Vers Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
1 Des muot sô wirdeklîche stât Wessen Gesinnung eine so ehrenvolle ist,
2 daz er unfuoge niht enlât dass er keine Unanständigkeiten
3 gesigen in sîns herzen grunt, Eingang in sein Herz finden lässt,
4 daz mac niht sîn, im werde kunt Bei dem kann nicht ausbleiben, dass ihm schließlich
5 ze jungest hôher sælden teil. hohe Glückseligkeit zuteil werde
6 gotes lôn, der welte heil Gottes Lohn, das Heil der Welt
7 muoz man vil tiur erringen. muss man sich sehr hart erarbeiten.
8 ûz dornen rûch entspringen Aus wilden Dornen sieht man selten
9 siht man selten guote fruht. gute Frucht hervorgehen.
10 sô wirt ouch grôziu ungenuht So wird auch kein böses Unkraut
11 an süezem stammen niht gesehen. an süßem Stamm gesehen.
12 bî guotem guot, sô hoer ich jehen, Von Gutem gut, höre ich sagen,
13 bî süezem süez, bî argem arc, von Süßem süß, von Schlechtem schlecht,
14 bî miltem milt, bî kargem karc, von Freigebigem freigebig, von Hinterlistigem hinterlistig,
15 bî frechem frech, bî zagen zagen von Kühnem kühn, von Zaghaftem zaghaft
16 wirt man, hoer ich die wîsen sagen. wird man, höre ich die Weisen sagen.
17 des sönt die jungen nemen war. Davon sollen die Jungen hören.
18 herz unde sinne sönt ie dar Herz und Sinne sollen zu aller Zeit
19 mit den gedenken vehten, mit den Gedanken dorthin streben,
20 swâ man ze êren flehten wo immer man sich durch
21 sich siht mit wirdeclîcher tât. ehrenvolle Tat Ehre erwirbt.
22 ein reine leben selten hât Ein reines Leben hat noch selten
23 genomen ein swachez ende. ein schlechtes Ende genommen.
24 in dirre welt ellende Auf dieser vergänglichen Welt
25 wart nie sô reines noch sô guot entstand nie etwas so Reines oder Gutes
26 als êre, der ir rehte tuot. wie die Ehre, wenn einer ihr gemäß handelt.
27 sî bringet gotes hulde. Sie bringt Gottes Wohlwollen.
28 êr ist ein übergulde, Ehre ist der größte Schatz,
29 für allez lop gewæhet, vor allem Lob verherrlicht,
30 sît sî sich gote næhet, weil sie Gott nahe ist,
31 und bringet ouch der welte gruoz, und sie findet auch in der Welt Anerkennung.
32 diu man beide haben muoz, Wer in der Welt herumkommt,
33 swer mit der welte umbe gât. muss beides haben.
34 dâ von mîn tumbez herze hât Deswegen hat sich mein einfältiges Herz
35 sich an ein mær verphlihtet. in den Dienst einer Geschichte gestellt.
36 wirt daz mit rede voldihtet, Wird diese auserzählt,
37 ir hoerent wunderlîchiu dinc. hört ihr wunderbare Dinge.
38 der welt ende und ir ursprinc Das Ende der Welt und ihr Ursprung
39 ist liep und leit, naht unde tac. sind Freude und Leid, Nacht und Tag.
40 des ein vil hôher fürste phlac, Das beherzigte ein hochwohlgeborener Fürst,
41 der ie nâ prîs der welte vaht, der stets nach dem Ruhm der Welt strebte
42 und hât dâ bî tac unde naht und dabei Tag und Nacht
43 in herzen gotes vorhte. im Herzen gottesfürchtig war.
44 swaz werk er ie geworhte, Was er auch immer tat,
45 diu wâren an untæte laz, das war an Unrecht arm,
46 wan er der êren nie vergaz: weil er nie die Ehre vergaß:
47 der kunde er wol geschônen. Darauf wusste er Rücksicht zu nehmen.
