer Kuss hat meinen Verstand
2541
in leit alsô verworren,
so in Leid verstrickt,
2542
daz mir müezent dorren
dass mir die Sinne
2543
sinne mit gedenken.
durch Gedanken verdorren.
2544
went mîn sinne swenken
Wollten meine Sinne sich auch
2545
hin, doch hât mîn herze
abwenden, hat doch
2546
ein minneclîcher smerze
ein lieblicher Schmerz
2547
friuntlîchen getroffen
mein Herz in Freundschaft getroffen
2548
und ist nâh gesloffen
und ist mir beinahe sanft
2549
senfte in mîne sinne,
in meine Sinne geschlüpft,
2550
alsô daz ich brinne
sodass ich oft
2551
dicke in grôzem froste.
brenne in großer Kälte.
2552
als îsen von dem roste
Wie Eisen durch Rost
2553
gekrenket wirt, sô er ez vegt,
geschwächt wird, wenn er es an der Oberfläche verletzt,
wie sie es noch heute tut und immer schon getan hat,
2676
daz ein mensche niht enkan
die ein Mensch nicht
2677
vinden in dem sinne.
durch Nachdenken finden kann.
2678
twinget ez diu minne,
Was die Liebe erzwingt,
2679
ez trahtet wunderlîchiu dinc.
trägt wunderliche Früchte.
2680
alsus ouch der jungelinc
So saß auch der Jüngling
2681
mit ganzer sinne trahte
mit der ganzen Last seiner Sinne
2682
in sînes herzen ahte
im Bannbereich seines Herzens
2683
saz und im gedâhte,
und überlegte bei sich,
2684
wie er von der âhte
wie er der Bedrängnis
2685
sender sorgen kæme.
drückender Sorgen entkäme.
2686
waz im dâ von gezæme
Was ihm dafür zu tun passend
2687
ze tuonde, dar ûf gie sîn sin.
erschien, darauf heftete sich sein Verstand.
2688
nu kan diu minne und wîste in
Nun kam die Liebe und gebot ihm,
2689
wie er solte kêren
wie er
2690
für den künic hêren
vor den hehren König,
2691
und für die andern künge drî
vor die drei anderen Könige
2692
und für die fürsten ouch dâ bî
und auch vor die Fürsten,
2693
die bî dem hove wârn gesîn,
die bei dem Hoftag waren,
2694
und für die werden künegîn,
und vor die edle Königin treten sollte,
2695
dar nâch für die frouwen dar
danach vor die anwesenden Damen
2696
und für gemein der ritter schar,
und vor die Gemeinschaft der Ritterschar,
2697
und solte sî mit girde
und sie dringend
2698
bitten dur ir wirde
bei ihrer Würde
2699
und dur küneclîchen prîs,
und dem königlichen Ruhm bitten sollte,
2700
daz sich iht ir belîben slîz
dass ihr Hierbleiben nicht
2701
dâ ûf ein zerrîten,
durch das Auseinanderreiten ein Ende finde
2702
daz sî durch in dâ bîten
und sie seinetwegen noch einen Tag
2703
noch einen tac, den welle er hân
warten würden, an dem er Hof halten
2704
hof. sîn sin geviel dar an
wollte. Sein Verstand verfiel darauf
2705
und dâhte in sînem muote
und er dachte bei sich:
2706
,daz kumet mir ze guote.
„Das kommt mir zugute.
2707
ob ich mit ir gereden mac
Wenn ich mit der reden kann,
2708
der mîn herze naht und tac
die mein Herz bei Nacht und bei Tag
2709
niht eine stunt vergizzet,
nicht eine Stunde lang vergisst,
2710
ich weiz wol, unde mizzet
weiß ich wohl, wenn
2711
ir minne halbez sorgen,
die Liebe ihr nur halb so viele Sorgen zumisst
2712
daz ich gar verborgen
wie die, die ich
2713
trag in mîner bruste
aus liebender Begierde
2714
nâ minneclîcher luste,
ganz verborgen in meiner Brust trage,
2715
es würde ir ein teil ze vil.‘
würde es ihr ein bisschen zu viel.“
2716
hie was sîner sinne zil
Zu diesem Schluss waren seine Sinne
2717
komen an. alsus er gienc
gelangt. So trat er
2718
für die künegîn: man enphienc
vor die Königin: Man empfing
2719
in wirdeclîche schône.
ihn angemessen würdig.
2720
mit süezer worte dône
Mit dem Klang schöner Worte
2721
hôrte man in prîsen.
hörte man ihn rühmen.
2722
er bat Fontânâgrîsen,
Er bat Fontanagris,
2723
den künc von Tenemarken,
den König von Dänemark,
2724
und den der mit den barken
und den, der mit den Schiffen
2725
was kumen von Norwægen,
von Norwegen gekommen war,
2726
Palarei den trægen
Palarei, der sich stets aller
2727
an allen houbetschanden,
großen Schanden enthielt,
2728
Florîn von Engellanden
Floris von England
2729
und Parlus von den Schotten,
und Parlus von Schottland
2730
und dâ nâch al die rotten
und danach alle Gruppen
2731
der fürsten, grâven, ritter schar,
der Fürsten und Grafen sowie die Schar der Ritter,
2732
die zuo dem hove wâren dar
die aufgrund ihrer Würde
2733
kumen dur ir werdekeit,
an den Hof gekommen waren,
2734
daz sî an im ir êre breit
dass sie ihm alle gleichermaßen
2735
mahten al gelîche.
Ehre erweisen möchten.
2736
,ir hôhen künge rîche,
„Ihr hohen mächtigen Könige,
2737
ir fürsten grâven frîgen
ihr Fürsten, Grafen, Freie
2738
und alle die hie sîgen,
und alle, die sich hier eingefunden haben,
2739
ich sol iuch sagen gnâden danc,
ich soll euch gnädigst Dank sagen,
2740
daz ir an mîne wirde kranc
dass ihr meiner geringen Würde
2741
sô hôhe êre hânt geleit.
so hohe Ehre erwiesen habt.
2742
ich hân von mîner werdekeit
Ich verdanke es nicht meiner Würde,
2743
niht daz man mich sô êret.
dass man mich so ehrt.
2744
mîn sin mich merken lêret,
Mein Verstand sagt mir,
2745
ir hânt geêret iuch an mir.
dass ihr mir gegenüber Ehre erlangt habt.
2746
dâ von mînes herzen gir
Deshalb will mein Herz
2747
von schuld iuch dienstes willen treit.
euch zu Recht bereitwillig dienen.
2748
lîp und guot ist iuch bereit
Leib und Gut stehen euch zur Verfügung,
2749
eigenlîch die wîl ich lebe.
solange ich lebe.
2750
nu bit ich noch einer gebe,
Nun bitte ich noch um eines,
2751
swer mir die verzîhet,
wer auch immer mir das verweigert,
2752
wizzent daz der lîhet
wisst, dass der
2753
mîm herzen sende swære.
meinem Herzen sehnsuchtsvolle Last auferlegt.
2754
aller sorgen lære
Frei von allen Sorgen
2755
wird ich ouch ob ez geschiht,
werde auch ich, wenn es geschieht,
2756
daz man mich hie êren siht,
dass ich hier geehrt werde,
2757
und ist ze tuonde mügelich.
und es ist leicht zu erfüllen.
2758
wær daz mîn bete trügelich
Wäre es, dass meine Bitte
2759
wære gên iuch allen,
gegenüber euch allen hinterlistig wäre,
2760
dâ von müese vallen
müsste meine schwache Ehre
2761
mîn krankiu êre in schande.
deswegen in Schande versinken.
2762
ê wolt ich von dem lande
Eher wollte ich das Land
2763
gân daz mich ûf geerbet
verlassen, das ich geerbt
2764
hât, ê sô ersterbet
habe, als dass eure Huld
2765
gên mir würd iuwer hulde.
mir gegenüber so getötet würde.
2766
der êren übergulde
Ihr setzt der Ehre,
2767
sô ir mir erboten hânt
die ihr mir erwiesen habt,
2768
ir an mîner bet begânt,
durch die Gewährung meiner Bitte noch die Krone auf,
2769
ob ir mir niht verzîhent.
wenn ihr sie mir nicht abschlagt.
2770
wizzent daz ir lîhent
Wisst, dass ihr mir damit
2771
mir dâ mit hôher fröuden vil.‘
zu großer Freude verhelft.“
2772
Fontânâgrîs der sprach ,ich wil
Fontanagris sagte: „Ich werde
2773
uns alle hie fürsprechen.
für uns alle hier sprechen.
2774
sît iuwer bete brechen
Da Eure Bitte nicht
2775
niht kan ab rehter mâze,
vom rechten Maß abweichen wird,
2776
sô triuwe ich wol, ich lâze
worauf ich vertraue, lasse ich
2777
iuch der bet niht ungewert.
Eure Bitte nicht unerfüllt.
2778
sprecht an, lât sehen wes ir gert:
Na los, lasst sehen, was Ihr begehrt:
2779
ob ez bî mâze fuoge treit,
Wenn es in den Grenzen des Anstands bleibt,
2780
daz wirt iuch hie niht verseit.‘
wird es Euch hier nicht verwehrt.“
2781
Er sprach ,dar umbe sol mîn sin
Er [scil. Reinfried] sprach: „Deshalb soll mein Verstand
2782
willeclîchen nîgen hin
immer willig
2783
in iwerm gebote iemer.
Eurem Gebot folgen.
2784
sin und herze niemer
Verstand und Herz mögen
2785
mit dienste an iuch wenkent,
niemals beim Dienst an Euch zweifeln,
2786
sît ir wîrde schenkent
solange Ihr mir Würde schenkt
2787
mir und mich tuont fröuden vol.
und mich erfreut.
2788
ich bitte, sît ich bitten sol,
Ich habe, wenn ich um etwas bitten darf,
2789
mit urloup iuch ein kleine,
mit Eurer Erlaubnis eine kleine Bitte:
2790
daz ir algemeine
dass Ihr Euch alle gemeinsam
2791
die zît alhie vertrîbent
hier die Zeit vertreibt
2792
und einen tac belîbent
und einen Tag hier bei mir
2793
bî mir hie, daz ist mîn gir.
bleibt, das ist mein Wunsch.
2794
den selben tac sô sollen wir
An diesem Tag sollen wir
2795
hovieren gar biz er ververt.
Hof halten, bis weit in den Abend hinein.
2796
swaz hie guotes wirt verzert,
Was hier an Gutem verzehrt wird,
2797
daz gât mit koste über mich.
geht auf meine Kosten.
2798
diz ist mîn bete, die wil ich
Das ist meine Bitte, die will ich
2799
verschulden iemer swâ ich kan
vergelten, wo immer ich kann,
2800
umb iuch, ob mir got heiles gan,
wenn mir Gottes Gnade vergönnt,
2801
daz ez ze schulden iemer kunt:
dass diese Schuld jemals fällig wird:
2802
sô sol mîn leben alle stunt
So soll Euch mein Leben
2803
iuch mit dienste wesen bî.‘
immerzu zu Diensten stehen.“
2804
dô sprach der hôhe wandels frî,
Da sprach der hehre Makellose,
2805
ich mein den muotes starken,
ich meine den Willensstarken,
2806
den künc von Tenemarken,
den König von Dänemark,
2807
des lîp in hôher wirde schein,
dessen Leib in hoher Würde erstrahlte:
2808
,der bete spriche ich jâ und nein:
„Auf die Bitte hin sage ich » ja « und » nein «:
2809
jâ umb daz belîben,
» ja « in Bezug auf das Verweilen,
2810
nein daz ir wellent trîben
»nein« dazu, dass Ihr die Kosten
2811
kost ûf iuch die ich sol hân;
übernehmen wollt, die doch ich tragen sollte;
2812
dâ mit under wirt getân
damit werden mein Lob und
2813
lop und mîner êren prîs.‘
der Ruhm meiner Ehre untergraben.“
2814
,nein, werder künc Fontânâgrîs,
„Nein, teurer König Fontanagris,
2815
mîn bet ist sus, ich wil alsô.‘
meine Bitte ist so, ich will es so.“
2816
ein belîben lopten dô
Hier zu bleiben gelobten da
2817
die herren sament alle
die Herren alle zusammen
2818
und wâren frô mit schalle.
und freuten sich lautstark.
2819
Morgen dô der tac ûf brach
Am nächsten Morgen bei Tagesanbruch,
2820
und man dur grâwiu wolken sach
als man durch graue Wolken
2821
liehten tac ûf liuhten,
die Sonne aufgehen sah,
2822
bluomen gras erfiuhten
spürte man, wie Blumen und
2823
man spurte von dem touwe.
Gräser feucht vom Tau waren.
2824
dâ was sô rîchiu schouwe
Da war solch ein Reichtum
2825
von liehter bluomen schoene.
an schönen leuchtenden Blumen zu sehen!
2826
man hôrte vogel doene
Man hörte das Zwitschern der Vögel
2827
hôh in den wolken wægen.
hoch oben durch die Wolken ziehen.
2828
man sach ûz sæten drægen
Man sah aus den Saatfeldern die Lerchen
2829
die lerken gên den lüften.
in die Lüfte aufwirbeln.
2830
irs gesanges güften
Der Klang ihres Gesanges
2831
tet manic herze schallen.
ließ manches Herz klingen.
2832
messe wart in allen
Eine Messe wurde ihnen allen
2833
gesungen lobelîche.
rühmlich gesungen.
2834
dar nâch die fürsten rîche
Danach nahm sich der Beständige
2835
und al ir massenîe
von Braunschweig der mächtigen Fürsten
2836
die nam der wandels frîe
und ihres ganzen Gefolges
2837
von Brûneswîg, und hât bereit
an und er hatte
2838
mit alsô grôzer rîcheit
mit großem Aufwand
2839
sô übermæzic wirtschaft
ein so riesiges Gastmahl
2840
von rât und alsô grôze kraft
vorbereiten lassen und so große Kraft darauf verwandt,
2841
daz ich ir niht geprüeven sol.
dass ich es nicht beschreiben werde.
2842
ich weiz daz sî ze Karidol
Ich weiß, dass es zu Karidol
2843
gezæme künc Artûse.
König Artus angemessen wäre.
2844
wie ieclîch brâte sûse
Wie ein jeglicher Braten zischte
2845
und traht nâ würzen smegge
und das Aufgetragene nach Gewürzen schmeckte
2846
und bîgerihte negge
und Beilagen rochen
2847
und ander guot geræte,
und anderes Gutes geraten war,
2848
waz leige man wiltbræte
was man alles an Wildbret
2849
in wirtschaft nider slüege,
im Überfluss erlegte,
2850
waz man ze tische trüege
was man an hochgelobten Gerichten
2851
von hôhgelopten trahten,
zu Tisch trug –
2852
solt ich des alles ahten,
sollte ich das alles berücksichtigen,
2853
ich weiz es iuch verdruzze.
so weiß ich, dass es euch verdrösse.
2854
swaz ie in wazzers fluzze
Was jemals als Nahrungsmittel
2855
dur lîbes nar gevangen wart,
aus fließendem Wasser gefangen wurde,
2856
swaz waldes wilde ie verspart
was die Wildnis des Waldes
2857
mit holze hât von tieren
an Tieren je mit Holz umgab,
2858
diu tische solten zieren,
sollte die Tische zieren;
2859
swaz in den lüften ie geflouc,
was jemals durch die Lüfte flog,
2860
swaz ie getranc od ie gesouc,
was jemals getrunken oder geschlürft wurde
2861
daz zuo wirtschaft tohte,
und was zu einem Gastmahl taugte,
2862
ob man ez haben mohte,
an dem war kein Mangel,
2863
sô was sîn dâ kein mangel.
sofern man es auftreiben konnte.
2864
sus rîcher koste krangel
Eine so reichliche Auswahl an Köstlichkeiten
2865
ist mînem hûse tiure.
gibt es in meinem Haus nie.
2866
ich siut bî strôwes fiure
Ich koche bei Strohfeuer
2867
und brâte wol mîn spîse.
und brate meine Speise gut.
2868
des muoz ich werden grîse
Darum werde ich vor der Zeit
2869
ê zît bî jungen jâren.
in jungen Jahren altern.
2870
dô sî enbizzen wâren,
Nachdem sie gegessen hatten,
2871
dô huop sich ein hovieren.
erhob sich festliche Geselligkeit.
2872
man hôrt daz wolken zieren
Man hörte, dass Wolken,
2873
von manges kraches dône,
vom Klange vieler Töne geschmückt wurden,
2874
die in den lüften schône
die in den Lüften von reichen Noten schön erschallten.
2875
von rîchen notten schullen.
geschmückt waren von dem Klang vieler Töne.
2876
ob in ir herze swullen
Ob ihnen etwa ihre Herzen
2877
iht sender herzeswære,
aus sehnsuchtsvollem Herzleid anschwollen,
2878
der zweiger den diz mære
den zweien, denen diese Geschichte
2879
hie dient nâ lobes danke?
um den Dank des Lobes gewidmet ist?
2880
jâ mit mangem swanke
Ja, mit mancher Wendung
2881
ir ougen zemen swungen,
trafen ihre Augen zusammen,
2882
daz sich die blicke drungen
dass die Blicke hindurch
2883
dur in ir herzen arke.
bis in die Kammer ihres Herzens drangen.
2884
diu junge ûz Tenemarke
Die Junge aus Dänemark
2885
lie hin ir ougen flücken,
zwinkerte ihm mit den Augen zu
2886
und kund daz blicken lücken
und konnte ihm seinen Blick
2887
im ûz dem herzen sinne.
aus dem Verstand des Herzens locken.
2888
ir was ouch von der minne
Auch ihr war das Herz
2889
daz herze unenbunden.
von der Liebe gefesselt.
2890
scharpher minne wunden
Auch sie war von der scharfen Minne
2891
was sî tief ouch worden wunt.
tief verwundet worden.
2892
des muos ir minneclîcher munt
Deshalb musste ihr lieblicher Mund
2893
ersiufzen tougen dicke,
oftmals heimlich aufseufzen.
2894
sô sîner ougen blicke
Sowie seine aufmerksamen Blicke
2895
hin swungen ûf ir warte,
zu ihr hin schweiften,
2896
sus diu reine zarte
So war die reine Zarte
2897
was nâ im und er nâ ir
mit steter Begierde des Herzens
2898
verdâht mit stæter herzen gir.
in Gedanken bei ihm und er bei ihr.
2899
Sorgen und ouch fröuden blôz
Sie waren frei von Sorge und
2900
wâren sî: nu was sô grôz
auch von Freude. Nun wurde so viel
2901
daz tanzen und daz springen,
getanzt und gesprungen,
2902
daz sagen und daz singen,
geredet und gesungen;
2903
der schal was grôz und was dâ klein.
der Lärm war da groß und dort klein.
2904
sô wurfen jene dort den stein,
Wie die einen dort Steine warfen,
2905
sô zugen dis schâhzabelspil.
spielten die anderen Schach.
2906
sô schuzzen jene zuo dem zil,
Wie sich jene im Zielschießen übten,
2907
sô sach man dis dâ springen.
sah man diese da springen.
2908
sô wolten jene ringen,
Wie jene ringen wollten,
2909
sô sach man wie dis spilten
so sah man, wie diese spielten
2910
ald mit den kugeln zilten.
oder Kugeln auf ein Ziel hin rollten.
2911
sô seiten die von minne,
Wie die einen von Liebe erzählten,
2912
dis von guot gewinne
so die anderen von großen Erfolgen
2913
und aber die von ritterschaft.
und wieder andere von Ritterschaft.
2914
sô schuzzen dise hie den schaft,
Wie diese hier Speere warfen,
2915
sô wolten jene trinken wîn.
so wollten jene Wein trinken
2916
sô wolten dis bî frouwen sîn
und andere sich die Gunst
2917
werben nâ ir gruoze.
der Damen erwerben.
2918
dâ was sô vil unmuoze
Da war so viel los,
2919
daz nieman nam kein ahte
dass sich niemand
2920
umb des andern trahte
um den anderen kümmerte,
2921
noch umb sîn haben, umb sîn lân,
weder um sein Tun noch um seine Unterlassungen
2922
umb sîn werben. man lie gân
oder um sein Werben. Man ließ
2923
ie daz dinc nâ sîner phliht,
den Dingen ihren Lauf,
2924
als under wîlent noch geschiht
wie es zuweilen heute noch
2925
ze hoven, der es næme war,
bei Hof geschieht – wer es wissen will –,
2926
ob ich die wârheit sprechen tar.
wenn ich die Wahrheit sprechen darf.
2927
Sus gienc ez allez umbe.
So ging das alles vor sich.
2928
nu hoer ich daz kein stumbe
Nun höre ich, dass kein Stummer
2929
ân heischen werde selten rîch.
jemals durch Fragen reich wird.
2930
dem tet der fürste ungelîch,
Der Fürst verhielt sich nicht so,
2931
wan er gedâht ie an den pîn,
denn er dachte oft an die Qual,
2932
wie er hin zuo der künegîn
wie er mit Anstand in die Nähe
2933
mit fuoge nâhe kæme,
der Königin kommen könnte,
2934
ob sî noch baz vernæme
damit sie die Gesinnung
2935
sînes herzen meine.
seines Herzens noch besser vernähme.
2936
nu dûhte in, diu reine
Nun kam ihm vor, die Reine
2937
im winhte mit den ougen.
deutete ihm mit den Augen.
2938
er gie hin nâher tougen
Er ging heimlich näher hin,
2939
sô daz sîn niemen warte.
sodass niemand ihn bemerkte.
2940
sus gie diu reine zarte
Da schlüpfte die reine Zarte
2941
under ein swache hüttelîn,
in eine leichte kleine Hütte
2942
und lie niemen bî ir sîn
und erlaubte niemandem, bei ihr zu sein,
2943
wan ir juncfrouwen eine.
außer einer ihrer Jungfrauen.
2944
den andern algemeine
Den anderen sagte sie allen
2945
seit sî, sî wær ein wênic swach,
zusammen, sie fühlte sich ein wenig schwach
2946
und wolt ein klein dur ir gemach
und wollte in ihr Gemach
2947
gân in der ruowe lâge.
gehen, um kurz auszuruhen.
2948
,ob iemen nâ mir frâge,
„Wenn jemand nach mir fragen sollte,
2949
dem sagent sô, ich kum her wider,
so sagt ihm, ich komme wieder her,
2950
swenn ich ein stunde mîniu lider
wenn ich in einer Stunde meine Lider
2951
von dem slâfe erbriche.‘
nach dem Schlaf wieder öffne.“
2952
sus diu minnecliche
So stahl sich die Liebliche
2953
in daz hüttelîn entweich.
in die kleine Hütte.
2954
tougenlîchen nâch ir sleich
Heimlich schlich hinter ihr
2955
der fürste ouch hin under.
auch der Fürst hinein.
2956
nu hoerent frömdiu wunder,
Nun hört erstaunliche Wunder,
2957
waz liep mit liebe liebes kan
was Liebe mit Liebe an Liebem vermag,
2958
dâ liep eht liebe liebes gan.
wo Liebes der Liebe etwas Liebes gönnt.
2959
Die würkent wunderlîchiu dinc.
Die [scil. die Wunder] bewirken wundersame Dinge.
2960
ir minneclîcher ursprinc
Ihr Ursprung aus der Liebe
2961
gît dicke ein liebez ende,
bringt oftmals ein liebreiches Ende,
2962
dâ man ez âne phende
wo man es ohne Schaden
2963
hôher êren trîbet,
an hoher Ehre betreibt,
2964
wan minne alsô belîbet
wenn Liebe auf diese Weise
2965
gekroenet mit den êren.
mit Ehren gekrönt bleibt,
2966
dâ kan minn êre hêren
da kann Liebe die Ehre erhöhen
2967
und hêrt ouch êre minne,
und erhöht auch die Ehre der Liebe.
2968
wan diu welt mit unsinne
Wenn die Welt mit unsinniger Liebe
2969
tobelîchen minnet.
wie verrückt liebt,
2970
dâ ist niht wol besinnet
ist damit weder die Liebe
2971
minne noch diu êre.
noch die Ehre gut beraten.
2972
swâ diu minne kêre
Wo sich die Liebe von
2973
von êren hât, daz ist unsin.
der Ehre abwendet, da entsteht Unvernunft.
2974
dâ von hât man ungewin
Davon hat man noch nie etwas
2975
dicke genon und nimet noch.
gewonnen und tut es auch nicht.
2976
diz ist wâr und flîzet doch
Das ist wahr; und doch strebt
2977
diu welt sich zuo unminne,
die Welt nach unminne,
2978
wan man mit unsinne
wenn man mit Unvernunft
2979
siht frouwen minnen unde man.
Männer und Frauen lieben sieht.
2980
ob sî dâ verlierent an,
Wenn sie dabei verlieren,
2981
wer mag in des? diu schuld ist ir.
wer kann ihnen das vergelten? Die Schuld liegt bei ihnen.
2982
swâ minne in minneclîcher gir
Wo immer die Liebe in liebevollem Begehren
2983
nâ êren wirbet unde stât,
nach Ehre strebt und nicht davon ablässt,
2984
ob diu ein wîle kumber hât,
auch wenn sie eine Weile Kummer hat,
2985
doch gît sî hôher fröuden teil.
bringt sie doch große Freude mit sich.
2986
gotes gunst, der welte heil
Gottes Gunst und das Heil der Welt
2987
erwirbet man mit minne,
erwirbt man durch Liebe,
2988
dâ sî sich zuo unsinne
wo sie sich nicht zu Unvernunft
2989
niht birget noch vermischet.
versteigt oder sich mit dieser vermischt.
2990
sô wirt doch ie erfrischet
So wird durch sie schließlich
2991
mit ir diu êr ze leste.
doch immer die Ehre befördert.
2992
minn ist ein hort der beste
So ist Liebe der beste Schatz,
2993
des ie zer welte wart erdâht
der je auf Erden erdacht wurde,
2994
alsô ob sî sich niht vergâht.
wenn sie sich nicht übereilt.
2995
Alsô warp hîe minne.
So wirkte hier die Liebe.
2996
des werden fürsten sinne
Des teuren Fürsten Sinne
2997
niht nâ unminne stalten.
waren nicht auf unminne aus.
2998
nâ êren man in valten
Nach Ehre sah man ihn verrenken
2999
sach alliu sînes lîbes lider.
alle Glieder seines Leibes.
3000
sî driu zuo ein ander nider
Zu dritt saßen sie
3001
sâzen in der hütten.
beieinander in der Hütte.
3002
ob in ir herze iht sütten
Ob ihnen ihre Herzen nicht
3003
minneclîcher gedenke?
liebevolle Gedanken einflüsterten?
3004
jâ der sinne senke
Ja, die Sinne gruben
3005
sich sancten sô ze grunde,
sich so tief ins Herz,
3006
daz ir dewederz kunde
dass keiner von ihnen
3007
ein wort gesprechen noch gesprach,
ein Wort sprechen konnte noch sprach,
3008
wan daz eht ietwederz sach
außer dass der eine
3009
daz ander minneclîchen an.
den anderen liebevoll ansah.
3010
wâ von daz wære, ob ich kan,
Wovon das kam, will ich euch hier,
3011
daz vil ich iuch hie künden,
wenn ich kann, verraten,
3012
ob ich eht mac durgründen
wenn ich tatsächlich die Sache
3013
die sache mit dem sinne.
mit dem Verstand vollständig zu erklären vermag.
3014
wir sehen von der minne
Wir sehen von der Liebe
3015
ein dinc daz dick beschehen ist
etwas, das schon oft geschehen ist
3016
und noch beschiht ze manger frist
und mitunter noch heute geschieht
3017
und ouch beschach an disen zwein.
und auch diesen beiden widerfuhr.
3018
swâ sich zwei herzen schôn in ein
Wo immer sich zwei Herzen mit Gedanken
3019
mit den gedenken einent,
schön in eines fügen,
3020
sô daz sî beide meinent
so dass sie beide dasselbe,
3021
ein dinc, ein ein, ein liep, ein leit,
ein Einziges, eine Liebe, ein Leid denken,
3022
und doch dewederz hât geseit
wobei doch keiner dem anderen
3023
dem andern sînes herzen pîn,
seine Herzensqual geschildert hat,
3024
diu herzen müezent beide sîn
müssen beide Herzen gedanklich
3025
verdâht nâ süezer minne.
in süßer Liebe versunken sein.
3026
sî denkent in ir sinne
Sie denken in ihren Köpfen:
3027
,ei bræht gelücke mir die stunt
„Ei, brächte das Glück mir die Stunde,
3028
daz ich in ir ôre kunt
dass ich ihr eine Bedrückung
3029
mîn swære möhte machen,
zu Gehör bringen könnte,
3030
sô wolt ich an den sachen
so wollte ich von den Dingen
3031
an vâhen und wolt reden sus:
beginnen und wollte folgendermaßen sprechen:
3032
ich wolt sî bitten umb ir kus
Ich wollte sie um ihren Kuss bitten
3033
und wolt ir klagen mînen pîn
und wollte ihr meine Qual klagen
3034
und ir künden wie sî in
und ihr mitteilen, wie sie sich
3035
mîn herz sich hât gesenket.‘
in mein Herz gebohrt hat.“
3036
alsus der sin gedenket
So denkt der Verstand
3037
an mange sache mê dan vil
an manche Sache allzu viel,
3038
die er mit ir reden wil,
die er mit ihr besprechen will,
3039
ob im diu fuoge gît die stat.
wenn der Anstand es ihm erlaubt.
3040
und swenne er sich gesetzet hât
Und sobald er sich in aller Ruhe
3041
zuo ir in rehter ruowe phliht,
zu ihr gesetzt hat,
3042
sô kan er ein wort reden niht
so bringt er kein Wort heraus
3043
und sitzet dâ und siht sî an
und sitzt da und schaut sie an
3044
und scheidet ungeret von dan.
und verlässt sie, ohne ein Wort gesagt zu haben.
3045
diz ist beschehen mange stunt.
Dies ist schon oft geschehen.
3046
und sô er êrst von dannen kunt,
Und sobald er erst von ihr weg ist,
3047
sô kan er rede wunder.
kann er Wunder was sprechen.
3048
zehant der minne zunder
Sofort entzündet ihm die Glut
3049
enbrennet im die sinne,
der Liebe die Sinne
3050
und kan denn von der minne
und dann kann er von der Liebe
3051
gesagen allez daz ie wart.
alles sagen, was jemals einer sagte.
3052
wâ von daz sî daz sô verspart
Wovon das kommt, dass das Schloss der Zunge
3053
der zungen slôz bî liebe sî?
in Gegenwart der Geliebten so verschlossen ist?
3054
daz ist dâ von, ir herzen bî
Das kommt daher, dass ihre Herzen
3055
ein ander stæteclîche sint,
immerfort beieinander sind,
3056
wan minne mit gedenken bint
weil Liebe sie beide im Gedenken
3057
sî beidiu in der minne stric.
mit ihren Stricken aneinander bindet.
3058
dâ bî ist der ougen blic
Der Blick der Augen ist nicht
3059
niht, ez tuot diu minne
dabei, es bewirkt allein die Liebe
3060
in der gedenke sinne
in den Sinnen der Gedanken
3061
mit minneclîchem prîse.
mit lieblichem Ruhm.
3062
zuo gelîcher wîse
In gleicher Weise
3063
geschiht den sinnen alle frist
ergeht es den Sinnen immer
3064
als dâ ein hûs erfüllet ist
wie dort, wo ein Haus so
3065
mit liuten alsô daz ein man
voller Leute ist, dass kein Mann
3066
niht mê dâ hin în komen kan.
mehr da hineinkommen kann.
3067
diz bîspel ich gelîche spür.
Dieses Beispiel empfinde ich ähnlich.
3068
nu stânt liute vor der tür
Nun stehen Leute vor der Tür,
3069
mê denne in dem hûse sîn.
mehr als in dem Haus sind.
3070
jen went her ûz und dis hin în
Jene wollen hinaus und diese hinein
3071
und dringent vast an der getât.
und sie drängeln nach Kräften.
3072
der ûzern alsô vil dâ stât
Heraußen stehen so viele,
3073
daz jene belîbent dinne.
dass jene drinnen bleiben müssen.
3074
alsus beschiht dem sinne,
Genauso ergeht es dem Verstand,
3075
swâ liep ist liebem liebe bî.
wenn Liebende beieinander sind.
3076
ob ir blicke sîgen frî?
Ob ihre Blicke da frei sind?
3077
nein sî twingt diu minne
Nein, die Liebe zwingt sie,
3078
daz sî went zuo dem sinne
dass sie zu dem Verstand
3079
dringen in daz herze.
ins Herz dringen wollen.
3080
der unmüezige smerze
Der unruhige Schmerz
3081
die sinne hât verklummen,
hält die Sinne umklammert,
3082
daz der munt verstummen
sodass der Mund verstummen
3083
muoz und weiz niht waz er seit.
muss und nicht weiß, was er sagt.
3084
nâtûre tuot gewisheit
Die Natur bestätigt,
3085
des daz die ûzern sinne
dass die äußeren Sinne
3086
die gedenke inne
die Gedanken im
3087
dem herzen bringent von der phliht.
Herzen ablenken.
3088
sus ist ez nu diu gesiht,
So ist es nun der Anblick,
3089
diu dik gedenke schicket,
der den Gedanken die Richtung weist,
3090
sô sî mit luste erblicket
wenn sie mit Lust dorthin blicken,
3091
dar dâ daz herze ist hin verdâht.
wohin sich das Herz gewandt hat.
3092
alsus wirt von gedenken brâht
So wird von den Gedanken der Verstand
3093
der sin und jagt den ougen nâch.
gebracht und jagt den Augen nach.
3094
im wirt sô herzelîchen gâch
Er hat es so furchtbar eilig
3095
zuo der ougen mezzen
den Augen zu folgen,
3096
daz er muoz vergezzen
dass er vergessen muss,
3097
swaz er vor betrahet hât.
was er zuvor betrachtet hat.
3098
alsô der sin verirret stât
So verirrt sich der Verstand
3099
und weiz ein man niht waz er tuot.
und weiß ein Mann nicht, was er tut.
3100
diu ougen irrent im den muot.
Die Augen verwirren ihm den Verstand.
3101
diz beschiht noch mange stunt.
Das geschieht noch heute immer wieder.
3102
swenne er denn von dannen kunt
Sobald er sich dann zu lösen vermag
3103
und ir diu ougen niht mê sehent,
und die Augen sie nicht mehr sehen,
3104
die gedenke wider spehent
erkennen die Gedanken wieder,
3105
daz sî hânt versûmet,
was sie versäumt haben,
3106
wan in êrst gerûmet
wenn ihnen erst
3107
wirt mit der gesihte.
der Anblick entzogen wird.
3108
in suslîcher phlihte
In solcher Gemeinschaft
3109
sâzen diu gelieben hie,
saßen die Geliebten hier,
3110
daz ir dewederz kunde nie
sodass lange keiner von beiden
3111
gesprechen wort ein lange stunt.
ein Wort sprechen konnte.
3112
nu was der juncfrouwen kunt
Nun wusste Yrkanes Fräulein sehr wohl
3113
wol irs herzen meine.
um die Gesinnung ihres Herzens
3114
diu minneclîche reine
Die liebliche Reine
3115
sprach ,war umb sint ir komen her?
sprach: „Warum seid Ihr hergekommen?
3116
wie sitzent ir sô, ir und er?
Wie sitzt Ihr so, Ihr und er?
3117
wan redent ir doch etewaz!
Wann redet Ihr endlich etwas!
3118
diz swîgen hie waz meinet daz?
Was bedeutet dieses Schweigen hier?
3119
ald schiuhent ir mich hinne
Oder Ihr scheucht mich weg;
3120
an, an wârer minne
in Bezug auf wahre Liebe
3121
hânt ir an mir kein sûme.
findet Ihr an mir kein Zögern.
3122
ir beide hânt doch kûme
Ihr beide konntet es doch kaum
3123
erbiten dirre statte.‘
erwarten hierher zu kommen.“
3124
mit den Worten hatte
Bei diesen Worten hatte
3125
alrêrst der fürste sich bedâht,
sich der Fürst endlich besonnen,
3126
wan er was ze sinnen brâht
denn durch die Worte des Fräuleins,
3127
von der megde worte,
die er so sprechen hörte,
3128
die er sô sprechen hôrte,
war er wieder zu Verstand gekommen;
3129
dâ von entweich sîn ungemach.
davon verschwand seine Starre.
3130
mit siufzendem munt er sprach:
Seufzend sprach er:
3131
,Waz sol ich sprechen? ich enkan.
„Was soll ich sagen? Ich kann nicht.
3132
mîn zunge ist mir worden lan
Meine Zunge ist mir
3133
sît iez in mînem munde.
soeben im Mund erschlafft.
3134
swaz ich vor wunders kunde,
Was ich früher Wunderbares erzählte,
3135
des hân ich gar vergezzen.
habe ich vollkommen vergessen.
3136
sin unde herz besezzen
Mein Verstand und mein Herz werden
3137
mir sint mit den gedenken.
von sehnsüchtigen Gedanken vereinnahmt.
3138
owê daz ich wenken
Oh weh, dass ich nicht
3139
von den sorgen niht enkan!
von den Sorgen loskomme!
3140
mich brennet unde vihtet an
Mich brennt und sticht
3141
sô bitterlîcher smerze.
so bitterlicher Schmerz.
3142
mich wundert daz mîn herze
Mich wundert, dass mein Herz auch nur
3143
ez halbez mag erlîden,
die Hälfte davon ertragen kann,
3144
wan der minne snîden
denn die Schärfe der Liebe
3145
ez ûf den tôt versêret.
verwundet es auf den Tod.
3146
mir werde dann verkêret
Wenn mein Leid mir nicht
3147
mîn leit mit süezem trôste,
durch süße Zuwendung verwandelt wird,
3148
sô muoz ich ûf dem rôste
so muss ich auf dem Rost
3149
der strengen minne brinnen.
der harten Liebe brennen.
3150
ich bin sô gar von sinnen
Ich habe so vollständig den Verstand
3151
komen und von muote,
verloren und den Mut,
3152
daz ich ûz al der huote
dass ich von allen guten Geistern verlassen
3153
bin, der ie sinnic herze wielt.
bin, die sich jemals um ein vernünftiges Herz sorgten.
3154
ob ich ie ritters orden hielt,
Ob ich jemals die Ritterwürde empfing,
3155
des weiz ich niht: sô hânt ir mir
weiß ich nicht: So habt Ihr mir
3156
genomen mînes herzen gir
die Begierde meines Herzens genommen
3157
und aller mîner sinne kraft.
und die Kraft meines Verstandes.
3158
süeze kiusche tugenthaft,
Süße keusche Tugendhafte,
3159
daz lânt iuch erbarmen.
habt deswegen Erbarmen.
3160
senfterent mir armen
Lindert mir Armem
3161
den bitterlîchen smerzen,
den bitteren Schmerz,
3162
den ich trag in herzen,
den ich im Herzen trage,
3163
und daz strenge ungemach.‘
und das harte Ungemach.“
3164
zühtelîch diu reine sprach:
Voll Anstand sprach die Reine:
3165
,Waz rede ist daz? waz meinent ir?
„Was redet Ihr da? Was meint Ihr?
3166
wâ mit hân ich, daz sagent mir,
Sagt mir, womit habe ich
3167
iuwer herz gebunden?
Euer Herz gefesselt?
3168
an den strengen wunden
An schlimmen Wunden bin ich
3169
sô biut ich mîn unschulde.
meiner Meinung nach unschuldig.
3170
ob iuwer herze dulde
Ob Euer Herz meinetwegen
3171
von mir leit, daz weiz ich niht.
Leid erduldet, weiß ich nicht.
3172
ald wie sol ich der noete phliht
Oder wie soll ich Euer Herz
3173
iuch ûz herzen scheiden?
aus der Not befreien?
3174
hân ich gewalt an beiden
Habe ich die Macht, Euch sowohl
3175
iuch binden und enbinden?
zu fesseln als auch die Fesseln zu lösen?
3176
mag ich iuch sorge linden
Kann ich Euch sowohl Sorgen lindern
3177
und füegen hôhen smerzen?
als auch großen Schmerz zufügen?