48 des wolt ouch got im lônen Das wollte auch Gott ihm dort im Himmel
49 in himel dort, ûf erden hie, und hier auf der Erde vergelten,
50 wan got den sînen nie verlie denn Gott lässt den Seinen
51 in keiner nôt gestecken. in einer Notlage niemals im Stich.
52 der âne zwîvels flecken Wer jemals ohne den Makel des Zweifels
53 ie sîner helfe ruohte seine Hilfe begehrte
54 und gnâde an in suohte, und ihn um Gnade ersuchte,
55 dem was sîn trôst und helf bereit. dem wurden sein Trost und seine Hilfe zuteil.
56 ich sag iuch als mir wart geseit Ich erzähle euch, wie mir erzählt wurde,
57 sunder lougen âne trüge. ohne Lug und Trug.
58 daz ich mit worten umbe flüge, Um mit Worten zu jonglieren,
59 dâ zuo sô ist mîn sin ze kranc, ist mein Verstand zu schwach;
60 und würd diu rede ouch lîht ze lanc. auch würde die Rede leicht zu lang.
61 des lâz ich ir vil under wegen Deshalb lasse ich unterwegs viele von ihnen [scil. den Worten] weg
62 und wil einvalteclîchen stegen und will in einfacher Weise
63 ûf der âventiure wân dem Pfad der Aventiure folgen,
64 der ich mich underwunden hân. derer ich mich angenommen habe.
65 Hie vor ein werder fürste was Es war einmal ein edler Fürst,
66 der zuht und êr ie an sich las der aufgrund freigebiger und ritterlicher Handlungsweise
67 mit milt und ritterlîcher tât, Anstand und Ehre zu seinen Tugenden zählte,
68 dâ von sîn lop geblüemet stât weshalb sein Ruhm immer mit
69 früht iemer unverdorben. frischen Früchten in Blüte stand.
70 ist im der lîp erstorben, Ist er gestorben –
71 wel nôt? Sîn lop doch hôhe swept. welche Not? Sein Ruhm wird dennoch hochgehalten.
72 wê dem verzagten der sô lept Weh dem Verzagten, der so lebt,
73 swenn im der lîp alhie verstirbt, dass sein Ruhm mit dem Körper vergeht,
74 daz sîn lop mit dem lîb verdirbt. wenn der Körper auf Erden stirbt.
75 des tet er niht, sîn leben was Das tat er [scil. der Fürst] nicht. Sein Leben war
76 gehertet sam ein adamas wie ein Diamant gehärtet
77 an starker ritterlîcher tât. durch kraftvolles ritterliches Handeln.
78 unfuoge im nie bekrenket hât Unpassendes Verhalten hat ihm nie
79 sînes vesten herzen brust, die Brust seines tapferen Herzens geschwächt.
80 ein helt an ritterlîcher just, Ein Held in ritterlicher Tjost,
81 ein schûr bî vîentlîcher tât, ein Schutz bei feindlichem Angriff,
82 ein vester friunt bî friundes rât. ein beständiger Freund beim Rat der Freunde.
83 daz liez er dicke werden schîn. Das ließ er oftmals erkennen.
84 bî guotem guot, sô kund er sîn, Gegenüber Gutem gut, so wusste er zu sein,
85 bî sûrem sûr, bî starkem starc. gegenüber Hartem hart, gegenüber Starkem stark.
86 sîn stæte triwe sich nie verbarc, Seine beständige Treue versteckte sich nie,
87 wan er ir vesteclîchen wielt. weil er sie unaufhörlich pflegte.
88 der helt sô ritterlich sich hielt Der Held verhielt sich so ritterlich,
89 daz man noch iemer von im seit. dass man noch immer von ihm erzählt.
90 sîn wirde billich sol gespreit Seine Würde soll zu Recht
91 für alle herren werden, vor allen Herren verbreitet werden,
92 daz sî bî sîn geberden damit sie aus seinem Handeln
93 nemen bezzerunge war. Besserung ziehen.
94 den guoten kunde er halten gar Den Guten wusste er ehrenvoll
95 nâch êren, als diu mâze hiez. zu behandeln, wie das rechte Maß es erforderte.
96 den knehten knehtes reht er liez Auch den Knechten ließ er nach Maß ihr Recht
97 ouch in der mâze als ez gezam. zuteil werden, wie es sich gehörte.
98 kein schalc ze sînem râte kam Kein niedriger Mensch nahm an seiner Ratsversammlung teil,
99 der riete wider êren phliht, der gegen die Erfordernisse der Ehre geraten hätte,
100 als man nû herren râten siht. wie man heutzutage Herren raten sieht.
101 Des muose im êre wahsen. Daraus möge ihm Ehre erwachsen.
102 Westevâl und Sahsen Westfalen und Sachsen waren
103 dienden beidiu sîner hant. beide unter seiner Herrschaft.
104 sîn nam sô wîte was erkant Sein Name war so weit bekannt,
105 daz man im hôher êren jach. dass man ihm hohe Ehren zuerkannte.
106 des ouge in doch nie an gesach, Selbst den, dessen Auge ihn nie gesehen hatte,
107 den hôrte man in prîsen. hörte man ihn loben.
108 des zühterîchen wîsen Des hochanständigen Weisen
109 lop hât alliu lant durchflogen. Ruhm hat alle Länder durchflogen.
110 man nant den selben herzogen Man nannte diesen Herzog
111 Reinfrit von Brûneswîc. Reinfried von Braunschweig.
112 sîn fuoz ab rehter êren stîc Sein Fuß wich niemals um ein Haar
113 nie verruhte umb ein hâr. vom Weg der rechten Ehre ab.
114 sîn lîp ûf vier und zwênzic jâr Er war
115 an alter hât die zît vertriben. vierundzwanzig Jahre alt.
116 dur muotgelust was er beliben Freiwillig war er
117 wirdeclîch sunder êwîp. ehrbar ohne Ehefrau geblieben.
118 er pînte leben unde lîp Um der Ehre willen strapazierte er Leben und Leib
119 dur êre in werder ritterschaft. in edlem ritterlichen Kampf.
120 sin lîp der hât wol ritters kraft, Sein Körper hatte sehr wohl die Stärke eines Ritters,
121 mit der sîn herze spilte. mit der sein Herz kokettierte.
122 ze swerte sper und schilte Sein Verstand und sein Denken richteten sich
123 stuont sîn sin und der gedanc; auf Schwert, Lanze und Schild;
124 wan er nâ ritterschaft ie ranc denn er strebte immerfort nach Ritterschaft
125 und hât doch sunder lougen und hatte dabei doch
126 dâ mite got vor ougen, fürwahr Gott im Blick,
127 den er ûz herzen nie verlie. den er niemals aus dem Herzen verlor.
128 ein man der mac dort unde hie Ein Mann kann da und dort
129 erwerben ritterlîchen solt. ritterlichen Lohn erwerben.
130 ritters orden dem ist holt Gott ist dem Ritterstand wohl gesonnen,
131 got, ob er ritterlîchen stât wenn er so ritterlich ist,
132 als in got selbe gordent hât. wie Gott selbst ihn eingerichtet hat.
133 Des ist iez aber leider niht, Heutzutage ist das aber leider nicht der Fall,
134 sît daz man witwen weisen siht denn man sieht in allen Ländern,
135 in allen landen machen die Taten von Rittern
136 von ritterschefte sachen. Witwen und Waisen hervorbringen.
137 des tet er niht, sîn ritterschaft Er tat das nicht; sein Rittertum
138 was schirm und schilt mit ganzer kraft war mit ganzer Kraft Schutz und Schild
139 vor aller slahte freisen. vor jeglicher Bedrohung.