3178
wenn wart ich iuwers herzen
Wann gewann ich solche Macht
3179
mit sinnen sô gewaltic,
über Euer Herz und Eure Sinne,
3180
daz ir sô manicvaltic
dass Ihr meinetwegen
3181
sorge dur mich lîdent?
so mannigfaltige Not leidet?
3182
ob ir fröude mîdent,
Wenn Ihr keine Freude empfindet,
3183
wie sol ich daz erwenden?‘
wie soll ich das ändern?“
3184
,dâ sönt ir mir ellenden
„Da solltet Ihr mir Armem
3185
mit trôste hôchgemüete gên,
mit Trost zu besserer Stimmung verhelfen,
3186
alsô daz ir geruochent nên
indem Ihr mich
3187
in iuwer dienestlîch gebot
in Euren Dienst zu nehmen
3188
mich, und daz ich sunder spot
geruht und ich allen Ernstes
3189
dienstes iuch gebunden sî,
dienstlich an Euch gebunden bin
3190
und daz iuch, reine wandels frî,
und indem Euch, reine Makellose,
3191
mîn dienest sî genæme.
mein Dienst genehm sei.
3192
ob iuch der muot gezæme,
Wenn Euch diese Haltung geziemt,
3193
sô mües mir sorge swachen.
werden meine Sorgen gering werden.
3194
mîn herze möht erkrachen
Mein Herz könnte
3195
von den senden noeten.
vor Sehnsucht zerbersten.
3196
iuwer zuht mich toeten
Euer Anstand kann mich
3197
kan an hôhem muote.
um alle Glückseligkeit bringen.
3198
der minne geiselruote
Die Geißel der Liebe
3199
mich zuo den noeten twinget.
verdammt mich zum Leid.
3200
swaz hôchgemüete bringet,
Was auch immer Glückseligkeit bringt,
3201
des ist mîn herze leider arn.
daran ist mein Herz leider arm.
3202
iuwer güete well bewarn
Will Eure Güte mich nicht besser
3203
baz von senden sorgen mich,
vor sehnsuchtsvoller Sorge bewahren,
3204
sô muoz ich sterben sicherlich.‘
muss ich mit Sicherheit sterben.“
3205
Sî sprach ,diu red ist wunderlich.
Sie sprach: „Diese Worte sind seltsam.
3206
went ir underwîsen mich
Wollt Ihr mich dazu bringen,
3207
daz sich mîn sin vergâhe,
dass sich mein Verstand übereilt
3208
alsô daz ich enphâhe
und ich jemanden in meinen Dienst
3209
ze dienest den ich nie gesach.
nehme, den ich nie zuvor gesehen habe?
3210
mir möht beschehen als beschach
Mir könnte es ergehen, wie es Dido
3211
Dîdô der werden künigîn,
erging, der edlen Königin,
3212
dô sî in ires herzen schrîn
als sie sich in ihrem innersten Herzen
3213
Enêam zuo âmîse kôs.
Eneas zum Geliebten erkor.
3214
dâ von sî den lîp verlôs,
Das bezahlte sie mit dem Leben,
3215
wan er sich von ir hin verstal.
weil er sich von ihr davon stahl.
3216
Virgilîus seit über al,
Vergil sagt ganz genau,
3217
wie sî verbran und ir ergie.
wie sie sich verbrannte und wie es ihr erging.
3218
sich wil baz verwarten hie
Mein Verstand, mein Herz und mein Denken
3219
mîn sin mîn herze und mîn gedanc.
wollen hier besser auf sich achtgeben.
3220
ob ir sint an fröuden kranc,
Wenn Ihr arm an Freuden seid,
3221
daz ist mir leit: ich wolte wol
tut es mir Leid: Ich wünschte wohl,
3222
daz ir wærent fröuden vol,
dass Ihr voll Freude wäret,
3223
alsô daz diu fröude mich
wenn die Freude mich
3224
an êren tæt unschamelich.‘
in meiner Ehre nicht beschämte.“
3225
,Unschamelich? waz meinet daz?
„Nicht beschämte? Was bedeutet das?
3226
gotes und der welte haz
Der Hass Gottes und der Welt
3227
sol im wesen unverseit
sollen dem sicher sein,
3228
swer den valsch in herzen treit‘,
der Falschheit im Herzen trägt“,
3229
sprach er, ,von des sachen
sprach er, „solche Dinge
3230
diu êre müese swachen:
müssten der Ehre schaden:
3231
des bin ich lidic unde frî.
Ich bin davon vollkommen frei.
3232
swie daz ich nu leider sî
Auch wenn ich der Ehren nun
3233
der êren gar unwirdic,
leider ganz unwürdig wäre,
3234
sô muoz mîn herze girdic
so muss mein Herz doch
3235
doch sîn nâ hôhen dingen.
nach hohen Dingen streben.
3236
hôchgedenke bringen
Hoch fliegende Gedanken können
3237
mir künnent tiefe swære.
mir tiefe Betrübnis bringen.
3238
ob ich sô sælic wære,
Wenn mir,
3239
daz mir leider widervert
was leider nie passieren wird,
3240
niemer, daz mir wær beschert
durch Euch, erhabene Königin,
3241
von iuch, hôhe künegîn,
das Glück widerfahren würde,
3242
sô daz ir den dienest mîn
dass Ihr meinen Dienst
3243
enphâhen hie geruochent,
anzunehmen geruht
3244
und doch dar an versuochent
und es immerhin darauf ankommen lasst,
3245
ob ich iuch dienen türre,
dass ich Euch dienen dürfte,
3246
lîp und guot ich würre
würde ich Leib und Gut für
3247
ze iuwerr gnâden krône,
die Krone Eurer Gnade riskieren
3248
und wolte doch ze lône
und wollte dafür doch
3249
dar umbe niemer niht gegern,
niemals etwas zum Lohn begehren.
3250
wan des ir mich wol gewern
als was Ihr mir gut und gerne
3251
möhtent sunder schande.
ohne Schande gewähren könntet.
3252
mîn herze ist von dem brande
Mein Herz ist vom Feuer
3253
der strengen minne enzündet.
der strengen Liebe entzündet.
3254
ist daz mir niht gekündet
Ist es so, dass mir von Euch kein
3255
von iuch wirt senfter sache,
Entgegenkommen gezeigt wird,
3256
ich kranken unde swache
werde ich von Stunde zu Stunde
3257
gar von stunt ze stunde.
schwächer und elender.
3258
mir lît in herzen grunde
Mir liegt auf dem Grunde des Herzens
3259
daz bitter leit verborgen,
das bittere Leid verborgen,
3260
von dem mîn lîp mit sorgen
aufgrund dessen mein Leib stets
3261
in jâmer stæteclichen lept.
mit Sorgen in Jammer lebt.
3262
von fröuden zuo der noete strept
Von Freude zum Leid streben
3263
lîp sin muot mit dem herzen.
mit dem Herzen Körper, Verstand und Gemüt.
3264
owê ach! den smerzen
Oje und ach! Ihr könntet
3265
möhtent ir wol wenden,
den Schmerz sehr wohl abwenden,
3266
sô daz ich iuwern henden
sodass ich mich dienstfertig
3267
mit dienste solte nîgen.
vor Euren Händen verneigen würde.
3268
dâ von sô müeste sîgen
Davon müsste ein Teil
3269
nider mîner sorgen teil,
meiner Sorgen vergehen
3270
und diuhte mich ein guotez heil,
und es deuchte mich ein großes Glück,
3271
solt ich dar inne schînen.
sollte ich in diese glückliche Lage kommen.
3272
doch dur mîns dienstes pînen
Doch für die Qual meines Dienstes
3273
gert ich niemer anders niht
begehrte ich nichts anderes
3274
wan der hôhen zuoversiht
als die große Hoffnung,
3275
daz ir mîns dienstes næment war.
dass Ihr meinen Dienst bemerkt.
3276
geviel er iuch, sô wære gar
Gefällt er Euch, so wäre vollständig
3277
in iuwerm dieneste geschehen
in Eurem Dienst geschehen,
3278
swaz guotes von mir würd gesehen.
was man mich Gutes tun sähe.
3279
wær des niht, sô liezent sîn
Wäre das nicht das Fall, so lasst mich
3280
mich der ich ouch iezent bin
der sein, der ich auch jetzt
3281
und lange leider bin gewesen
und leider schon lange ohne Trost
3282
ân trost. sol aber ich genesen,
bin. Soll es mir aber wieder gut gehen,
3283
daz stât an iuch einen
so liegt das an Euch allein,
3284
minneclîchen reinen.‘
Ihr liebliche Reine.“
3285
Sî sprach ,nu muoz ich lachen
Sie sprach: „Nun muss ich lachen
3286
von wunderlîchen sachen
über die seltsamen Dinge,
3287
die ir hie trîbent umbe.
die Ihr hier treibt.
3288
ich bin niht sô tumbe,
Ich bin nicht so töricht,
3289
ich merke iuwer meinen.
ich weiß, worauf Ihr hinauswollt.
3290
daz ir an mich einen
Der Behauptung, dass Ihr all Eure Gedanken
3291
sô kêrent iuwer sinne,
nur auf mich richtet,
3292
des mag ich sicher inne
kann ich in meinem Herzen
3293
dem herzen klein getriuwen.
nur wenig trauen.
3294
ich möhte wol ze riuwen
Ich könnte es leicht bedauern,
3295
mîn sinne dâ mit binden,
meine Sinne dadurch zu binden,
3296
sô ich wânde vinden
dass ich Euch dienstfertig
3297
iuch mit dienestlîcher phliht,
zu finden glaube,
3298
daz denn iuwer herze niht
Euer Herz dann aber
3299
dâ zuo gebunden wære.
nicht daran gebunden wäre.
3300
ir sint ein lantfarære
Ihr seid ein Reisender
3301
und werbent hie und minnent dort.
und werbt hier und liebt dort.
3302
ich wæne iuwer süeze wort
Ich glaube, Eure Schmeicheleien
3303
entrihte manic frouwen
verführen manche Frau,
3304
diu iuch wænet schouwen
die glaubt, Euch immerzu
3305
in ir dienste alle frist,
in ihrem Dienst zu sehen
3306
diu doch lîht betrogen ist.
und dabei doch leicht betrogen ist.
3307
alsus möht ouch mir beschehen.
Dasselbe könnte auch mir geschehen.
3308
niemer mannes nam gesehen
Im Kreis meiner Diener wird
3309
wirt in mînes dienstes schîn,
niemals der Name eines Mannes auftauchen,
3310
er welle denn mit namen sîn
außer wenn er mit seinem Namen
3311
mîn diener alters eine;
ganz allein mein Diener sein will;
3312
wan solich gemeine
denn solch eine Gemeinschaft
3313
muoz man mit leide teilen.
wird man mit Leid bezahlen.
3314
ich wil ouch niemer veilen
Ich werde meine Ehre auch niemals
3315
mîn êre umb keine sache,
um einer Sache willen verkaufen,
3316
dâ von ich müge swache
durch die ich
3317
machen mîne wirde.‘
meine Würde schmälern könnte.“
3318
,jâ‘, sprach er, ,mîn girde,
„Ja“, sprach er, „mein Begehren,
3319
zarte, diu ist anders niht:
Ihr Schöne, ist so beschaffen:
3320
eht ich hân die zuoversiht
Ein bisschen habe ich
3321
ûf den hôhen gingen,
die hochgegriffene Hoffnung,
3322
mîn jâmer möhte dringen
dass mein Jammer
3323
dur eines herzen adamant.
ein Herz aus Diamant erweichen könnte.
3324
ouwê möht iuch sîn bekant
Oh weh, wäre Euch doch
3325
der bitterlîche smerze!
der bitterliche Schmerz bekannt!
3326
ich wolt daz ir mîn herze
Ich wollte, dass Ihr heimlich
3327
tougen möhtent schouwen,
in mein Herz sehen könntet,
3328
wie ir ob allen frouwen
wie Ihr darin über
3329
dar inne tragent schône
allen Damen so schön
3330
zepter unde krône
mit liebender Gesinnung
3331
mit minneclîcher meine,
Szepter und Krone tragt,
3332
wie ir alters eine
wie Ihr ganz allein
3333
mich twingent unde niemen mê.
mich bezwingt und sonst niemand.
3334
wizzent daz mir nie sô wê
Wisst, dass mir nie so weh
3335
in herzen noch in sinnen
im Herzen noch in den Sinnen
3336
wart sô von dem minnen
wurde wie von dem Lieben,
3337
daz mir unminneclîche tuot.
das mich unlieb behandelt.
3338
herz lîp sin und dâ zuo muot
Herz, Leib, Verstand und dazu das Gemüt
3339
lânt sich in jâmer senken.
versinken in Jammer.
3340
ich möhte mit gedenken
Ich könnte mit den Gedanken
3341
mîn herze gar zerzerren.
mein Herz gar zerreißen,
3342
daz jâmer siht man derren
sodass man sieht, wie der Jammer
3343
dur ganzen lîp des jâmers verch.
im ganzen Körper Fleisch und Blut verdorren lässt.
3344
in sô wunderlîchiu werch
Die Liebe hat mich in ein so
3345
hât minne mich geworren,
wunderliches Werk verstrickt,
3346
daz man mir siht dorren
dass man mir den Leib verdorren
3347
den lîp als einen swachen schoup.
sieht wie dünnes Stroh.
3348
ich muoz als ein äspîn loup
Ich muss vor großen Sorgen
3349
von sorgen grôz erzittern.
wie Espenlaub erzittern.
3350
ich lîde sende bittern
Ich leide sehnsuchtsvolle Qual,
3351
angest unde smerzen,
Angst und Schmerzen,
3352
daz ich von grunt des herzen
da ich vom Grund des Herzens
3353
ûf glimse unde brinne.
her glimme und brenne.
3354
owê daz mir diu minne
Oh weh, dass mir die Liebe
3355
gît sô unwunneclîchen gruoz,
so unschönen Gruß sendet,
3356
und ich doch umb einen fuoz
wo ich doch nie auch nur
3357
ûz ir gebote nie entweich.
einen Fuß breit von ihrem Gebot abwich.
3358
ei dô sî sô suoze sleich
Ei, als sie mir auf so süße Weise tief
3359
mir in mînes herzen grunt,
in mein Herz schlich,
3360
wær mir dô gewesen kunt
wären mir da ihr Kummer
3361
ir kummer und ir swære,
und ihre Betrübnis bekannt gewesen,
3362
sî wær mir nie sô mære
wäre sie mir niemals so wertvoll
3363
worden als sî mir dô was.
geworden, wie sie mir da war.
3364
lieber got, waz meinde daz
Lieber Gott, was bedeutete das,
3365
daz sich mîns herzen girde
dass sich das Begehren meines Herzens
3366
vereinde an ir wirde
an ihre Würde heftete,
3367
ê sî mîn ouge ie gesach,
bevor mein Auge sie erblickt hatte,
3368
daz dô in mîn herze brach
dass ihre Würde lieblich
3369
ir wirde minneclîche,
in mein Herz eindrang,
3370
sô daz ich alliu rîche
sodass ich alle Königreiche
3371
dar umbe hete niht genomen
nicht dafür genommen hätte;
3372
ichn wære har ze hove komen:
anders wäre ich nicht hierher an den Hof gekommen:
3373
daz was ein wunderlîchez dinc.
Das war doch sehr merkwürdig.
3374
ir mînneclîcher ursprinc
Ihr lieblicher Anfang
3375
wil mir gên strengez ende.
wird für mich ein schlimmes Ende nehmen.
3376
des muoz ich mîne hende
Deshalb muss ich meine Hände
3377
in jâmer dicke valten.
oft in Jammer zusammenschlagen.
3378
mîn herze möhte spalten
Mein Herz könnte
3379
von bitterlîchen noeten,
aus bitterer Not zerbrechen,
3380
sît mir fröude toeten
weil mir diejenige mit ihrer Liebe
3381
diu wil mit ir minne
die Freude töten will,
3382
der mîn senden sinne
der meine sehnsuchtsvollen Sinne
3383
ie stæter triuwe jâhen
schon beständige Treue versprachen,
3384
ê sî mîn ougen sâhen.‘
bevor meine Augen sie sahen.“
3385
Des antwurt im diu zarte
Darauf antwortete ihm die Schöne:
3386
,an solîcher red ich warte
„Aus solchen Worten nehme ich wahr
3387
und merke wunderlîchen sin,
und bemerke ich eine seltsame Denkweise,
3388
daz ich dâ hin komen bin,
dass ich nämlich in jemandes Herz
3389
in herze dâ man mich nie sach.
gekommen sein soll, der mich nie sah.
3390
waz daz sî, wie dem geschach,
Was das sei, wie es geschah,
3391
des wist ich gern ein ende.
das wüsste ich gerne genau.
3392
gap ich iuch fröuden phende
Gab ich Euch das Pfand der Freude,
3393
ê iuch mîn ouge sæhe,
bevor mein Auge Euch sah,
3394
wâ von daz geschæhe,
wovon das geschehen sein soll,
3395
daz wist ich gern unz ûf den grunt.‘
das wüsste ich gerne ganz genau.“
3396
er sprach ,ich wil machen kunt
Er sprach: „Ich will Euch
3397
iuch ez mit kurzen worten,
mit wenigen Worten erklären,
3398
wie mîniu ôren hôrten
wie meine Ohren einen Knappen
3399
iuch einen knappen rüemen
Euch loben hörten
3400
und sô mit worten blüemen
und so mit Worten rühmen,
3401
daz ich des wunders nie vernam.
dass ich so Wunderbares noch nie vernommen hatte.
3402
mîns herzen sin mich hinderkam
Der Verstand meines Herzens hinterging mich
3403
dar an mit den gedenken,
mit dem Denken daran,
3404
daz sich begunde senken
sodass sich mir die [scil. Eure] Schönheit
3405
diu schoene in mînes herzen grunt.
tief ins Herz senkte.
3406
der selbe knappe tet mir kunt
Derselbe Knappe erzählte mir
3407
dis hoves âventiure,
von der Aventiure dieses Hofes,
3408
wie ir schoen gehiure
wie Ihr schöne Wohlgestalte
3409
die tûben gæbent und den kus.
die Taube und den Kuss gäbt.
3410
mit den sinnen ich alsus
Ich war von diesen Gedanken
3411
sô vaste hinderdâhte
so vereinnahmt,
3412
daz mîn herze brâhte
dass mein Herz mich
3413
mich zuo disem sinne.
zu dieser Geisteshaltung brachte.
3414
dâ nâ kam diu minne
Danach kam die Liebe
3415
mit alsô frevenlîcher maht
mit so verbrecherischer Macht,
3416
daz ich beide tac und naht
dass ich weder bei Tag noch bei Nacht
3417
geruowen niht enkunde
auch nur eine halbe Stunde
3418
eine halbe stunde
Ruhe fand,
3419
ê iuch mîn ouge selbe sach.
bevor mein Auge Euch selbst sah.
3420
alsô schier dô daz beschach,
Sobald das geschehen war,
3421
dô was ouge und herze tôt.
da waren Auge und Herz machtlos.
3422
sin mit den gedanken bôt
Dienstwillig bot ich Euch
3423
ich iuch mit dienstes willen.
den Verstand mit den Gedanken.
3424
went ir mir nu stillen
Wollt Ihr mir nun
3425
niht mînes herzen müege,
mein Herzeleid nicht stillen,
3426
sô bin ich gar ze früege
so bin ich leider gar zu früh
3427
in nôt betwungen leider.
von der Not bezwungen.
3428
sin und herze beider
Ihr nehmt sowohl meinem Verstand
3429
tuont ir mich unmehtic.
als auch meinem Herzen die Kraft.
3430
mîn gedenke trehtic
Meine Gedanken
3431
sint iemer ûf die sache,
drehen sich immer darum,
3432
wie iuwer tugent swache
wie Eure ängstliche Tugend
3433
mir hôher sorge bürde,
mir die Bürde großer Sorge auferlegt,
3434
diu wol senfter würde
die wohl gemildert würde,
3435
ob iuwer zuht es gunde,
wenn Euer Anstand es zuließe,
3436
sô daz diu strenge wunde
sodass die schlimme Wunde
3437
der bitterlîchen sorgen,
der bitteren Sorgen,
3438
in der ich verborgen
in der ich den Strahl
3439
trag der minne strâle,
der Liebe verborgen trage,
3440
von der ich zie dem mâle
von der ich jedes Mal
3441
erklupfe und erschricke,
hochfahre und erschrecke,
3442
swenn sî mit sendem blicke
wenn sie mit sehnsuchtsvollem Blick
3443
mich girdeclîchen schiuzet
mich begierig beschießt
3444
und sich der smerze sliuzet
und sich der Schmerz in den Verstand
3445
in der gedenke sinne,
der Gedanken schließt,
3446
und in der diu minne
und in der [scil. der Wunde] die Liebe
3447
kan hôhe fröude teilen,
hohe Freude austeilen kann,
3448
müese schiere heilen
schnell heilen würde
3449
und minneclîch verwahsen.
und lieblich zuwachsen.
3450
owê daz ich von Sahsen
Oh weh, weil ich jemals aus Sachsen
3451
ie kam, sol mir niht bezzer trôst
hierher kam, soll mir kein Trost zuteil
3452
werden der mich tuot erlôst
werden, der mich von dem Leid
3453
von leide, und ich doch niht ger
erlöst, obwohl ich doch nichts anderes
3454
anders denn man mich gewer
begehre, als dass man mir gewährt,
3455
des ie sunder schande frist
was immer gut ohne Schande
3456
wol mohte wesen und ouch ist.‘
möglich war und auch jetzt ist.“
3457
Sî sprach ,ob ich nu stæte
Sie sprach: „Wenn ich nun Beständigkeit
3458
an iuch funde und tæte
an Euch fände und täte,
3459
des ir an mich suochent
worum Ihr mich ersucht
3460
und ze tuonde ruochent,
und das zu tun Ihr mich bittet,
3461
waz hulfe daz iuch oder mich?‘
was hülfe das Euch oder mir?“
3462
er sprach ,mîn gedenke sich
Er sprach: „Meine Gedanken
3463
müesen dâ von fröuwen
würden davon Freude erfahren
3464
und ze rugge ströuwen
und zurückschleudern,
3465
swaz mir leides ie gewar.
was mir jemals an Leid widerfuhr.
3466
swenn mîn sin gedæhte har,
Wenn mein Verstand solches in Erwägung zöge,
3467
sô wær mîn muot erfrischet
wäre mein Gemüt erhellt
3468
und mîn nôt gemischet
und meine Not
3469
mit hôher fröuden wunne.
mit der Wonne großer Freude gemischt.
3470
reht alsam diu sunne
Genau wie die Sonne
3471
den tou von tolden zücket,
den Tau von den Baumwipfeln saugt,
3472
alsô würd gelücket
so würde mein Verstand
3473
mîn sin zuo hôchgemüete,
zu freudiger Stimmung verlockt,
3474
ob diu süeze güete
wenn die süße Güte
3475
der minneclîchen werdekeit,
liebevoller Wertschätzung derjenigen,
3476
diu in mînem herzen treit
die in meinem Herzen
3477
krôn gewalteclîchen
unbestritten die Krone
3478
ob allen minneclîchen
über allen lieblichen
3479
hôhgelopten frouwen,
hoch gelobten Damen trägt,
3480
wolt daz jâmer schouwen
den Jammer sehen wollte,
3481
daz ich sender dulde.
den ich Sehnender erdulde.
3482
weiz got ich verschulde
Weiß Gott, weder verdiene
3483
noch verschulte nie den haz.
noch verdiente ich ihre Ablehnung.
3484
minne möhte mir wol baz
Die Liebe sollte mich in ihrer Gnade
3485
mit ir gnâde erschiezen,
besser erschießen,
3486
sô daz sî lêrte sliezen
sodass sie Euch lehrte,
3487
iuch in des herzen bruste
die liebestolle Begierde,
3488
minneclîche luste
von der ich ergriffen bin,
3489
mit den ich bin begriffen.
in die Brust zu schließen.
3490
gewetzet und gesliffen
Gewetzt und geschliffen
3491
hât über mich ir snîden
hat über mir die Liebe
3492
diu minn, des muoz ich lîden
ihre Klinge, weshalb ich im Herzen
3493
in herzen minneclîche nôt,
liebliche Not leiden muss.
3494
iuwer mündel rôsenrôt
Außer Eurer kleiner rosenroter Mund
3495
daz well mich danne loesen.
wollte mich davon erlösen.
3496
phî dem argen boesen
Verflucht sei der arge Böse,
3497
der iemer des gedenket
der immerzu dergestalt denkt,
3498
daz er mit sinnen wenket
dass er mit Sinnen hin und her
3499
nu hin nu har alsam ein schif,
schwankt wie ein Schiff,
3500
daz mit unstætes windes grif
das mit dem unsteten Griff des Windes
3501
swebet ûf wâges flüete.
über die Fluten der Wogen gleitet.
3502
sich hât diu süeziu güete
Die süße Güte
3503
der minneclîchen angesiht
im Angesicht der Geliebten
3504
sô gar mit eineclîcher phliht
hat sich ganz mit gemeinschaftlichen Banden
3505
in mîn herz vereinet
in mein Herz vergraben,
3506
sô daz ez niemen meinet
sodass es an niemand anderen
3507
anders denn iuch eine
denkt als an Euch allein,
3508
mit sinnen noch mit meine,
weder mit den Sinnen noch mit liebendem Gedenken
3509
noch mac niht anders meinen,
noch kann es an jemand anderen denken,
3510
wan ez hât iuch einen
weil es Euch allein
3511
ûz al der welte sunder
aus der ganzen Welt
3512
genomen und hât under
ausgewählt und so
3513
die brust iuch sô versigelet,
in seiner Brust versiegelt hat,
3514
daz ir dar inn verrigelet
dass Ihr darin
3515
ob allen werden wîben
bis an mein Lebensende
3516
stæteclîch belîben
vor allen edlen Damen
3517
unz an mîn ende müezent,
eingeschlossen seid,
3518
ob ir niht schiere süezent
wenn Ihr nicht schleunigst
3519
die bitterlîchen ungehabe
das bitterliche Ungemach versüßt,
3520
diu mich schiere zuo dem grabe
das mich schnell ins Grab
3521
schicket, sol ez lange wern.
bringt, sollte es noch lange dauern.
3522
jâ ich wil willeclîche gern
Ja, ich will liebend gern
3523
ê zît dâ von ersterben,
vor der Zeit daran zugrunde gehen,
3524
ob ich niht erwerben
wenn ich das Geschenk so großen Trostes
3525
mac sô hôhes trôstes gebe.
nicht erwerben kann.
3526
waz hilfet mich daz ich sô lebe
Was hilft es, dass ich lebe
3527
und doch bin tôt an muote?
und dabei doch innerlich tot bin?
3528
minneclîche guote,
Liebe Gute,
3529
dar an gedenkent und tuont schîn
daran denkt und erweist
3530
trôst den senden sorgen mîn.‘
meinen sehnsuchtsvollen Sorgen Trost.“
3531
Sî sprach ,wist ich daz wære
Sie sprach: „Wüsste ich ohne Zweifel,
3532
daz jâmer und diu swære
dass der Jammer und die Bedrückung
3533
iuch in herzen, als ir sagent
in Eurem Herzen so wären,
3534
und sô bitterlîche klagent,
wie Ihr sagt
3535
âne zwîvels wenken,
und wie Ihr bitterlich klagt,
3536
ich wolt iuch sorge krenken
wollte ich Eure Sorgen in der Weise schmälern,
3537
alsô daz doch kein arger sin
dass doch kein böser Gedanke
3538
iuch beruorte von mir hin
von mir Euch
3539
in unwirdiger meine.
in unwürdiger Absicht berührte.
3540
ich wolt iuch alters eine
Ich wollte Euch ganz allein
3541
ze diener hie enphâhen,
hier als Diener empfangen
3542
und wolt iuch lâzen gâhen
und wollte Euch schnell nach
3543
nâ hôher wirde danke,
dem Lohn hoher Würde streben lassen,
3544
sô daz ir sunder wanke
sodass Ihr treu
3545
mir dienent alters eine,
mir allein dient
3546
und daz diu selbe meine
und dass diese Gesinnung
3547
wær sunder valsche minne.
ohne falsche Liebe wäre.
3548
sô wolt ouch ich mîn sinne
So wollte auch ich meine Sinne
3549
von allen dingen wenden
von allen anderen Dingen abwenden
3550
und mîn herz ellenden
und mein Herz mit den Gedanken
3551
mit den gedenken swâ ir sît
quälen, wo Ihr zu allen Stunden
3552
alle stunt und alle zît.‘
und jeder Zeit seid.“
3553
Er sprach ,sô bin ich genesen.
Er sprach: „So bin ich gerettet.
3554
lîp und herze müezent wesen
Leib und Herz müssen
3555
frî vor aller minne
ohne Euch, Königin,
3556
ân iuch küneginne:
frei von aller Liebe sein:
3557
des wil ich iemer wesen haft
Daran will ich stets gebunden sein
3558
mit alsô ganzer trûtschaft
mit ganzer Zuneigung,
3559
diu niemer mac zerrinnen,
die niemals zergehen kann,
3560
und sol doch daz minnen
und doch soll das Lieben
3561
verselwen niemer êren kranz.
niemals den Kranz der Ehre beschmutzen.
3562
sî muoz lûter unde ganz
Sie wird lauter und vollkommen
3563
belîben sam ein spiegelglas.
bleiben wie ein Spiegel.
3564
nie herze wirdeclîcher saz
Niemals saß ein Herz würdevoller
3565
ûf hôher êren krône
auf der Krone hoher Ehre
3566
denn mînez nâ dem lône
als meines aufgrund dieses Lohns,
3567
sô mir ist entwænet.
so scheint mir.
3568
het ich dar umb entænet
Hätte ich darum auch auf
3569
mich aller künecrîche,
alle Königreiche verzichtet,
3570
ich wære sicherlîche
ich wäre sicherlich
3571
dâ mit wol ergetzet
glücklich darüber.
3572
ich hab êrst gesetzet
Ich habe den Fuß erstmals
3573
den fuoz ûf hôhe zuoversiht.
auf die große Hoffnung gesetzt.
3574
wirt mir niemer anders niht,
Bekomme ich auch weiter nichts,
3575
sô lept doch niender mîn genôz.
so lebt doch niemand, dem es auch nur ähnlich gut geht wie mir.
3576
minne hôher fröude slôz
Liebe brachte noch niemals
3577
nie in herzen sinne.
größere Freude in den Verstand eines Herzens.
3578
ach Vênus, küneginne,
Ach Venus, Königin,
3579
der sorgen schûr, der fröuden schilt,
der Schutz der Sorge, der Schild der Freude,
3580
swen du lieplîch troesten wilt,
wen auch immer du liebevoll trösten willst,
3581
der ist wol behüetet.
der ist wohl behütet.
3582
swaz dîn güete güetet,
Was auch immer deine Güte gut macht,
3583
daz möhte guoter werden
das könnte auf Erden
3584
niemer ûf der erden,
niemals besser werden,
3585
des hân ich wol enphunden.
das habe ich sehr wohl verspürt.
3586
du hâst die scharphen wunden
Du hast die scharfen Wunden,
3587
geheilet die du slüege.
die du geschlagen hast, geheilt.
3588
ez ist niht ungefüege
Es ist nicht ungehörig,
3589
daz dir mîn zunge lobes giht.
dass meine Zunge dir Lob singt.
3590
mir ist beschehen und beschiht
Mir ist geschehen und geschieht noch immer,
3591
daz ich verdiene niemer,
was ich niemals verdiene,
3592
und solt ich leben iemer,
selbst wenn ich ewig leben sollte
3593
ob joch diu welt ân ende stât.
und die Welt ohne Ende besteht.
3594
hôchgeloptiu reiniu, lât
Hoch gelobte Reine, lasst
3595
mich alsô belîben.
mich in dieser Weise verbleiben.
3596
sorge kan vertrîben
Der Trost kann mir auf vielerlei Weise
3597
mir daz troesten manicvalt.
die Sorge vertreiben.
3598
nênt hin in iweren gewalt
Nehmt Herz, Leben und Verstand
3599
herze leben unde sin.‘
in Eure Gewalt.“
3600
sus bôt er die hende hin
So bot er ihr
3601
ir in ganzen triuwen.
in vollendeter Treue die Hände dar.
3602
vor ir sach sî kniuwen
Vor sich knien sah sie denjenigen,
3603
den der ir in herzen lac.
den sie im Herzen trug.
3604
dâ von sî sô sêre erschrac
Darüber erschrak sie so sehr,
3605
daz sî aber niht ensprach.
dass sie abermals verstummte.
3606
von ir kiusche daz beschach.
Das geschah aufgrund ihres Anstandes.
3607
Sus sî saz, er kniuwet hie.
So saß sie hier und er kniete.
3608
schier dô sî ze sinnen vie
Sobald sie sich besonnen
3609
und kan mit gedenken wider,
und ihre Gedanken wieder gesammelt hatte,
3610
dô hiez sî in sitzen nider.
hieß sie ihn sich niederzusetzen.
3611
diz tet er: dô daz beschach,
Er tat es: Als das geschah,
3612
siufzende diu reine sprach:
sagte die Reine seufzend:
3613
,Ei süeze minne minneclîch,
„Ei, süße, liebliche Liebe,
3614
wie hât dîn kraft sô wunderlîch
wie hat deine Kraft mir so wundersam
3615
mir sin und herz betwungen.
Verstand und Herz bezwungen.
3616
jâ hetten tûsent zungen
Bestimmt fehlten selbst tausend Zungen
3617
ze vil dâ von ze sagene,
die Worte, um zu sagen,
3618
wie sich mîn sin mit klagene
wie mein Verstand durch Klagen
3619
hât versenket und vertopt.
deprimiert und verrückt wurde.
3620
minne, dîn gewalt der opt
Liebe, deine Gewalt übertrifft
3621
aller hande krefte.
Kräfte jeglicher Art.
3622
du kanst mit trûtschefte
Du weißt ein Herz
3623
ein herze in jâmer binden.
durch Zuneigung in Jammer zu fesseln.
3624
minne diu kan linden
Die Liebe kann Sorgen,
3625
sorge herter denn ein flins.
härter als Fels, lindern.
3626
minne diu gît swæren zins
Die Liebe fordert von
3627
iren besten friunden.
ihren besten Freunden hohen Zins.
3628
minne überbünden
Liebe kann die Sinne
3629
kan aller herzen sinne.
aller Herzen einschließen.
3630
minne gît gewinne
Liebe gibt Gewinn
3631
und lêret doch verlieren.
und lehrt doch zu verlieren.
3632
minne kan sich zieren
Liebe kann sich mit
3633
mit jâmerlîchem luste.
beklagenswerter Lust schmücken.
3634
minne in ganzer bruste
Liebe macht sich mit Gewalt
3635
hûset mit gewalte.
in der ganzen Brust breit.
3636
minne ûf fröuden valte
Liebe verband von jeher
3637
ie hôhen herzen wünne.
die Wonne leichter Herzen mit Freude.
3638
minne sorgen dünne
Liebe macht mit ihren Künsten
3639
ouch machet mit ir künste.
auch Sorgen leicht.
3640
minne gît vernünste
Liebe verleiht Einsichten,
3641
die niemen ân sî vinden kan.
zu denen niemand ohne sie kommen kann.
3642
minne frouwen unde man
Liebe kann Mann und Frau
3643
kan ze fröuden schalten.
zur Freude gereichen.
3644
minne lêret alten
Liebe lehrt schon in jungen Jahren
3645
gar bî jungen jâren.
sehr erfahren zu sein.
3646
wie sol ich gebâren
Wie soll ich mich dir
3647
gên dir, zarte minne,
gegenüber verhalten, zarte Liebe,
3648
sît du mir die sinne
da du mir die Sinne
3649
sô wandellîche schîbest?
so unstet machst?
3650
du füerest unde trîbest
Du führst und treibst mich
3651
mich umb und umb als einen klôz.
herum wie eine Kugel.
3652
unverschult du jâmer grôz
Unverschuldet senkst du mir
3653
in mîn herze senkest.
großen Jammer ins Herz.
3654
du swachest unde krenkest
Du minderst und schwächst
3655
mînes herzen krefte,
meines Herzens Kräfte,
3656
sô daz du mit trûtschefte
sodass du mir durch Zuneigung
3657
mich zuo noeten bindest.
Leid verschaffst.
3658
du suochest unde vindest
Du suchst und findest
3659
an mir swes du hâst begert.
an mir, was du begehrt hast.
3660
sol ich disem ritter wert
Soll ich diesem edlen Ritter
3661
mîne sinne künden?
meine Empfindungen preisgeben?
3662
jâ ich wil durgrunden
Ja, ich will ihm mein Herz
3663
im mîn herze und gar enbarn.
vollständig erklären und völlig entblößen.
3664
mîn gedenke went sich sparn
Meine Gedanken werden sich hier
3665
gên im hie niht langer.
nicht länger vor ihm verbergen.
3666
mîner fröuden anger,
Wiese meiner Freuden,
3667
mînes trôstes wirde,
Würde meines Trostes,
3668
mînes lustes girde,
Objekt meiner Begierde,
3669
mînes herzen wunne,
Wonne meines Herzens,
3670
mîner ougen sunne,
Sonne meiner Augen,
3671
mîner sinne hoehstez heil,
das größte Glück meiner Sinne,
3672
mîner fröuden bester teil
der beste Teil meiner Freude
3673
sint ir, rîcher fürste wert.
seid Ihr, mächtiger teurer Fürs
3674
sin und herze hât begert
Verstand und Herz haben
3675
iuwer in gedenken.
Euch in Gedanken begehrt.
3676
dâ von muosen schenken
Darum mussten Euch
3677
iuch mîn ougen dicke
meine Augen oftmals
3678
seneclîche blîcke,
sehnsuchtsvolle Blicke zuwerfen,
3679
die zuo manger stunde
die gelegentlich
3680
ûf von herzen grunde
vom Grunde meines Herzens
3681
mir girdeclîchen slichen,
begierig heraufdrängten,
3682
sô daz sî entwichen
sodass sie Euch
3683
iuch niemer eine wîle.
nicht eine Sekunde losließen.
3684
mit der minne phîle
Mit den Pfeilen der Liebe
3685
hât mich ein jâmer troffen.
hat mich ein Leid getroffen.
3686
ich wæne daz noch offen
Ich glaube, dass die Wunde
3687
mir diu wunde stande.
noch offen ist.
3688
mit der sorgen bande
Mit den Banden der Sorgen
3689
hât minne mich geseilet.
hat die Liebe mich gefesselt.
3690
eht sî hât geteilet
Wenn sie den Schmerz auch Euch
3691
den smerzen iuch, sô aht ich niht
hat zuteil werden lassen, so ist mir einerlei,
3692
waz iemer drumbe mir beschiht
was immer mir darum
3693
dâ von ze keiner stunde.
zu irgendeiner Stunde widerfährt.
3694
iuch hât sô von grunde
Aus tiefstem Inneren hat mein Herz
3695
mîn herze ûz al der welt genomen,
auf der ganzen Welt Euch ausgewählt,
3696
daz ir ûz den sinnen komen
dass Ihr mir nicht aus dem Sinn
3697
mügent noch enkunnent,
kommen werdet oder auch nur könntet,
3698
ob eht ir mir gunnent
wenn Ihr mir
3699
sô lûterlîcher minne
so reine Liebe gewährt,
3700
als iuch mîne sinne
wie ich sie Euch gegenüber
3701
tragent unde haltent,
pflege und bewahre,
3702
alsô daz ir schaltent
sodass Ihr den Stachel der Untreue
3703
von iuch untriuwen angel.
von Euch stoßt.
3704
ê wold ich haben mangel
Ich wollte eher bis an mein Lebensende
3705
liebes unz ûf mînen tôt,
auf Liebe verzichten,
3706
ê ich iemer schame rôt
als Euretwegen jemals
3707
dur iuch wolte werden.
schamrot zu werden.
3708
sin mit den geberden
Der Verstand und das Gebaren
3709
went iuch tragen holden muot.
werden Euch stets geneigt sein.