140 gên witwen unde weisen Gegenüber Witwen und Waisen
141 hielt er sunder twâle hielt er sich ohne zu zögern
142 den orden von dem grâle, an die Regel des Grals,
143 der Titurel und Anfortas die Titurel und Anfortas
144 ze Munsalvalde geben was, in Munsalvalde gegeben worden war.
145 hielt er mit kiuscher stætekeit, Er hielt sie mit keuscher Beständigkeit,
146 als uns für wâr diz mære seit. wie uns diese Geschichte fürwahr berichtet.
147 Sus fuor sîn prîs dur alliu lant. So verbreitete sich sein Ruhm in allen Ländern.
148 er wart sô wîtenen erkant Er wurde so weitum bekannt,
149 daz man im hôher wirde jach, dass man ihm hohe Würde zusprach,
150 wan er für sîn genôze brach weil er seinesgleichen
151 an êre und an werden siten. an Ehre und edlen Gepflogenheiten übertraf.
152 nu kunt eins tages în geriten Nun kam eines Tages, als man gerade
153 ein knapp, dô man ze tische gie, zu Tisch ging, ein Knappe angeritten,
154 den er vil wirdeclîche enphie den er [scil. Reinfried] sehr würdevoll empfing
155 und hiez im schaffen guot gemach, und dem er es angenehm zu machen befahl,
156 wan des ze zîten vil geschach, weil das damals in der Regel demjenigen zuteil wurde,
157 swer ûz ald în dô kam geriten: der auszog oder angeritten kam:
158 er spurte nâ künc Artûs siten Er folgte dem Brauch des König Artus,
159 daz man alle die enpfie dass man alle die empfing,
160 swer ûz ald în ze hove gie, die zum Hof kamen oder ihn verließen,
161 und phlac der keiserlîchen wol und sorgte so gut für die Hochwohlgeborenen,
162 dâ nach sô man denn leben sol. dass man sich daran ein Beispiel nehmen soll.
163 Alsus ouch hie des knappen wart So kümmerte man sich auch hier, seiner Herkunft
164 gepflegen wol nâch sîner art entsprechend gut um den Knappen
165 daz es in dûhte mê dan gnuoc. dass es ihn mehr als ausreichend dünkte.
166 als man die tische al hin getrouc Nachdem man die Tafel
167 nâ manger grôzer wirtschaft nach einem großen Mahl,
168 der dâ was mê denn überkraft, an dem wirklich nichts gefehlt hatte, aufgehoben hatte,
169 dô stuont er ûf und rette alsô da stand er auf und sprach wie folgt:
170 ,fürste hêr, bis iemer frô „Erhabener Fürst, sei immer froh
171 umb daz keiserlîche leben über das fürstliche Leben,
172 daz got ze sælden hât gegeben das Gott dir zum Glück für
173 dir ze dirre welte frist. diese Erdenfrist gegeben hat.
174 dîn lop sô verre erschollen ist Dein Lob ist so weit
175 dur manic wîtez rîchez lant. durch viele ferne Länder erklungen.
176 dîn nam dîn wirde sint erkant Dein Name, deine Würde sind so weit
177 sô wît und alsô verre und so fern bekannt,
178 daz ûf der welt kein herre dass auf Erden kein Herr
179 lept an wirde dîn genôz. lebt, der dir an Würde gleichkommt.
180 dîn êr dîn lop sô bodenlôs Deine Ehre und dein Ruhm sind so grenzenlos,
181 kan niemen gar durgründen. dass niemand sie vollständig beschreiben kann.
182 sus hoer ich wîten künden So höre ich weitum künden
183 dîn lop in allen landen dein Lob in allen Ländern:
184 sich hât dîn lîp ver schanden Du hast dich bisher aus freiem Willen
185 behüetet har mit frîger ger. vor jeglicher Schande bewahrt.
186 dâ von sô bin ich verre her Deshalb bin ich von fern hierher
187 ze dînem hove gestrichen, an deinen Hof gezogen
188 und künt dir sicherlichen und künde dir verlässlich,
189 sunder rede zâfel ohne blumige Worte,
190 ein ritterlîch runttâfel: von einer ritterlichen Tafelrunde:
191 dar kument rotten starke. Dorthin kommen starke Scharen.
192 sî hat von Tenemarke Die [scil. die Tafelrunde] hat die Tochter des Königs
193 des künges tohter ûf geleit, von Dänemark einberufen,
194 von der schoen man wunder seit von deren Schönheit man sich
195 wît in aller lande kreiz. in weitem Umkreis Wunder erzählt.
196 sich hebet dâ manic puneiz Da hebt sich mancher Stoß
197 von starker tjostiure. von starker Tjost.
198 in der âventiure Zu dieser Aventiure
199 ligent zwei hundert ritter sind zweihundert Ritter gekommen,
200 die sunder vorhte zitter die, ohne vor Furcht zu zittern,
201 mit stechen einen tac wol werent gut einen Tag mit Stechen überstehen
202 alle die es an sî gerent. gegen alle, die sie herausfordern.
203 und swer der best ist mit dem sper, Und wer der beste mit der Lanze ist,
204 dem gît diu minneclîchiu hêr, dem gibt die liebliche, hehre,
205 diu süeziu wol getâne, die süße wohlgestalte,
206 diu junge schoene Yrkâne, die junge schöne Yrkane,
207 von Tenemark des künges kint, das Kind des Königs von Dänemark,
208 der ouch die âventiure sint, von der diese Aventiure auch handelt,
209 ein junge turteltûben. eine junge Turteltaube.
210 bezeichenlîche klûben Man soll ihre Keuschheit
211 sol man ir kiuschekeit dar an, daran nur symbolisch rauben,
212 sît daz ir herze nie gewan denn ihr Herz gewann bisher weder
213 âmîs noch wart âmîe. einen Geliebten, noch wurde es Geliebte.
214 diu süeze wandels frîe Die süße Makellose
215 kiusche mit einvaltekeit verfügt über die durch die Taube bezeichnete
216 bezeichent mit der tûben treit: Keuschheit und Reinheit:
217 des hoert man sî noch gesten. Dafür wird sie heute noch gerühmt.
218 man siht ir schoene glesten Man sieht ihre Schönheit
219 sô verre sunder lougen. ganz ungelogen weithin glänzen.
220 ir spilet ûz den ougen Ihr leuchtet die Liebe
221 diu minne mit ir stricke. mit ihren Fallstricken aus den Augen.
222 ei got waz strenger blicke Ach Gott, was für stechende Blicke
223 sî girdeclîche schiuzet! sie voll Begierde verschießt!
224 der sælden tou begiuzet Der Tau des Glücks benetzt
225 ir herze ir leben und ir muot. ihr Herz, ihr Leben und ihre Gesinnung.
226 dar kunt sô manic ritter guot Dorthin kommt so mancher gute Ritter
227 gevarn ûz verren rîchen, aus fernen Reichen gereist,
228 daz sî die minneclîchen auf dass sie alle die Liebreiche
229 beschouwen dur ein wunder. wie ein Wunder bestaunen.
230 der strenge minne zunder Der starke Zündstoff der Liebe
231 ist in ir munt versunken, ist in ihren Mund gefahren,
232 daz man der minne funken dass man die Funken der Liebe
233 dar ûz möht sehen gneisten. daraus sprühen sehen könnte.
234 die vart solt du dar leisten: Die Fahrt dorthin sollst du auf dich nehmen:
235 des wirt dîn lop geblüemet. Davon wird dein Lob geschmückt.