3710
swaz ir iemer mê getuot
Was immer Ihr in Zukunft noch tut
3711
und begânt ze guote,
und an Gutem begeht,
3712
daz wil ich in muote
das werde ich mir selbst in meiner Gesinnung
3713
mir selben hie ze dienste nên
hier zum Dienst nehmen
3714
und solich lôn dar umbe gên
und solchen Lohn dafür zahlen,
3715
der êre und ouch liebe zimt,
der der Ehre und auch der Liebe ziemt,
3716
swâ man iemer daz vernimt
sodass wir, wo auch immer
3717
daz wir sunder schande
man davon hört, ohne Schande
3718
wol stân in allem lande.‘
im ganzen Land angesehen sind.“
3719
Er sprach ,des trôstes ist ze vil.
Er sprach: „Das ist zuviel der Aufmunterung.
3720
dâ von ich ûf geben wil
Ich will dafür auf alles Gute,
3721
swaz mir iemer widervert
das mit jemals widerfährt,
3722
guotes, ob mir got beschert
verzichten, wenn Gott mir gewährt,
3723
daz ich lop erringen
dass ich Ruhm erringen
3724
mac mit keinen dingen,
kann mit irgendwelchen Dingen,
3725
die wîl ich hân der welte phliht,
während ich weltlichen Pflichten nachkomme.
3726
daz daz lûterlîch beschiht
Das soll in aufrichtiger Weise
3727
ze dienest iuch alleine,
allein Euch zum Dienst geschehen,
3728
minneclîche reine,
liebliche Reine,
3729
und wil daz iemer trîben.
und ich will es immer so halten.
3730
frouwe ob allen wîben
Herrin über alle Frauen
3731
sönt ir wesen unde sîn
sollt Ihr in meinen Sinnen
3732
in sinnen und in herzen mîn
und meinem Herzen immerzu
3733
stæteclîch ân ende.
und ohne Ende werden und sein.
3734
ezn sîge daz mich phende
Wenn mich nicht
3735
ein gemeinez sterben,
der allen bestimmte Tod ereilt,
3736
sô wil ich iemer werben
so will ich immer nach solchem Dank
3737
nâ des dienstes danke,
für meinen Dienst streben,
3738
sô daz ich êre kranke
dass ich damit die Ehre
3739
dar umbe niht enmache.
nicht verletze.
3740
ich wil alle sache
Ich will alle Dinge
3741
schiuhen unde fliehen
vertreiben und fliehen,
3742
die sich mügent ziehen
die zu falscher Tat
3743
hin ze valscher tæte,
führen könnten,
3744
und wil dar an stæte
und will auf ewig
3745
belîben êweclîche.‘
daran festhalten.“
3746
sus diu minneclîche
So nahm ihn die Liebliche
3747
in ir dienest in enphie.
in ihren Dienst auf.
3748
ob iht anders dâ ergie?
Ob da noch etwas anderes passierte?
3749
nein ez, wan, als ich iuch wil
Nein, außer, was ich euch erzählen
3750
sagen, dâ was alsô vil
will. Da war so viel
3751
schalles unde brahtes,
Lärm und Geschrei,
3752
daz man lützel ahtes
dass man wenig auf irgendwelche
3753
hât ûf keiner slahte dinc.
Dinge achtete.
3754
diu süeze und der jungelinc
Die Süße und der Jüngling
3755
hâten sich erklaffet,
hatten sich unterhalten,
3756
die wîl iht anders schaffet
während das Fräulein,
3757
diu juncfrowe diu mit in dar
das mit ihnen hergekommen war,
3758
komen was. nam sî sîn war,
etwas anderes tat. Dass sie ihn sah,
3759
des schûhten sî doch kleine.
störte sie [scil. Reinfried und Yrkane] doch wenig.
3760
diu minneclîche reine
Die liebliche Reine
3761
erkante sî sô stæte
kannte sie als so zuverlässig,
3762
daz sî ungerne hæte
dass sie [scil. das Fräulein] keinesfalls
3763
vermeldet keine sache.
irgendetwas erzählt hätte.
3764
iedoch sprach sî gemache,
Jedoch sprach sie mit Bedacht,
3765
diu minneclîche kluoge,
die liebliche Kluge:
3766
,diu zît het wol fuoge,
„Es wird langsam Zeit,
3767
ê daz der mære werd ze vil.
bevor es zu viel wird.
3768
ir sint gar ein langez zil
Ihr seid hier ganz schön
3769
sament hie gesezzen.‘
lange zusammengesessen.“
3770
nu hâten sî vergezzen
Nun hatten sie den Hof
3771
des hoves und des schalles.
und den Trubel vergessen.
3772
ir gedenken alles
All ihre Gedanken kreisten
3773
was niht wan umb die minne.
um nichts als die Liebe.
3774
sî hâte sîne sinne
Sie hielt seine Sinne
3775
in ir herz beslozzen.
in ihrem Herzen eingeschlossen.
3776
von ir ist geflozzen
Von ihr war ihr Verstand
3777
ir sin zuo sînem herzen.
hin zu seinem Herzen geströmt.
3778
sî leit sînen smerzen
Sie litt seine Schmerzen
3779
und truog er iren kummer.
und er trug ihren Kummer.
3780
winter unde summer
Wären sie Winter und Sommer
3781
wæren sî wol eine
ganz allein
3782
gewesen, daz sî kleine
gewesen, hätte sie das
3783
sament het verdrozzen.
wenig gekümmert.
3784
sî hât in verslozzen
Sie hielt ihn verschlossen
3785
in ir herzen klûse.
in der Kammer ihres Herzens.
3786
ouch hât er sî ze hûse
Auch er hielt sie
3787
geladen mit dem sinne,
in seinem Verstand beheimatet
3788
daz diu süeze minne
sodass die süße Liebe
3789
ir beider was gewaltic.
über sie beide herrschte.
3790
sî hâten manicvaltic
Sie pflegten mannigfaltige
3791
liebe mit ein ander.
Liebe zueinander.
3792
swaz er wolt, daz vander
Was immer er wollte, das fand er
3793
an ir nâ êren krône.
auf ehrenhafteste Weise an ihr.
3794
diu minneclîche schône
Die liebliche Schöne
3795
vant ouch swes sî gerte
fand auch, was immer sie an ihm
3796
an in, wan er gewerte
begehrte, denn er gewährte
3797
sî mit stætes herzen sin
ihr mit dem Verstand seines beständigen Herzens,
3798
swes sî muoten moht an in.
was immer sie an ihm wünschen mochte.
3799
Sus stuont ir fröuden schouwe.
So zeigte sich ihre Freude.
3800
aber diu juncfrouwe
Abermals sprach das Fräulein:
3801
sprach ,bînamen, ez ist zît.
„Bei Gott, es ist Zeit.
3802
leit bî liebe dicke lît
Leid liegt oftmals nahe bei Liebe,
3803
dâ man sich missehuotet.‘
wo man nicht genug aufpasst.“
3804
ir beider herze bluotet
Ihre beiden Herzen bluteten
3805
in jâmer von den worten
aus Gram, verursacht von den Worten,
3806
diu sî beide hôrten
die sie beide aus
3807
von der zarten munde.
dem Mund der Guten hörten.
3808
nôt in herzen grunde
Wegen der Trennung schlich
3809
sleich in umb daz scheiden.
sich Not in ihre Herzen.
3810
man sach von in beiden
Man sah von ihnen beiden
3811
senelîchez blicken.
sehnsuchtsvolle Blicke.
3812
siufzeberndez schricken
Seufzender Schrecken
3813
wuohs in in den herzen.
wuchs ihnen im Herzen.
3814
schiere sî den smerzen
Schnell sühnten sie
3815
lieplîchen versuonden.
den Schmerz auf liebevolle Weise.
3816
als sî ûf gestuonden,
Sobald sie aufstanden,
3817
zehant sô sâzen sî dernider.
setzten sie sich wieder nieder.
3818
alliu ires lîbes lider
Alle Glieder ihres Leibes
3819
mit gedanke vâhten.
rangen mit den Gedanken.
3820
minneclîche flâhten
Liebevoll verschränkten
3821
sich ir ougen blicken.
sich ihrer Augen Blicke.
3822
beidenthalben stricken
Auf beiden Seiten wussten sie
3823
kunden sî sich nâhen.
sich tief im Inneren zu verbinden.
3824
lieplîch umbevâhen
Sie hielten einander
3825
mahten sî untiure.
liebevoll umarmt.
3826
hôher sorgen stiure
Die Last großer Sorgen
3827
was in beiden wilde.
war ihnen fremd.
3828
ir vil klâren bilde
Ihre leuchtend klaren Gestalten
3829
sich zuo ein ander drungen.
drängten zueinander.
3830
die minneclîchen jungen
Die lieben Jungen,
3831
sî liebe vil begiengen.
sie erwiesen einander viel Liebe.
3832
mit armen umbeviengen
Mit den Armen umschlangen
3833
sî sich mange stunde.
sie einander lange.
3834
munt ze rôtem munde
Liebevoll wurde
3835
minneclîch gedrücket
Mund auf roten Mund
3836
wart, dâ von gezücket
gepresst, wovon ihnen
3837
in was sendiu swære.
die drückende Sehnsucht genommen wurde.
3838
aller sorgen lære
In ihrem Gemüt wurden sie
3839
wurden sî in muote.
frei von allen Sorgen.
3840
munt bî munde bluote
Mund blühte an Mund
3841
alsam ein liehter rôse rôt.
wie eine leuchtend rote Rose.
3842
ob sî ie gewunnen nôt,
Was ihnen jemals an Leid widerfahren war,
3843
diu was dâ zergangen.
war hier vergessen.
3844
wang bî liehten wangen
Wange strahlte an heller Wange
3845
sam ein mandel lûhten.
wie eine Mandel.
3846
ob sî iemen schûhten?
Ob sie Scheu zeigten?
3847
nein, ez was eht allez ganz.
Nein, es war doch alles perfekt.
3848
sî was sîner fröuden glanz,
Sie war der Glanz seiner Freude
3849
er irs herzen liehter schîn.
er ihres Herzens heller Schein.
3850
sîn munt an ir mündelîn,
Sein Mund an ihrem Mündchen,
3851
ir wange an sîn wange
ihre Wange an seiner Wange,
3852
mit mangem umbevange
mit mancher Umarmung
3853
sî ein ander druhten.
drückten sie einander.
3854
ob sich ie verruhten
Ob ihre Gedanken sich
3855
ir gedenke an luste?
je der Lust entschlugen?
3856
nein, dâ wart brust an bruste
Nein, da wurde liebevoll
3857
gedrücket minneclîche.
Brust an Brust gedrückt.
3858
ez wart sô fröuden rîche
So freudvoll wurde Liebe
3859
nie begangen liebe amt
niemals ausgelebt,
3860
als dâ liep bî lieb verschamt
als wo die Liebenden die Scham voreinander ablegten,
3861
sunder sorge sweichen.
ohne die Scheu zu verlieren.
3862
dâ mac man minne zeichen
Daran kann man die Zeichen der Liebe
3863
prüeven unde schouwen.
überprüfen und erkennen.
3864
swie daz mir von frouwen
Obwohl mir die Liebe
3865
sî diu liebe tiure,
von Frauen unbekannt ist,
3866
sô gît mir doch stiure
so gestattet mir mein Verstand
3867
mîn sin mit deme wâne,
doch die Vermutung anzustellen,
3868
ez sîge leides âne
derjenige sei ohne Leid,
3869
swem ez sô wirdeclîch ergât.
dem es so würdig ergeht.
3870
mîn gedanc mir dicke hât
Mein Denken hat mir oftmals
3871
in sinnen hôhe fröude brâht,
in den Sinnen große Freude gebracht,
3872
sô ich nâ liebe hân gedâht,
wenn ich an Liebe gedacht habe,
3873
daz mîn sin wart fröuden vol.
sodass mein Verstand von Freude erfüllt war.
3874
tæten mir gedenke wol
Täten mir Gedanken über die Liebe
3875
in herzen von der minne,
im Herzen gut,
3876
daz wîset mîne sinne
richtete das meine Sinne
3877
an daz liebe mære,
auf die Liebesgeschichte,
3878
daz disen beiden wære
in der es diesen beiden
3879
mit den werken michels baz.
mit Taten viel besser erginge.
3880
swaz man ie von minne las
Was man jemals von Minne las
3881
und von liebe vindet,
und von Liebe dichtet,
3882
daz hâten hie gesindet
dem waren sie beide hier
3883
sî beide in ir sinne,
in ihren Sinnen gefolgt,
3884
daz diu süeze minne
sodass die süße Liebe
3885
bî in was enthalten
mit Ehre gepaart bei ihnen
3886
mit êren, wan sî walten
war, weil sie ihrer beider Herzen
3887
konde ir beider herzen
mit Liebe und mit Schmerzen
3888
mit liebe und mit smerzen.
zu regieren wusste.
3889
Alsus sî wâren lange
So waren sie lange
3890
mit mangem umbevange
in mancher Umarmung
3891
verslozzen und bevangen.
eingeschlossen und umfangen.
3892
wang bî liehten wangen
Wange zu hellen Wangen
3893
und munt ze liehtem munde rôt
und Mund zu hellem roten Mund
3894
sich ze tûsent mâlen bôt
bot sich tausendmal
3895
nâ kuslîchem kusse,
zu küssendem Kuss,
3896
des noch niht verdruzze
der noch niemals verdross,
3897
swâ liep bî liebe wære.
wo immer Liebes bei Liebem war.
3898
nu seit in aber mære
Nun sprach ihnen das Fräulein
3899
diu juncfrow umb ein scheiden.
abermals vom Abschied,
3900
des wart an in beiden
weshalb an ihnen beiden
3901
bitterlîchez trûren schîn.
bitterliche Trauer sichtbar wurde.
3902
doch moht ez niht anders sîn:
Dennoch konnte es nicht anders sein:
3903
ez was zît, sîn was genuoc.
Es war Zeit, es war genug.
3904
in ir lîp sî dannen truoc
In ihrem Körper trug sie sein Herz
3905
sîn herze und hât im dâ verlân
von dannen und hat ihm ihrerseits
3906
ir herze sunder valschen wân
ihr Herz ohne Unaufrichtigkeit
3907
in triuwen vesteclîche.
in beständiger Treue da gelassen.
3908
baz sprach diu minneclîche
Da sprach das liebliche
3909
juncfrouwe ,ich wil für
Fräulein: „Ich will vor
3910
die hütten gân dur daz ich spür,
die Hütte gehen, um zu erkunden,
3911
ob unser iemen lâge.
ob uns jemand belauert.
3912
bî einer wîle trâge
Nach einer guten Weile
3913
sönt ir mir nâ slîchen‘,
sollt Ihr mir nachschleichen“,
3914
seit sî der minneclîchen
sagte sie der lieblichen
3915
hôchgelopten künegîn,
hochgelobten Königin.
3916
,herre, und sönt ir hinne sîn
„Und Ihr, Herr, sollt hernach noch
3917
ouch ein stündelîn dar nâch.
ein Stündchen hier herinnen bleiben.
3918
lât iuch wesen niht ze gâch,
Übereilt Euch nicht,
3919
biz ich die sache gar erspür.‘
bis ich die Sache vollständig ausgekundschaftet habe.“
3920
ûz der hütten gie sî für
Sie trat aus der Hütte
3921
und sach dâ froelîch schallen.
und sah da fröhlichen Trubel.
3922
den frouwen herren allen
All den Damen und Herren
3923
was mit fröuden alsô wol,
ging es mit Freude so gut,
3924
daz ir herzen wunne vol
dass ihre mit Wonne erfüllten Herzen
3925
sich nihtes hinderkâmen
nichts bemerkten
3926
noch nie kein ahte nâmen
und weder auf dies noch auf das
3927
ûf diz noch daz, sus oder sô,
achteten, so oder so,
3928
ân ein ritter, der was dô,
außer einem Ritter, der da war,
3929
der hâte von geschiht gesehen,
der hatte zufällig
3930
als noch dicke moht beschehen,
das Gebaren des Fräuleins mitbekommen,
3931
der juncfrouwen gebærde.
was noch heute oft vorkommen kann.
3932
iedoch dekein geværde
Jedoch witterte sein Verstand
3933
sîn sin dâ von beruorte.
deswegen keine Gefahr.
3934
mit der gesiht er snuorte
Er blickte hin
3935
hin und liez es alsô sîn.
und ließ es dabei bewenden.
3936
nu sach er die künegîn
Nun sah er die Königin
3937
ouch ûz der hütten sliefen.
ebenfalls aus der Hütte schlüpfen.
3938
dâ von sîn ougen swiefen
Da machte er sich Gedanken
3939
gedenke in sînem sinne.
über das Gesehene.
3940
,waz schuof diu küneginne‘,
„Was machte die Königin
3941
gedâht er, ,dâ sus eine?
da so alleine?“ dachte er.
3942
waz betiut diu meine
„Was bedeutet diese Heimlichtuerei
3943
ald war umb ist ez beschehen,
und warum ist es geschehen,
3944
daz diu juncfrowe gesehen
dass das Fräulein zuerst ohne sie
3945
wart ân sî ê und sî nu kunt?‘
gesehen wurde und nun sie heraus kommt?“
3946
nu was ir wengel und ir munt
Nun waren ihre Wangen und ihr Mund
3947
zerküsset und zertriutet,
von Küssen und Liebkosen mitgenommen,
3948
als liep noch liebe biutet
wie Liebende es noch heute tun,
3949
dâ sî die state mügent hân,
wo sie einen Ort haben,
3950
daz ir in ein ander bran
dass ihre Münder und Wangen
3951
mündel unde wengel.
aneinander brennen.
3952
er sach ir hâres strengel
Er sah auch ihre Haarstränen
3953
ein teil ouch dâ verirret.
zum Teil zerzaust.
3954
des wart im verwirret
Davon wurde ihm sein Herz
3955
sîn herze in dem sinne.
in seiner Vernunft verwirrt.
3956
waz sî schüefe dinne,
Was sie drinnen zu schaffen hatte,
3957
des hât sîn sin begunnen,
das dachte sich sein Verstand aus,
3958
ald wâ ir enbrunnen
und warum sie so rot
3959
wær diu varwe sam ein gluot.
wie Blut geworden war.
3960
alsus stuont der ritter guot
So stand der gute Ritter
3961
verdâht in manger wîse.
in mancher Weise in Gedanken versunken da.
3962
nu sach er aber lîse
Nun sah er abermals leise
3963
ûz der hütten slîchen
aus der Hütte schleichen
3964
den hôherbornen rîchen
den hochwohlgeborenen mächtigen
3965
helt von Sahsen landen.
Helden aus Sachsen.
3966
sîniu ougen kanden
Seine Augen erkannten
3967
in; er dâhte wider sich
ihn; er dachte bei sich:
3968
,zwâr, diz ist der minne strich:
„Wahrlich, das ist der Lauf der Liebe:
3969
daz spürt man an ir varwe.
Das merkt man an ihrer Farbe.
3970
wie sint sî beide garwe
Wie sind sie beide so
3971
sô durliuhtic fiurîn rôt!‘
ganz leuchtend feuerrot!“
3972
zwîvel sînem herzen bôt
Manch fester Glaube
3973
manic grôze zuoversiht,
bot seinem Herzen Zweifel,
3974
ob ez wære oder niht.
ob es so wäre oder nicht.
3975
Sus sîn herze umbe
So nahm sein Herz
3976
fuor manic wilde krumbe
mit Gedanken manch wilde Wendung
3977
und slihte mit gedenken.
und manchen Schleichweg.
3978
als er sich nu senken
Wenn er sich auf einen Gedanken
3979
wolt ûf ein sin, sô was ez niht,
festlegen wollte, so gelang das nicht,
3980
wan sô kan diu zuoversiht
denn da kam der feste Glaube,
3981
diu im ein anderz brâhte,
der ihm etwas anderes sagte,
3982
alsô daz er gedâhte
sodass er bei sich
3983
zuo im selb ,dâ ist niht an.
dachte: „Da ist nichts dran.
3984
wie getörst er understân
Wie könnten er und sie
3985
ald sî ein alsô grôzez dinc?‘
etwas so Ungeheuerliches wagen?“
3986
ûf der stat der jungelinc
Da dachte der Jüngling
3987
gedâht in sînem sinne
bei sich:
3988
,zwâr sî hât diu minne
„Wahrlich, die Liebe hat sie
3989
mit ir kunst gebunden.
mit ihrer Kunst gefesselt.
3990
ich hân ez befunden
Ich habe das am Zeichen
3991
an irre varwe zeichen.
ihrer Farbe festgestellt.
3992
sô man die siht bleichen,
Kaum sieht man sie erbleichen,
3993
nu sô sint sî denne rôt.
werden sie auch schon wieder rot.
3994
minne dise selbe nôt
Liebe bewirkt dieses Übel
3995
an in beiden füeget.
an ihnen beiden.
3996
sî meldet unde rüeget
Sie meldet und moniert
3997
ir minneclîchez triuten.
ihr liebliches Tun.
3998
sî wæren bî den liuten‘,
„Sie wären nicht unter den Leuten
3999
gedâht er aber, ,niht gesîn,
gewesen“, dachte er wieder,
4000
wær ez wâr dar an mich mîn
„wenn stimmt, was mir
4001
sin mit wâne bringet.
mein Verstand weismachen will.
4002
ei zwâre minne twinget
Ei, wahrhaftig, Liebe erzwingt
4003
noch groezer sache denne alsô.‘
noch größere Sachen als diese.“
4004
sus gedâht er aber dô
So dachte er wieder
4005
mit wandellîchem sinne.
mit unterschiedlichem Ergebnis darüber nach.
4006
nu zêh er sî der minne,
Nun zieh er sie der Liebe,
4007
nu lât er sî unschuldic.
nun ließ er sie unschuldig sein.
4008
sîn sinne ungeduldic
Seine Sinne drängen
4009
sint umb ein jâ und umb ein nein.
auf ein Ja oder ein Nein.
4010
,jâ an inen beiden schein.
Ja, es war an ihnen beiden zu sehen.
4011
nein, ez getorste niht gesîn.
Nein, es konnte nicht sein.
4012
jâ sî twanc der minne pîn
Ja, es zwang sie die Not der Liebe,
4013
daz sî sich zemen flâhten.‘
dass sie sich zueinander gesellten.
4014
sîn sinne sêre vâhten,
Seine Sinne kämpften heftig,
4015
ob ez wære oder niht.
ob es so wäre oder nicht.
4016
ze jungest kan diu zuoversiht
Schließlich kam der feste Glaube
4017
dar an, ez wære sicherlich
daran, es wäre sicherlich
4018
wâr, und hinderkam des sich
wahr, und er erkannte das
4019
sô vaste sunder wânes phlîht,
so sicher und ohne jeden Zweifel,
4020
daz er zwîvelte niht
dass er nicht daran
4021
dar an, ez müeste alsô sîn.
zweifelte, dass es so sein müsste.
4022
die gedenke vielen in
Diese Gedanken gruben sich ihm
4023
sîn herze sô ze grunde,
so tief ins Herz,
4024
daz er niht enkunde
dass er sich ihrer
4025
noch moht sich ir entænen.
nicht erwehren konnte.
4026
er wiste sunder wænen
Er wusste ohne Zweifel
4027
und wolt sîn sin dâ von niht lân.
und wollte seinen Verstand nicht davon abbringen.
4028
in twanc ze diu der arcwân,
Ihn zwang der Argwohn dazu,
4029
daz er der unschulde niht
dass er nichts von der Unschuld
4030
wolte wizzen minne phliht.
der Liebe wissen wollte.
4031
Nu ist diu minne und ir ursprinc
Nun sind die Liebe und ihr Ursprung
4032
ein alsô wunderlîchez dinc,
eine so merkwürdige Angelegenheit,
4033
dem nieman kan gewarten
vor der niemand sicher ist,
4034
mit schelten noch mit zarten,
weder scheltend noch schmeichelnd,
4035
mit dienest noch mit twingen,
weder dienend noch mit Zwang,
4036
mit keiner slahte dingen,
auf keine Weise,
4037
mit flêhen noch mit dröuwen.
weder flehend noch drohend.
4038
minn wil ie niuwan fröuwen
Liebe will seit jeher dort,
4039
dâ dar sî sich hin senket.
wo sie sich niederlässt, nichts als erfreuen.
4040
dar mîn herz gedenket
Wohin es bisher weder mein Herz
4041
niemer noch niht ouch gewan
noch meinen Verstand jemals
4042
sin dâ zuo, kunt dar ein man
zog – kommt ein anderer Mann dorthin
4043
und erwirbet gruozes danc,
und findet er dort Beachtung,
4044
swie daz mîn herze nie geranc
so denkt mein Verstand dennoch, obwohl
4045
dâ nâch, sô denket doch mîn sin:
mein Herz niemals danach strebte:
4046
wær ich komen ê dâ hin,
Wäre ich früher dorthin gekommen,
4047
mir möhte sîn gelungen.
hätte ich vielleicht Erfolg gehabt.
4048
die gedenke stungen
Die Gedanken können
4049
kunnent zuo dem herzen,
ins Herz stechen,
4050
daz ich dâ nâ smerzen
sodass mir daraus Schmerzen erwachsen,
4051
trage des ich gedâhte nie.
wie ich sie nie für möglich gehalten hätte.
4052
dem kan ich gewenken hie
Dessen kann ich mich
4053
doch mit keiner künste.
mit keinem Kunstgriff erwehren.
4054
daz kunt von der verbünste,
Das kommt vom Neid,
4055
die ich trag in den sinnen.
den ich in den Sinnen trage.
4056
alsus hât ze minnen
So hat Neid mir oft
4057
verbunst mir dick die sinne brâht,
zu lieben eingegeben,
4058
des ich niemer het gedâht
worauf ich nie gekommen wäre
4059
noch gedæhte, wære daz
noch jemals käme, wäre
4060
eim andern niht gelunge baz,
ein anderer darin nicht erfolgreicher gewesen,
4061
und wirt mir doch niemer niht.
während es mir doch niemals zuteil wird.
4062
ich merke wol daz ez beschiht
Ich erkenne sehr gut, dass es aufgrund
4063
von mîner sinne untugende.
der Untugend meiner Sinne geschieht.
4064
minne mit ir mugende
Liebe und ihr Vermögen
4065
würket wunderlîchiu dinc.
bewirken wunderliche Dinge.
4066
dâ von ir süezer ursprinc
Daher nimmt ihr süßer Anfang
4067
dicke ein sûrez ende hât,
oftmals ein bitteres Ende,
4068
dâ man ze vil sich an sî lât
da man sich zu sehr auf sie einlässt
4069
und gên ir niht enschiuhet.
und zu ihr keine Distanz hält.
4070
swer sînen willen ziuhet
Wer seinen Willen auf alles richtet,
4071
an allez daz des er begert,
was er begehrt,
4072
wirt der wîlent missewert,
wird bisweilen vor den Kopf gestoßen,
4073
des enist kein wunder.
das ist kein Wunder.
4074
ein man muoz sich under
Ein Mann muss sich mitunter
4075
wîlent von minne ziehen
von der Liebe fernhalten
4076
und mit gedenken fliehen
und gedanklich das meiden,
4077
daz im wol in muote lît,
was ihm die Stimmung hebt,
4078
ald er wirt etelîche zît
oder er wird etliche Zeit
4079
von minne missehandelt.
von der Liebe geplagt.
4080
swer mit der minne wandelt
Wer immer mit der Liebe anders umgeht,
4081
anders denn ir orden stât,
als es ihre Bestimmung ist,
4082
wizzent daz sî dicke lât
wisst, dass sie über den oftmals
4083
an dem gesigen ungemach:
Ungemach kommen lässt:
4084
als disem ritter hie geschach.
So geschah es diesem Ritter hier.
4085
Dô er kom in die sinne,
Als er auf die Idee kam,
4086
daz er diu zwei der minne
dass er die zwei der Liebe
4087
bewænen wolte unde zêch,
verdächtigen wollte und bezichtigte,
4088
der gedenke er sô vil lêch
dachte er so viel darüber nach
4089
und gap dâ zuo, daz im der sin
und verstieg sich darein, dass ihm der Verstand
4090
dur ein verbünnen viel dâ hin
aus Missgunst darauf verfiel
4091
daz sich sîn herz vergâhte.
und sich sein Herz übereilte.
4092
zehant er dô gedâhte
Sogleich dachte er sich:
4093
,ei war umb würbe du niht vor?
„Ei, warum hast du nicht früher geworben?
4094
minne het ir sælden tor
Die Liebe hätte dir das Tor ihres Glücks
4095
lîht dir ûf entslozzen.
leicht geöffnet.
4096
dirre hât genozzen
Dieser hat bestimmt nichts anderes
4097
nihtes wan des einen
genossen als das eine,
4098
daz er der zarten reinen
was er sich von der zarten Reinen
4099
torste muoten minne.‘
an Liebe zu erhoffen wagte.“
4100
im kâmen sîne sinne
Seine Gedanken
4101
dar an sô vesteclîche
versteiften sich so darauf,
4102
daz er vil sorgen rîche
dass er in seinem Herzen
4103
wart in sînem herzen.
ganz sorgenvoll wurde.
4104
dâ von er senden smerzen
Davon trug er in seinem Neid
4105
truog in der verbunste.
sehnsuchtsvolle Schmerzen.
4106
sîner sinne vernunste
Die Aufmerksamkeit seiner Gedanken
4107
leit er sô völleclîch dar zuo,
richtete er so vollständig darauf,
4108
daz er âbent unde fruo
dass er von früh bis spät
4109
niht wan dar an gedâhte.
nur daran dachte.
4110
daz gedenken brâhte
Das Grübeln brachte ihm
4111
im leit und ungewinne.
Leid und Schaden.
4112
im viel ie in die sinne
Ihm fiel plötzlich ein
4113
daz, und kan er ouch dar an,
und er kam auf den Gedanken,
4114
daz er niht enwolte lân,
dass er nicht unterlassen wollte,
4115
swaz dar umb ergienge
ebenfalls die Beachtung
4116
und swie erz an gevienge,
der lieben Guten zu erringen
4117
er wolt der zarten guoten
und um ihre Liebe zu werben,
4118
ouch ir gruozes muoten
wohin auch immer das führte
4119
und werben nâ ir minne.
und wie immer er es anfangen sollte.
4120
er dâht in sînem sinne
Er dachte bei sich:
4121
,bevindet sî daz du dâ weist,
„Geht ihr auf, dass du davon Kenntnis hast,
4122
sî gît dir trôstes volleist
gibt sie dir volle Entschädigung,
4123
ê sî ez lâze rüegen.
bevor sie die Anklage laut werden ließe.
4124
ich sol ez wol gefüegen
Ich werde es gut einrichten,
4125
daz sî bevindet mînen sin,
dass sie mein Vorhaben versteht,
4126
wan ich stæteclîchen bin
denn ich bin ein ständiger
4127
des hoves ingesinde.
Angehöriger des Hofes.
4128
swenne eht ich bevinde
Sobald ich sicher von der Abreise
4129
des fürsten hinnenkêre,
des Fürsten weiß,
4130
zwâr sô wirt niht mêre
wird die Bitte an sie
4131
diu bet an sî gesûmet.
fürwahr nicht länger hinausgezögert.
4132
sô er den hof gerûmet
Wenn er den Hof erst verlassen hat,
4133
nu, er komet niemer mê.
kommt er bestimmt nie mehr zurück.
4134
wie ez dann ze hove ergê
Was dann hier am Hof vor sich
4135
hie, daz ist im wilde.
geht, ist ihm unbekannt.
4136
sô manic verre gevilde
So viele ferne Gegenden
4137
scheidet diz und Sahsen lant,
trennen dieses Land und Sachsen,
4138
daz im iemer unbekant
dass er niemals erfährt,
4139
ist swaz ich hie trîbe.‘
was ich hier treibe.“
4140
dem herzen und dem lîbe
Dem Herzen und dem Leib
4141
gap er minneclîchen trôst
spendete er dahingehend liebevollen Trost
4142
alsô daz er würde erlôst
dass er von der Last der Sehnsucht
4143
von senelîcher erebeit,
erlöst werden würde,
4144
als ich dâ vor hân geseit.
wie ich davor gesagt habe.
4145
Sus wurben sîne sinne.
Dahin strebten seine Sinne.
4146
im hât ouch diu minne
Ihm hatte auch die Liebe
4147
sîn herze ein teil gebunden.
sein Herz zum Teil gefesselt.
4148
nu was ie in den stunden
Nun waren zu dieser Stunde
4149
diu junge küneginne,
auch die junge Königin,
4150
ein wünschelrîs der minne,
eine Wünschelrute der Liebe,
4151
ein spiegel klârer schouwe,
ein Spiegel klarer Schönheit,
4152
sî und ir juncfrouwe
und ihr Fräulein
4153
gegangen zuo der frouwen schar,
zu der Schar der Frauen gegangen,
4154
sô daz irre verte war
sodass ihre Abwesenheit
4155
niemen hât genomen.
niemand bemerkt hatte.
4156
der herre was ouch komen
Der Herr war auch dorthin
4157
hin, und wânden daz diu vart
gekommen. Und sie glaubten, dass ihr Weggang
4158
al der welte vor gespart
der ganzen Welt mit Sicherheit
4159
wære sicherlîch gesîn
verborgen geblieben
4160
und unkünde, wan in drîn
und nicht bekannt wäre, außer ihnen dreien,
4161
die ouch sament wâren.
die auch zusammen gewesen waren.
4162
man sach sî nu gebâren
Man sah sie sich nun
4163
froelîch unde schône.
fröhlich und angemessen gebärden.
4164
ob ir lîehte krône
Sollte ihre hell glänzende (Haar-)Krone
4165
vor dur ein triuten was verruht,
zuvor durch Liebkosungen in Unordnung gebracht worden sein,
4166
sô wart sî nu hie gedruht
so wurde sie hier nun mit weißen Händen
4167
mit wîzen handen eben nider.
flach niedergedrückt.
4168
sus diu hôchgeborne wider
So saß die Hochwohlgeborene wieder,
4169
saz dâ sî gesezzen was.
wo sie zuvor gesessen war.
4170
ie der ritter warte baz
Doch der Ritter achtete genauer
4171
ûf sî denn er het getân
auf sie, als er es getan hatte,
4172
ê sîn herze arcwân
bevor in seinem Herzen der Argwohn
4173
gewunne an in beiden.
ihnen gegenüber erwacht war.
4174
des konde im fröude leiden
Das konnte ihm die Freude
4175
in herzen und in sinne,
in Herz und Gemüt verleiden,
4176
wan er spurt die minne
denn er erkannte die Liebe
4177
an manger leige zeichen.
an verschiedenerlei Zeichen.
4178
sô er sî nu sach bleichen,
So sah er sie bald erbleichen
4179
sô sach er sî nu rôten.
und dann wieder erröten.
4180
dâ von er einem tôten
Darob wurde er oftmals
4181
sich gelîchet dicke.
einem Toten ähnlich.
4182
ir minneclîchen blicke
Ihre liebenden Blicke
4183
sach er zesamen schiezen.
sah er einander begegnen.
4184
hant in hendel sliezen
Händchenhalten
4185
er an in beiden spurte.
konnte er an ihnen ausmachen.
4186
dâ von sô wart dem furte
Davon wurde seinen Sinnen
4187
gerûmet sîner sinne,
Bahn gebrochen,
4188
daz er dâ von die minne
dass er daran die Liebe
4189
sunder zwîvel kante.
ohne Zweifel erkannte.
4190
ob in diu minne brante?
Ob ihn die Liebe dazu trieb?
4191
nein, ez tet unminne,
Nein, das tat die unminne,
4192
wan er sich mit unsinne
da er sich unbesonnen
4193
hielt und hât vergâhet,
verhielt und sich übereilte,
4194
dâ von im schade nâhet.
woraus ihm Schaden erwuchs.
4195
Alsus was dâ wunnen vil.
So waren da der Freuden viele.
4196
aller hande fröuden spil,
Allerhand Spielformen der Freude,
4197
sô in der welt ie wart gedâht,
wie sie auf Erden jemals erdacht worden waren,
4198
daz wart allez vollebrâht
wurden da alle
4199
dâ mit hôhem schalle,
mit freudigem Lärm ausgeführt,
4200
biz daz zuo dem valle
bis der Tag
4201
diu sunn sich hât gekêret
zur Neige ging
4202
und der âbent lêret
und der Abend die Nacht
4203
die naht hin nâher dringen,
mit sich brachte.
4204
tanzen ballen springen,
Tanzen, Ballspielen, Springen,
4205
singen schallen swîgen,
Singen, Rufen, Schweigen,
4206
harphen rotten gîgen,
Harfen, Rotten, Geigen,
4207
phîfen hel tambûren.
Pfeifen, helle Tamburine.
4208
man sach niemen trûren
Man sah niemanden traurig sein,
4209
in herzen noch in sinnen.
weder im Herzen noch mit dem Verstand.
4210
ez wære denn von minnen,
Außer aus Liebeskummer
4211
sô moht dâ niemen trûric sîn.
konnte niemand traurig sein.
4212
alsus von dem velde în
So zogen sie von der Wiese
4213
zogten sî mit schalles braht.
mit großem Lärm hinein.
4214
tanzen springen al die naht
Tanzen und Springen trieben sie
4215
sî triben sunder lougen.
unverhohlen die ganze Nacht lang.
4216
nie slâf in ir ougen
Zu keiner Stunde wurden ihre Augen
4217
kan, biz daz der tac ûf bran
müde, bis dass der Tag erwachte
4218
und manneglîcher urloup nan.
und so mancher Abschied nahm.
4219
Dô gieng ez an ein scheiden.
Da ging es ans Abschiednehmen.
4220
wie in dô wær den beiden
Wie ihnen da zumute war den beiden,
4221
die sich sô underminneten,
die einander so sehr liebten,
4222
daz sî niht anders sinneten
dass sie nichts anderes dachten
4223
wan ,ich bin dîn, sô bist du mîn,
als: „Ich bin dein, so bist du mein,
4224
ich wil bî dir, du bî mir sîn
ich will bei dir, willst du bei mir sein
4225
in herzen und in sinnen?‘
im Herzen und in Gedanken?“
4226
daz eineclîche minnen
Die gemeinsame Liebe
4227
sî alsô zuo ein ander twanc
zwang sie so zueinander,
4228
daz ir sin und ir gedanc
dass ihr Verstand und ihr Denken
4229
was niht wan ein einen
nichts als ein einziges
4230
und ein einlîch meinen
und gemeinsames Sinnen
4231
mit sinnen und mit herzen.
mit den Sinnen und mit dem Herzen war.
4232
sî hât sînen smerzen,
Sie litt seine Schmerzen,
4233
sô twanc sîn herze ir swære.
wie ihre Bedrückung sein Herz bedrängte.
4234
sich hâte sô einbære
Ihr Denken hatte sich
4235
in ein vereinet ir gedanc
so einhellig zu einem gemeinsamen vereint,
4236
daz in allez daz betwanc
dass ihm alles naheging,
4237
swaz ir war, sô twanc ouch sî
was sie beunruhigte, wie auch sie bedrückte,
4238
swaz im was von kumber bî.
was ihm Kummer bereitete.
4239
Sus was ir sin geschicket
Ihre Gesinnung war so beschaffen,
4240
daz sî zwei gestricket
dass sie beide auf wundersame Weise
4241
wâren wunderlichen.
miteinander verbunden waren.
4242
zuo der minneclîchen
Er trat zu der Lieblichen
4243
kan er und wolt urloup nên.
und wollte Abschied nehmen.
4244
daz sach man die zarten gên
Da sah man die Guten
4245
gar mit trüebem sinne,
ganz betrübt gehen,
4246
wan diu strenge minne
da die harte Liebe
4247
twanc sî sunder lougen,
sie fürwahr quälte,
4248
daz man in ir ougen
sodass man in ihren Augen
4249
mange starke sorgen trehen
bestimmt manch schwere Sorgentränen
4250
mohte sicherlîch gesehen
sehen konnte,
4251
hân, die dar ûz vielen
die heraus fielen
4252
und ûf von herzen wielen
und aufgrund bitterer Schwere
4253
von bitterlîcher swære.
vom Herzen herauf quollen.
4254
diu süeze minnebære
Die süße Liebenswürdige
4255
sprach ,ez mac niht anders sîn.
sprach: „Es kann nicht anders sein.
4256
varent hin, gedenkent mîn,
Fahrt hin, gedenkt meiner,
4257
tuont als ich iuch hân geseit.
tut, wie ich Euch gesagt habe.
4258
wizzent daz mîn herze treit
Wisst, dass mein Herz sich
4259
nâ iuch kumber unde pîn,
in Kummer und Schmerz nach Euch verzehrt
4260
und wil iemer froelîch sîn
und doch immer fröhlich sein
4261
doch ûf den hôhen gingen,
will aufgrund der hehren Hoffnung,
4262
daz got uns noch wol bringen
dass Gott uns noch einmal in guter Weise
4263
mac zesamen minneclîch.
in Liebe zusammenbringen wird.
4264
ich wil iemer stæteclîch
Ich werde allzeit ohne zu wanken
4265
an iuch gedenken swâ ir sint.
an Euch denken, wo immer Ihr seid.
4266
minne mir mîn herze bint
Liebe fesselt mir mein Herz
4267
alsô daz ez niht enmac
derart, dass es durch nichts
4268
von iuch weder naht noch tac
weder Tag noch Nacht
4269
komen dur kein sache.
von Euch abzubringen ist.
4270
ich wil dem ungemache
Ich werde dem Ungemach
4271
dur iuch undertænic sîn.
um Euretwillen unterworfen sein.
4272
ich wil sin und herze mîn
Ich will meinen Verstand und mein Herz
4273
iemer zuo iuch stricken
immerfort an Euch binden
4274
und mit gedenken schicken
und in Gedanken dorthin schicken,
4275
swâ ir sint der lande kreiz.
wo und in welchem Landkreis immer Ihr seid.
4276
al die wîle sô ich weiz
Solange ich weiß,
4277
daz ir mich niht übergebent
dass Ihr mich nicht fallen lasst
4278
und nâ mînem gruoze strebent,
und nach meiner Anerkennung strebt,
4279
sô belîb ich stæte.
wanke ich nicht.
4280
diu triuwe mac durgræte
Die Treue kann an mir
4281
niemer an mir werden,
niemals Schaden nehmen,
4282
die wîl ich ûf der erden
solange ich auf Erden
4283
einen êweclîchen tac
auch nur noch
4284
lebe und dâ zuo leben mac.‘
einen Tag zu leben habe.“
4285
Des neig er ir und sprach alsô
Darüber verneigte er sich vor ihr und sprach folgendermaßen:
4286
,ich wil iemer wesen frô
„Ich will mich immer auf
4287
ûf die hôhe zuoversiht
das hohe Ziel freuen,
4288
der iuwer mündel mir vergiht,
das Euer Mündchen mir verspricht
4289
nâ der ich iemer ringe.
und nach dem ich immer strebe.
4290
wizzent daz ich bringe
Wisst, dass ich
4291
mîn leben an daz ende,
sterbe,
4292
ê mîn sin sich wende
bevor sich mein Verstand
4293
iemer von iuch reinen.
von Euch Reiner abwendet.
4294
mîn herze hât iuch einen
Mein Herz hat auf der ganzen Welt
4295
ûz al der welt gesundert.
Euch allein auserwählt.
4296
minne hât gewundert
Liebe hat an mir
4297
an mir sô wildiu wunder,
solch wundersame Wunder vollbracht,
4298
daz ich iemer under
dass ich im Herzen
4299
der brust trag nâ iuch swære.
immer Sehnsucht nach Euch verspüre.
4300
ich wolt ê daz ich wære
Ich wäre lieber tot,
4301
tôt ê ich mit sinnen
als dass ich mit meinen Sinnen
4302
iemer wolte minnen
jemals jemand anderen als Euch
4303
ald meinen anderswar denn iuch.
liebte oder ihm zugetan wäre.
4304
allen wîben ich entziuch
Allen anderen Frauen entziehe ich
4305
sinne mit gedenken.
meine Sinne mitsamt meinen Gedanken.
4306
in iuwer gebot senken
Unter Euer Gebot stellen
4307
wil ich den sin mit dienstes ger.
will ich den Verstand mit Dienstbeflissenheit.
4308
swaz mit schilt und ouch mit sper
Was auch immer man jemals von mir
4309
man iemer mê von mir gesiht,
mit Schild oder Lanze sieht,
4310
iuch ze lobe daz beschiht,
das geschieht Euch zum Lob,
4311
und swaz ich vollebringen
und was auch immer ich
4312
mac mit andern dingen
in meinem Leben
4313
die wîle ich lebe guotes,
in anderen Bereichen vollbringen kann,
4314
sô bin ich des muotes,
das geschieht allein Euch
4315
daz beschiht iuch eine
zu Diensten, süße Reine,
4316
ze dienste, süeze reine.‘
solcher Gesinnung bin ich.“
4317
Hie mit was diu rede hin.
Damit war die Rede zu Ende.
4318
er fuorte mit im iren sin
Er führte ihren Verstand mit sich
4319
und lie ir den sînen dâ.
und ließ ihr den seinen da.
4320
ir herze jagt im balde nâ,
Ihr Herz jagte ihm bald nach,
4321
wan diu minne ez von ir treip.
da die Liebe es von ihr trieb.
4322
sin herze hie bî ir beleip
Sein Herz blieb hier bei ihr
4323
und fuor er sunder herzen.
und er ritt ohne Herz,
4324
mit mangem süezen smerzen
mit manch süßem Schmerz
4325
was beider sin bevangen.
war ihrer beider Verstand beladen.
4326
minne mit ir zangen
Die Liebe hielt sie mit ihren Zangen
4327
sî leides hât beklæwet,
leidvoll umschlossen,
4328
daz ir lîp gegræwet
sodass ihr Leib vor Sorgen,
4329
möhte sîn von sorgen
die sie beide verborgen
4330
die sî beid verborgen
in ihrem Gemüt trugen,
4331
truogen in ir muote.
gealtert sein könnte.
4332
hin der stolze guote
Der stolze Gute fuhr
4333
fuor mit sorgen fröuden rîch.
mit freudigen Sorgen beladen hin.
4334
sîn lîp sîn leben zierte sich
Sein Leib, sein Leben schmückte
4335
ûf an ritterlîcher tât.
sich mit ritterlichen Taten.
4336
swaz sîn lîp begangen hât,
Was auch immer er bisher vollbracht hatte,
4337
daz was allez gar ein niht,
das war alles nichts gegenüber dem,
4338
als man in nu werben siht
wie man ihn jetzt streben sah.
4339
wît in allen rîchen.
weithin in allen Reichen.
4340
er fuor sô ritterlîchen
Er zog so ritterlich
4341
und mit sô hôhem schalle,
und mit so großartigem Schall dahin,
4342
daz man sîn lop für alle
dass man sein Lob über das
4343
fürsten hôhe rüemet.
aller anderen Fürsten stellte.
4344
sîn prîs sô gar durblüemet,
Sein Ruhm leuchtete so ganz und gar
4345
sô durliuhteclîchen schein:
geblümt und strahlend:
4346
er liez in allen landen ein
Er unterließ keine Reise in ein Land,
4347
marsche niht ern wære dâ,
es sei denn, er war ohnehin schon dort.
4348
und warp sô wirdeclîchen nâ
und warb so würdevoll um
4349
hôher êren kranze,
den Kranz hoher Ehren,
4350
daz man sîn wirde ganze
dass man seine Würde vollständig
4351
ie zalte zuo dem besten.
zu den Besten zählte.
4352
man hôrt sîn êre gesten
Man hörte, wie ihm weithin
4353
wît in allen landen.
in allen Ländern Ehre zugestanden wurde.
4354
die in niht erkanden,
Die ihn nicht kannten,
4355
die hôrte man in prîsen.
hörte man ihn preisen.
4356
sîn herze kund in wîsen
Sein Herz wusste ihn zum Trohn
4357
ze hôher êren stuole,
hoher Ehren zu weisen
4358
und hât von schanden phuole
und er floh mit Verstand und Herz
4359
mit sinne und mit herzen fluht.
den Pfuhl der Schande.
4360
er phlac sô ritterlîcher zuht
Er pflegte so ritterlichen Anstand
4361
und alsô reiner mâze
und so aufrichtige Mäßigung
4362
mit herze und mit gelâze,
mit Herz und Gebaren,
4363
mit koste und mit milte,
mit Verpflegung und Freigebigkeit,
4364
mit swerte und mit schilte,
mit Schwert und Schild,
4365
mit wandel und mit sitten,
mit Benehmen und Sitte,
4366
daz sîn lop besnitten
dass sein Lob in keiner Weise
4367
gar unwandellîchen schein.
angreifbar erschien.
4368
man hât sîn wirde reht als ein
Man achtete seine Würde
4369
heiltuon in den rîchen.
in den Reichen genau wie ein Heiligtum.
4370
er warp sô wirdeclîchen
Er warb so würdevoll
4371
mit aller slahte dingen,
auf allerlei Weise,
4372
daz man sîn lop dringen
dass man sein Lob mit Ehren
4373
mit êren hôrt sô verre,
sich so weit ausbreiten hörte,
4374
daz niender lept ein herre
dass nirgendwo ein Herr lebte,
4375
an lobes wirde sîn genôz.
der ihm an Ruhm und Ehre gleichkam.
4376
sîn maht sîn gelt daz was sô grôz
Seine Kraft und seine Geltung waren so groß,
4377
daz er wol vollefuorte
dass er gut ausführte,
4378
swaz im den sin beruorte
was immer ihm
4379
von kostelîcher stiure.
wertvoll erschien.
4380
swâ er kein âventiure
Wo er von irgendeiner Aventiure
4381
hôrte, dâ zuo was im gâch,
hörte, eilte er hin
4382
und warp mit wirdekeit dâ nâch
und warb dort ehrenhaft
4383
êren und nâ werdekeit,
um Ehre und Anerkennung,
4384
des sîn nam noch wirde treit.
wovon sein Name heute noch mit Würde behaftet ist.
4385
Diz treib er wol ein ganzez jâr,
Das trieb er gut ein ganzes Jahr lang,
4386
daz sîn lob als umb ein hâr
sodass sein Lob sich nie
4387
von êren nie gewanhte.
auch nur um ein Haar von der Ehre entfernte.
4388
sîn frîger wille schanhte
Sein freier Wille gab
4389
sô hôhe kost den êren,
der Ehre so hochwertige Nahrung,
4390
daz man sîn lop mêren
dass man sein Lob ohne Bestechung
4391
hôrte sunder miete.
sich mehren hörte.
4392
er gap der gernden diete
Er gab dem gernden Volk
4393
sô hôher gâbe stiure,
so wertvolle Gaben zum Lohn,
4394
daz sî sîn lop vil tiure
dass sie sein Lob sehr kostbar
4395
ze hôher wirde flâhten
mit hoher Würde verflochten
4396
und sînen namen brâhten
und seinen Namen ehrenvoll
4397
mit êren gar dur alliu lant.
in alle Länder verbreiteten.
4398
ez wart in Tenemark erkant
Vielfach wurde in Dänemark
4399
sîn lop ze manger stunde
sein Lob aus dem Mund dieser Spielleute
4400
von der gernden munde
bekannt gemacht,
4401
die dar ze hove kâmen
die da an den Hof kamen
4402
und guot dur êre nâmen
und Gut für Ehre nahmen
4403
ald kunten sunder lâge
oder dort aufrichtig Nachrichten
4404
höve; sô was ie frâge,
verbreiteten. So kam die Frage auf,
4405
wer sich ze hôhen êren züge
wer hohe Ehren erwerbe
4406
ald wes lop mit wirde flüge
oder wessen Lob sich mit Würde
4407
für ander, wen man gesten
über das der anderen erhebe, wen man
4408
hôrte zuo dem besten
über alle Landkreise hinaus
4409
gar dur aller lande rinc:
zu den Besten zähle:
4410
sô was eht ie ein jungelinc
So war wirklich einmal ein Jüngling
4411
erzogen und erwahsen
in Sachsen
4412
in dem lant ze Sahsen
erzogen worden und aufgewachsen,
4413
der ûf an êren bluote.
der ehrenvoll erblühte.
4414
,er ist ein wünschelruote
„Er ist eine Wünschelrute
4415
an ritterlîcher krefte,
an ritterlicher Kraft,
4416
ein helt ze ritterschefte,
ein Held der Ritterschaft,
4417
ze swerte sper und schilte,
mit Schwert, Lanze und Schild,
4418
ein kruft der rehten milte,
ein Hort der rechten Freigebigkeit,
4419
ein berndez zwî der zühte,
ein fruchtbarer Zweig des Anstands,
4420
ein wurze reiner frühte,
eine Wurzel reiner Früchte,
4421
ein stam rehter triuwe,
ein Stamm rechter Treue,
4422
ein slôz der stæte niuwe,
ein Schloss der ausschließlichen Beständigkeit,
4423
scham und mâze ein ingesigel,
ein Garant für Bescheidenheit und Maß,
4424
der êre ein vester houbetrigel
ein fester Halt der Ehre
4425
seit man daz er wære.‘
sagt man, dass er wäre.“
4426
daz minneclîche mære
Diese liebliche Erzählung
4427
erschal sô dicke und alsô vil,
erklang so oft und so stark,
4428
hiute morn und alliu zil,
heute, morgen und allezeit,
4429
ie mê und mê und aber mê,
immer mehr und mehr und wieder mehr,
4430
daz der juncfrouwen wê
dass sich der Schmerz der Jungfrau
4431
sich dicke muose stillen,
oft stillen ließ,
4432
sît er dur iren willen
weil er [scil. Reinfried] sich ihretwegen
4433
sich sô hôher êren fleiz,
so hoher Ehren befleißigte,
4434
daz dur aller lande kreiz
dass sein Name durch alle Landkreise
4435
sîn nam erschal zem besten.
als der beste erklang.
4436
swenne in alsus gesten
Wann immer die Königin
4437
hôrt diu küneginne,
so über ihn reden hörte,
4438
sô dâht sî ,süeze minne,
so dachte sie: „Süße Liebe,
4439
hilf und füege daz ich in
hilf und füge es, dass ich ihn
4440
schier gesehe, sît ich bin
bald sehe, denn ich bin
4441
sîn und er mir frouwe giht.‘
sein und er nennt mich Herrin.“
4442
diu lieplîche zuoversiht
Die liebende Zuversicht
4443
und daz loben minneclîch
und das liebliche Loben
4444
tet sî dicke fröuden rîch
machten sie oft ganz froh
4445
und ouch dâ bî ungemeit
und dabei auch traurig
4446
von dem jâmer den sî leit
aufgrund des Jammers, den sie
4447
nâ im alle stunde.
zu jeder Stunde um ihn litt.
4448
ûz siufzeberndem munde
Aus seufzendem Mund
4449
wunscht sî im dicke guotes,
wünschte sie ihm oftmals Gutes,
4450
fröude und hôhes muotes.
Freude und hohe Gesinnung.
4451
Nu lâzen got des fürsten phlegen.
Überlassen wir die Sorge für den Fürsten nun Gott.
4452
sîn lîp nâ êren kunde stegen
Sein Leib wusste nach Ehren zu streben,
4453
sô daz sîn wirde nie verdarp.
sodass seine Würde keinen Schaden nahm.
4454
dô im der lîp mit leben erstarp,
Als er starb,
4455
sô lept sîn lop doch iemer mê.
lebte sein Ruhm doch weiter.
4456
hoerent wie ez dem ergê,
Hört, wie es dem erging,
4457
des sin sich sô versinte
dessen Verstand sich so verstieg,
4458
daz sîn herze minte
dass sein Herz liebte,
4459
dar dâ er was unmære.
wo er unerwünscht war.
4460
im was sô grôziu swære
Ihm war vom Neid
4461
kon von der verbünste
solches Leid aufgebürdet worden,
4462
daz von der minne brünste
dass sein Herz vom heißen Verlangen
4463
sîn herze was enphlammet.
der Liebe entflammt war.
4464
sîn wilder sin gezammet
Sein aufgebrachter Verstand wurde
4465
wart von der minne krefte.
von der Kraft der Liebe beherrscht.
4466
er was ze ritterschefte
Er war ein Held in Bezug auf Ritterschaft
4467
ein helt und ouch des muotes.
und auch in Bezug auf seine Gesinnung.
4468
sîn lîp der hât vil guotes
Sein Leib hatte viel Gutes
4469
gewürket und begangen.
bewirkt und begangen.
4470
sîn herze nie gevangen
Sein Herz war nie
4471
mit zagelîcher tæte
in zaghafter Tat
4472
wart; er was sô stæte,
gefangen; er war so beständig,
4473
sô milte manlîch und sô guot,
so freigebig männlich und gut
4474
und hât sô ritterlîchen muot
und hatte eine so ritterliche Gesinnung,
4475
daz man im hôher wirde sprach.
dass man ihm große Würde nachsagte.
4476
wan daz von minnen diz beschach,
Weil das aus Liebe geschah,
4477
sô was sîn lîp gar wandels bar.
so war er keineswegs wankelmütig.
4478
sîn sin sîn herze zôch ie dar
Sein Verstand und sein Herz strebten jäh dorthin,
4479
dâ man sîn niht engerte.
wo man ihn nicht haben wollte.
4480
der strenge kummer werte
Der harte Kummer war
4481
sô vil und alsô lange,
so stark und hielt so lange an,
4482
daz er von minne twange
dass er aufgrund der Zwänge der Liebe
4483
in jâmer lac verworren.
in Leid verstrickt war.
4484
hôchgemüete dorren
Traurig werden
4485
sach man im alle stunde.
sah man ihn zu jeder Stunde.
4486
im lag in herzen grunde
Bitter lag ihm auf dem Grund des Herzens
4487
der minne strâle bitter,
der Stachel der Liebe,
4488
dâ von den werden ritter
weshalb man den edlen Ritter
4489
man sach vil starke trûren.
arg trauern sah.
4490
in sîne sinne er mûren
Er verstand seine bitteren Sorgen
4491
kunde bitter sorgen,
so für sich zu behalten,
4492
daz er doch verborgen
dass er sie geheim
4493
truoc sô tougenlîchen.
und verborgen trug.
4494
mit siufzen bitterlîchen
Mit bitterlichem Seufzen
4495
gedâht er mange stunde,
dachte er manche Stunde darüber nach,
4496
wie in sîns herzen grunde
wie auf dem Grund seines Herzens
4497
sîn leit geringert würde,
sein Leid geschmälert werden könnte
4498
und wie diu strenge bürde
und wie es anzustellen sei, dass die harte Last
4499
der überlesten minne
der erdrückenden Liebe
4500
sîn herze und ouch sîn sinne
sein Herz und auch seine Sinne
4501
sô sêre niht endruhte.
nicht so sehr belastete.
4502
daz leit sô nâhe ruhte
Das Leid ging
4503
im hin zuo dem herzen
ihm so zu Herzen,
4504
daz sîn lîp den smerzen
dass sein Körper den Schmerz
4505
bî nihte moht erlîden.
beinahe nicht ertragen konnte.
4506
er dâhte ,solt du mîden
Er dachte: „Wenn du die Anklage noch
4507
die klage langer, du bist tôt.‘
länger hinauszögerst, bist du tot.“
4508
im tet diu sorge und ouch diu nôt
Ihm tat die Sorge und auch die Not
4509
sô wê daz man in trûren sach
so weh, dass man ihn wegen seines Ungemachs
4510
stæte dur daz ungemach,
ständig trauern sah,
4511
und wist doch niemen waz im war.
und doch wusste niemand, was ihn quälte.
4512
sîn sin sîn herze wâren gar
Sein Verstand und sein Herz waren
4513
in der nôt versteinet.
in der Not ganz versteinert.
4514
er dâht ,würd ich vereinet
Er dachte: „Könnte ich sie
4515
bî ir tougenlîchen,
heimlich treffen,
4516
ich wolt der minneclîchen
würde ich der Lieblichen
4517
mînen kumber künden,
meinen Kummer sagen
4518
und wolte gar durgründen
und die Last meines Herzens
4519
mînes herzen swære.
vollständig offenlegen.
4520
ich hân sô siufzebære
Ich leide so schreckliche
4521
nôt, daz ich muoz sterben,
Not, dass ich sterben werde,
4522
sol ich niht erwerben
sollte ich nicht erringen,
4523
nâ dem min herze vihtet.
worum mein Herz kämpft.
4524
diu nôt mich schiere rihtet,
Die Not bringt mich bald,
4525
daz weiz ich, zuo des tôdes grabe.
das weiß ich, ins Grab.
4526
sol der kumber den ich habe
Wenn der Kummer, den ich habe,
4527
weren keine wîle,
noch länger dauert,
4528
sô ist mit balder île
so sind meine Tage
4529
verendet hin mîn lebetage.
gezählt.
4530
nein, der sorgen der ich trage,
Nein, die Sorge, die ich mit mir herumtrage,
4531
muoz ir wesen offen.
muss ihr geoffenbart werden.
4532
diu nôt diu mich getroffen
Die Not, die mich getroffen
4533
hât, diu muoz ir werden kunt.‘
hat, die muss ihr kund werden.“
4534
nu fuogt ez sich daz zeiner stunt
Nun fügte es sich, dass einmal
4535
diu minneclîche reine
die liebliche Reine
4536
gesaz alters eine
ganz allein
4537
in einer wîten louben.
in einer geräumigen Laube saß.
4538
nu dâht er ,ê du rouben
Da dachte er: „Ehe du dem Tod gestattest,
4539
den tôt dich lîbes lâzest,
dir das Leben zu rauben,
4540
daz doch beschiht, enmâzest
was doch geschieht, wenn du
4541
du dich niht an swære,
deine Last nicht mäßigst,
4542
sô muoz diu sældenbære
muss die Glückliche
4543
dînen kumber hoeren.
deinen Kummer hören.
4544
wil sî sorge stoeren
Will sie meine Sorge verringern,
4545
mir, daz sî: wil sî des niht,
soll es so sein: Will sie das nicht,
4546
daz denne in sorgen nu beschiht
was mir zu weiterer Sorge
4547
mir, daz sî ouch denne.
gereicht, dann sei auch das so.
4548
ich prüeve unde kenne,
Ich stelle fest und weiß:
4549
swîg ich, ich muoz sterben.
Wenn ich schweige, muss ich sterben.
4550
sol ich trôst erwerben
Egal, ob ich Erbarmen finde
4551
ald niht, daz wirt versuochet hie.‘
oder nicht, es wird hier versucht.“
4552
sus er in die louben gie
So ging er, traurig
4553
mit sorgen trûreclîchen.
aus Sorge, in die Laube.
4554
er vant die minneclîchen
Er fand die Liebliche
4555
sitzen alters eine.
allein dasitzen.
4556
als in diu kiusche reine
Als ihn die keusche Reine
4557
sô minneclîche komen sach,
so liebenswürdig kommen sah,
4558
tugentlîch sî zuo im sprach:
sprach sie tugendhaft zu ihm:
4559
,Waz wirret iuch? wie tuont ir sô?
„Was macht Euch zu schaffen? Was handelt Ihr in dieser Weise?
4560
waz meinet daz ir sô unfrô
Woran denkt Ihr, dass Ihr Euch so unglücklich
4561
und sô wêlîch gebârent,
und leidend gebärdet,
4562
und ir doch wîlen wârent
wo Ihr doch gerade noch
4563
des muotes fröuden rîche?
so gut gelaunt ward?
4564
wie stât sô trûreclîche
Wieso sind Euer Sinn
4565
iuch der sin und ouch der muot,
und eure Stimmung so bedrückt,
4566
daz ir werder ritter guot
dass Ihr, werter, edler Ritter,
4567
an hôhem muote sîgent
der gehobenen Stimmung verlustig geht
4568
und die nôt verswîgent
und die Not vor der ganzen Welt
4569
vor al der welte tougen?
verschweigt und verheimlicht?
4570
man spürt ouch sunder lougen
Man erkennt fürwahr
4571
an lîbe und an varwe,
an Leib und Farbe,
4572
daz iuch daz herze garwe
dass Euer Herz ganz und gar
4573
in sorgen lît versunken.
in Sorgen versunken liegt.
4574
jô wîset mir min dunken
Mein Instinkt sagt meinem Verstand
4575
den sin dar an, ir tragent leit.
doch, dass Ihr mit Kummer beladen seid.
4576
werder ritter, sint gemeit;
Werter Ritter, reißt Euch zusammen,
4577
lânt von dem unmuote‘,
lasst von der Niedergeschlagenheit ab.“
4578
,ei minneclîche guote,
„Ei, liebliche, gute,
4579
hôchgeborne süeze fruht,
hochwohlgeborene süße Frucht,
4580
ich muoz iemer haben fluht
ich muss für immer von den Freuden
4581
von fröuden zuo den sorgen.
zu den Sorgen fliehen.
4582
âbent und den morgen
Abends und morgens
4583
mêret sich mîn swære.
wächst meine Bedrückung,
4584
diu ist sô klagebære‘,
die so beklagenswert ist“,
4585
sprach er, ,daz ich niemer mac
sagte er, „dass ich nie mehr auch nur
4586
frô belîben halben tac:
einen halben Tag froh sein kann:
4587
ich muoz in sorgen trûren.
Ich muss sorgenvoll trauern.
4588
ich hân sô strengen sûren
Ich fühle einen so harten, bitteren,
4589
bitterlîchen smerzen
peinigenden Schmerz
4590
in sinnen und in herzen,
in den Sinnen und im Herzen
4591
daz ich bînamen stirbe.
dass ich beinahe sterbe.
4592
ich trûre und verdirbe
Ich trauere und vergehe
4593
mit gesundem lîbe.
bei gesundem Leibe.
4594
swar ich mîn herze schîbe,
Wohin auch immer ich mein Herz wende,
4595
sô mag ez sorge niht gelân,
es wird die Sorge doch nicht los,
4596
wan der kummer den ich hân,
denn der Kummer, den ich leide,
4597
ist sô bitter und sô grôz
ist so bitter und so groß,
4598
daz ich iemer fröuden blôz
dass ich immer freudlos
4599
muoz sîn unz an mîn ende.
sein muss bis an mein Lebensende.
4600
des siht man mîne hende
Darum sieht man mich oft
4601
mich dicke zemen valten.
die Hände zusammenschlagen.
4602
mîn herze möhte spalten
Mein Herz möchte
4603
von bitterlîcher quâle
vor bitterem Leid zerspringen,
4604
die ich ze ie dem mâle
das mir jedes Mal, wenn der Kummer
4605
hân von jâmers schricken.
hochkommt, zuteil wird.
4606
von nôt mich mag erkicken
Aus dieser Not kann mich niemand
4607
niemen, wan mîn swære
retten, weil meine Last
4608
ist sô siufzenbære,
so schwer ist,
4609
in der mîn herz mit jâmer swept,
unter der sich mein kummerbeladenes Herz befindet,
4610
daz niemen in der welte lept
dass niemand auf Erden lebt,
4611
dem ich sî türre künden.
dem ich sie zu sagen wagte.
4612
ich möht mit tûsent münden
Ich könnte selbst mit tausend Mündern
4613
volsagen niht daz sorgen
die Besorgnis nicht erschöpfend beschreiben,
4614
daz in mir verborgen
die in mir mit großem Kummer
4615
lît vil jâmerlîche.‘
verborgen liegt.“
4616
dô sprach diu minneclîche:
Da sprach die Liebliche:
4617
,Wie hât sich daz gefüeget
„Wie kommt es,
4618
daz iuwer nôt gerüeget
dass Ihr Euer Leid
4619
mac keinem menschen werden?
keinem Menschen mitteilen könnt?
4620
lept iemen ûf der erden,
Wenn es auf Erden jemanden gibt,
4621
daz iuwer munt getürre
dem Euer Mund zu klagen wagte,
4622
klagen waz im würre,
was ihn bedrückt,
4623
dem soltent ir den sin enparn,
dann solltet Ihr ihm Euer Denken offenbaren,
4624
ê ir sô von fröuden arn
bevor Ihr für immer
4625
iemer mê belîbent.
so arm an Freude bleibt.
4626
ob irz iht lange trîbent,
Wenn Ihr es noch lange so treibt,
4627
ez krenket iuch ze vaste.
schwächt es Euch zu sehr.
4628
ir sint mit überlaste
Euer Herz ist allzu
4629
geladen in dem herzen.‘
schwer beladen.“
4630
er sprach ,ich törst den smerzen
Er sprach: „Euch alleine würde
4631
künden iuch wol eine,
ich den Schmerz wohl zu sagen wagen,
4632
ob ir süeze reine
wenn Ihr süße Reine
4633
die klage mir erloubent.
mir die Klage gestattet.
4634
ir stoerent unde roubent
Ihr stört und raubt
4635
mir dâ mit ungemüete,
mir damit den Verdruss,
4636
ob ich an iuwerr güete
wenn Ihr mir in Eurer Güte
4637
die hôh genâde funde,
die hohe Gnade zuteil werden ließet,
4638
daz ich von herzen grunde
dass ich Euch vom Grund meines Herzens
4639
iuch törste sagen mînen sin,
mein Denken offenlegen dürfte,
4640
wâ von und wie ich komen bin
wodurch und warum ich
4641
in des jâmers stricke,
mich in ein Leid verstrickt habe,
4642
von dem mîn herze dicke
von dem mein Herz oft
4643
ersiufzet bitterlîche:
bitterlich aufseufzt:
4644
sô möhte fröuden rîche
So könnte mein Gemüt
4645
mîn muot dâ von wol werden,
daran wohl reich an Freude werden,
4646
wan niemen ûf der erden
da niemand auf Erden
4647
lept der mich ellenden
lebt, der mich Elenden
4648
an sorgen müge phenden
von meinen Sorgen befreien
4649
und gên ze fröuden stiure,
und zur Freude zurückbringen könnte,
4650
wan ir zart gehiure
außer Euch, Euch guter Anständiger,
4651
mit trôstlîchem râte.
mit tröstendem Rat.
4652
ich brinne unde brâte
Ich brenne und schmore
4653
in strengen sorgen iemer,
immerzu in harten Sorgen
4654
und mag erloeset niemer
und kann ohne Eure Hilfe
4655
ân iuwer helfe werden.‘
niemals erlöst werden.“
4656
er schuof mit den geberden
Er bewirkte mit den Gebärden
4657
und mit der klage die sî sach,
und mit der Klage, die sie sah,
4658
daz diu minneclîche sprach:
dass die Liebliche sprach:
4659
,Mag ich iuch kumber büezen
„Wenn ich Euren Kummer verschwinden machen
4660
und bitter jâmer süezen
und das bittere Leid mit dem Trost
4661
mit mînes râtes trôste,
meines Rats versüßen kann,
4662
ob ich iuch denn niht lôste,
Euch aber nicht davon erlöste,
4663
daz wær unreht, ob ez sô lît
wäre das unrecht, wenn es sich so verhält,
4664
daz der rât noch daz troesten gît
dass weder der Rat noch das Trösten
4665
flecken mîner wirde:
meine Würde befleckt:
4666
sô sol nâ voller girde
So soll Eure Zunge mir
4667
iuwer zunge künden
ganz nach Belieben Eure Gesinnung kundtun
4668
und völleclîch durgründen
und bis zum Äußersten
4669
mir den sin unz ûf ein ort.
vollständig darlegen.
4670
swenn mîn ôre ez hât gehôrt,
Sobald mein Ohr es gehört hat,
4671
ich râte sô ich beste kan.‘
rate ich Euch, so gut ich kann.“
4672
er sprach ,süeze wol getân,
Er sprach: „Süße Wohlgestalte,
4673
sô wil ich iuch den kumber,
so will ich Euch auf Eure Gnade hin den Kummer,
4674
den ich sender tumber
den ich sehnsüchtiger Narr
4675
hân getragen lange stunt,
schon lange mit mir herumtrage,
4676
ûf genâde machen kunt
mit dem Verstand des tiefsten Herzens
4677
mit herzen grundes sinne.
kundmachen.
4678
wizzent daz iuwer minne
Wisst, dass die Liebe zu Euch
4679
mir hôhe fröude selwet,
mir hohe Freude trübt,
4680
liehte varwe velwet,
leuchtende Farbe blass und
4681
süezen gingen siuret,
süßes Verlangen sauer macht,
4682
frô gemüete tiuret
mir frohe Stimmung raubt
4683
und liebet leitlîch ungemach.
und leidvolles Ungemach lieb werden lässt.
4684
swaz mîn ouge ie gesach
Was mein Auge je an
4685
von liehter spilnder wunne,
hell glänzender Wonne erblickte,
4686
swaz himel oder sunne
was immer Himmel oder Sonne
4687
hât bedecket ald beschein,
überzog oder beschien,
4688
ie daz wig ich reht als ein
das wiegt gerade so viel wie ein
4689
ei gên mîner sorgen,
Ei gegenüber meinen Sorgen,
4690
die ich sô verborgen
die ich ganz verborgen
4691
hân in herzen grunde.
im Grunde meines Herzens habe.
4692
mich hât ein scharphiu wunde
Mich hat eine scharfe Wunde
4693
durwundet und durhouwen,
zutiefst verwundet und zerschlagen,
4694
daz sô wê nâ frouwen
dass niemals einem Herzen so weh
4695
nie herzen wart dekeine frist
nach einer Frau wurde,
4696
als mir ze allen zîten ist
wie mir stets um Euretwillen,
4697
nâ iuch, hôchgeborne.
Hochwohlgeborene, ist.
4698
diu minne mit ir zorne
Die Liebe hat mir mit ihrem Zorn
4699
hât mir den sin versnitten,
den Verstand zerschnitten,
4700
daz mîn herze enmitten
sodass mein Herz in der Mitte
4701
möht enzwei zerklieben.
entzwei springen könnte.
4702
alsô kan în schieben
Darum können mir
4703
begirde mit dem luste
Begierde und Lust
4704
nôt mir zuo der bruste,
Not in die Brust einpflanzen,
4705
daz ich in sorgen brinne.
dass ich in Sorgen brenne.
4706
owê strenge minne,
O weh, du harte Liebe,
4707
bist du süez, des weiz ich niht,
wenn du süß bist, weiß ich nichts davon,
4708
sît daz dîner sorgen phliht
außer dass das Wesen deiner Sorgen
4709
mich alsô lêret trûren.
mich auf diese Weise trauern lässt.
4710
dîn süeze kan mir sûren,
Deine Süße kann mir sauer werden,
4711
du kanst mir liebe leiden,
du kannst mir Liebe verleiden,
4712
du kanst von fröuden scheiden
du kannst mir Herz und Gemüt
4713
mir herze und gemüete.
von jeglicher Freude trennen.
4714
ob ie ze fröuden blüete
Sollte mein Verstand sich jemals
4715
mîn sin, daz ist vergezzen.
freudig erhoben haben, ist das vergessen.
4716
sorge hât besezzen
Sorge hat mir das Herz
4717
mir daz herze und ouch den muot,
und auch das Gemüt besetzt,
4718
daz ich als ein heiziu gluot
sodass ich wie eine heiße Glut
4719
brinne und erswitze.
brenne und dampfe.
4720
gewan ich sin ald witze
Sollte ich jemals Verstand oder Vernunft
4721
ie, daz ist reht als ein stoup.
besessen haben, ist davon nichts als Staub übrig.
4722
herze und die gedenke toup
Herz und Gedanken sind mir
4723
sint mir von jâmer worden.
vor Jammer stumpf geworden.
4724
hât alsô strengen orden
Wenn Liebe alle Menschen
4725
minne an allen liuten,
so hart hernimmt,
4726
sô ist ir lieplîch triuten
so ist ihre liebevolle Zuwendung
4727
unlîdîc unde bitter.
unleidlich und bitter.
4728
in fiures gluot ich zitter
Ich zittere in der Glut des Feuers
4729
und switze in kaltem froste.
und schwitze bei kaltem Frost.
4730
mir wil des jâmers koste
Mir will der Preis des Jammers
4731
daz herze übertrîben.
das Herz bedrängen.
4732
sol mîn lîp belîben
Wenn mein Leib noch lange
4733
in den sorgen lange,
in diesen Sorgen gefangen bleibt,
4734
sô swære und sô ange
ist mir so Schweres und Bedrückendes
4735
mir noch unlange ist gesîn.
noch nie widerfahren.
4736
hôchgeborne künegîn,
Hochwohlgeborene Königin,
4737
sô muoz ich verderben.
dann muss ich sterben.
4738
lânt an iuch erwerben
Lasst mich von Euch
4739
mich genædeclîchen trôst,
gnädigen Trost erringen,
4740
alsô daz ir mich erlôst
indem Ihr mich von dem Leid
4741
tüegent von dem leide.
zu erlösen wagt.
4742
lîp und leben beide
Leib und Leben sollen
4743
sönt iuwer wesen iemer.
beide für immer Euer sein.
4744
sin und herze niemer
Verstand und Herz sind Euch
4745
an iuch mit triuwen wenkent.
immer in Treue ergeben.
4746
sît ir mir fröude krenkent,
Da Ihr mir die Freude nehmt,
4747
sô krenkent ouch der sorgen bunt,
nehmt mir auch alle Sorgen,
4748
alsô daz mir fröude kunt
sodass mir die Freude
4749
werde von iuch einen
von Euch allein, Ihr lieblich Reiner,
4750
minneclîchen reinen.‘
kund werde.“
4751
Von disen worten sî erschrac.
Aufgrund dieser Worte erschrak sie.
4752
,owê‘, dâhte sî, ,waz mac
„O weh“, dachte sie, „was können
4753
daz meinen hie betiuten?
diese Gedankengänge bedeuten?
4754
soltest du den triuten
Solltest du den
4755
mit dekeinen dingen,
abweisen,
4756
der dich von êren bringen
der dich ohne Zweifel leicht
4757
wol möhte sunder lougen?
um deine Ehre bringen könnte?
4758
wê daz in mîn ougen
Weh, dass meine Augen
4759
sîn lîp ie wart ansihtic!
seiner je ansichtig wurden!
4760
solt mîn herze gihtic
Bevor mein Herz ihm
4761
im holder sinne werden,
Zuneigung entgegen brächte,
4762
ich liez mich in die erden
ließe ich mich
4763
ê lebendigen telben.
bei lebendigem Leibe begraben.
4764
ich wolt den tôt mir selben
Eher wollte ich mir selbst
4765
ê füegen unde schicken,
das Leben nehmen,
4766
ê daz ich mich erblicken
als dass ich bei anderen jemals
4767
liez iemer in dem schîne.
diesen Anschein erweckte.
4768
phûch, sînes herzen pîne
Pfui, seine Herzensqualen
4769
sönt mêren unde wahsen.
sollen sich mehren und wachsen.
4770
ich wil den helt von Sahsen
Ich werde dem Helden aus Sachsen
4771
für al die welte meinen,
vor der ganzen Welt den Vorzug geben,
4772
des lîp vor wandel reinen
dessen Leib sich mit hohem Ruhm
4773
sich kan mit hôhem prîse.
von jedem Makel zu befreien weiß.
4774
jâ hânt ir in der wîse‘,
Ihr habt wirklich in einer Weise
4775
sprach sî, ,zuo mir gesprochen,
zu mir gesprochen“, sagte sie,
4776
und hânt an mir zerbrochen
„und habt an mir Eure
4777
ritterlîche wirde,
ritterliche Würde zerbrochen,
4778
daz ir mir keiner girde
sodass Ihr von mir niemals
4779
ie getorstent muoten.‘
irgendein Begehren erwarten könnt.“
4780
man sach die süezen guoten
Man sah, wie die süße Gute
4781
enbrinnen von dem zorne.
vor Zorn erglühte.
4782
als bî dem scharphen dorne
Wie sich neben dem spitzen Stachel
4783
stât liehter rôsen blüete,
die leuchtende Rosenblüte befindet,
4784
alsô was bî ir güete
so nahe lagen bei ihr Güte
4785
scharphes zornes lâge.
und scharfer Zorn beieinander.
4786
,ê daz ich ûf die wâge
„Bevor ich Euretwegen
4787
mîn êre wolte setzen
meine Ehre aufs Spiel
4788
dur iuch, ich liez ê schetzen‘,
setzte“, sagte sie, „ließe ich
4789
sprach sî, ,mich von dem lîbe.
mich lieber töten.