236 dîn wirde ist gerüemet Deine Würde wird
237 sô verre und alsô wîte, so fern und so weit gerühmt, dass,
238 swar ich der lande rîte in welche Länder auch immer ich
239 diu breiten phat, den smalen stîc, auf breiten Pfaden, auf schmalen Steigen ritt,
240 sô frâget man ,von Brûneswîc man fragte: » Von Braunschweig
241 der werde fürste kunt der dar?‘ der edle Fürst, kommt der dorthin? «
242 alsus in allen landen gar Auf diese Weise wird wirklich in allen Ländern
243 sô wirt dîn nam genennet – auch in denen man dich nicht persönlich kennt –
244 dâ man dich niht erkennt. dein Name genannt.
245 Des soltu niht belîben. Deswegen sollst du dich nicht aufhalten.
246 von megden noch von wîben Es gab nie eine schönere Schar
247 wart schoener massenîe nie von Jungfrauen und Frauen,
248 denn nu ze disem hove hie als sich jetzt zu diesem Hoftag hier
249 sich sament ûz gesundert. in besonderer Weise versammeln.
250 diu künegîn fünf hundert Die Königin hat sich und fünfhundert andere
251 mit ir hât rîch bekleidet. prunkvoll eingekleidet.
252 swem daz ze sehende leidet, Wem dieser Anblick nicht gefällt,
253 der ist niht werdes gruozes wert. der ist edlen Grußes nicht wert.
254 und swer der best ist mit dem swert, Und wer der Beste mit dem Schwert ist,
255 dem ist ouch hôhez lop bereit. dem winkt auch großer Ruhm.
256 diu junge küneginne treit Die junge Königin trägt
257 ein küssen an ir mündelîn: ein Küsschen auf ihren Lippen:
258 daz sol er nên, wan ez ist sîn, Wer es mit Lob erringt,
259 swer ez mit lop erringet. der soll es nehmen, denn es ist sein.
260 diu minneclîche ez bringet Die Liebliche bringt es ihm
261 mit einem umbevange. mit einer Umarmung.
262 sî drucket wang an wange Sie drückt Wange an Wange
263 und munt an munt, daz ist sîn lôn. und Mund auf Mund, das ist sein Lohn.
264 ein vingerlîn sô gît diu schôn Einen Ring steckt die Schöne
265 im ouch an sînen vinger. ihm auch an seinen Finger.
266 sîn nôt ist deste ringer Wessen Lob in so hohem Ansehen steht,
267 iemer mê die wîl er lept, dass er ihre Huld erwirbt,
268 swes lop sô hôhe in wirde swept dessen Not ist gering,
269 daz er verdienet iren gruoz. so lange er lebt.
270 nu gênt mir urlop, herre, ich muoz Nun lasst mich gehen, Herr, ich muss
271 noch strîchen verre in frömdiu lant, noch weiter in fremde Länder eilen,
272 die âventiure tuon bekant.‘ um die Aventiure bekannt zu machen.“
273 Sus hât der knappe geseit. Dieses hat der Knappe gesagt.
274 der werde fürste unverzeit Der edle unverzagte Fürst
275 sprach ,lâ dich niht betrâgen. sprach: „Lass es dich nicht verdrießen.
276 ich muoz dich fürbaz frâgen Ich muss dich weiter fragen,
277 wer in der mark mit namen lige, wer sich namentlich in der Mark aufhält.
278 ob ich sô hôher sælden phlige Wenn ich so großes Glück habe,
279 daz sich mîn muot ellendet dar, dass meine Gesinnung in die Fremde strebt,
280 daz ich doch wizze wie ich var muss ich doch wissen, wie ich reise
281 und war ich solle rihten mich.‘ und wohin ich mich wenden soll.“
282 der knappe sprach ,daz wîs ich Der Knappe sprach: „Das zeige ich
283 dich, rîcher fürste hôch erborn. dir, mächtiger, hochwohlgeborener Fürst.