4790
ê daz mîn lîp ze wîbe
Bevor mein Leib Euch Ehefrau
4791
iuch würde ald ze amîen,
oder auch Geliebte würde,
4792
ich lieze mich ê frîen
ließe ich mich lieber
4793
lîbes unde guotes,
um Leib und Gut bringen,
4794
ê des swachen muotes
bevor mein Herz je wieder
4795
mîn herze ie mêr gedæhte,
des Schwachsinns gedächte,
4796
der mich von wirde bræhte,
der mich um meine Ehre brächte,
4797
als ir hânt gesprochen.
wie Ihr gesagt habt.
4798
zwâr ez würd gerochen
Fürwahr, Ihr müsstet dafür bezahlen,
4799
an iuch, schônt ich niht mîner zuht.
achtete ich nicht meine gute Erziehung.
4800
balde phlegent von mir fluht
Macht Euch schleunigst aus dem Staub
4801
und schiuhent mîne angesiht,
und meidet mein Blickfeld,
4802
alsô daz ir niemer niht
sodass Ihr mir nie wieder
4803
vor mînen ougen sîgent.‘
vor die Augen kommt.“
4804
sî wart im alsô vîgent,
Sie war ihm so feindlich gesonnen,
4805
swenn sî an in gedâhte,
dass ihr, wenn sie
4806
daz der gedanc ir brâhte
an ihn dachte, der Gedanke
4807
leit in herzen grunde.
tiefes Herzeleid verursachte.
4808
ûz alsô rôtem munde
Aus einem so roten Mund
4809
wurden nie sô scharphiu wort
wurden niemals wieder im Zorn
4810
in zornes wîse mê gehôrt,
so scharfe Worte gehört,
4811
als mîn sin wil wænen.
wie ich glaube:
4812
er muose sich entænen
Er durfte ihr nicht mehr
4813
der striche für ir ougen.
vor die Augen kommen.
4814
ich wæne alsô tougen
Ich vermute, insgeheim
4815
sô vîentlîche bürde
wurde noch nie
4816
ie getragen würde,
eine solche Feindschaft gehegt,
4817
als sî im in dem herzen
wie sie sie gegen ihn im Herzen
4818
truoc. nu was daz smerzen
trug. Nun war dem Ritter
4819
dem ritter unverwischet.
sein Schmerz nicht genommen worden.
4820
erniuwet und erfrischet
Erneuert und frisch aufgerissen
4821
wurden sîne wunden.
wurden seine Wunden.
4822
sîn herze wart gebunden
Sein Herz wurde in Jammer
4823
mit jâmer und mit leide,
und Leid gefesselt,
4824
daz er ân underscheide
dass er genauso wie vorher
4825
trûrte in dem sinne.
in seinem Verstand trauerte.
4826
wâ sint ir nu, frô Minne,
Wo seid Ihr jetzt, Frau Minne,
4827
waz went ir nu hie schicken?
was habt Ihr noch auf Lager?
4828
daz ir dem ritter stricken
Werdet Ihr dem Ritter Verstand
4829
went sinne unde herze
und Gefühl dorthin zwingen,
4830
dar dâ im niuwan smerze
wo ihm nur neue Schmerzen
4831
wirt gehandet und gebreit.
angetan und bereitet werden?
4832
im solte iuwer miltekeit
Ihm sollte durch Eure Milde
4833
nâ trôste baz erschiezen.
besser Trost zuteil werden.
4834
er solte wol geniezen
Er sollte sich wirklich daran erfreuen,
4835
daz er ein helt was muotes,
dass er der Gesinnung nach ein Held war
4836
und daz sîn lîp vil guotes
und sein Leib viel Gutes
4837
gewürket hete und getân.
erreicht und getan hatte.
4838
wie stât daz, went ir in lân
Wie sieht es damit aus, wollt Ihr ihn so
4839
ân trôst sô ungeduldic?
ungeduldig ohne Trost lassen?
4840
,ich bin der sache unschuldic.
„Ich bin daran nicht schuld.
4841
diu schulde ist sîn, als ich hie wil
Die Schuld liegt bei ihm, wie ich hier erklären
4842
bescheiden: sîner sinne zil
werde: Die Richtung seines Ansinnens
4843
hât in dâ hin verleitet.
hat ihn hierher gebracht.
4844
ob sîn nôt dâ von breitet,
Wenn ihm daraus Not erwächst,
4845
waz mag ich des? verbunstes gir
was kann ich dafür? Die neidvolle Begierde
4846
truog in dar er wolte mir
brachte ihn dorthin, wohin er mir
4847
niht volgen mit dem sinne.
mit dem Verstand nicht folgen wollte.
4848
daz ist niht rehtiu minne,
Es ist nicht rechte Liebe,
4849
ob sich ein herze bindet
wenn sich ein Herz dort bindet,
4850
dar dâ ez vor bevindet
wo es zuvor festgestellt hat,
4851
daz man mit liebe ist behaft.
dass man bereits liebt.
4852
des herzen sinne hânt die kraft,
Die Sinne des Herzens haben die Kraft,
4853
swar sî sich stæte senkent
wo immer sie sich mit Beständigkeit niederlassen
4854
und girdeclîch gedenkent,
und mit Verlangen an den anderen denken,
4855
dâ muoz daz ouge schicken
dorthin muss auch das Auge
4856
ouch hin sich mit den blicken
seine Blicke wenden
4857
und müezen dâ belîben.
und sie müssen dort bleiben.
4858
die sinne ez mügent trîben
Die Sinne können das
4859
sô vil und alsô dicke
so oft und so stark treiben,
4860
daz sî mit dem stricke
dass sie mit den Stricken der falschen Liebe
4861
ze etelîchen stunden
zu allen Stunden
4862
werden sô gebunden
so gefesselt werden,
4863
daz sî niemer dannen kon
dass sie nie mehr von dort wegkommen
4864
mügent, ob sî went dâ von:
können, auch wenn sie weg wollten:
4865
daz schaffet niht diu minne.
Das bewirkt nicht die Liebe.
4866
ez tuont die frîgen sinne
Das tun die freien Sinne,
4867
die dik daz herze triegent,
die das Herz oft betrügen,
4868
sô sî in wandel fliegent
wenn sie wankelmütig umherfliegen,
4869
nu sus, nu sô, nu hin, nu har,
mal so, mal anders, mal hierhin, mal dorthin,
4870
und sô sî alle sache gar
und auf diese Weise alles ganz und gar
4871
mit wanke überswenkent.
mit Wankelmütigkeit überziehen.
4872
vil lîhte sî sich senkent
Allzu leicht lassen sie sich
4873
ze jungest an daz boeste.
schließlich beim Schlechtesten nieder.
4874
ob ich den missetroeste
Wenn ich dem nicht zu Unrecht mit Trost
4875
an fröuden, diu schuld ist niht mîn.
zur Freude verhelfe, liegt die Schuld nicht bei mir.
4876
ûf erden frîgers niht gesîn
Auf Erden kann es nichts Freieres geben
4877
mac denn des vogels güften.
als das Rufen des Vogels.
4878
er fliuget in den lüften
Frei von allen Sorgen
4879
frî von allen sorgen.
fliegt er in den Lüften.
4880
offen noch verborgen
Weder offen noch verborgen
4881
kan im niht arges werren.
kann irgendetwas Böses ihm etwas anhaben.
4882
der aber im ein herren
Wenn ihm aber jemand einen Herren
4883
verbirget und verstophet,
verheimlicht und vorenthält,
4884
iemer mê sô hophet
so hüpft er beständig
4885
er stæteclîch dar umbe
umso mehr
4886
manig wilde krumbe
in wilden Bögen herum,
4887
unz daz er dinne wirt behaft.
bis er eingefangen wird.
4888
wirt er der herren schadehaft,
Verliert er die Herren,
4889
dâ ist sîn wille schuldic.
ist er selbst schuld.
4890
sus mache ich Minne ouch huldic
So ordne ich, die Minne, auch nicht
4891
niht alliu dinc dem sinne.
alle Dinge dem Verstand unter.
4892
wizzent daz diu minne
Wisst, dass die Liebe
4893
nienâ ist wan an den zwein,
nimmer und nirgendwo ist außer zwischen zweien,
4894
denn ein jâ, denn ein nein,
die in aufrichtiger Weise
4895
die nôt sunder triegen.
eines Sinnes sind.
4896
swer sîne sinne biegen
Auch wenn irgendeiner
4897
wil nâ wirdeclîcher phliht,
auf würdevolle Dinge sinnt –
4898
wer mac des, ob im misseschiht
wer kann das, wenn ihm widerfährt,
4899
als disem ritter hie beschach?
was diesem Ritter hier geschah?
4900
sîn ôre hôrt, sîn ouge sach,
Sein Ohr hörte, sein Auge sah,
4901
sîn herze seit im von den zwein
sein Herz sagte ihm von den beiden
4902
niht wan ein jâ und ouch ein nein
nichts als ein gemeinsames Ja und auch ein Nein,
4903
und warp doch mit den sinnen dar,
und doch strebte er dorthin mit den Sinnen,
4904
mit den er sich sô vast verwar,
mit denen er sich so fest verstrickte,
4905
daz sî niht mohten dannen komen.‘
dass sie nicht mehr von dort wegkommen konnten.“
4906
wir sehen und hân wol vernomen
Wir sehen und haben sehr wohl gehört,
4907
daz ein man sich twinget
dass ein Mann sich mit den Sinnen
4908
mit sinnen unde bringet
bezwingt und dorthin bringt,
4909
sich dâ zuo dâ er doch von
von wo er doch nicht mehr
4910
kûm ald niemer mac bekon,
wegkommt und nie mehr wegkommen kann,
4911
ob er sich missehüetet.
wenn er sich nicht vorsieht.
4912
ein tumbez huon daz brüetet
Ein törichtes Huhn bebrütet
4913
ein tôtez ei, unz dâ von wirt
ein totes Ei, bis daraus ein
4914
ein lebendez huon: reht alsô birt
lebendes Huhn wird: Genauso gebiert
4915
daz herz mit tôten sinnen
das Herz mit toten Sinnen
4916
ein lebende kraft von minnen
eine lebendige Kraft der Liebe
4917
und hebt daz liederlîche,
und erhöht das Liederliche,
4918
dâ man doch kumberlîche
wovon man doch nur schwer
4919
ald niemer von bekumen kan.
oder nie mehr wegkommen kann.
4920
dâ ist niemen schuldic an
Daran trägt niemand Schuld
4921
wan der sin gedenken.
als allein das geistige Streben des Verstands.
4922
jô wellen wir niht wenken
Ja, wir wollen nicht wanken,
4923
hin und har und biegen.
uns hierhin und dorthin biegen.
4924
wir wænen minne triegen,
Wenn wir glauben, die Liebe zu betrügen,
4925
sô triegen wir uns selben.
betrügen wir uns selbst.
4926
dâ von siht man schelben
Davon sieht man den Lohn der Liebe
4927
der minne lôn ze mangen tagen
manchen Tags schal werden
4928
von den die in wænent tragen
von denen, die glauben, er brächte
4929
lop, und vellet ûf die phliht
Lob, und man scheitert bei der Aufgabe,
4930
dâ man sîn sich klein versiht.
wenn man sich nicht vorsieht.
4931
Alsus beschach dem ritter hie.
So geschah es diesem Ritter hier.
4932
trûreclîch er dannen gie
Traurig ging er davon,
4933
mit manges jâmers schricke.
immer wieder leidvoll zusammenzuckend.
4934
wê der leiden blicke
Wehe den leidbringenden Blicken,
4935
die er von der zarten sach.
die er von der Guten auffing.
4936
daz sîn herze niht enbrach,
Dass sein Herz nicht zerbrach,
4937
daz was ein unbilde.
war ungeheuerlich.
4938
fröude wart im wilde,
Freude wurde ihm unbekannt,
4939
wan er in jâmer blüete.
da er in Jammer lebte.
4940
im wart nâ ir güete
Er sehnte sich mit solch grimmem
4941
sô grimme bitterlîche wê.
bitteren Schmerz nach ihrer Güte.
4942
für daz mâl er niemer mê
Zum Gastmahl wagte er
4943
torste an ir angesiht
ihr nie mehr vor die Augen
4944
komen, wan sî wolte niht
zu kommen, denn sie wollte ihn
4945
in sehen weder hoeren.
weder sehen noch hören.
4946
seht daz kunde stoeren
Seht, das wusste ihm
4947
im hôher fröuden stiure.
das Wesen hoher Freude zu stören.
4948
er wolte in dem fiure
Er wollte in dem Feuer
4949
heizer minne erfrieren.
heißer Liebe erfrieren.
4950
sin herze kond er zieren
Sein Herz wusste er nicht anders
4951
niht anders denn mit sorgen.
als mit Sorgen zu schmücken.
4952
âbent unde morgen
Von früh bis spät
4953
sô wuohs daz bitter trûren.
wuchs die bittere Trauer.
4954
sîn süeze fröude sûren
Seine süße Freude verstand es,
4955
kund im mit hôhen riuwen.
durch großen Kummer sauer zu werden.
4956
die swære sach man niuwen
Die Bedrückung sah man
4957
und wahsen alle stunde.
zu jeder Stunde sich erneuern und wachsen.
4958
er was in herzen grunde
Tief im Herzen litt er
4959
sô minneclîcher wunden wunt,
solchen Liebeskummer,
4960
daz in sorge manic stunt
dass ihn die Sorge oftmals
4961
ze grôzer unmaht brâhte.
aller Kräfte beraubte.
4962
trûreclîch gedâhte
Traurig grübelte er
4963
er dicke in sînem sinne,
oft darüber nach,
4964
wenne er der minne
wie er sein Herz
4965
sîn herze meht enziehen.
der Liebe entziehen könnte,
4966
und swenne er wolte fliehen
und wann immer er entfliehen
4967
hin, sô fuor sîn sin hin wider.
wollte, so zog es seinen Verstand wieder hin.
4968
alliu sînes lîbes lider
Alle Glieder seines Körpers
4969
er mit gedenken dannen zôch.
zog er mit Verstandeskraft weg.
4970
und sô er alsô vaste flôch
Und wie er dort so angestrengt floh,
4971
daz man in sach erkalten,
dass man ihn erkalten sah,
4972
ûf der stat sô snalten
da schnalzten
4973
die sinne sam ein îsentrât,
die Sinne wie ein Eisendraht zurück,
4974
under den daz herze hât
unter den das Herz sich
4975
sich hin geleit mit twange.
mit Zwang gelegt hat.
4976
hie mit sô vaht er lange
Damit rang er lange
4977
und was in jâmer gar unfrô,
und war in seinem Leid ganz traurig
4978
und liez iedoch dar keine drô,
und unterließ es dennoch allen Drohungen zum Trotz nicht,
4979
swâ er ez kund geschicken,
sie zu sehen,
4980
daz er sî mohte erblicken,
wo immer er es einrichten konnte.
4981
er blihte mit den ougen dar
Er richtete seinen Blick dorthin
4982
und maht ir mit dem munde bar
und entdeckte ihr mit dem Mund
4983
sînes herzen ungemach,
das Ungemach seines Herzens,
4984
swenn diu state im geschach.
so oft es ging.
4985
Ie mê er ir dô klagte,
Je mehr er ihr da klagte,
4986
ie vaster sî versagte
umso mehr versagte sie sich
4987
und mêret dâ von ir haz.
und steigerte darüber ihre Abneigung.
4988
ie mê er ir gebunden was,
Je mehr er sich an sie binden wollte,
4989
ie vaster sî sich von im zôch.
umso vehementer entzog sie sich ihm.
4990
ie mê er jagt, ie vaster flôch
Je mehr er jagte, umso weiter entfernte
4991
er von irre hulde.
er sich von ihrer Huld.
4992
,ei‘, dâht er, ,ê ich dulde
„Ei“, dachte er, „bevor ich die
4993
die bitter sorge lange,
bittere Sorge lange erdulde,
4994
ê daz ich alsus ange
bevor ich so bedrängt
4995
in disen noeten lepte
in diesen Nöten lebte
4996
und iemer mêre swepte
und für immer in Leid
4997
in jâmer und in swære,
und Bedrückung gefangen wäre,
4998
dir wær doch alsô mære
wäre mir doch genauso recht,
4999
daz dîn leben stürbe,
dass ich stürbe,
5000
ê alsus verdürbe
bevor auf diese Weise mein Leib,
5001
dîn lîp dîn leben und dîn sin.
mein Leben und mein Verstand Schaden nähmen.
5002
got, möht ich noch eines hin
Gott, könnte ich noch einmal hin
5003
zuo der minneclîchen komen,
zu der Lieblichen kommen,
5004
unz daz von mir würd vernomen
sodass sie von mir zu hören bekäme,
5005
diu gesiht die ich dô sach,
wie ich sah,
5006
waz in der hütten dort beschach,
was in der Hütte dort geschah!
5007
zwâr ez mües ir werden bar;
Wahrlich, es müsste ihr klar werden.
5008
kæm ich iemer mêre dar
Käme ich nur noch einmal dazu,
5009
dâ sî vernæme mîniu wort,
dass sie meine Worte anhört,
5010
von mir würde dâ gehôrt
bekäme sie da von mir zu hören,
5011
dâ von vil lîht sî würd unfrô.‘
wovon sie sehr leicht unglücklich würde.“
5012
von geschiht sô kam ez sô
Durch Zufall kam es so,
5013
daz er sî aber eine vant,
dass er sie abermals alleine fand
5014
und kam zuo ir alzehant
und sogleich heimlich
5015
tougenlîch gegangen.
zu ihr ging.
5016
ob er würde enphangen
Ob er mit freudigem Gruß
5017
mit friundes gruoze? nein er, nein.
empfangen wurde? Nein, wurde er nicht.
5018
sî verstummet als ein stein,
Sie verstummte wie ein Stein,
5019
daz sî hôrte noch ensach.
sodass sie weder hörte noch sah.
5020
trûreclîch der ritter sprach:
Traurig sprach der Ritter:
5021
,Gnâde, hôhiu künegîn.
„Gnade, hohe Königin,
5022
tuont an mir genâde schîn,
erweist mir Gnade,
5023
sît al mîn trôst und gnâde rât
weil all mein Trost und jedes Erbarmen
5024
an iuch, minneclîche, stât
von Euch allein, Liebliche,
5025
eine und an niemen mê.
und von niemandem sonst abhängen.
5026
lânt mîn bitterlîchez wê
Lasst Euch, Ihr süßes Geschöpf,
5027
iuch süeze fruht erbarmen,
von meinem bitterlichen Schmerz erbarmen,
5028
sô daz ir mir armen
sodass Ihr mir Armem
5029
senftent mîne swære.
meine Bedrückung mindert.
5030
sol ich trôstes lære
Sollte ich ohne Trost
5031
von iuch zarten scheiden,
von Euch Guter scheiden,
5032
zwâr sô muoz mir leiden
so werden mir fürwahr
5033
beidiu leben unde lîp.
Leib und Leben schwer.
5034
ob ich dise klage trîp
Wenn ich diese Klage noch lange
5035
lange, seht sô bin ich tôt.
betreibe, seht, so bin ich tot.
5036
lânt daz süeze mündel rôt
Lasst das süße rote Mündchen
5037
sich gên mir ûf entsliezen,
sich gegen mich öffnen,
5038
daz ez müg begiezen
damit es meinem Herzen
5039
mîn herz mit trôstes gingen.
tröstliche Zuversicht schenkt.
5040
went ir trôst niht bringen
Wenn Ihr mir keinen Trost
5041
mir, sô bin ich sicher tôt.‘
bringt, so bin ich mit Sicherheit tot.“
5042
sî sprach ,wizzent, iuwer nôt
Sie sprach: „Wisst, dass Eure Not
5043
wirt gewendet niemer.
niemals abgewendet wird.
5044
solt ich leben iemer
Solange wir beide
5045
und ir, sô wizzent sicher daz
leben, seid gewiss, dass
5046
sich der bitterlîche haz
sich der bitterliche Hass,
5047
verslihtet niemer den ich trage
den ich gegen Euch hege,
5048
iuch.‘ ,sô hoer ich nâ der sage‘,
niemals legt.“ „So höre ich aus Eurer Rede,
5049
sprach er, ,daz ich sterben sol.
dass ich sterben soll“, sprach er.
5050
ich bedürfte von iuch wol
„Ich bedürfte eines besseren Trostes
5051
bezzers trôstes, sol ich leben.
von Euch, wenn ich leben soll.
5052
ouwê minne, kanst du geben
O weh, Liebe, du vermagst so
5053
alsô herte siure.
harte Bitternis zu geben.
5054
minneclîch gehiure,
Lieblich Angenehme,
5055
süeze wol getâne,
süße Wohlgestalte,
5056
lânt mich trôstes âne
lasst mich der edlen Zuflucht wegen,
5057
niht sô dur die werden fluht,
des liebevollen Anstands wegen,
5058
dur die minneclîche zuht,
der werten Keuschheit wegen,
5059
dur die kiusche werdekeit
die Gott Euch vor allen
5060
die got an iuch hât geleit
lieblichen Frauen gegeben hat,
5061
für al die frouwen minneclich.
nicht so ohne Trost.
5062
lânt erbarmen über mich
Lasst Eure Milde, Eure Güte
5063
sich iuwer milte güete,
sich meiner erbarmen,
5064
sô daz sî mîn gemüete
sodass sie mein Gemüt
5065
ûz sûren sorgen strickent
aus bitteren Sorgen befreien
5066
und ez ze fröuden schickent:
und es zur Freude geleiten:
5067
daz tuont ir wol und niemen mê.‘
Das könnt Ihr gut und sonst niemand.“
5068
sî sprach ,swîgent, iuwer wê
Sie sprach: „Schweigt, Euer Schmerz
5069
gât mir ze herzen reht als ein
dringt mir ins Herz wie
5070
wazzer in den herten stein,
Wasser in harten Stein,
5071
der dâ von niht erfiuhtet.
der davon nicht nass wird.
5072
mit nazzen schouben liuhtet
Man leuchtet eher mit nassen
5073
man ê und vazzet mânen schîn
Grasbüscheln und füllt den Mondschein
5074
in secken, ê iuch iemer mîn
in Säcke, bevor Euch meine
5075
hulde werd ze teile.‘
Huld zuteil wird.“
5076
,sô bin ich von dem heile‘,
„So habe ich jedes Glück verloren“,
5077
sprach er, ,hôher wunne.
sprach er, „und hohe Freude,
5078
sô sint ir doch diu sunne
da doch Ihr die Sonne seid,
5079
diu mir ie in mîn herze schein.
die mir immer ins Herz schien.
5080
süeze minneclîche rein,
Süße liebliche Reine,
5081
lânt den strengen willen.
gebt Eure strenge Haltung auf.
5082
ruochent gên mir stillen
Geruht Euren bitterlichen Zorn
5083
den vil bitterlîchen zorn,
gegen mich zu stillen,
5084
sît daz ir ze trôst geborn
da Ihr mir zum Trost geboren
5085
mir sint und ich ze dienest iuch.
seid und ich Euch zum Dienst.
5086
swar ich in der welte fliuch,
Wohin auch immer in der Welt ich flöhe,
5087
sô jaget doch diu minne har
so jagte doch die Liebe
5088
mîn herz daz iuch niht wenken tar
meinem Herzen hinterher, das um keinen Preis
5089
mit keiner sache ræte.‘
von euch abzulassen wagte.“
5090
sî sprach ,ir went der tæte
Sie sprach: „Ihr wollt das weder
5091
dur drô noch vorhte niht enlân.
durch Drohungen noch aus Furcht unterlassen.
5092
sît daz ich geschônet hân
Da ich mich Euch gegenüber bisher
5093
dâ her mîner zühte
aufgrund meines Anstands
5094
an iuch, sô phlegent flühte
zurückgehalten habe, so entfernt Euch
5095
von mir noch ê daz mîn haz
von mir, bevor mein Hass
5096
füege sunderlîchen daz
sich etwas ausdenkt, das
5097
iuch missekumt und missezimt.
Euch schlecht ansteht und schadet.
5098
ob iuwer werben ende nimt
Wenn Euer Werben kein Ende
5099
niht, ich lân iuch sicher sehen
nimmt, versichere ich Euch,
5100
daz iuch dâ von mac geschehen
dass Euch davon widerfahren wird,
5101
daz iuch iemer mêre swirt
was Euch noch mehr durcheinander bringt
5102
und diu bezzerunge wirt
und wovon Ihr niemals erlöst
5103
niemer, wan sî mac niht sîn.‘
werdet, weil das nicht möglich ist.“
5104
von den worten viel im în
Von diesen Worten befiel ihn
5105
sô grôziu widermüete,
so große Verstimmung,
5106
daz er aller güete
dass er jegliche Güte
5107
und ritters orden gar vergaz.
und ritterlichen Anstand vergaß.
5108
,ei‘, sprach er, ,nu merk ich daz
„Ei“, sprach er, „nun stelle ich fest, dass
5109
frouwen nie getâten
Frauen noch nie das Beste
5110
daz beste, und ie hâten
getan haben und seit jeher
5111
sin und herze dar geleit
Verstand und Herz dorthin wandten,
5112
dâ man mit unstætekeit
wo man mit Unbeständigkeit
5113
und nâ valscher minne warp.
und um falsche Liebe warb.
5114
ob ir lop dâ von verdarp
Wenn ihr Ruhm dadurch einmal
5115
ie, daz was ein billich dinc.
Schaden nahm, war das nur recht und billig.
5116
man siht noch in der welte rinc
Man sieht noch heute rund um die Welt,
5117
daz manic sache missegât
dass manche Sache schiefgeht,
5118
die man haltet noch enlât
die man weder zur rechten Stunde hält
5119
an rehter stunt noch rehter zît.
noch zur rechten Zeit loslässt.
5120
sît iuch iuwer herze lît
Da Euer Herz an einem hängt,
5121
dâ den ir gesâhent nie,
den Ihr nie zuvor gesehen habt,
5122
unde mich lânt der iuch hie
und Ihr mich, der Euch hier
5123
dienet und gedienet hât,
dient und gedient hat, ablehnt,
5124
ob iuch minne dar umb lât
und wenn Euer Lob durch Liebe
5125
lob in wandel fliezen,
zum Makel wird,
5126
wes sol er geniezen
wessen wird er sich erfreuen,
5127
der iuch mit ougen nie wart kunt
der Euren Augen unbekannt war
5128
und den ir niewan eine stunt
und den Ihr nicht länger als eine Stunde
5129
hânt gehoeret und gesehen?‘
gehört und gesehen habt?“
5130
,waz red ist diz?‘ hôrt er sî jehen,
„Was sind das für Worte?“ hörte er sie sagen,
5131
,waz sagent ir, wie redent ir sô?‘
„was sagt Ihr, wie redet Ihr so?“
5132
er sprach trûreclîchen dô
Traurig sprach er da
5133
aber von der minne.
abermals von der Liebe.
5134
er bat die küneginne
Er bat die Königin
5135
vil und vil und dannoch mê.
wieder und wieder und wieder.
5136
sî tet aber nu als ê:
Sie aber tat wie zuvor:
5137
mit hazze sî verseite.
Abwehrend widersagte sie.
5138
niht langer er dô beite
Da wartete er nicht länger
5139
und sprach ,nu müez erbarmen got
und sprach: „Nun soll Gott erbarmen,
5140
daz mîn lîp iuwer gebot
dass mein Leib Euer Gebot
5141
nie eine stunde übergie,
nicht eine Sekunde überging
5142
und ich dâ von ze lôn enphie
und ich davon nichts als Trauer
5143
niewan trûren unde leit,
und Leid zum Lohn empfing
5144
und daz daz troesten ist bereit
und dass Erhörung findet,
5145
dem der iuch dienstes nie getet.
der Euch noch nie diente.
5146
daz der lôn enphangen het
Dass er bei Euch Erhörung
5147
von iuch, daz ist mir swære.‘
fand, lastet schwer auf mir.“
5148
sî frâgte wer daz wære.
Sie fragte, wer das wäre.
5149
er sprach ,daz wizt ir selbe wol.
Er sprach: „Das wisst Ihr selbst sehr gut.
5150
ob ich iuch fürbaz nennen sol,
Wenn ich ihn Euch genauer nennen sollte,
5151
war zuo wær daz mære guot,
wofür wäre das gut,
5152
daz mîn künden offen tuot
dass meine Nachricht Euch offenlegt,
5153
iuch daz ir wol wizzent?
was Ihr sehr gut wisst?
5154
ob ir iuch noch flizzent
Wenn Ihr Euch noch befleißigt,
5155
mînen kumber wenden,
meinen Kummer zu wenden,
5156
die rede wolt ich enden.‘
wollte ich die Rede lassen.“
5157
,Nein‘, sprach sî, ,swaz mir beschiht,
„Nein“, sprach sie, „was immer mir geschieht,
5158
holdes gruozes niemer giht
einen wohlgesinnten Gruß bekommt Ihr
5159
iuch mînes mundes zunge.
von mir nie mehr zu hören.
5160
ê iuwer dröuwen twunge
Bevor Euer Drohen mich dazu
5161
mich dâ zuo, ich sturb ê tôt.
zwänge, wählte ich lieber den Tod.
5162
ich weiz, du maht schamerôt
Ich weiß, du kannst mir
5163
niemer mich gemachen
mit nichts,
5164
von dekeinen sachen
was ich im Leben getan habe,
5165
die mîn leben ie begie.‘
die Schamesröte ins Gesicht treiben.“
5166
,ei‘, sprach der ritter, ,sagent wie
„Ei“, sprach der Ritter, „verratet Ihr, wie
5167
im in der hütten wære,
es ihm in der Hütte erging,
5168
sît daz ich diz mære
bevor ich die Geschichte
5169
muoz offenlîchen künden,
öffentlich machen muss,
5170
dô ir mit minne bünden
dass Ihr in liebender Verbindung
5171
umbevangen lâgent
umschlungen dalagt
5172
und süezer minne phlâgent
und mit dem aus Sachsen
5173
mit dem ûz Sahsen landen?
der süßen Liebe fröntet?
5174
ei wie schier erkanden
Ei, wie schnell haben meine Augen
5175
mîn ougen iuwer sinne.
Eure Sinne durchschaut!
5176
iuch hât diu süeze minne
Euch hat die süße Liebe
5177
zesamen sô gebunden
so aneinander gefesselt,
5178
daz mîniu ougen funden
dass meine Augen dafür
5179
offenlîchiu zeichen.
offensichtliche Zeichen entdeckten.
5180
sô man iuch nu sach bleichen
So wie man Euch in einem Moment bleich
5181
reht alsam die tôten,
wie die Toten werden sah,
5182
sô sach man iuch denn rôten
so sah man Euch beide im nächsten
5183
beidiu sam die rôsen.
wie die Rosen erröten.
5184
sô sach man iuch denn kôsen
Genauso sah man Euch dann
5185
sament minneclîche.
liebevoll miteinander kuscheln.
5186
sus nam ich tougenlîche
So nahm ich verborgen
5187
war der minne stricke.
die Stricke der Liebe wahr.
5188
ich sach daz iuwer blicke
Ich sah, dass Eure Blicke
5189
gegen ein ander vâhten
zueinander strebten
5190
und girdeclîche flâhten
und sich begierig mit regem Blitzen
5191
sich mit schüzzen under ein.
ineinander verflochten.
5192
an den sachen mir erschein
Dadurch wurde mir
5193
offenlîchiu minne.
die Liebe offenbart.
5194
werde küneginne,
Werte Königin,
5195
sît ich diz sach und ez wol weiz
weil ich das gesehen und sehr gut verstanden habe
5196
und mîn zunge sich ie fleiz
und sich meine Zunge seit jeher
5197
daz sî künde swîgen,
verschwiegen zeigen konnte,
5198
dâ von solte sîgen
sollte mir Euer
5199
gên mir iuwer güete.
Erbarmen zuteil werden.
5200
ob ich mich missehüete
Wenn ich nicht aufpasse
5201
daz diu sach wirt offen,
und die Sache öffentlich wird,
5202
zwâr sô hât iuch troffen
tragt Ihr fürwahr
5203
wandellîcher flecke.‘
den Makel der Verführbarkeit.“
5204
diu küneginne kecke
Mutig sprach die Königin
5205
sprach mit herten worten,
mit festen Worten,
5206
dô iriu ôren hôrten
als ihre Ohren diese Worte
5207
diu wort alsô von grunde,
auf diese Weise von Grund auf hörten:
5208
,phî dem vertânen munde
„Pfui dem verkommenen Mund,
5209
der solche lüge stiftet,
der solche Lügen erfindet,
5210
und des zunge giftet
und dessen Zunge
5211
mit lügelîchen mæren.‘
Lügengeschichten verbreitet.“
5212
er sprach ,ich wil bewæren
Er sprach: „Ich werde beweisen,
5213
daz ich niht enliuge,
dass ich nicht lüge,
5214
wan ich die sache erziuge
da ich die Sache mit
5215
mit iuwer selbs juncfrouwen,
Eurem eigenen Fräulein bezeuge,
5216
diu sich ouch liez schouwen,
das sich ebenfalls sehen ließ,
5217
dô sî von der hütten sleich.
als es von der Hütte wegschlich.
5218
einen fuoz ich nie entweich,
Ich wich nicht einen Fuß von dort,
5219
biz ich ez ûf ein ort bevant.
bis ich Gewissheit hatte.
5220
tætent ir mir noch erkant
Ließet Ihr mir noch Zuwendung
5221
trôst, ê ruote ich niemer,
zuteil werden, ruhte ich nimmer und
5222
sin und herze iuch iemer
dienten Euch Verstand und Herz für immer
5223
dienden ûf mîn ende.
bis an mein Lebensende.
5224
mîn herze in iuwer hende
In diesem Sinne würde ich
5225
wolt mit dem willen sîgen.
mein Herz in Eure Hände legen.
5226
mîn munt wolte swîgen
Mein Mund würde für immer
5227
iemer aller sache.‘
über all diese Sachen schweigen.“
5228
,hânt mich niht sô swache
„Haltet mich im Verstand Eures Herzens
5229
in iuwers herzen sinne.
nicht für so schwach.
5230
phî‘, sprach sî, ,mîn minne
Pfui“, sprach sie, „meine Liebe
5231
und mîner hulde stiure
und das Wesen meiner Huld
5232
muoz iuch iemer tiure
werden Euch für immer
5233
wesen êweclîche,
unerreichbar sein,
5234
sît ir tougentlîche
da Ihr heimlich
5235
spellent ûf mîn êre.
auf meine Ehre abzielt.
5236
des wirt niemer mêre
Darum wird mein Hass
5237
mîn haz gên iuch verlâzen.
auf Euch nie mehr versiegen.
5238
daz ir sît verwâzen
Ihr seid verdorben
5239
und an iuch ritters orden,
und an Euch ritterliche Ehre,
5240
geht ir ich sî worden
wenn Ihr sagt, ich sei des Fürsten
5241
des fürsten trût amîe,
intime Freundin geworden,
5242
sô daz der schanden frîe
indem der Schandlose
5243
mir alsus sî gelegen bî.
mir auf diese Weise beigelegen hätte.
5244
er ist unschuldic und ich frî
Er ist unschuldig und ich bin
5245
aller valschen tæte.
frei von aller Missetat.
5246
ob aber ich im hæte
Wenn ich ihn aber
5247
dienstes lôn entwænet,
für seinen Dienst entlohnt hätte,
5248
dâ von würde entænet
wäre mein Leib dadurch
5249
mîn lîp keiner wirde.
nicht entwürdigt worden.
5250
er hât sô hôhe girde
Er strebt so sehr
5251
nâ êren und nâ werdekeit,
nach Ehren und nach Würde,
5252
sîn nam sîn lant diu sint sô breit,
sein Name und sein Land sind so groß,
5253
sô rîch und alsô mehtic,
so reich und auch so mächtig,
5254
und ist sîn sin sô trehtic
auch steht ihm der Sinn so sehr
5255
ûf êre daz sîn name swept
nach Ehre, dass sein Name so hoch
5256
sô hôhe daz nu niemen lept
schwebt, dass heute niemand lebt,
5257
an maht an wirde sîn genôz.
der ihm an Macht und Würde gleichkäme.
5258
doch stân ich des ziges blôz
Dennoch sind ich und er,
5259
und er des lîp ie schande meit,
dessen Leib sich schon immer jeder Schande enthielt
5260
der die mâze nie versneit
und der das rechte Maß nie und
5261
mit keiner missetæte.
mit keiner Missetat überschritt, von dieser Schuld frei.
5262
ich und der êren stæte
Ich und der allzeit Ehrbare
5263
wâren dâ, des lougn ich niht.
waren da, das leugne ich nicht.
5264
aber des dîn munt dâ giht,
Aber dessen, was dein Mund da sagt,
5265
des sîn wir lidic unde frî.
sind wir wahrlich unschuldig.
5266
swie doch disen mæren sî,
Wie auch immer diese Geschichte zustande kam,
5267
strîch von mînen ougen.
geh mir aus den Augen.
5268
wizzest sunder lougen,
Sei dir ohne Zweifel sicher,
5269
ob mîn lîp dich iemer siht
dass dir, wenn ich dich nach dem heutigen Tage
5270
für dis stunt, daz dir beschiht
jemals wieder sehe, widerfährt,
5271
daz dir iemer füeget leit.
was dir ewig leid tun wird.
5272
mîner sælden wirdekeit
Den Wert meines Glücks
5273
setze ich dir ze phande,
gebe ich dir zum Pfand:
5274
swâ ich dich in dem lande
Wo immer ich dich in diesem Land
5275
erwische und erstrîche,
antreffe und erwische,
5276
ich füeg dir sicherlîche
füge ich dir mit Sicherheit
5277
sô bitterlîchen ungemach,
so bitterliches Ungemach zu,
5278
daz sô wê dir nie geschach.‘
dass dir noch niemals etwas so leid tat.“
5279
Sus muos er dannen kêren.
So musste er von dannen gehen.
5280
man sach sîn ougen rêren
Man sah seine Augen
5281
heizer trehen trophen.
Tropfen heißer Tränen vergießen.
5282
sîn herze im muose klophen
Sein Herz musste ihm vor Grimm
5283
und zittern von der grimme.
klopfen und zittern.
5284
er sprach mit trüeber stimme
Er sprach mit matter Stimme:
5285
,owê süeze minne, owê,
„O weh, süße Liebe, o weh,
5286
nu bin ich êrst iemer mê
nun bin ich erst für immer
5287
von sorgen unerloeset.
von Sorgen unerlöst.
5288
mîn leit ist geboeset,
Mein Leid ist verschlimmert,
5289
mîn liep ist geminret.
meine Liebe gemindert.
5290
mîn sin sich wol inret
Ich bin mir
5291
hin zuo der unschulde.
ihrer Unschuld bewusst.
5292
swaz ich iemer dulde
Was auch immer ich jemals
5293
leides unde sorgen
von früh bis spät
5294
âbent unde morgen,
an Leid und Sorgen dulde,
5295
daz hân ich verschuldet wol.
das habe ich wirklich selbst verschuldet.
5296
ichn weiz war ich kêren sol.
Ich weiß nicht, wohin ich mich wenden soll.
5297
swâ diu minneclîche weiz
Wo immer die Liebliche mich
5298
mich in aller lande kreiz,
im Umkreis aller Länder weiß,
5299
dâ bin ich verdorben.
da bin ich verloren.
5300
ich hân sô geworben
Ich habe auf eine Weise um sie geworben,
5301
daz ich hân irn verdienten haz.
dass ich ihren Hass verdient habe.
5302
owê ach, und wist ich waz
O weh, ach, wüsste ich doch,
5303
ich solt an vâhen oder tuon!
was ich anfangen oder tun sollte!
5304
wirb ich iemer umb ir suon,
Bemühe ich mich um ihre Vergebung,
5305
sî lât mich ze hulden niht
schenkt sie mir keine
5306
komen; swaz mir denn beschiht,
Gnade; was immer mir dann widerfährt,
5307
daz muoz ich hân, diu schuld ist mîn.
das muss ich ertragen, die Schuld liegt bei mir.
5308
ouwê bitterlicher pîn
Au weh, bitterlicher Schmerz,
5309
den ich trag in herzen!
den ich im Herzen trage!
5310
ouwê sendez smerzen
Au weh, sehnsuchtsvolles Weh,
5311
daz ich umb wâre schulde
das ich zu Recht
5312
von der zarten dulde!
von der Schönen erdulde!
5313
des muoz ich iemer sîn unfrô.‘
Darum muss ich immer unglücklich sein.“
5314
ie gedâhte er aber dô
Dann dachte er aber:
5315
,du solt alsô verderben niht.
„Auf diese Weise sollst du nicht zugrunde gehen.
5316
sô sî dîn ouge nimmê siht,
Sobald dein Auge sie nicht mehr sieht,
5317
sô vergizzet ir der muot.
vergisst sie auch das Gemüt.
5318
dâ von ist mir niht sô guot,
Deshalb ist es am besten,
5319
ich var ûz disem rîche,
ich verlasse dieses Herrschaftsgebiet,
5320
sît doch diu minneclîche
da die Liebliche doch
5321
an mich sô wirfet ir ungunst.
ihre Ablehnung gegen mich richtet.
5322
swenn da von dem lande kunst,
Sobald du das Land verlassen hast,
5323
dîn herze ir vergizzet
vergisst dein Herz sie,
5324
alsô daz ez niht mizzet
sodass es so sinnlose Gedanken
5325
sô grundelôse sinne dar.
an etwas nicht vermisst.
5326
swar ich in den landen var,
Mich kümmert nicht, wohin in der Welt
5327
mir wirret niht; ich hân daz guot
ich auch fahre; ich besitze genug,
5328
dâ mit mîn lîp und ouch mîn muot
womit mein Leib und auch meine Gesinnung
5329
mügent wol nâ êren
sehr gut nach Ehren streben können,
5330
swar sî lüstet kêren.‘
wo immer es ihnen beliebt.“
5331
Sus er sich selben trôste,
So tröstete der sich selbst damit,
5332
daz in von sorgen lôste
dass ihn die Reise und die Trennung von ihr
5333
diu vart und von ir scheiden.
von Sorgen befreite.
5334
iedoch sach man im leiden
Jedoch sah man
5335
fröuden rîche sinne.
seine freudvollen Sinne leiden.
5336
im hât diu süeze minne
Ihm hatte die süße Liebe
5337
sin und herz gezücket
Verstand und Herz geraubt
5338
und alsô vast gedrücket
und so sehr bedrückt,
5339
daz er in tiefen sorgen lac.
dass er in tiefen Sorgen gefangen war.
5340
alle stunt er niht enphlac
Ständig tat er nichts anderes
5341
wan siufzen unde trûren.
als zu seufzen und zu trauern.
5342
des sach man sô vil mûren
Davon sah man sich so viel
5343
in in sîns herzen sinne
in den Sinnen seines Herzens aufbauen,
5344
daz in diu strenge minne
dass ihn die harte Liebe
5345
versêrt an hôhem muote
an freudiger Stimmung versehrte
5346
und im sîn herze bluote
und ihm sein Herz
5347
von minneclîcher swære.
wegen der Last der Liebe blutete.
5348
der minne marterære
Der Märtyrer der Liebe
5349
moht ez niht langer trîben.
ertrug es nicht länger.
5350
dâ von sîn belîben
Daher nahm sein Aufenthalt
5351
nam in dem lande ein ende.
in diesem Land ein Ende.
5352
der minnegernde ellende
Der nach Liebe strebende Tapfere
5353
ûz von dem lant sich ruste.
rüstete sich, das Land zu verlassen.
5354
er truog in sîner bruste
Er fühlte in seiner Brust
5355
ein wahsendez twingen,
eine wachsende Bedrängnis,
5356
daz im vor allen dingen
die ihm vor allem anderen
5357
dur sînes herzen grunde sneit.
durch den Grund seines Herzens schnitt.
5358
sus er von dem lande reit
So ritt er ohne Abschied und
5359
ân urloup und ân alle sage.
ohne ein Wort zu sagen aus dem Land.
5360
er hât sô jâmerlîche klage
Beständig trauerte er
5361
nâ ir stæteclîche
so jammervoll um sie,
5362
daz der sorgen rîche
dass der mit Sorgen Beladene
5363
ahte kleine wie ez gienc
wenig darauf achtete, wie es ihm erging
5364
oder waz er ane vienc.
oder was er anfing.
5365
Nu fuor er von dannen,
Nun brach er auf,
5366
daz wîben unde mannen
sodass Frauen und Männern
5367
sîn vart was unkünde.
seine Abreise unentdeckt blieb.
5368
ich wæn man iender fünde
Ich glaube, man fände nirgendwo
5369
an senden sorgen sîn gelîch.
einen, der ihm an sehnsuchtsvollen Sorgen gleich war.
5370
er fuor her ûz gên Frankenrîch
Er reiste nach Frankreich
5371
und was dâ vil mangen tac,
und blieb da viele Tage lang,
5372
daz sîn herze niemer phlac
wobei sein Herz nichts als
5373
wan minneclîcher swære.
Liebeskummer verspürte.
5374
war nu der ritter wære
Wohin der Ritter nun gekommen
5375
komen, des wist niemen niht,
oder warum er abgereist
5376
ald war umb er dannen phliht
wäre, das wusste niemand
5377
het genomen, sunder ein
außer allein
5378
diu minneclîche süeze rein,
der lieblichen süßen Reinen,
5379
diu wist ez wol und sweic dâ zuo.
die wusste es wohl und schwieg dazu.
5380
nu tet man âbent unde fruo
Nun fragte man von früh bis spät
5381
dik nâ dem ritter frâge,
oftmals nach dem Ritter,
5382
war sîner verte lâge
wohin und in welche Länder
5383
der lande wær gekêret.
sich sein Weg gewandt haben mochte.
5384
sîn was daz rîch gehêret
Durch ihn war das Reich erhöht worden,
5385
die wîl er dâ ze hove gie.
während er hier bei Hofe war.
5386
frecher ritter sô wart nie
Niemals gab es zu Pferd oder
5387
ze ors und ouch ze fuoze.
zu Fuß einen kühneren Ritter.
5388
er kund nâ êren gruoze
Er wusste zu jeder Stunde
5389
werben zallen stunden,
Ehre zu erwerben,
5390
wan daz in überwunden
außer als ihn hier der Stachel
5391
hie het der minne angel.
der Liebe besiegte.
5392
man hât sîn grôzen mangel
Man spürte sein Fehlen
5393
in des rîches lande.
hier im Land schmerzlich.
5394
sîn lîp vor aller schande
Bis dahin war sein Leib
5395
was unz dar geschoenet.
von aller Schande verschont geblieben.
5396
wan daz in hât verhoenet
Außer als ihn hier
5397
hie verbunstes girde,
die neidvolle Begierde verhöhnte,
5398
sô hât er ritters wirde,
hielt er an ritterlicher Würde fest,
5399
guot gelt und swaz ein ritter sol
Gut, Vermögen und was immer ein Ritter besitzen
5400
hân, daz hât er allez wol
soll, das hatte er alles
5401
mit volleclîchem râte.
zur Genüge.
5402
des landes künic hâte
Der König des Landes hatte
5403
dur sîne werde frumekeit
ihm aufgrund seiner Tüchtigkeit
5404
êren vil an in geleit
durch verschiedene Handlungen
5405
mit manger leige tæte.
schon viel Ehre erwiesen.
5406
frumekeit und stæte
Tüchtigkeit und Beständigkeit
5407
sô jach man im beider.
sprach man ihm beide zu.
5408
er truoc des künges kleider
Er trug Kleider des Königs
5409
und was sîn obereste rât.
und war sein oberster Rat.
5410
alsus man sîn vermisset hât
Daher vermisste man ihn
5411
und wiste niemen wâ er was.
und niemand wusste, wo er war.
5412
dez hofgesind beswârte daz,
Das belastete die Angehörigen des Hofes,
5413
den künc und al daz rîche.
den König und das ganze Reich.
5414
man hiez in flîzeclîche
Man befahl, ihn überall
5415
suochen allen enden.
eifrig zu suchen.
5416
man hiez boten senden
Man befahl, Boten
5417
ûz in allen landen.
in alle Länder auszusenden.
5418
swaz man suoht, man vanden
Wie sehr man auch suchte, man fand
5419
niht: des wart der künc unfrô.
ihn nicht: Darüber wurde der König traurig.
5420
alsus gestuont diz dinc alsô
So verhielt sich die Sache
5421
volleclîch ein halbez jâr,
ein ganzes halbes Jahr lang,
5422
daz sî kunden nie vür wâr
dass sie wahrlich nichts
5423
von im hoeren noch vernên.
von ihm hören oder erfahren konnten.
5424
man frâgte disen unde den
Allenthalben, hier und dort
5425
allenthalben dort und hie,
fragte man diesen und jenen
5426
unde kunden von im nie
und konnte doch nie
5427
vernemen rehtiu mære,
die Wahrheit über ihn erfahren,
5428
war er komen wære
wohin er gekommen wäre
5429
ald wâ von er dannen schiet.
oder warum er abgereist war.
5430
nu fuogte sich daz dar geriet
Nun fügte es sich, dass ein fahrender Knappe
5431
ein gernder knappe, dâ er was,
dorthin geriet, wo er [scil. der Ritter] war,
5432
gên Frankenrîche, und hôrte daz
nach Frankreich, und hörte, dass
5433
ein frömder ritter læge dâ.
sich ein fremder Ritter dort befände.
5434
er frâgte nâ im balde, wâ
Er fragte sogleich nach ihm, wo
5435
der ellenthafte wære.
der Wackere wäre.
5436
nu was der minnebære
Nun war der Liebende
5437
in sinnen und in herzen kranc
in Verstand und Herz krank
5438
von der sache diu in twanc
von der Sache, die ihn bedrückte
5439
und diu im nâhe in herzen lac,
und ihm auf dem Herzen lag,
5440
alsô daz sîn swære wac
sodass seine Bedrückung schwerer
5441
für aller sorgen stiure,
als alle Sorgen wog
5442
daz im fröude tiure
und sich Freude allezeit
5443
was ze allen stunden.
von ihm fern hielt.
5444
als in der knappe funden
Als ihn der Knappe gefunden
5445
hatte, hoerent wie er sprach.
hatte, hört, wie er da sprach:
5446
,wol mich daz ich ie gesach
„Wohl mir, dass ich diesen Tag
5447
disen tac, sît daz ich hân
erlebe, da ich Euch gefunden
5448
funden iuch, sît daz iuch kan
habe, weil niemand herausfinden
5449
niemen wizzen wâ ir sît.
kann, wo Ihr seid.
5450
der hof ze Tenemarke lît
Der Hof zu Dänemark befindet sich
5451
nâ iuch in grôzer swære.
Euretwegen in großer Sorge.
5452
wist der sældenbære
Wüsste der glückreiche
5453
Fontânâgrîs iuch vinden,
Fontanagris, wo Ihr zu finden seid,
5454
mit sinen boten swinden
würde er seinen geschwinden Boten
5455
hieze er iuch suochen hie.‘
befehlen, Euch hier zu suchen.“
5456
wie ez umb in dort ergie,
Was seinetwegen dort alles geschah,
5457
daz maht der knappe allez kunt
machte der Knappe ihm
5458
im vil gar unz ûf den grunt,
in aller Ausführlichkeit bekannt
5459
und bat in wider kêren.
und bat ihn zurückzukehren.
5460
,nein‘, sprach er, ,der êren
„Nein“, sprach er [scil. der Ritter], „das wäre
5461
wære leider mir ze vil.
mir leider zu viel der Ehre.
5462
ich getar noch enwil
Weder wage noch werde ich
5463
daz lant niht mêre biuwen.‘
jemals wieder das Land bewohnen.“
5464
,sagt an in guoten triuwen,
„Bei Eurer Treue, sagt,
5465
waz wirret iuch, waz meinet daz?‘
was stört Euch, was bedeutet das?“
5466
,dâ treit mir toedemigen haz
„Die junge Königin
5467
diu junge küneginne.‘
hasst mich da auf den Tod.“
5468
,dar umb ir mich sult inne
„Das müsst Ihr mir
5469
des bringen,‘ sprach der knappe dô.
erklären“, sprach da der Knappe.
5470
,nein‘, sprach er, ,ez lît alsô
„Nein“, sprach er [scil. der Ritter], „es verhält sich so,
5471
daz ich die sache alleine weiz.‘
dass nur ich allein von der Sache weiß.“
5472
der knappe vesteclîch sich fleiz
Der Knappe bemühte sich nach Kräften,
5473
ze ervarende daz mære,
die Geschichte in Erfahrung zu bringen,
5474
waz disem ritter wære
was mit diesem Ritter und
5475
und der schoen Irkânen.
der schönen Yrkane wäre.
5476
doch muos er sich sîn ânen,
Doch musste er darauf verzichten,
5477
wan ez wart im niht enbart.
denn es wurde ihm nicht offenbart.
5478
er kêrte an die widervart
Er machte sich auf den Heimweg
5479
gên Tenemarke in daz lant
in das Land Dänemark
5480
und tet Fontânâgrîs erkant
und berichtete Fontanagris,
5481
von des ritters funde.
dass er den Ritter gefunden habe.
5482
er sprach ,ich enkunde
Er sprach: „Ich vermochte
5483
in mit dekeinen dingen
ihn mit nichts
5484
nie her wider bringen
hierher zurückzubringen,
5485
mit bete noch mit flêhe.
weder mit Bitten noch mit Flehen.
5486
er sprach, im wær gevêhe
Er sagte, ihm wäre
5487
in herzen und in sinne
im Herzen und im Verstand
5488
diu junge küneginne:
die junge Königin Feind:
5489
dâ von sô was im swære.
Davon war er bedrückt.
5490
wâ von daz aber wære,
Woher das aber käme,
5491
daz wolt er mir niht enbarn.
das wollte er mir nicht verraten.
5492
ouch moht ich ez nie ervarn
Ich vermochte es auch
5493
an im mit keinem liste.
mit keiner List aus ihm herauszubringen.
5494
ich weiz niht waz er wiste,
Ich weiß nicht, was er hatte,
5495
wan ich gehôrte noch gesach
aber weder hörte noch sah ich
5496
sô klegelîchez ungemach
jemals so klägliches Ungemach
5497
nie von mannes munde.
aus eines Mannes Mund.
5498
ûz sendes herzen grunde
Aus der Tiefe seines sehnsüchtigen Herzens
5499
hôrt man in siufzen dicke.
hörte man ihn oftmals seufzen.
5500
an sînem aneblicke
An seinem Äußeren
5501
sô moht man ûzen schouwen,
konnte man erkennen,
5502
daz sîn herz verhouwen
dass sein Herz im Inneren
5503
was inwendic des lîbes.
des Leibes verwundet war.
5504
ob diu schuld eins wîbes
Ob das die Schuld einer Frau
5505
wære oder von mannen,
oder eines Mannes wäre,
5506
daz weiz ich niht. von dannen
das weiß ich nicht. Ich schied
5507
schiet ich und liez in trûric dâ.‘
von dannen und ließ ihn traurig dort.“
5508
Fontânâgrîs sprach ,sag an, wâ
Fontanagris sprach: „Sag an, wo
5509
in dîn sælîc vinden liez?
du das Glück hattest, ihn zu finden?
5510
die stat mir nenne, wie sî hiez,
Nenn mir die Stadt, wie sie hieß,
5511
daz tuo mir kunt, wan ich wil dar.‘
das verrate mir, denn ich will dorthin.“
5512
,werder herre, nein, ervar
„Nein, werter Herr, frag
5513
ê umb die junge künegîn.
vorher die junge Königin.
5514
mac dir diu sache werden schîn,
Dir kann die Sache offenbar werden,
5515
wâ von im wart ir hulde
wodurch er ihre Huld
5516
verseit ald von waz schulde
verlor oder durch welche Schuld
5517
er hab diz lant gerûmet:
er das Land verlassen hat:
5518
lîht hât er sich gesûmet
Vielleicht war er bei der Erfüllung
5519
in irs gebotes willen.
ihrer Anordnungen säumig.
5520
den zorn soltu stillen
Den Zorn sollst du durch die Güte
5521
mit dîner gnâden güete.
deiner Gnade besänftigen.
5522
hât er kein widermüete
Hat er ohne seine Schuld
5523
an ir ân sîne schult geworht,
irgendeine Widersetzlichkeit an ihr erwirkt,
5524
daz tuot in lîht alsô ervorht
macht ihn das vielleicht so ängstlich,
5525
daz er diz lant niht bûwen tar.‘
dass er nicht mehr in diesem Land zu leben wagt.“
5526
alsus hiez er besenden dar
Also ließ er [scil. Fontanagris] nach
5527
die kiuschen minneclîchen,
der keuschen Lieblichen schicken,
5528
die zarten sælden rîchen,
der zarten Glückreichen,
5529
die schoenen und die kluogen,
der Schönen und der Klugen,
5530
die dâ zwên ritter truogen
die da zwei Ritter
5531
in herzen und in sinnen,
in ihrem Herzen und ihrem Verstand hielten,
5532
und was ir lustlîch minnen
wobei ihr lustvolles Lieben
5533
biz daz in beiden doch verseit.
bisher doch beiden versagt geblieben war.
5534
ob ir sin dem einen treit
Wenn ihr Verstand dem einen Liebe und
5535
liep, dâ bî dem andern haz,
zugleich dem anderen Hass entgegenbrachte,
5536
wie möhte sich gefüegen daz
wie könnte das gehen, dass
5537
ir herze liep mit hazze truoc?
ihr Herz sowohl Liebe als auch Hass beheimatete?
5538
minne solchen unfuoc
Minne verursacht solchen Unfug
5539
noch dick in herzen stiftet.
noch heute oft in Herzen.
5540
sô sî nu hie vergiftet,
Wie sie nun hier Gift sprüht,
5541
sô balsamt sî nâ liebe dort.
so heilt sie dort mit Liebe.
5542
minne ist ein gemeinez wort,
Liebe ist ein allgemeines Wort,
5543
daz man mit lîhten fünden
das man oft mit oberflächlicher Dichtung
5544
wænet dick durgrunden:
zu ergründen glaubt:
5545
sô ist sîn ende gar ze tief.
Doch liegt sein Grund gar zu tief.
5546
ir herze girdeclîche swief
Ihr Herz schweifte begierig
5547
zuo im den helt von Brûneswîc,
zu ihm, dem Helden von Braunschweig,
5548
sô daz diu phat und al der stîc,
sodass die Wege und Steige
5549
sô in ir herze mohte stegen,
die in ihr Herz führten,
5550
mit im wâren sô belegen,
von ihm besetzt waren
5551
daz mit keiner trahte
und niemand anderer
5552
niemen anders mahte
mit irgendeiner Idee dorthin
5553
dar komen wan er eine.
kommen konnte außer ihm alleine.
5554
dâ von truoc diu reine
Deshalb hegte die Reine
5555
dem ritter toedemigen haz,
gegen den Ritter tödlichen Hass,
5556
wan er sî wolt benoeten daz
weil er sie durch seine begehrliche Bitte
5557
sî dur sîner bete gir
dazu nötigen wollte,
5558
in het gesetzet ouch in ir
ihn ebenfalls als Geliebten
5559
herze zuo âmîse.
in ihr Herz zu lassen.
5560
geladen pherit lîse
Ein beladenes Pferd kann
5561
mac werden überlestet.
leicht zu sehr belastet werden.
5562
des wirt diu minne engestet
Darum wird die Liebe der Ehren
5563
der êren swâ sî wil ze vil.
beraubt, wo immer sie zu viel will.
5564
ein wîp ein man der minne spil
Zum Liebesspiel gehören ein Mann
5565
belîbet wol, sîn ist genuoc.
und eine Frau, das ist genug.
5566
swâ aber minne den unfuoc
Wo aber die Liebe die Unanständigkeit
5567
begât daz sî sich mêret
begeht, dass sie zu viel wird
5568
und iren prîs verkêret,
und ihren Ruhm verkehrt,
5569
daz sî beginnet ungeraden,
indem sie eine ungerade Zahl umfasst,
5570
dâ hât minne überladen
da hat die Liebe sich
5571
sich mit der unfuoge.
mit Unanständigkeit überladen.
5572
hie an gedâht diu kluoge
So dachte hier die Kluge
5573
und muost dur sîn flêhen
und musste den edlen Ritter
5574
den werden ritter vêhen
der doch seiner Gesinnung nach ein Held war,
5575
der doch ein helt was muotes.
aufgrund seines Flehens ablehnen.
5576
swaz er getet ie guotes,
Was immer er jemals an Gutem getan hatte,
5577
daz ahtet sî doch kleine.
das beachtete sie doch überhaupt nicht.
5578
diu minneclîche reine
Die liebliche Reine
5579
wolt im kein fröude füegen.
wollte ihm keine Freude machen.
5580
ir herze wolt benüegen
Ihr Herz wollte sich mit dem
5581
an dem den sî ze friunt erkôs,
begnügen, den sie sich zum Freund erkoren hatte,
5582
den sî von êrst mit ougen slôz
den sie vom ersten Augenblick an
5583
in irs herzen sinne.
in die Sinne ihres Herzens geschlossen hatte.
5584
nu was diu küneginne
Nun war die Königin dorthin
5585
komen dâ der künec was.
gekommen, wo der König war.
5586
zuo im diu hôchgeborniu saz
Die Hochwohlgeborene setzte sich zu ihm
5587
und frâgte in der mære,
und fragte ihn danach,
5588
war umbe sî dar wære
warum sie hierher beordert worden
5589
besendet. dô daz êrst beschach,
wäre. Nachdem das geschehen war,
5590
Fontânâgrîs der milte sprach:
sprach der freigebige Fontanagris:
5591
,Tohter, daz tuon ich dir kunt.
„Tochter, ich sage dir Folgendes:
5592
wir hân etwie lange stunt
Wir vermissen hier schon
5593
gemangelt eines ritters hie,
ziemlich lange Zeit einen Ritter,
5594
des lîp von kindes beinen ie
der von Kindesbeinen an
5595
hât gedient mit frîger tât.
hier mit freimütiger Tat gedient hat.
5596
sîn herze vil begangen hât
Sein Herz hat viele
5597
lobelîcher tæte.
löbliche Taten begangen.
5598
manhaft triuwe stæte
Bei großer Freigebigkeit beweist er
5599
ist er bî grôzer milte.
zugleich beständig männliche Treue.
5600
nie ritter under schilte
Niemals saß ein Ritter so ritterlich
5601
sô ritterlîche saz als er.
unter dem Schild wie er.
5602
im stuont sîn swert und ouch sîn sper
Seine Hand führte Schwert
5603
sô weidenlîch in handen
und Lanze so tüchtig,
5604
daz alle die in kanden
dass ihm alle, die ihn kannten
5605
und in ûf ors ie sâhen
und ihn jemals zu Pferd sahen,
5606
hôher wirde jâhen:
große Würde zusprechen.
5607
den hân wir wunderlîch verlorn.
Den haben wir auf merkwürdige Weise verloren.
5608
nu dunket mich, in hab dîn zorn
Nun kommt mir vor, dein Zorn habe ihn
5609
vertriben ûz dem rîche.
aus dem Reich vertrieben.
5610
tohter minneclîche,
Liebe Tochter,
5611
wâ von ist daz? tuo mir schîn.
woher kommt das? Erklär es mir.
5612
ich lob dir bî der triuwe mîn
Ich verspreche dir bei meiner Treue
5613
ûf mîner êren selde,
und dem Glück meiner Ehre,
5614
daz ich dich niemer melde
dass ich dich niemals
5615
dar an mit keiner sache.
irgendeiner Sache anklage.
5616
wilt du daz ich sî mache
Willst du, dass ich sie
5617
bezzer, des bin ich bereit.
löse, bin ich dazu bereit.
5618
wiltu, im sol widerseit
Wenn du willst, wird ihm von mir
5619
von mir wesen als von dir,
ebenso wie von dir die Treue aufgekündigt,
5620
ob du rehte kündest mir
wenn du mir die Sache
5621
die sache sunder lougen.
ohne zu lügen plausibel erklärst.
5622
ich sihe an dînen ougen
Ich sehe an deinen Augen,
5623
daz du minneclîche magt
dass du, liebes Fräulein,
5624
uns den ritter hâst verjagt:
uns den Ritter verjagt hast:
5625
dâ von sag mir die schulde,
Darum verrate mir das Vergehen,
5626
wâ mit er dîne hulde
womit er deine Gunst
5627
hab sô wunderlîch verlorn.
auf so merkwürdige Art verloren hat.
5628
gedenke waz ich hân gesworn:
Bedenke, was ich geschworen habe:
5629
daz wil ich niemer brechen.
Das werde ich niemals brechen.
5630
an im wil ich dich rechen,
Ich werde dich an ihm rächen,
5631
ob er sô hôhe schulde hât.
wenn er so große Schuld hat.
5632
ist aber daz ez alsô stât
Verhält es sich bezüglich
5633
in zornes gelimphe,
der Angemessenheit des Zornes jedoch so,
5634
daz er sich mit schimphe
dass er sich dir gegenüber
5635
gên dir hât missehüetet,
im Scherz schlecht benommen hat,
5636
wirt daz von mir gegüetet,
wird das von mir geschlichtet,
5637
des solt du versprechen niht.
dagegen sollst du nichts sagen.
5638
ez ist beschehen und beschiht
Es geschah und geschieht
5639
noch ze manger stunde,
bisweilen noch heute,
5640
daz einen man von grunde
dass einen Mann danach
5641
dar nâch des herzeriuwet.
von Grund auf das Herz reut.
5642
mîn sin des wol getriuwet,
Mein Verstand vertraut fest darauf,
5643
du lâzest in ze hulden komen,
dass du ihm Erbarmen erweist,
5644
wan ich von im nie vernomen
weil ich von ihm niemals irgendeine
5645
hân keiner slaht unmâze.
Anmaßung vernommen habe.
5646
iedoch die bete ich lâze
Jedoch unterlasse ich diese Bitte,
5647
biz ich vernim den willen dîn.
bis ich deinen Willen erfahren habe.
5648
sîn schult mac sô grôziu sîn
Seine Schuld kann so groß sein,
5649
daz er für dis selbe stunt
dass er ab sofort
5650
gên mir ze hulden niemer kunt.‘
von mir kein Erbarmen mehr zu erwarten hat.“
5651
Von disen worten und alsô
Von diesen Worten und auf diese Weise
5652
wart diu minneclîche dô
errötete die Liebliche da
5653
sam ein liehter rôs enbrant.
wie eine leuchtende Rose.
5654
,ei‘, gedâhte sî zehant,
„Ei“, dachte sie sogleich,
5655
,waz mær ist diz? waz sol ich tuon?
„was ist das für eine Geschichte? Was soll ich tun?
5656
sol ich reden nâch der suon
Soll ich versöhnlich sprechen
5657
ald sol ich künden al die tât
oder soll ich die Tat verkünden,
5658
die mir zuo gemuotet hât
die mir sein Mund auf der Jagd
5659
sîn munt ûf minne werben?
nach Liebe angedichtet hat?
5660
wil ich, er muoz verderben;
Wenn ich will, ist er verloren;
5661
wil ich, sô kunt er wider har.‘
wenn ich will, kommt er wieder hierher.“
5662
alsus fuor sî har und dar
So war sie in Gedanken
5663
mit den gedenken sus und sô,
hin und her gerissen,
5664
und gedâhte aber dô,
dachte dann aber,
5665
ob er sîn werben lieze,
wenn er sein Werben unterließe,
5666
der in har wider hieze
stünde es ihr besser an,
5667
komen, daz gezæme baz
ihn wieder hierher zu befehlen,
5668
denne daz er iren haz
als dass er ihren Hass
5669
hette offenlîche.
öffentlich erführe.
5670
sî dâht ,dur al daz rîche
Sie dachte: „Durch das ganze Reich
5671
sô wirt schier diz mære kunt.
wird diese Geschichte schnell bekannt
5672
belîbet er dekeine stunt,
bliebe er noch länger,
5673
ich solt ez lâzen süenen.
würde ich es ihn sühnen lassen.
5674
daz werben ist den küenen
Vielleicht reut den Kühnen
5675
vil lîhte ouch geriuwen.
sein Werben ja auch.
5676
möht ich im getriuwen,
Ich könnte ihm vertrauen
5677
ich hieze nâch im senden,
und nach ihm schicken lassen,
5678
wolt er sîn bete wenden
wenn er seine Werbung ab sofort
5679
für dise stunt niht mê zuo mir.‘
nicht mehr an mich richten wollte.“
5680
alsus gedâhte sî in ir
Solcherart überlegte sie in ihrem
5681
herzen mange stunde,
Herzen manche Stunde,
5682
nu hin, nu har, und kunde
einmal so, einmal so, und konnte
5683
daz wægest niht ertrahten.
das Vorteilhafteste nicht finden.
5684
gedenke zwîvel mahten
Gedankliche Zweifel machten
5685
ir wankel in dem muote.
sie wankelmütig.
5686
ze jungest kan diu guote
Schließlich gelangte die Gute
5687
dar an mit vollem sinne,
zu der Überzeugung,
5688
daz sî ir vater inne
dass sie ihren Vater nicht
5689
niht wolt der mære bringen,
in die Geschichte einweihen wollte,
5690
und tet daz ûf den gingen
und tat das in der Hoffnung,
5691
daz sî gedâhte wider sich:
dass sie bei sich dachte:
5692
,der ritter lîht erlâzet mich
„Der Ritter unterlässt es vielleicht, mich
5693
fürwenden solichiu mære‘,
für solche Geschichten zur Verantwortung zu ziehen“,
5694
und daz ir bezzer wære
und dass es besser für sie wäre,
5695
daz ez niht würd dem vater schîn.
dem Vater würden sie nicht bekannt.
5696
sî sprach ,liebez veterlîn,
Sie sprach: „Liebes Väterlein,
5697
ich weiz und hân befunden wol,
ich weiß und habe für gut befunden:
5698
swaz kint an vater suochen sol,
Was immer ein Kind vom Vater erfragt,
5699
des mag ich wol getriuwen dir.
darin kann ich dir getrost vertrauen.
5700
umb die sache sô du mir
Bezüglich der Sache, in der du zu mir
5701
hâst zuo geret, sô wizzest daz:
gesprochen hast, wisse Folgendes:
5702
ich trag niht unverschulten haz
Ich hege keinen unbegründeten Hass
5703
dem ritter des wir mangel hân.
gegen den Ritter, den wir vermissen.
5704
doch wil ich die schulde lân
Doch will ich ihm um deinetwillen
5705
dur dich, swie grôz sî gên mir sî.
die Schuld erlassen, wie groß auch immer sie mir gegenüber sei.
5706
sî er verre ald nâhe bî,
Egal, ob er fern oder nah ist,
5707
heiz in ze hove wider varn.
heiße ihn wieder an den Hof kommen.
5708
des zornes sache schôn bewarn
Er soll sich in der strittigen Sache
5709
sol er, daz sî iht mê geschehe.
zusammenreißen, damit sie nicht mehr geschehe.
5710
daz ich der sache dir vergehe,
Dir die Sache zu erzählen,
5711
daz wil ich nu ze mâle lân.
werde ich vorerst einmal unterlassen.
5712
dur got, swaz er mir hât getân,
Bei Gott, was immer er mir getan hat,
5713
daz weiz er wol, ich weiz ez ouch.
weiß er sehr gut und ich weiß es auch.
5714
gên im sol mîns zornes rouch
Ihm gegenüber soll der Rauch meines Zorns
5715
ergangen sîn mit triuwen.
in Treue ein Ende finden.
5716
wil er die sach niht niuwen,
Wenn er die Sache nicht aufwärmt,
5717
dâ mit er mich beswæret hât,
mit der er mich belastet hat,
5718
mîn sin mîn herze gên im lât
erlassen ihm mein Verstand und mein Herz
5719
den wol verdienten grôzen haz.
den wohlverdienten großen Hass.
5720
enbiut im sicherlîchen daz.
Richte ihm das gewissenhaft aus.
5721
tuot er des niht, sô sî dâ hin
Tut er das nicht, so ist die Vergebung
5722
diu suon, und wizze daz ich in
dahin, und wisse, dass ich ihm
5723
begnâde niemer mêre.
nie mehr Gnade erweise.
5724
und schônte ich mîner êre
Ich schonte meine Ehre
5725
niht und liez ez ouch dur dich,
nicht und unterließe es auch um deinetwillen nicht,
5726
veterlîn, er müese sich
Väterlein, und er müsste sich
5727
des landes ânen iemer mê.
für immer von dem Land fernhalten.
5728
den haz, den zorn, swie der stê,
Den Hass, den Zorn, wie groß er auch ist,
5729
den wil ich lâzen dur dich varn.
den will ich deinetwegen aufgeben.
5730
heiz in hie nâch sich baz bewarn.‘
Befiel ihm, sich hernach besser zu benehmen.“
5731
Der künic antwurt ir alsô
Der König antwortete ihr folgendermaßen:
5732
,töhterlîn, des bin ich frô,
„Töchterlein, ich bin froh darüber,
5733
daz du dich alsô wol enstâst
dass du so einsichtig bist
5734
und dur mich daz zürnen lâst
und meinetwegen den Zorn sein lässt,
5735
daz dir sô in herzen lît.
der dir so sehr im Herzen brennt.
5736
wizzest, swenne er übergît
Wisse, wann immer er jemals wieder
5737
dînen willen iemer mê,
deinen Willen missachtet,
5738
wie ez im dâr nâch ergê,
ist es mir egal,
5739
daz sol ich ahten kleine.
wie es ihm hernach ergeht.
5740
kiuschiu tohter reine,
Keusche reine Tochter,
5741
ich wil nâ im senden.
ich werde nach ihm schicken.
5742
diu buoz in dînen henden
Die Sühne wird gnädig
5743
muoz genædeclîchen stân
in deinen Händen liegen
5744
umb allez daz er hât getân
für alles das, was er getan hat
5745
und ie wider dich getet.‘
und jemals gegen dich unternahm.“
5746
einen boten an der stet
Sogleich sandte man
5747
sante man gên Frankenrîch,
einen Boten gen Frankreich,
5748
dâ der ritter jâmers rîch
wo der leidgeplagte Ritter
5749
lag in kranker wîse.
krank danieder lag.
5750
man vant in ze Parîse
Man fand ihn in Paris,
5751
und hât verjâmert sich alsô
und er hatte sich so sehr dem Kummer ergeben,
5752
daz in nie kein mensche frô
dass ihn kein Mensch jemals froh
5753
noch froelîch erlachen sach.
oder fröhlich auflachen sah.
5754
sîn jâmerlîchez ungemach
Sein jämmerliches Ungemach
5755
hât in brâht von kreften.
hatte ihn aller Kräfte beraubt.
5756
sorge kund im heften
Sorge wusste sein Herz
5757
leit sô zuo dem herzen,
so mit Leid zu erfüllen,
5758
daz er von dem smerzen
dass er vor Schmerz
5759
mohte sîn verswunden.
hätte sterben können.
5760
sîn vil strengen wunden
Seine schrecklichen Wunden
5761
wuohsen tegelîche.
wuchsen tagtäglich.
5762
er leit sô bitterlîche
Er litt so bitterliche
5763
nôt mit sender grimme
Not mit sehnender Wut,
5764
daz er mit lûter stimme
dass er mit lauter Stimme
5765
schrei und offenlîche sprach
schrie und in der Öffentlichkeit sagte:
5766
,owê, sol diz ungemach
„O weh, wenn dieses Leid
5767
an mir niht erwinden,
nicht von mir ablässt,
5768
alsô daz ich vinden
sodass ich in meiner Bedrückung
5769
trôst müge mîner swære,
Trost finden möge,
5770
sô wolt ich daz ich wære
so wünschte ich, ich wäre
5771
tôt vor langer stunde.
schon lange tot.
5772
rîcher got, wan kunde
Allmächtiger Gott, könnte ich
5773
ich von der nôt entrinnen
doch meinem Leid entkommen
5774
ald möht ich gewinnen
oder Trost
5775
trôst ze mînen noeten!
in meinen Nöten bekommen!
5776
nein, mich lîez ê toeten
Nein, die gar Liebliche
5777
diu vil minneclîche.‘
ließe mich eher töten.“
5778
nu was genendeclîche
Nun war der Bote entschlossen
5779
der bote komen dâ er was
dorthin gekommen, wo er [scil. der Ritter] war
5780
und in grôzem jâmer saz
und in großem Kummer ganz
5781
versunken gar in sorgen tief.
in Sorgen versunken dasaß.
5782
er bôt im dô des künges brief
Er reichte ihm da den Brief des Königs
5783
versigelt und verslozzen.
versiegelt und verschlossen.
5784
der bote unverdrozzen
Unverdrossen überbrachte ihm
5785
seit im guotiu mære,
der Bote die gute Nachricht,
5786
wie er gesendet wære
wie er ohne falsche Absicht
5787
nâ im sunder valschen wân.
zu ihm gesandt worden war.
5788
er sprach ,wer hât daz getân?‘
Er [scil. der Ritter] sprach: „Wer hat das veranlasst?“
5789
,der künic und diu schoeniu magt.‘
„Der König und das schöne Fräulein.“
5790
,seht daz ir die rihte sagt‘,
„Seht zu, dass Ihr die Wahrheit sagt“,
5791
sprach der jâmers rîche.
sprach der Leidvolle.
5792
,jô hiez diu minneclîche
„Tatsächlich befahl das Fräulein
5793
selbe nâ iuch senden.
selbst, nach Euch zu schicken.
5794
ir hânt doch in den henden
Ihr haltet doch in Händen
5795
den brief der mich hât har getriben.
den Brief, der mich hierher gebracht hat.
5796
dar an vindent ir geschriben
Darin geschrieben findet Ihr
5797
endehaftiu mære.‘
die ganze Geschichte.“
5798
waz aber dar an wære
Was dort aber geschrieben
5799
geschriben dort, daz hoerent hie.
war, das hört hier.
5800
er las den brief, ich sag iuch wie
Er las den Brief; ich sage euch, was
5801
er dar an geschriben vant.
er darin geschrieben fand.
5802
dô er in brach, er las zehant:
Als er ihn erbrach, las er sogleich:
5803
,Fontânâgrîs, ein künic rîch
„Fontanagris, von Gottes
5804
ze Tenemark gewolteclîch
Lehen und Gunst ein mächtiger
5805
von gotes lêhen unde gunst,
und gewaltiger König in Dänemark,
5806
enbiut genædeclîch vernunst
entbietet gnädig Aufmerksamkeit
5807
dem der mînes râtes wielt,
demjenigen, der meinen Rat annahm,
5808
mîn ritter der sîn herze ie hielt
meinem Ritter, der sein Herz seit jeher stets
5809
stæt in friuntlîcher kraft
in freundschaftlicher Kraft
5810
vest an aller ritterschaft,
fest an alle Ritterschaft hielt,
5811
vil friuntlîches vernunstes
viel freundschaftliche Aufmerksamkeit
5812
und küneclîches gunstes,
und königliche Gunst,
5813
ob er behaltet mîniu wort.
wenn er meine Worte beachtet.
5814
ritter wert, ich hân gehôrt
Werter Ritter, ich habe
5815
von der wol getânen
von der Wohlgestalten,
5816
der schoenen Irkânen,
der schönen Yrkane,
5817
der minneclîchen reinen,
der lieblichen Reinen,
5818
der zarten wandels einen,
der schönen Makellosen
5819
mînem lieben töhterlîn,
meinem lieben Töchterlein, gehört,
5820
daz ir habent die hulde sîn
dass Ihr ihre Huld mit großer Schuld
5821
mit grôzen schulden sêr verworht,
schlimm verwirkt habt,
5822
und daz ir umb der sache vorht
und dass Ihr daher aus Angst
5823
mîn lant habent gerûmet
wegen dieser Sache mein Land
5824
dâ von, wan ir gesûmet
verlassen habt, weil Ihr verabsäumt habt,
5825
iuch hânt in irem willen.
ihrem Willen nachzukommen.
5826
den zorn wil sî stillen
Meinetwegen wird sie ihren Zorn
5827
dur mich und hât in lân gevarn
besänftigen und hat schon von ihm abgelassen,
5828
alsô daz ir iuch baz bewarn
sodass Ihr Euch in dieser Sache
5829
sollent an der sache,
besser betragen sollt,
5830
daz iuwer sin iht mache
damit Euer Verstand nicht weiter
5831
dâ mit fürbaz unmuotic
ihren Unmut errege.
5832
sî, dâ von sint fruotic
Darum fasst Euch ein Herz
5833
und kêrent har ze lande wider.
und kehrt hierher in das Land zurück.
5834
mîn hof gemeine muos ie sider
Mein ganzer Hof muss seither
5835
iuwer grôzen mangel hân.
unter Eurer Abwesenheit leiden.
5836
wie diu schulde sî getân,
Wie Ihr Schuld auf Euch geladen habt,
5837
des wolt mîn kint mir nie enbarn.
wollte mein Kind mir nicht verraten.
5838
iedoch sî hât lâzen varn
Jedoch hat sie geduldig davon
5839
ez lideclîch, swie im joch was,
abgesehen, was auch immer es war,
5840
alsô daz ir hüetent baz
auf dass Ihr Euch besser
5841
iuch vor der missetæte.
vor schändlichem Tun hütet.
5842
und daz diz sîge stæte,
Und damit dieses weiter abnähme,
5843
sô ist iuch dirre brief gesant
ist Euch dieser Brief
5844
von Tenemark in Frankenlant
versiegelt und verschlossen
5845
versigelt und verslozzen.
von Dänemark nach Frankreich gesandt.
5846
komt wider unverdrozzen.‘
Kommt unbekümmert zurück.“
5847
Dô er disen brief gelas,
Als er den Brief gelesen hatte,
5848
verstummet und verdâht er saz,
saß er stumm und in Gedanken versunken,
5849
als ob er hette niender sin.
als wäre er nicht bei Verstand.
5850
die gedenke fuorten in
Die Gedanken rissen ihn
5851
sus und sô, nu hin, nu wider.
hin und her, mal hierhin, mal dorthin.
5852
alliu sînes lîbes lider
Augenblicklich erstarrten
5853
an der stunt erstapten.
alle Glieder seines Leibes.
5854
iedoch sô gehapten
Jedoch regten sich
5855
sich sine sinne desto baz.
seine Sinne umso besser.
5856
in sînem herzen dâht er ,waz
In seinem Herzen dachte er: „Was
5857
mac diz dinc betiuten,
kann das bedeuten,
5858
sît sî vor allen liuten
dass sie die Sache noch
5859
hât die sache noch verspart?
vor allen Leuten verschwiegen hat?
5860
waz meinet diu vil süeziu zart
Was meint die gar zarte Süße
5861
dâ mit, daz sî ez süenen lât?
damit, dass sie Vergebung gewährt?
5862
ob sî trôst an mir begât?
Ob sie mir Trost spendet?
5863
nein, ir wille stât niht sô.
Nein, ihr Wille steht nicht so.
5864
ich muoz leider sus unfrô
Ich werde leider für immer
5865
iemer mê belîben,
so traurig bleiben,
5866
ê daz sî vertrîben
bevor sie meine Bedrückung
5867
welle mîne swære.
vertreiben wollte.
5868
wist ich waz bezzer wære,
Wüsste ich doch, was besser wäre:
5869
ze lande kêren oder niht!
in das Land zurückzukehren oder nicht!
5870
,jâ‘ mir seit mîn zuoversiht,
Meine Hoffnung sagt mir »ja «,
5871
ich solte dar, der zwîvel ,nein‘,
ich sollte dorthin, der Zweifel » nein«,
5872
diu vil minneclîche rein
die so reine Liebliche
5873
lât mich ze hulden niemer komen.
wird mich niemals erhören.
5874
sît aber niemen hât vernomen
Da aber niemand meine Schuld
5875
mîn schult und ires hazzes zil,
und den Grund ihres Hasses vernommen hat,
5876
sô wæn ich mir sî wæger vil
so glaube ich, es ist ihr lieber,
5877
daz ich wider kêre
dass ich zurückkehre,
5878
denne ich iemer mêre
als dass ich mich für immer
5879
alsus nâ ir verderbe
nach ihr verzehre
5880
und lebendic ersterbe
und lebendig sterbe
5881
gar ân alles trôstes phliht.
ganz ohne allen Trost.
5882
dort wirt mir doch diu angesiht,
Dort sehe ich wenigstens sie,
5883
hie niht wan jâmer unde wê.
hier nichts als Leid und Schmerz.
5884
mîn herze gert doch anders mê
Mein Herz begehrt doch nichts anderes
5885
niht von der juncfrouwen,
mehr von dem Fräulein,
5886
wan daz mîn ougen schouwen
als dass meine Augen
5887
solten die vil hêren.
die so Hehre sehen.
5888
ich wil wider kêren
In der hohen Hoffnung
5889
ûf die hôhe zuoversiht.‘
will ich zurückkehren.“
5890
langer sûnde er sich niht
Er zögerte nicht länger
5891
und kêrte hein ze lande,
und kehrte heim in das Land,
5892
des lîp sich ie vor schande
er, dessen Leib sich bis zu der Tat
5893
hât biz an die tât behuot.
immer vor Schande gehütet hatte.
5894
Fontânâgrîs der hôhgemuot
Fontanagris, der Hochgemute,
5895
und daz gesinde enphiengen
und die Angehörigen des Hofes empfingen
5896
den ritter schôn, ez giengen
den Ritter angemessen, es gingen
5897
gên im vil der hovediet.
ihm viele von der Hofgesellschaft entgegen.
5898
umb sîne sache niemen niet
Über seinen Fall wusste niemand
5899
wist als umb ein kleinez hâr.
auch nur das Geringste.
5900
mir seit diu âventiur für wâr,
Mir sagt die Aventiure fürwahr,
5901
in hât der künec liep als vor.
dass der König ihn liebte wie zuvor.
5902
er wart gesetzet ûf den spor
Er wurde wieder auf den Weg gesetzt,
5903
dâ sîn fuoz mit gewalt ê trat.
den sein Fuß ehedem kraftvoll beschritten hatte.
5904
ob in vor hât gelückes rat
Hatte ihn davor das Glück
5905
an keiner tât geletzet,
bei keiner Tat verlassen,
5906
des wart er ergetzet
wurde ihm dies nun
5907
tûsentvalteclîche.
tausendfach vergolten.
5908
er wart vor in dem rîche
Er hatte zuvor im Reich
5909
nie sô wert als er nu was.
nicht so viel gegolten wie jetzt.
5910
an des künges rât er saz
Er saß beim Rat des Königs
5911
und truoc sîn kleider reht als ê.
und trug dessen Kleider genauso wie zuvor.
5912
wan daz im daz twingen wê
Außer dass ihn das Drücken
5913
tet in sînem sinne
der harten Liebe
5914
von der strengen minne,
in seinem Verstand schmerzte,
5915
sô brast im aller fröuden niht.
gebrach es ihm an keiner Freude.
5916
doch schûht er die angesiht
Dennoch scheute er den Anblick
5917
der minnenclîchen frouwen,
der geliebten Dame,
5918
und swenn er muose schouwen
und wenn er sie anschauen
5919
sî, sô bliht er iemer dar
musste, so blickte er immer
5920
alsam ein giric adelar,
wie ein gieriger Adler dorthin,
5921
dâ er siht sîne weide.
wo er sein Futter sieht.
5922
mit liebe noch mit leide
Niemals wurde ein Herz
5923
wart herze nie erfüllet baz.
besser mit Liebe und Leid erfüllt.
5924
ze aller zît er trûric was
Immerzu war er traurig
5925
und hatte jâmerlîche pfliht.
und hatte Kummer.
5926
sô gap im ir angesiht
So bereitete ihr Anblick
5927
sô überbündic wunne
ihm so ausgesuchte Freude,
5928
daz nie kein fiuhtic brunne
dass keine sprudelnde Quelle
5929
erfrischet acker noch die sât,
den Acker oder die Saat,
5930
daz der wint gederret hât,
die der Wind ausgedörrt hat,
5931
sô vast als sî sîns herzen sin.
so schnell erfrischen könnte wie sie den Verstand seines Herzens
5932
swenn ir blicken schôz ûf in
Wann immer ihre Blicke
5933
mit schüzzen ân geværde,
ungefährliche Schüsse auf ihn abgaben,
5934
in dûht an ir gebærde
erschien ihm ihre Gebärde
5935
sô minnenclîchen reine,
so lieblich rein,
5936
sô zart, sô wandels eine,
so zart, so makellos,
5937
sô kiusche lieplîch und sô fîn
so lieblich keusch und so fein,
5938
daz er sî tougenlîchen in
dass er sie heimlich in
5939
den grunt sîns vesten herzen slôz,
die Tiefe seines festen Herzens schloss,
5940
und wart sîn leit dâ von sô grôz
und davon wurde sein Leid so groß,
5941
daz man in aber trûric sach
dass man ihn wieder traurig sah
5942
und lîden sendez ungemach.
und schmerzliche Sehnsucht leiden.
5943
Diz werte an im lange zît,
Dies währte an ihm lange Zeit,
5944
daz sîn herze mangen strît
dass sein Herz manchen Streit
5945
hatte mit dem sinne,
mit dem Verstand ausfocht,
5946
wie er sî bræhte inne
wie er sie abermals mit seiner Bedrückung
5947
aber sîner swære.
konfrontieren könnte.
5948
er hât sô senebære
Er litt so sehnsuchtsvolle
5949
und alsô jâmerlîche nôt
und auch so jämmerliche Not,
5950
daz im ein gemeiner tôt
dass ihm ein gewöhnlicher Tod
5951
wæger wære vil gewesen.
und so jämmerliche Not,
5952
er moht ân sî niht genesen
viel lieber gewesen wäre.
5953
und muose bî ir sterben.
Er konnte ohne sie nicht leben
5954
daz bitterlîche werben
und glaubte, ihretwegen sterben zu müssen.
5955
tet im sô wunderliche wê
Das bitterliche Ringen um sie
5956
daz er tet nu reht als ê
tat ihm so seltsam weh,
5957
und kunt ir aber sînen pîn.
dass er nun genauso wie zuvor handelte
5958
dâ von wart diu künegîn
und ihr sein Leid abermals klagte.
5959
sô zornic und sô bitter
Davon wurde die Königin
5960
daz sî dem kranken ritter
so zornig und so erbittert,
5961
vîgentlîchez hazzen lêch
dass sie dem liebeskranken Ritter
5962
und ir huld im gar verzêch
tödlichen Hass entgegenbrachte
5963
mit zorneclîchem muote.
und ihm ihre Huld
5964
Fontânâgrîs der guote
mit zornigem Gemüt ganz entzog.
5965
nam aber hie des krieges war
Der gute Fontanagris
5966
und versliht sî beide gar
bemerkte den Streit hier abermals
5967
in friuntlîcher wîse.
und versöhnte die beiden gar
5968
der einvaltige grîse
in freundschaftlicher Weise.
5969
wist ir deweders meine.
Der gutgläubige Alte
5970
er nam sîn tohter eine
kannte ihre beiden Standpunkte nicht.
5971
und bat die aber nu, und ouch
Er nahm seine Tochter beiseite
5972
sô nam er dâ gên den gouch
und beschwor sie nun abermals, und genauso
5973
har und wolt in strâfen.
nahm er dagegen auch den Buhler
5974
er sprach ,iemer wâfen,
her und wollte ihn strafen.
5975
waz mac dirre sache sîn,
Er sprach: „Immer aufgepasst,
5976
dâ mit du mîn töhterlîn
was kann das sein,
5977
alsô dik verliurest?
womit du dir mein Töchterlein
5978
mit unwitzen stiurest
so oft feind machst?
5979
du dich sicherlîchen.‘
Du lässt dich bestimmt
5980
er sprach trûreclîchen
von Unvernunft leiten.“
5981
,herre, ez beschiht niht mê.‘
Er [scil. der Ritter] sprach traurig:
5982
sô tet im aber denn sîn wê
„Herr, es kommt nicht wieder vor.“
5983
sô rehte bitterlîchen nôt,
Doch fügte ihm sein Schmerz dann abermals
5984
solt er tûsentstunt den tôt
so gar bitterliches Leid zu, dass er, sollte er wegen der Bitte auch
5985
von der bete lîden,
tausendmal den Tod erleiden,
5986
sô wolt er ir niht mîden,
er sie doch nicht unterlassen wollte
5987
und bat und bat ouch iemer dar,
und bat und immer wieder bat,
5988
biz diu minnenclîche gar
bis die Angebetete ihn
5989
in aber von dem lande stiez
abermals des Landes verwies
5990
und in dannen strîchen hiez.
und ihm befahl, sich davon zu machen.
5991
Diz muoste sîn, wan ez beschach.
Das musste sein, da es geschah.
5992
dô sîn der künic nimmê sach,
Als der König ihn nicht mehr sah,
5993
er frâgte war er wære komen.
fragte er, wo er hingekommen wäre.
5994
schiere aber wart vernomen,
Bald aber wurde vernommen,
5995
er wær in Engellanden,
er wäre in England,
5996
wan die in wol erkanden
denn die ihn gut kannten,
5997
hatten in ouch dâ gesehen.
hatten ihn dort auch gesehen.
5998
waz im ze Tenemark geschehen
Was ihm in Dänemark widerfahren
5999
wære, daz was in unkunt.
wäre, wussten sie nicht.
6000
man sach in trûren alle stunt
Man sah ihn allzeit traurig
6001
und sorgen jâmerlîchen.
und sich jämmerlich grämen.
6002
er lepte kumberlîchen
Er lebte kummervoll
6003
in der stat ze Lunders.
in der Stadt London.
6004
,des wunderlîchen wunders!‘
„Wie überaus seltsam!“
6005
sprach der künc, ,waz mac daz sîn,
sprach der König, „was kann das sein,
6006
daz er und mîn töhterlîn
weshalb er und mein Töchterlein
6007
sô gar ein ander vêhent.
einander so sehr bekriegen?
6008
mîn sin mîn herze flêhent
Meine Vernunft und mein Herz flehen
6009
sî beide und vervâhet niht,
sie beide an und bewirken nicht,
6010
daz sî zornlîche pfliht
dass sie ihren Zorn
6011
dur mich wellent lâzen.
meinetwegen sein ließen.
6012
daz mîn kint sichs mâzen
Dass mein Kind sich um meinetwillen
6013
niht dur mich gên dem ritter wil,
gegenüber dem Ritter nicht mäßigen will,
6014
zwâr des dunket mich ze vil
das kommt mir fürwahr zu heftig vor
6015
und ist ouch ein unfuoge.
und ist auch unanständig.
6016
vil lîht aber diu kluoge
Vielleicht klagt die Kluge
6017
hât an in die ansprâche,
ihn abermals einer Sache an,
6018
von der sî zornes râche
aufgrund der sie ihm durch seine Schuld
6019
ûf in treit von schulden.
zornige Rache schwört.
6020
swenn ich in zuo ir hulden
Wann immer ich ihm
6021
mit grôzen noeten bringe,
mit großer Mühe ihre Huld erwirke,
6022
daz wiget er gar ringe
ist ihm das nicht viel wert
6023
und verwürket sî zehant.
und er verwirkt sie sofort.
6024
wær diu sache mir bekant
Wäre mir die Sache bekannt,
6025
von der diu unfuog ûfe stât,
aus der die Unanständigkeit erwächst,
6026
mîn sinn lîht etelîchen rât
fände oder erdächte mein Verstand
6027
ald funt dar zuo erdæhten,
vielleicht einigen Rat,
6028
dâ mit sîs beide bræhten
wodurch die beiden
6029
von der grôzen vîentschaft.
von ihrer großen Feindschaft abließen.
6030
daz min tohter tugenthaft
Dass meine tugendhafte Tochter
6031
im versag ir hulde
ihm grundlos ihre Huld
6032
und vêhe âne schulde,
versagt und ihn hasst,
6033
des kan ich gelouben niht.
kann ich nicht glauben.
6034
bînamen, swaz dâ von geschiht
Wahrlich, was immer deswegen geschieht
6035
ald swie ez sol dâ von gevarn,
oder wie immer es deswegen weitergeht,
6036
sî muoz die sache mir enbarn,
sie muss mir die Sache aufdecken,
6037
wie sî lig ald waz ez sî.‘
wie sie steht oder was es sei.“
6038
sus der stæte wandels frî
So schickte der beständige Makellose
6039
besante sîne tohter.
nach seiner Tochter.
6040
nu kond er noch enmohter
Nun konnte und vermochte er
6041
die sache an ir niht ervarn.
die Sache nicht von ihr zu erfahren.
6042
die minnenclîchen an den arn
Er nahm die Liebliche in den Arm
6043
nam er und truht sî schôn an sich.
und drückte sie zärtlich an sich.
6044
er sprach ,tohter minnenclîch,
Er sprach: „Geliebte Tochter,
6045
mîn trôst, mîn trût, mîn einic kint,
mein Trost, meine Vertraute, mein einziges Kind,
6046
mîn sin mîn herze beide sint
mein Verstand und mein Herz hängen beide
6047
an dir und hânt dich alsô zart,
an dir und haben dich so lieb,
6048
daz vater kint lieber wart
dass kein Kind einem Vater jemals lieber
6049
nie und wirt ouch niemer.
war und auch niemals sein wird.
6050
tuo ein dinc, daz ich iemer
Tu etwas, auf dass ich dir
6051
lîp und guot dir teilen wil:
immer Leib und Gut erhalten will:
6052
einer sache mir niht hil
Verheimliche mir eine Sache nicht,
6053
der ich dich welle frâgen.
nach der ich dich fragen will.
6054
des lâ dich niht betrâgen
Lass dich nicht verdrießen,
6055
daz du sî rehte kündest
sie mir um meinetwillen
6056
und endelîch durgründest
richtig zu verkünden
6057
mir dur mînen willen.
und bis zum Letzten zu erklären.
6058
ich wil sî helfen stillen
Ich werde helfen, dir die Tage
6059
dir den tag ich iemer lebe.‘
angenehm zu machen, solange ich lebe.“
6060
,veterlîn, ich widerstrebe
„Väterlein, ich handle niemals
6061
niemer dînen worten.
gegen deine Worte.
6062
ob die sach ie gehôrten
Wenn meine Ohren die Sache jemals
6063
mîn ôren ald hân ichs gesehen,
hörten oder ich sie gesehen habe,
6064
sô wil ich sî gar verjehen
so will ich sie dir hier
6065
dir hie endelîche.‘
ganz bis zum Schluss erzählen.“
6066
,tohter minnenclîche,
„Geliebte Tochter,
6067
sô sage mir ân allen haz,
so sage mir ohne jeden Vorbehalt,
6068
wie mac sich gefüegen daz
wie es sich fügen kann, dass
6069
du und der ritter alsô sint
du und der Ritter so entzweit
6070
entslagen, mîn vil libez kint?
sind, mein allerliebstes Kind?
6071
daz solt du mir machen schîn.‘
Das sollst du mir erklären.“
6072
Sî sprach ,liebez veterlîn,
Sie sprach: „Liebes Väterlein,
6073
,waz woltest du des krieges pfliht?
Was wolltest du vom Wesen dieses Kriegs wissen?
6074
ich sol dir sîn sagen niht,
Ich werde es dir nicht sagen,
6075
wan sî hoeret dich niht an.‘
denn es geht dich nichts an.“
6076
,nein, min tohter tugentsan,
„Nein, meine tugendsame Tochter,
6077
ich wilz wizzen waz ez ist.‘
ich will wissen, was los ist.“
6078
sî sprach ,veterlîn, du bist
Sie sprach: „Väterlein, du kommst
6079
wunderlîchen hie an kon.‘
auf merkwürdige Art darauf zu sprechen.“
6080
er sprach ,töhterlîn, dâ von
Er sprach: „Töchterlein, sag es mir
6081
sage mirz: tuost du es niht,
aus folgendem Grund: Tust du es nicht,
6082
mîn ouge niemer dich gesiht
sieht mein Auge dich nie mehr
6083
frô noch friuntlîchen an.‘
froh und freundlich an.“
6084
,wilt du mich sîn niht erlân‘,
„Wenn du darauf bestehst“,
6085
sprach sî, ,sô tuon ich dir kunt
sprach sie, „so mache ich dir die Sache
6086
die sache gar unz ûf den grunt.‘
vollständig bis zum Letzten kund.“
6087
,Nein ich‘, sprach er, ,swaz ez ist,
„Ja, ich bestehe darauf “, sprach er, „was auch immer es ist,
6088
alsô liep sô du mir bist,
du bist mir so oder so lieb,
6089
sag mirz, liebez töhterlîn,
sag es mir, liebes Töchterlein,
6090
wen ez mac niht anders sîn.‘
weil es nicht anders sein kann.“
6091
sî sprach ,dâ hât er schulde vil
Sie sprach: „Da hat er sich sehr
6092
gên mir dem ich niemer wil
gegen mich versündigt, dem ich nie mehr
6093
mîn hulde mê gebieten.
meine Huld zuteil werden lassen will.
6094
der hof sol sich ouch nieten
Auch der Hof soll sich hier
6095
mit dienste ander ritter hie.
am Dienst anderer Ritter erfreuen.
6096
daz er mir getorste ie
Dass er je wagte, von mir
6097
mit bete sprechen an den lîp!
körperliche Hingabe zu erbitten!
6098
ê daz ich wolte noch sîn wîp
Bevor ich seine Ehefrau
6099
ald sîn âmîe werden,
oder seine Geliebte werde,
6100
ich wolt mich in die erden
wollte ich mich lieber lebendig
6101
lân lebendic betelben,
in der Erde begraben lassen
6102
ald ich wolt mich selben
oder wollte selbst weglaufen
6103
verlouffen als ein wildez tier.‘
wie ein wildes Tier.“
6104
bî der stunt dô marhte schier
In diesem Moment merkte der Vater
6105
der vater wie ez was gevarn.
auf einmal, was passiert war.
6106
er nam sî under sînen arn
Er nahm sie in den Arm
6107
und sprach ,liebez töhterlîn,
und sprach: „Liebes Töchterlein,
6108
dar umbe sol dîn herze sîn
darum soll dein Herz
6109
niht trûric alsô lange pfliht.
nicht länger traurig sein.
6110
ein solich sache dik beschiht
Eine solche Sache geschieht oft
6111
sunder valschen willen.
ohne böse Absicht.
6112
wir son diz mære stillen,
Wir wollen diese Geschichte verschweigen,
6113
daz sîn der hof iht werd gewar,
damit der Hof ihrer nicht gewahr wird,
6114
und söln den ritter wider har
und sollen den Ritter wieder hierher
6115
besenden und son schaffen
beordern und dafür sorgen,
6116
daz er solichez klaffen
dass er solche dummen Sprüche
6117
niemer mê getrîbe.
niemals wieder loslasse.
6118
ê daz ich dich ze wîbe
Bevor ich dich ihm
6119
im gæbe, daz sî dir bekant,
zur Frau gäbe, das sollst du wissen,
6120
ich wolt ê liute unde lant
wollte ich für immer
6121
lâzen êweclîche,
auf Leute und Land verzichten
6122
und wolte sicherlîche
und wollte bestimmt
6123
daz ellende biuwen.‘
im Elend leben.“
6124
,veterlîn, entriuwen‘,
„Väterlein und lieber Herr“,
6125
sprach sî, ,und lieber herre,
sprach sie, „im Vertrauen,
6126
diu ander sach ist verre
eine zweite Sache ist weit
6127
groezer denn diu selbe sî.
größer, als diese ist.
6128
der karge ritter saz mir bî,
Der hinterlistige Ritter saß bei mir,
6129
daz er mich bat der minne.
damit er mich um Liebe bat.
6130
dâ von im mîne sinne
Deswegen bringen ihm meine Sinne
6131
iemer tragent vîgentschaft,
immer tiefste Ablehnung entgegen,
6132
wan mîn herze ist behaft
weil mein Herz davon
6133
dâ von mit grôzer swære.
sehr belastet wird.
6134
ich sprach, mir wære unmære
Ich sprach, mir wäre sein Dienst
6135
sîn dienst ûf solich gedinge,
gegen solchen Lohn zuwider,
6136
wan ich mîn leben bringe
weil ich mein Leben
6137
alsô unz ûf daz ende,
beenden würde,
6138
ê daz ich iemer wende
bevor ich mein Herz jemals
6139
mîn herz gên sîme werben.
seinem Werben entsprechend wandeln würde.
6140
er sprach ,sô muoz ich sterben
Er sagte: » So muss ich sterben
6141
und iemer haben sendez leit.‘
und immer Sehnsucht leiden «.
6142
swaz er bat und ich verseit,
Wie sehr er auch bat und ich ihm eine Abfuhr erteilte,
6143
sô liez er doch dâ von niht abe.
so ließ er darum doch nicht von mir ab.
6144
gedröut, gebeten ich in habe
Ich habe ihm gedroht und ihn gebeten,
6145
güetlîch und mit zorne.
gütlich und mit Zorn.
6146
daz was gar ein verlorne
Das war ganz und gar
6147
und ein üppic erbeit.
verlorene und überflüssige Mühe.
6148
er bat und bat und ich verseit
Er bat und bat lange Zeit
6149
lang und lang und mange stunt.
und ich erteilte eine Absage nach der anderen.
6150
und dô im offenlîch wart kunt
Und als offensichtlich wurde,
6151
daz sîn werben niht vervienc
dass sein Werben nichts brachte
6152
und sîn dinc im anders gienc
und sein Plan anders verlief,
6153
denn er lîhte hât gedâht,
als er vielleicht gedacht hatte,
6154
und ich in ouch sô versmâht
und ich ihn auch so verschmäht
6155
hatte, dô er daz ersach,
hatte – als er das einsah,
6156
lugelîchen er dô sprach
erzählte er Lügenmärchen
6157
und zêch mich des ich nie gedâht
und zieh mich einer Sache, an die ich nie gedacht hatte
6158
und ouch niemer vollebrâht,
und die von mir, so glaube ich,
6159
als ich wæne, von mir wirt.
auch niemals getan wird.
6160
der gezig mîn herze swirt
Die Anschuldigung schmerzt mein Herz
6161
und gît mir sorgen wunder.
und bereitet mir große Sorgen.
6162
alsam ein swert mir under
Als ob mir ein Schwert
6163
mîner brüste stecke,
in der Brust steckte,
6164
sô lît der jâmers flecke
so liegt der Makel des Jammers
6165
âbent unde morgen
von früh bis spät
6166
endelîch verborgen
vollständig verborgen
6167
in mînes herzen sinne,
im Verstand meines Herzens,
6168
wan ich leit dar inne
weil ich darin immer Leid
6169
hân und trage iemer mê,
verspüre und immer mehr davon dulde,
6170
ezn werd an ime gerochen ê
wenn es nicht an ihm gerächt wird, bevor
6171
ich iemer froelîch müge sîn.‘
ich jemals wieder fröhlich sein kann.“
6172
er sprach ,liebez töhterlîn,
Er sprach: „Liebes Töchterlein,
6173
wâ von huop sich der gezige?
woraus speiste sich der Vorwurf?
6174
ob ich rehter triuwe phlige
Wenn ich dir gegenüber rechte Treue
6175
gên dir als ich billich sol,
pflege, wie ich billigerweise soll,
6176
sô mahtu sicherlîchen wol
so kannst du dich mir
6177
mir dînen sin entsliezen.
getrost anvertrauen.
6178
kint, lâ mich geniezen
Kind, ermögliche mir,
6179
daz ich liep leit unde klagen
dass ich Liebe, Leid und Klagen
6180
iemer mê wil mit dir tragen
immer mit dir gemeinsam tragen will,
6181
die wîl ich lebe einen tac.
solange ich lebe.
6182
swie ich daz gerihten mac
Wie immer ich es anstellen kann,
6183
daz dîn herz fröuden rûmet,
dass dein Herz der Freude Platz einräumt,
6184
daz wirt von mir gesûmet
wird das von mir nicht
6185
niemer halbe stunde.‘
eine halbe Stunde hinausgezögert.“
6186
sî sprach ûz rôtem munde:
Sie sprach aus rotem Mund:
6187
,Veterlî, des lôn dir got.
„Väterlein, das lohne dir Gott.
6188
mîn lîp sol in dîm gebot
Ich werde mich deinem Gebot
6189
sich dâ von iemer valten.
darum immer beugen.
6190
mîn herze muoz erkalten,
Mein Herz muss erkalten,
6191
swenn ich gedenke waz ez was,
wann immer ich daran denke, was es war,
6192
dâ mit der veige an êren laz
womit der Todgeweihte, an Ehren Träge
6193
betruobte mir herz unde lîp.
mir Herz und Leib betrübte.
6194
er zêch mich ich wære wîp
Er bezichtigte mich, ich wäre
6195
nâch kebeslîchem orden
heimlich die Dirne
6196
tougenlîchen worden
von dem aus Sachsen
6197
von dem ûz Sahsen landen.
geworden.
6198
swenn ich der grôzen schanden
Wann immer ich an die große Schande
6199
gedenke, sô er ûf mich treip,
denke, die er an mir verübte –
6200
daz mîn sin mir ie beleip
dass ich damals nicht den Verstand verlor,
6201
ald noch belîbet, daz ist nôt.
oder noch verliere, ist ein Unglück.
6202
ich mohte von dem schrecken tôt
Ich hätte vor Schreck sterben
6203
sîn, alsô bin ich verzegt.
können, so entsetzt war ich.
6204
diu sache sin und herze negt
Die Sache nagt mir an Verstand und Herz
6205
mir sam der rost ein îsen.
wie der Rost am Eisen.
6206
ich möht eins tages grîsen
Ich könnte eines Tages alt
6207
und grâwen von der swære,
und grau werden von der Bedrückung,
6208
daz der êren lære
dass der Ehrlose
6209
mich sô torst ie besprechen.
jemals so zu mir zu sprechen wagte.
6210
möht ich ez gerechen
Könnte ich es an ihm
6211
an im, er füert ez niemer hin.‘
rächen, triebe er es nie mehr so.“
6212
der vater sprach ,mîn kint, lâ sîn
Der Vater sprach: „Mein Kind, lass es gut sein
6213
und swîg; ich kan geschaffen wol
und schweig; ich kann gut dafür sorgen,
6214
daz der arge schanden vol
dass der Böse in Schande
6215
von uns muoz entwîchen.
von uns gehen muss.
6216
gar ûz allen rîchen
Aus allen Reichen will
6217
wil ich in vertrîben.
ich ihn vollständig vertreiben.
6218
jô mag er belîben
Nicht einmal in England
6219
niht in Engellanden.
kann er bleiben.
6220
sît daz er dich mit schanden
Da er ohne deine Schuld
6221
hât âne schult besprochen,
schändlich über dich gesprochen hat,
6222
zwâr daz wirt gerochen
wird das fürwahr an ihm
6223
an im daz er für dise stunt
gerächt, sodass er ab sofort
6224
niemer har ze hove kunt,
und ohne irgendeinen Aufschub
6225
ân aller slohte sûmen.
nie mehr hierher an den Hof kommt.
6226
zwâr er muoz mir rûmen
Wahrlich, er muss mir aus allen Ländern
6227
alliu lant swâ eht ich in
verschwinden, wo immer ich ihn etwa
6228
erstrîche; ich wil senden hin
erwische; ich werde Boten hin senden,
6229
boten die im widersagen.
die ihm die Treue aufkündigen.
6230
daz leit wil ich mit dir tragen
Das Leid werde ich mit dir tragen,
6231
die wîl ich leben iemer.
solange ich lebe.
6232
zwâr er kumet niemer
Fürwahr, wegen der großen Schuld,
6233
mê zuo mîner hulde
die er auf sich geladen hat,
6234
um die grôzen schulde
wird ihm nie mehr
6235
die er wol verdienet hât.
meine Huld zuteil.
6236
mîn sin mîn herze niemer lât
Mein Sinn, mein Herz lässt ihn nie mehr
6237
swâ ich in weiz belîben.‘
bleiben, wo immer ich von seinem Aufenthalt weiß.“
6238
sus hiez er balde schrîben
So ließ er schnell
6239
gên Lunders vîentlîche
in feindseliger Weise
6240
dem ritter sorgen rîche
dem sorgenvollen Ritter einen Brief
6241
einen brief der alsus was
nach London schreiben, der folgendermaßen
6242
geschriben reht als ich ez las:
geschrieben war, wie ich gelesen habe:
6243
,Friuntlich gunst gruozes biet
„Einen freundschaftlichen Gruß
6244
sol ich heizen schrîben niet
befehle ich nicht zu schreiben
6245
dem der ûf mîn laster gât
demjenigen, der auf meine Schmach sinnt
6246
und sich sô verschuldet hât
und solche Schuld gegenüber mir und
6247
gên mir und mînem kinde
meinem Kind auf sich geladen hat,
6248
daz ich niemêr erwinde,
dass ich niemals davon ablasse,
6249
ich reche die mortlîchen tât
die treulose Tat zu rächen,
6250
die sîn lîp begangen hât
die er, dem ich ganz vertraute,
6251
an mir, dem ich getrûte wol.
an mir begangen hat.
6252
iuwer sin daz wizzen sol,
Euer Verstand soll wissen,
6253
die schulde müezt ir arnen.
dass Ihr die Schuld büßen müsst.
6254
mîn widersagen iuch warnen
Meine Aufkündigung der Treue soll Euch
6255
sol iemer mê für dise stunt,
ab sofort und für immer eine Warnung sein,
6256
sît daz mir ist worden kunt,
da mir bekannt geworden ist,
6257
war umb mîn kint iuch vêhte
warum mein Kind Euch bekämpft.
6258
ich bat iuch und flêhte
Ich bat Euch und flehte,
6259
daz ir sî niht beswârtent.
dass Ihr sie nicht belasten würdet.
6260
nu hoer ich wol, ir vârtent
Nun höre ich wohl, Ihr seid
6261
mîner êr mit lâge.
meiner Ehre mit Hinterhältigkeit begegnet.
6262
mit twinclîcher frâge
Auf dringliches Fragen
6263
hât mir mîn kint vil gar enbart,
hat mein Kind mir ganz und gar offenbart,
6264
wie ir kebeslîcher vart
wie Ihr meine Tochter
6265
mîne tohter zîhent.
der Hurerei bezichtigt habt.
6266
tumbe ræte lîhent
Ihr habt Eurer Vernunft
6267
ir iuweren witzen.
törichte Berater gegeben.
6268
ir sont iuch entsitzen
Ihr sollt Euch wegen dieser Sache,
6269
um die sache, sî iuch kunt,
das müsst Ihr wissen, ab sofort
6270
vor mir iemer für dis stunt
für immer vor mir fürchten
6271
und vor den allen die mîn hant
und vor allen, die meine Hand
6272
mit gâbe über iuch ermant,
mit Geschenken gegen Euch ermutigt,
6273
die wîl ich ze gebende habe:
solange ich etwas zu verschenken habe:
6274
sô wil ich niemer lâzen abe,
So werde ich niemals davon ablassen,
6275
ir koment denn ze hulde
außer Ihr erlangt mein Erbarmen,
6276
alsô daz ir unschulde
indem Ihr dafür einen Reinigungseid
6277
dar um bietent und ouch tuont.‘
anbietet und auch ablegt.“
6278
sus der brief geschriben stuont
So stand der Brief geschrieben
6279
und wart gesendet schôn zehant
und wurde sogleich ordnungsgemäß
6280
gên Lunders hin ze Engellant.
Richtung London nach England gesandt.
6281
Dô im der bote komen was,
Als der Bote zu ihm gekommen war,
6282
er slôz den brief ûf unde las,
öffnete er [scil. der Ritter] den Brief und las,
6283
als ir dâ vor wol hânt gehôrt.
was ihr davor wohl gehört habt.
6284
sîn sin marhte wol diu wort
Sein Verstand begriff die Worte gut
6285
und entstuont sich dâ bî,
und wunderte sich darüber,
6286
daz diu kiusche wandels frî
dass die keusche Unwandelbare
6287
die sach ir vater hât enbart.
ihrem Vater die Sache offenbart hatte.
6288
dâ von sînem herzen wart
Davon wurde sein Herz
6289
sô wunde und sô rehte wê
so wund und so richtig weh,
6290
daz er vorhte iemer mê
dass er fürchtete, für immer
6291
in tôdes banden sîn gelegen
in den Banden des Todes gefangen zu sein
6292
für die nôt der er nu pflegen
wegen der Not, die er nun von der Strahlenden
6293
muose von der klâren.
erdulden musste.
6294
sîn sin sîn herze wâren
Sein Verstand und sein Herz waren
6295
im an hôhen fröuden tôt.
in Bezug auf große Freude wie tot.
6296
ez was gar ein ringe nôt
Es war eine wirklich geringe Not,
6297
swaz sîn lîp biz har ie leit
was immer sein Leib bisher gelitten hatte
6298
an daz jâmer daz bereit
im Vergleich zu dem Jammer, der nun
6299
nu wart sinen sinnen.
seinen Sinnen bereitet wurde.
6300
er wolt und muose minnen
Er würde und musste diejenige
6301
sî diu in stæte vêhte.
lieben, die ihn beständig bekämpfte.
6302
swaz sîn munt geflêhte,
Was immer sein Mund erflehte,
6303
daz widerseit ir herze.
verbat sich ihr Herz.
6304
der bitterlîche smerze
Der bittere Schmerz
6305
tet in an fröuden kranken.
schwächte seine Freude.
6306
in herzen und gedanken
Im Herzen und in Gedanken
6307
sach man liebe sûren.
sah man Liebe bitter werden.
6308
dur nôt sô muos er trûren
Wegen der Not musste er
6309
von grundes herzen sinne.
aus der Tiefe seines Herzens trauern.
6310
nu sagent an, frô Minne:
Nun sagt, Frau Minne:
6311
waz mære ist diz? waz meinent ir,
Was ist das für eine Geschichte? Was denkt Ihr Euch dabei,
6312
daz ir zweiger herzen gir
dass die Herzbegier dieser beiden,
6313
kunnent samen vâhen,
die einander nie zuvor gesehen haben,
6314
die nie ein ander sâhen,
am jeweils anderen festhält,
6315
und daz ir disen ritter hie,
während Ihr diesen Ritter hier,
6316
der lîp herze sinne ie
der Leib, Herz und Sinne seit jeher
6317
hât geleit in iuwer phliht,
in Euren Dienst stellte,
6318
lânt und went sin troesten niht?
fallen lasst und ihn nicht trösten wollt?
6319
Hie ist unschuldic minne.
Die Liebe ist hier unschuldig.
6320
der ritter sîne sinne
Der Ritter richtete seine Sinne
6321
kêrte har durch den verbunst.
aus Neid dorthin.
6322
swâ mit minne rehte brunst
Wenn, wo immer mit Liebe rechtmäßige Verliebtheit
6323
ûz frîgem herzen stiftet,
aus freiem Herzen erwächst,
6324
wirt dâ liep vergiftet
da die Liebe vergiftet wird
6325
mit des leides angel,
durch den Stachel des Leids,
6326
alsô daz man mangel
sodass man
6327
hât an hôhen sinnen,
unvernünftig wird,
6328
daz kunt niht von minnen,
kommt das nicht von der Liebe,
6329
und tuon iuch kunt war umbe.
und ich sage Euch, warum.
6330
ein blinde und ein stumbe
Ein Blinder und ein Stummer
6331
minnet daz in minnet.
lieben, was sie liebt.
6332
ein wildez tier besinnet
Ein wildes Tier verhält sich
6333
ist, daz ez treit holden muot
so, dass es dem gegenüber zutraulich ist,
6334
dem der im tugentlîchen tuot,
der es gut behandelt,
6335
und swer im güet verziuhet,
und wer immer es schlecht behandelt,
6336
daz ez den stæte fliuhet
vor dem flieht es
6337
und kunt niemer ûf sîn spor.
und folgt ihm niemals mehr.
6338
nu hânt ir gehôrt dâ vor
Nun habt ihr davor gehört,
6339
wie er sich in die liebe twanc
wie er sich zu dieser Liebe drängte
6340
und was daz sunder iren danc.
und dass das ohne ihre Billigung geschah.
6341
er hât sich dar betwungen.
Er hat sich dorthin gedrängt.
6342
ist im dâ misselungen,
Wenn er da keinen Erfolg hatte,
6343
wer mag im des? diu schuld ist sîn.
wer kann da etwas dafür? Die Schuld liegt bei ihm.
6344
minn ist ein solchiu meisterîn,
Liebe ist eine solche Meisterin
6345
diu sô hôhes namen pfligt,
die einen so hohen Namen trägt,
6346
daz sî allem dem gesigt
dass sie über alles siegt,
6347
an sô ûf der erd ie wart.
was jemals auf der Erde entstand.
6348
ûf rîch und arn unverschart
Unbefleckt verteilt sie sich gleichermaßen
6349
und êre und minnenclîche
auf Reiche und Arme
6350
teilt sî sich gelîche
und Ehrenvolle und Geliebte,
6351
dar nâch als man ir willen tuot.
je nachdem, wie man ihren Willen tut.
6352
minne ist der fröuden wünschelruot
Liebe ist ein Indikator der Freude,
6353
diu alle sorge kürzet.
die alle Sorge mindert.
6354
sî wahset unde würzet
Sie wächst und wurzelt
6355
in stæter herzen sinne.
im Verstand beständiger Herzen.
6356
swâ man aber die minne
Wo man die Liebe aber
6357
vindet ungenühtic,
unmäßig findet,
6358
dâ ist sî tobesühtic:
da ist sie wahnsinnig:
6359
daz kunt von unsinne.
Das kommt vom Unverstand.
6360
dâ ist unschuldic minne.
Da ist die Liebe unschuldig.
6361
sî meinet niht denn lûter guot.
Sie will nichts als das wahrhaft Gute.
6362
swer mischet und ze minne tuot
Wenn jemand irgendetwas
6363
keiner slahte gunterfeit,
Unechtes zur Liebe mischt
6364
ob ir süeze dâ bî treit
und ihre Süße dadurch den Stachel
6365
sûrer sorgen angel,
bitterer Sorgen trägt,
6366
des muoz er fröuden mangel
wird keine Freude haben,
6367
hân, swer sî dâ mischet.
wer auch immer sie da verunreinigt.
6368
alsus ouch hie verwischet
Genauso verlor hier der Ritter
6369
den ritter hôchgemüete,
seine freudige Stimmung,
6370
daz im sîn herze blüete
indem ihm sein Herz
6371
von angestlîcher swære.
aus ängstlicher Bedrückung blutete.
6372
der minne marterære
Der Märtyrer der Liebe
6373
enwiste waz er solte tuon,
wusste nicht, was er tun sollte,
6374
dô im wart des künges suon
als ihm die Vergebung des Königs
6375
und sîn huld alsô verseit.
und dessen Huld auf diese Weise versagt wurden.
6376
des wart sîn jâmer alsô breit
Davon wurde sein Kummer so breit
6377
und sô tief sô lanc sô wît
und so tief, so lang und so weit,
6378
daz er zuo der selben zît
dass er in diesem Moment
6379
mohte noch enkunde
trotz aller Anstrengung
6380
ein wort ûz sînem munde
kein Wort aus seinem Mund
6381
mit keinen sachen bringen.
bringen konnte.
6382
nu lêrt ze solchen dingen
Nun führt die Liebe
6383
minne mange fünde.
in solchen Fällen zu mancher Idee.
6384
wie er sich umbe wünde
Wie er sich mit Gedanken
6385
mit gedenken hin und her,
hin und her schlug,
6386
nu sus, nu sô, daz merke der
einmal so, einmal anders, das bemerkte,
6387
den minne ie hât versêret.
wen Liebe jemals versehrt hatte.
6388
nu hin nu har sî kêret
Einmal hierhin, einmal dorthin wendet sie
6389
sich gar wandellîche.
sich sehr wandelbar.
6390
der ritter sorgen rîche
Der sorgenvolle Ritter
6391
vant und erdâht im einen funt,
kam auf folgende
6392
der was alsô: im wart wol kunt
Idee: Ihm war sehr wohl bekannt,
6393
daz er mit keinen sinnen
dass er auf keine Weise
6394
niemer möht gewinnen
jemals wieder die Huld oder Gunst
6395
des künges hulde noch den gunst.
des Königs gewinnen könnte.
6396
dâ von in lêrte sîn vernunst
Daher lehrte ihn seine Vernunft
6397
und rieten im die sinne,
und rieten ihm die Sinne,
6398
er solt der küneginne
er sollte der Königin
6399
und Fontânâgrîse
und Fontanagris
6400
in friuntlîcher wîse
in freundschaftlicher Weise
6401
heizen wider schrîben,
zurückschreiben lassen,
6402
sî wolten in vertrîben
sie würden ihn ganz
6403
vil gar ân alle schulde.
unschuldig vertreiben.
6404
er sprach ,ich hân die hulde
Er sprach: „Ich habe die Huld
6405
mîner frowen hôhgeborn
meiner hochwohlgeborenen Herrin
6406
umb ander sache niht verlorn
aus keinem anderen Grund verloren,
6407
wan als ich bescheide.
als ich hier darlege.
6408
mîn sin mîn herze beide
Sowohl mein Verstand als auch mein Herz
6409
wâren ir ie undertân,
waren ihr stets zu Diensten.
6410
dâ mit ich verloren hân
Womit ich ihren wohlwollenden
6411
ir gunstlîchez grüezen.
Gruß verloren habe,
6412
daz was, ich sach die süezen
war, dass ich die Süße
6413
mit senfter minne banden
mit zärtlichen Liebesbanden
6414
bî dem ûz Sahsen landen
auf intime und angenehme Weise
6415
trûtlîch unde schône ligen.
bei dem aus Sachsen liegen sah.
6416
dâ von hât sî mir verzigen
Sie hat mir ihre sehr wertvolle
6417
ir vil werde hulde,
Huld entzogen,
6418
wan ich umb die schulde
weil ich sie wegen dieser Schuld
6419
sî strâfte tougenlîche.
heimlich zurechtwies.
6420
sô giht diu minneclîche,
Daher behauptet die Liebliche,
6421
ich wurbe umb ir minne.
ich würbe um ihre Liebe.
6422
daz mir in mîne sinne
Das kam mir nie
6423
nie kan: des swer ich einen eit.
in den Sinn: Das schwöre ich unter Eid.
6424
niht wan dar umbe daz mir leit
Nur weil mir die Schande
6425
was des rîches schande,
des Landes so weh tat,
6426
sô muos ich von dem lande
musste ich meiner Treue wegen
6427
umb mîne triuwe strîchen.
das Land verlassen.
6428
ich wil die minnenclîchen
Ich werde diesbezüglich als Zeuge gegen
6429
des übersagen, swâ man wil,
die Liebliche auftreten, wo immer man will,
6430
in kamphes rinc, mit strîtes spil
im Kampfring, im Wettkampf
6431
ald swie man mir erteilet.
oder wie immer man mir befiehlt.
6432
mîn leben wirt geveilet
Ich setze dafür mein Leben aufs Spiel,
6433
dar umb, wan ez ist sicher wâr.
denn ich sage bestimmt die Wahrheit.
6434
wil diu minneclîchiu klâr
Will die schöne Liebliche
6435
ir laster mit mir decken,
ihre Laster durch mich verbergen,
6436
sî kan an mir wecken
wird sie an mir den Zorn
6437
slâfendes hundes reizen.
eines schlafenden Hundes wecken.
6438
wil sî ûf mir erbeizen
Will sie auf diese Weise
6439
alsô mit irem zorne,
wütend über mich herfallen,
6440
sô muoz diu hôhgeborne
so muss die Hochwohlgeborene
6441
doch die schulde von mir hân,
doch durch mich Schuld tragen,
6442
wan ich spriche sî des an
denn ich klage sie deswegen an
6443
und wil ouch daz beherten.
und werde das auch beweisen.
6444
dâ müezent helme scherten
Darum werden Helme schartig
6445
umb, ob ichz gefüegen mac.
werden, wenn ich es einrichten kann.
6446
herre, machent einen tac,
Herr, bestimmt einen Tag,
6447
lânt mich für iuch komen dar
lasst mich dort vor Euch treten,
6448
sô daz ich mit trôste var
sodass ich mit Genugtuung in das Land
6449
hin und von dem lande.
und wieder zurück fahre.
6450
swie sî sich mac der schande
Wenn sie sich da der Schande
6451
mit wâren sachen dâ entladen,
mit wahren Argumenten erwehren kann,
6452
sô wil ich ûf mîn selbes schaden
will ich zu meinem Schaden
6453
den tôt mit urteile.
das Todesurteil annehmen.
6454
ob aber ich dem heile
Wenn ich aber ein Kind des Heils
6455
und den sælden bin geborn,
und des Glücks bin,
6456
daz ich anders niht verlorn
sodass ich die Huld der Hübschen nicht anders
6457
hân der zarten hulde,
als behauptet verloren habe,
6458
sô nement mîn unschulde
so akzeptiert meine Unschuld
6459
und lânt mich ze gnâden kon.
und gewährt mir Gnade.
6460
ich hân sicherlîch hie von
Ich habe ihre Huld bestimmt deswegen
6461
verlorn ir huld und anders niht,
und wegen nichts anderem verloren,
6462
swaz joch iemer mir beschiht.‘
was auch immer mir geschieht.“
6463
Sus lêrt diu minne liegen
So lehrt die Liebe lügen
6464
und wandellîchen biegen
und das Herz mit der Zunge
6465
daz herze mit der zungen.
wankelmütig verbiegen.
6466
in hât daz leit betwungen
Ihn hatte das Leid überwältigt,
6467
daz er niht wiste waz er tet.
sodass er nicht wusste, was er tat.
6468
minne grôziu wunder het
Liebe hat oft große Wunder
6469
dik gewürket und tuot noch,
gewirkt und tut es heute noch,
6470
und belîbt ze jungest doch
doch siegt am Ende stets
6471
stæt diu wâr gerehtekeit,
die wahre Gerechtigkeit,
6472
sô der lüge gunterfeit
sodass die Fälschung der Lüge
6473
smilzet sam des rîfen tuft
wie der Raureif in der
6474
von der warmen sunnen luft.
sonnengewärmten Luft schmilzt.
6475
Alsus beschach dem ritter hie.
Das geschah dem Ritter hier.
6476
sîn sach uneben ane vie
Seine Sache fing holprig an
6477
und nam ouch swachez ende.
und nahm auch ein schlechtes Ende.
6478
er schreip mit sîner hende
Er schrieb eigenhändig
6479
reht als ich dâ von hân geseit.
genau das, was ich darüber gesagt habe.
6480
der brief zesamen wart geleit
Der Brief wurde zusammengefaltet
6481
und verslozzen starke.
und fest verschlossen.
6482
er wart gên Tenemarke
Er wurde dem mächtigen König
6483
dem künge rîch gesendet.
nach Dänemark gesandt.
6484
dâ von wart gepfendet
Davon wurde
6485
diu junge küneginne
der jungen Königin
6486
an fröuden rîchem sinne,
ihre freudige Stimmung genommen,
6487
wan ez ir trûren brâhte.
denn es brachte ihr Trauer.
6488
,ei rîcher got‘, gedâhte
„Ei, guter Gott“, dachte
6489
sî, ,wie sol ez mir ergân?
sie, „wie wird es mir ergehen?
6490
ob ich nu niht kenpfen hân,
Wenn ich nun keinen Kämpfer finde,
6491
sô muoz daz laster wesen mîn,
so wird die Schuld auf mich fallen
6492
und muoz iemer mêre sîn
und ich werde für immer
6493
beroubet hôher êren.
großer Ehren beraubt sein.
6494
war sol ich mich kêren?
Wohin soll ich mich wenden?
6495
waz sol ich lân? waz sol ich hân?
Was soll ich unterlassen? Was soll ich tun?
6496
wie sol ez armen mir ergân,
Wie soll es mir Armer ergehen,
6497
sît daz der schanden rîche
da der Schändliche
6498
alsô lugelîche
solche Lügengeschichten
6499
mære ûf mich stenpfet?
über mich erzählt?
6500
wird ich überkenpfet,
Werde ich im Kampf besiegt,
6501
daz ist ein sache diu mir buoz
ist das eine Sache, aufgrund derer
6502
êren tuot, wan ich muoz
ich meine Ehre verliere, denn ich werde
6503
iemer mê in schanden ligen.
für immer in Schande versinken.
6504
mag ich im niht an gesigen,
Wenn ich ihn nicht besiegen kann,
6505
sô bin ich an fröuden tôt.
so bin ich für jegliche Freude tot.
6506
ouwê bitterlîcher nôt,
O weh, bitterliche Not,
6507
wie sol ich gebâren?‘
wie soll ich mich verhalten?“
6508
ir sin ir herze wâren
Ihr Verstand, ihr Herz und auch
6509
erstapt und al ir lîbes lider.
alle Glieder ihres Körpers waren erstarrt.
6510
sî dâht ,und gib ich ime wider
Sie dachte: „Und gewähre ich ihm wieder
6511
mîn verworhten hulde,
meine einmal entzogene Huld,
6512
sô lig ich in der schulde,
so trage ich Schuld
6513
und wirt mîn laster merre.
und nimmt mein Vergehen zu.
6514
diz mær ist alsô verre
Diese Geschichte hat sich
6515
ûz in disen landen komen,
außerhalb des Landes so weit verbreitet
6516
ez hât sô manic man vernomen
und so viele haben sie gehört,
6517
daz ez verswigen niht enwirt.
dass darüber nicht geschwiegen wird.
6518
sîn trugelîchez liegen birt
Sein betrügerisches Lügen verursacht
6519
mir hie grôzen smerzen.‘
mir hier große Schmerzen.“
6520
sî gap irem herzen
Sie gab ihrem Herzen
6521
mangen jâmerlîchen stôz.
manch schmerzhaften Stoß.
6522
ûz ir liehten ougen flôz
Aus ihren hellen Augen floss
6523
manic bitter heizer trehen.
manche bittere heiße Träne.
6524
,ouwê, wie sol mir beschehen?‘
„O weh, wie wird mir geschehen?“
6525
schrei sî lûte dicke.
schrie sie oft laut.
6526
,mich hânt der sorgen stricke
„Mich haben die Bande der Sorge
6527
beklæwet alsô sêre,
so fest ergriffen, dass,
6528
swar ich gên fröuden kêre
wohin ich mich auch um Freude
6529
mich, dâ bin ich gar verhagt,
wende, ich da ganz eingeschlossen bin
6530
sam ein hinde die man jagt
wie eine Hirschkuh, die man jagt
6531
in wildes waldes vorste.
im Forst des wilden Waldes.
6532
ei rîcher got, getorste
Ei, mächtiger Gott, wagte
6533
ald moht ich mit im vehten,
oder könnte ich gegen ihn kämpfen
6534
wolt got denn dem rehten
und würde Gott dann dem Rechtmäßigen
6535
helfen, sô genæs ich wol,
helfen, so wäre ich sicher gerettet.
6536
dem ich wol getriuwen sol,
Dem ich zu Recht vertraue,
6537
er lâz mich sîn geniezen,
der lasse mich nicht im Stich
6538
wil mir sîn trôst erschiezen
und gewähre mir seinen Trost,
6539
als er mangem hât getân.‘
wie er es schon bei manchem tat.“
6540
der künic sprach ,mîn kint Irkân,
Der König sprach: „Yrkane, mein Kind,
6541
rât an umb eine sache.
rate mir in einer Sache.
6542
wilt du daz ich im mache
Willst du, dass ich für ihn und
6543
und dir eins gerihtes tac,
dich einen Gerichtstag festsetze?
6544
ob er dich erziugen mac,
Wenn er gegen dich zu überzeugen vermag,
6545
sô sîn wir iemer êren blôz.
sind wir für immer unsere Ehre los.
6546
der sache schulde diu ist grôz
Die Schuld in dieser Sache,
6547
die er an dich sprichet.
die er dir vorwirft, ist groß.
6548
ob nu dîn munt versprichet
Wenn nun dein Mund den falschen Tag
6549
den tac, sô muost du schuldic sîn.
nennt, wirst du schuldig sein.
6550
berât dich, liebez töhterlîn,
Überleg dir, liebes Töchterlein,
6551
wie wir uns söllen halten,
wie wir uns verhalten sollen,
6552
ald du bist verschalten
oder du verlierst
6553
von allen dînen êren.
deine gesamte Ehre.
6554
lân wir in widerkêren
Lassen wir ihn wieder ins Land
6555
ze lande, daz ist ouch niht guot,
zurückkehren, ist das auch nicht gut,
6556
sît er diz mær sô offen tuot.‘
da er diese Geschichte so öffentlich macht.“
6557
Sî sprach ,ich kan gerâten niht.
Sie sprach: „Ich habe keinen Ratschlag.
6558
ich weiz wol, swaz mir geschiht,
Ich weiß sehr wohl, dass, was mir auch
6559
daz kunt von der unschulde,
widerfährt, von der rechtmäßigen Haltung kommt,
6560
daz ich im mîne hulde
dass ich ihm meine Huld
6561
iemer wolte geben wider.
jemals wieder geben wollte.
6562
ich wolt ê mînes lîbes lider
Ich ließe alle Glieder
6563
alliu lân zerhouwen,
meines Leibes zerschlagen,
6564
ê ich in wolte schouwen
bevor ich ihn
6565
offenlîch ald tougen
öffentlich oder im Geheimen
6566
mit friuntlîchen ougen:
mit freundlichem Blick anschauen wollte:
6567
ich liez mich ê zersnîden
Ich ließe mich eher zerschneiden
6568
und wolte lieber lîden
und wollte lieber hunderttausend
6569
hundert tûsent sterben,
Tode erleiden,
6570
ê ich in liez erwerben
bevor ich ihn jemals wieder
6571
iemer mîne hulde,
meine Huld erwerben ließe,
6572
wan swaz ich swære dulde
denn was immer ich an Bedrückung erdulde,
6573
daz hât sîn herze ûf geleit
das hat sein Herz mir angetan
6574
mit lugelîcher valscheit,
mit lügenhafter Falschheit,
6575
dâ von ich in niht schouwen mac.
weshalb ich ihn nicht mehr anschauen kann.
6576
veterlîn, mach einen tac,
Väterlein, bestimm einen Tag,
6577
lâ sehen wie ez welle ergân.‘
wir werden sehen, wie es kommt.“
6578
daz muoste sîn, ez wart getân.
Das musste sein, es wurde getan.
6579
ze Liniôn der rîchen stat
In die mächtige Stadt Linion
6580
von allen sînen landen hât
ließ er die Besten aus
6581
er besant die besten dar,
allen seinen Ländern befehlen,
6582
grâven frîgen ritter gar,
alles Grafen, Freie und Ritter,
6583
und swen er guoten mohte hân,
und wen er sonst noch für würdig erachtete,
6584
die kâmen. dâ zuo hâte man
die kamen. Dazu hatte man
6585
dem ritter frides trôst gegeben,
dem Ritter Waffenstillstand versprochen,
6586
daz sîn lîp und ouch sîn leben
auf dass sein Leib und auch sein Leben
6587
wær befridet ûf den tac
an dem Gerichtstag, der zu Linion
6588
der ze Liniôn dâ lac.
ausgerufen worden war, sicher wären.
6589
Nu kam diu zît; der fürsten schar
Nun kam die Zeit; die Schar der Fürsten
6590
riten allenthalben dar
ritt von überall her heran,
6591
durch der mære schouwe,
um zu sehen,
6592
wie sich diu juncfrouwe
wie sich die Jungfrau
6593
der sach entreden wolte
der Sache erwehren wollte,
6594
die der ritter solte
die der Ritter gegen sie
6595
ûffen sî bewæren.
beweisen sollte.
6596
nu kam von disen mæren
Aufgrund dieser Geschichte kam
6597
daz lant gemeinlîchen dar,
nun das ganze Land dorthin,
6598
rîch und arm gemeine gar,
Reich und Arm gar vereint,
6599
dô ez von in wart vernomen.
nachdem sie davon gehört hatten.
6600
von Engellanden was ouch komen
Von England war auch der Ritter
6601
der ritter, als mir wart geseit.
gekommen, wie mir gesagt wurde.
6602
ze velde wart der tac geleit
Der Gerichtstag wurde auf einem Platz
6603
ûffen einen wîten plân.
auf einer großen Ebene abgehalten.
6604
gestüelet wart dô sunder wân
Da war wirklich nach königlicher Art
6605
nâch küneclîcher pflihte,
ein Thron aufgebaut,
6606
wan dâ zuo gerihte
weil der König da
6607
der künic sitzen wolte.
zu Gericht sitzen wollte.
6608
swer zuo im sitzen solte,
Wer sich zu ihm setzen sollte,
6609
dem wart ouch schôn gestüelet dâ.
dem wurde auf angemessene Weise ebenfalls ein Stuhl aufgebaut.
6610
nu kan diu schoen Yrkâne sâ
Nun kam, unter der Last
6611
mit sorgen grôz betwungen.
großer Sorgen, die schöne Yrkane selbst.
6612
nu wart vil vast gedrungen
Nun drängte man vehement
6613
zuo des gerihtes ringe,
zum Gerichtsplatz,
6614
daz man die tegedinge
damit man die Verhandlung
6615
deste baz verhôrte.
umso besser hörte.
6616
nu wart bî einem worte
Nun wurde da mit einem Wort
6617
ein swîgen dâ gebotten,
Schweigen geboten,
6618
dâ von der liute rotten
wovon die Menschenmengen
6619
swigen tougenlîche.
andächtig verstummten.
6620
nu sprach diu minnenclîche,
Nun sprach die Liebliche,
6621
diu hôchgelopte künegîn,
die hochgelobte Königin:
6622
,herr und liebez veterlîn,
„Herr und liebes Väterlein,
6623
heiz verhoeren mîniu wort,
befiel, meinen Worten zu lauschen,
6624
biz daz ich sî ûf ein ort
bis ich sie vor euch allen
6625
künde vor iuch allen.
bis zum Ende verkündet habe.
6626
mîn lop ist gevallen
Mein Lob ist aufgrund
6627
mit ziges wân in schanden wât
einer falschen Anschuldigung
6628
von disem ritter der hie stât:
dieses Ritters, der hier steht, in Schande gefallen:
6629
des ich doch unschuldic bin.
Doch bin ich dessen nicht schuldig.
6630
herre vater, frâgent in
Herr Vater, fragt ihn,
6631
waz er von mir hab gesehen,
was er von mir gesehen habe,
6632
wie diu sache sî beschehen
wie die Sache geschehen sei,
6633
der er mich hie zîhet,
derer er mich hier bezichtigt
6634
und mit der er lîhet
und mit der er meiner Krone
6635
laster mîner krône.
Laster verleiht.
6636
mag ich mich des schône
Wenn ich mich dagegen nicht
6637
niht entreden, veterlîn,
angemessen verteidigen kann, Väterlein,
6638
sô muoz ich schulden teilic sîn
so werde ich an der großen Schande
6639
an der grôzen schande.
schuldhaft Anteil haben.
6640
ich triuwen aber ich stande
Ich vertraue aber darauf, dass ich
6641
der schuld und aller schanden blôz.‘
ohne Schuld und Schande bin.“
6642
nu wart diu red unmâzen grôz
Nun schwoll das Gerede der Leute
6643
von den liuten allen.
über die Maßen an.
6644
man hôrte lûte schallen
Man hörte den einen so,
6645
den einen sus, den andern sô.
den anderen so laut tönen.
6646
einre was der mære frô
Der eine freute sich über die Neuigkeit,
6647
und der ander leides vol.
der andere war voll des Leids.
6648
dirre übel, jenre wol
Dieser redete schlecht, jener
6649
redet zuo der sache.
gut bezüglich der Sache.
6650
nu wart der madels crache
Nun wurde der Lärm des Pöbels
6651
verboten; alsô daz beschach,
verboten; nachdem dies geschehen war,
6652
Fontânâgrîs dem ritter sprach
sprach Fontanagris zu dem Ritter:
6653
,sagt an, waz hânt ir gesehen?‘
„Sprecht, was habt Ihr gesehen?“
6654
der ritter sprach ,ich sol niht jehen:
Der Ritter sprach: „Ich werde nicht reden:
6655
diu küneginne vêhet mich.‘
Die Königin bekriegt mich.“
6656
,die schulde sag.‘ ,dâ nâ sag ich
„Die Schuld sollst du nennen.“ „Ich sage nach der Königin,
6657
wie diu sache ist gevarn.‘
wie die Sache sich verhielt.“
6658
sî sprach ,die wil ich enbarn
Sie sprach: „Die will ich euch
6659
iuch allen offenlîchen.
allen offen darlegen.
6660
von mir müeze wîchen
Von mir sollen Ehre und
6661
êre und alliu sælikeit,
alles Glück weichen,
6662
ob iuch von mir misseseit
wenn euch von mir auch nur
6663
werde umb ein einic wort.‘
ein falsches Wort gesagt wird.“
6664
swaz ir dâ vor hânt gehôrt,
Alles, was ihr davor gehört habt,
6665
wie er wolt nâch ir sterben
wie er ihretwegen sterben wollte
6666
und umb al sîn werben,
und von seinem ganzen Werben,
6667
umb sîn trûren, um sîn klagen,
seinem Trauern, seinem Klagen,
6668
umb sîn leit, um ir versagen,
seinem Leid, seinem Versagen,
6669
umb sîn dröuwen daz er tet,
seiner Drohung, die er aussprach,
6670
dô er sî gesehen het
da er sie aus der Hütte
6671
und von Brûneswîc den helt
schleichen gesehen hatte,
6672
und die juncfrôn ûz erwelt
den Helden aus Braunschweig
6673
ûz der hütten sliefen,
und die auserwählte Jungfrau,
6674
mangen siufzen tiefen
wie sie, heiße Tränen vergießend,
6675
sî mit heizen trehen liez,
manch schweren Seufzer ausstieß –
6676
schame sî ze rugge stiez
sie unterdrückte die Scham
6677
und seit ez allez daz er ie
und sagte alles, was er jemals
6678
mit ir rette und begie
mit ihr geredet und begangen hatte
6679
gar unz ûf ein ende.
ganz bis zum Schluss.
6680
dicke ir wîzen hende
Oft schlug sie da
6681
zesamen wurden dô geleit.
ihre weißen Hände zusammen.
6682
und dô sî allez daz geseit
Nachdem sie alles gesagt hatte,
6683
des ir herze sich entstuont,
woran ihr Herz sich erinnerte,
6684
dô tet sî als noch alle tuont
da tat sie, wie noch heute alle tun,
6685
die man schulde zîhet:
die man einer Schuld bezichtigt:
6686
der sin dem herzen lîhet
Der Verstand bereitete dem Herzen
6687
sorge sunder lougen.
fürwahr Sorge.
6688
daz herze gît den ougen
Das Herz gibt den Augen
6689
wazzer ûf und heize trehen.
Wasser und heiße Tränen.
6690
zehant gît der ougen sehen
Sofort verursacht der Anblick der Augen
6691
jâmer den gedenken.
den Gedanken Kummer.
6692
die gedenke senken
Die Gedanken können
6693
sich künnent wider sâ zestunt
sich sogleich wieder in die Tiefe
6694
tief in sendes herzen grunt
des sehnenden Herzens senken
6695
und schaffent daz sin unde muot
und bewirken, dass Verstand und Gemüt
6696
lîp and herze trûren tuot:
Leib und Herz traurig sind:
6697
als der zarten hie beschach.
Das widerfuhr hier der Zarten.
6698
dô sî allez daz gesprach
Nachdem sie alles gesagt hatte,
6699
daz sî sagen wolte,
was sie sagen wollte,
6700
dâ nâ der ritter solte
sollte auch der Ritter
6701
ouch sagen sîniu mære,
seine Geschichte erzählen,
6702
wie ez ergangen wære.
wie sie sich ereignet hätte.
6703
daz tet er schier. als daz beschach,
Das tat er sogleich. Als das geschah,
6704
vor in allen er dô sprach:
sprach er da vor ihnen allen:
6705
,Ich rede, sît ich sprechen sol.
„Ich rede, da ich reden soll.
6706
iedoch sô enbær ich wol
Jedoch verzichte ich darauf,
6707
des rîches schande künden.
die Schande des Reiches zu verkünden.
6708
muoz ich die hie durchgründen,
Wenn ich die hier zur Gänze aufdecken muss,
6709
daz gît mir sorge unde leit.
bringt mir das Sorge und Leid.
6710
ir hânt wunder hie geseit
Ihr habt hier weiß Gott was erzählt
6711
von mir und mîme werben.
von mir und meinem Werben.
6712
ich wil alsô sterben,
Ich will dafür sterben,
6713
daz in mînes herzen grunt
dass mir derartiges niemals mit Gedanken
6714
mit gedenken niemer kunt
in die Tiefe meines Herzens kommt
6715
noch sîn ouch nie gedâhte.
und ich auch niemals mehr daran denke.
6716
der grôze tiuvel brâhte
Der große Teufel brachte
6717
mich eben dar dâ ich ez sach,
mich eben dorthin, wo ich alles sah,
6718
allez daz von iuch beschach,
was ich Euch mitteilte,
6719
und setze dar an mînen lîp.
und dafür stehe ich mit meinem Leben ein.
6720
ich sach daz ir wurdent wîp,
Ich sah, dass Ihr » Frau« wurdet ,
6721
sam mir des rîches hulde.
die Huld des Reiches sei auf meiner Seite.
6722
ich biut ouch mîn unschulde
Ich schwöre auch bei meiner Unschuld,
6723
umb daz des ir mich hânt gezigen,
dass Ihr mich bezichtigt habt,
6724
daz mîn werben sî gedigen
meine Bemühungen hätten
6725
hin an iuwer minne.
auf Eure Liebe abgezielt.
6726
daz kan in mîne sinne
Das kam und kommt
6727
nie und kumet niemer,
mir nie in den Sinn,
6728
solt ich leben iemer,
solange ich lebe,
6729
wan ir diuhtent mich ze guot.
denn Ihr dünkt mich zu edel.
6730
daz iuwer ungenâde tuot
Was Eure Erbarmungslosigkeit
6731
gên mir sô vîgentlîche,
mir so feindlich antut,
6732
daz ist sicherlîche
rührt sicherlich
6733
umb keine sache anders niht,
nur daher,
6734
wan daz ich iuch strâfe pfliht
dass ich Euch in guter Absicht
6735
für guot tet umb die schulde.
zur Rede stellte.
6736
sus hân ich iuwer hulde
So habe ich Eure Huld
6737
verloren wunderlîche.
auf wunderliche Weise verloren.
6738
ich wil dâ von dem rîche
Ich will dem Reich dafür
6739
mîn leben gên ze pfande,
mein Leben als Pfand geben,
6740
daz ich mit keiner hande
dass ich mich auf keine
6741
sache anders hân verworht
andere Art gegen Euch
6742
gên iuch; ich tar unervorht
vergangen habe; ich traue mich, unerschrocken
6743
treten in eins kampfes rinc,
in den Kampfring zu treten, um zu beweisen,
6744
daz mir nie kein ander dinc
dass mir nichts anderes
6745
kan in mîn herz wan lûter guot.
in mein Herz kam als aufrichtig Gutes.
6746
swaz man mir ungenâden tuot,
Was man mir an Ungnade widerfahren lässt,
6747
des hân ich verschuldet niht.
habe ich nicht verschuldet.
6748
ich biute mich in kampfes pfliht
Ich stelle mich dem Kampf
6749
und wil treten in den kreiz,
und will in den Kreis treten,
6750
daz ich niemen lebender weiz,
auf dass ich niemand Lebenden kenne,
6751
ern sî von mir bestanden,
der nicht von mir besiegt würde.
6752
ich welle iuch der schanden
Ich will Euch im Kampf
6753
mit kampfe überstrîten.‘
die Schande nachweisen.“
6754
nu lepte in den zîten
Nun lebte zu dieser Zeit
6755
niht reschers ritters denne er was.
kein gewandterer Ritter als er.
6756
dâ von er vil kleine entsaz
Deshalb erwartete er überhaupt nicht,
6757
daz in ieman bestüende.
dass ihn jemand besiegen würde.
6758
er dâhte daz er süende
Er dachte, dass er sich umso
6759
sich mit der zarten deste baz.
besser mit der Schönen aussöhnen würde.
6760
dô diz beschach, der künic saz
Nachdem das geschehen war, saß der König
6761
in sorgen jâmerlîche.
in jämmerlichen Sorgen da.
6762
man hât in al dem rîche
Man hielt im ganzen Reich
6763
den ritter in der werdekeit,
den Ritter für so ehrenhaft,
6764
daz man geloupte swaz er seit
dass man ihm alles glaubte, was er sagte,
6765
und wolt des keinen zwîvel hân.
und daran nicht zweifeln wollte.
6766
sîn lîp sîn herze hât getân
Sein Leib, sein Herz hatte so
6767
sô manic ritterlîche tât
viele ritterliche Taten vollbracht,
6768
daz man in in dem lande hât
dass man ihn in dem Land
6769
sô trût sô liep sô rehte wert
so innig liebte und für so wertvoll erachtete,
6770
daz in der zît nie ritter swert
dass zu dieser Zeit niemals ein Ritter
6771
umb den lîp begurte,
das Schwert um den Leib schnallte,
6772
den man ze bûhurte,
den man im Buhurt,
6773
ze ernest und ze schinpfe,
im Ernstfall oder im Turnier,
6774
ze kraft und ze gelinpfe
an Kraft und an Angemessenheit
6775
bezzern funde denne er was.
für besser befand, als er war.
6776
man hât in liep und mahte daz
Man hatte ihn lieb und das bewirkte, dass
6777
er hie grôzen gunst gewan.
er hier große Unterstützung fand.
6778
wol und übel rette man
Gut und schlecht äußerte man sich
6779
dâ zuo, als noch vil geschiht
dazu, wie noch heute oft geschieht,
6780
dâ man solcher sache pfliht
wo man solche Dinge
6781
offenlîch erscheinet.
an die Öffentlichkeit trägt.
6782
swie ez daz herze meinet,
Wie immer es das Herz meint,
6783
alsô redet ouch der munt.
so redet der Mund.
6784
diz dinc wart offenlîchen kunt
Diese Sache wurde öffentlich kund
6785
und wart dâ zuo geredet vil.
und es wurde darüber viel geredet.
6786
der künic sprach ,min kint, ich wil
Der König sprach: „Mein Kind, ich will
6787
dir sagen wie ez dir ergât
dir sagen, wie es dir ergeht,
6788
nâ dem sô dîn sache stât.
nachdem deine Sache so steht.
6789
Du muost der schande schuldic sîn.
Du wirst der Schande schuldig sein.
6790
got erbarme daz du mîn
Gott erbarme, dass du mein
6791
kint ald ich dîn vater sî.
Kind bist und ich dein Vater bin.
6792
uns muoz iemer laster bî
Uns wird für immer der Makel
6793
wonen umb die schande.
der Schande anhängen.
6794
dem rîche und dem lande
Dem Reich und dem Land
6795
wirt unheil gemêret,
wird Unheil gemehrt,
6796
sît daz du entêret
weil du die Krone
6797
die krône hâst und dâ bî mich.
entehrt hast und damit auch mich.
6798
ald ein anderz, du muost dich
Steht der Fall anders, musst du dich
6799
hie ze kampfe bieten.‘
hier dem Kampf stellen.“
6800
die herren alle rieten,
Die Herren rieten alle,
6801
man solt sî und den küenen
man sollte sie und den Kühnen
6802
minnenclîchen süenen:
im Guten versöhnen:
6803
des wolte sî gestatten niht.
Das wollte sie nicht zulassen.
6804
sî sprach ,swaz joch mir beschiht,
Sie sprach: „Was auch immer mir geschieht,
6805
ich wil des kampfes warten.‘
ich werde den Kampf annehmen.“
6806
man riet der vil zarten
Man riet der allzu Zarten
6807
dâ von; sî wolte niuwan dar.
davon ab; sie bestand darauf.
6808
,swie got welle, sô gevar‘,
„Es geschehe, wie Gott will“,
6809
sprach sî ûz sorgen bitter.
sprach sie aus bitterer Sorge.
6810
nu wart ir und dem ritter
Nun wurde ihr und dem Ritter
6811
mit urteil erteilet,
das Urteil gesprochen,
6812
sît er sîn leben veilet
nachdem er sein Leben aufs Spiel setzte
6813
und sî ouch umb ir êre,
und auch sie ihre Ehre.
6814
mit urteillîcher lêre
Mit Urteilsspruch wurde
6815
wart der kampf gesprochen
der Kampf für einen Termin
6816
von der zît sehs wochen
in sechs Wochen und drei Tagen
6817
und drîge tage, sô man seit,
angesetzt, so sagt man,
6818
nâ kampfes gewonheit,
nach der Gewohnheit des Gerichtskampfes,
6819
als ie dô was und noch ist.
wie es früher war und noch heute ist.
6820
moht aber in der selben frist
Könnte die Gute aber
6821
diu zart mit keinen sinnen
innerhalb dieser Frist durch irgendeine Kunst
6822
einen helt gewinnen,
einen Helden finden,
6823
der kampflîch für sî væhte,
der im Kampf für sie fechten würde,
6824
swenn sî den dar bræhte,
wenn sie ihn dorthin brächte,
6825
sô mohte sî wol lidic sîn
so konnte sie zu Recht von der großen Schuld
6826
der grôzen schuld alsô ob in
frei sein, wenn der Ritter
6827
der ritter an der stunde
ihn zu dieser Stunde
6828
mit kampf niht überwunde.
nicht im Kampf besiegte.
6829
dar an sî sich vil trôste
Daraus zog sie großen Trost
6830
und dâhte, daz sî lôste
und dachte, dass irgendwo ein Ritter,
6831
etswâ ein ritter dem ir leit
dem ihr Leid weh täte
6832
tæte wê und der bereit
und der mit heldenhafter Gesinnung
6833
wær ze rehter ritterschaft
und männlicher Kraft zu rechter Ritterschaft
6834
mit heldes sin und mannes kraft.
bereit wäre, sie erlösen würde.
Bitte geben Sie mindestens 3 Anfangsbuchstaben eines Wortes ein (Mittelhochdeutsch oder Neuhochdeutsch).
Elisabeth Martschini (Übers. und Hg.)
Reinfried von Braunschweig.
Band I, Verse 1 – 6.834. Mittelhochdeutscher Text nach Karl Bartsch.
Erstmals mit Übersetzung aus dem Mittelhochdeutschen.
Der mittelhochdeutsche Minne- und Abenteuerversroman „Reinfried von Braunschweig“ ist anonym überliefert, er entstand nach dem Fall von Akon 1291 und wird in Ermangelung eines überlieferten Titels nach seinem Protagonisten benannt. Inhaltlich besteht der „Reinfried von Braunschweig“ aus zwei voneinander im Wesentlichen unabhängigen Teilen, deren erster dem Brautwerbungsschema entspricht, während der zweite eine Reise- bzw. Heimkehrergeschichte erzählt. Dem in einer einzigen Handschrift überlieferten, im unvollendeten Satz abbrechenden Text fehlt der Schluss.
Band I (Verse 1-6.834)
Auf der Suche nach Ruhm und Ehre reitet Reinfried von Braunschweig zu einem Ritterturnier in die dänische Stadt Linion. Als gefeierter Sieger im Lanzen- und im Schwertkampf wird er mit einem Kuss der wunderschönen Königstochter Yrkane geehrt. Einem Kuss aus dem sich eine folgenschwere Liebesgeschichte entwickeln soll.
Solivagus-Verlag
434 Seiten, Hardcover, Fadenheftung, Personen- und Ortsregister, Stellenkommentar, Erscheinungsdatum: 3. Januar 2018, Format: 12,6 x 21 cm
Sprache:Mittelhochdeutsch, Deutsch
ISBN:978-3-943025-34-7
86,00 €
Die Lieferung innerhalb Deutschlands erfolgt kostenfrei.
Bei Lieferungen innerhalb der EU erheben wir eine Versandkostenpauschale.
Weitere Informationen finden Sie in unseren AGB.