284 die runttâfel hât gesworn Zur Tafelrunde hat sich der Landesherr
285 von Tenemark des landes wirt, von Dänemark verpflichtet,
286 ein künic den schande gar verbirt, ein König, der sich gänzlich jeder Schande enthält
287 und ist genant Fontânâgris. und Fontanagris genannt wird.
288 von Schotten den künc Lôrîs Loris, den König von Schottland,
289 siht man ouch bî im rîten, sieht man auch bei ihm reiten,
290 und bî ir beider sîten und an ihrer Seite
291 rît Lerân von Berbester, reiten Leran von Berbester und
292 ein herzog von Wintsester Herzog Parlus
293 Parlus der fürste ziere. von Winchester, die Zierde der Fürsten.
294 sus man die herren viere So findet man diese vier Herren
295 mit zwein hundert ritter vint, mit zweihundert Rittern,
296 wan sî zesamen komen sint weil sie in Linion,
297 ze Liniôn der houbetstat der dänischen Hauptstadt,
298 in Tenemarke, dar man hât zusammen gekommen sind, wo man
299 den selben turnei hin genomen. das erwähnte Turnier anberaumt hat.
300 vil werder helt, dar solt du komen Edelster Held, dorthin sollst du dich schleunigst aufmachen,
301 nu schier ze mitter meigen zît damit du um die Mitte des Monats Mai,
302 diu mit kunft uns nâhe lît. der bald kommt, dort eintriffst.
303 dâ sol man vinden ritterschaft. Da wird man Ritterschaft finden.
304 ich wæne wol daz groezer kraft Ich glaube wohl, dass größere Stärke
305 von herren würd gesament nie von Herren noch nie zusammengebracht wurde,
306 sô nu ze disen zîten hie.‘ als hier und jetzt.“
307 Der fürste sprach ,ich hân den sin Der Fürst sprach: „Ich denke,
308 daz ich mich rüsten wil dâ hin, dass ich mich dorthin aufmachen werde,
309 ob mir got gan der selben zît wenn Gott mir gewährt, bis zum Termin
310 ze lebende als der turnei lît: des Turniers am Leben zu bleiben:
311 sô lân ich mich dâ vinden. Dann lasse ich mich dort sehen.
312 ich wil ie niht erwinden, Ich werde nicht zurückkehren,
313 ich schouwe dâ der fürsten schar.‘ ehe ich da die Schar der Fürsten gesehen habe.“
314 sus hiez er balde bringen dar So befahl er, dem Knappen
315 dem knappen rîcher gâbe solt rasch reichen Sold zu geben,
316 und sprach ,ich muoz dir iemer holt und sprach: „Ich werde dir immer gewogen
317 wesen dur die frumekeit, sein wegen des Umstandes,
318 daz du den hof mir hâst geseit, dass du mir von dem Hoftag erzählt hast,
319 dar ich mich wærlich rihten wil. wohin ich mich zum Kampf gerüstet wenden will.
320 ich bin dâ ûf dem selben zil, Ich komme dorthin,
321 mich irre, des ich niht enweiz, wenn mich nicht etwas, wovon ich noch nichts weiß,
322 solich sach von der geheiz aus zwingenden Gründen
323 ich niht enmüge vor noeten starc.‘ davon abhält.“
324 er gap dem knappen zehen marc Er gab dem Knappen zehn Mark
325 und rîchiu kleit und liez in varn und wertvolle Gewänder und ließ ihn abreisen
326 und bat got sîner verte warn. und bat Gott, ihn auf seiner Reise zu behüten.
327 Des seit der knappe im dankes gruoz. Dafür dankte der Knappe ihm.
328 gên sîner gâbe er ûf den fuoz Für das Erhaltene verneigte er sich
329 im schôn und zühteclîchen neic. hübsch anständig und tief vor ihm [scil. Reinfried].
330 ich weiz daz er sîn niht versweic Ich weiß, dass er seinen Namen nannte,
331 swâ er vor hôhen fürsten stuont. wo immer er vor einem hohen Fürsten stand.
332 tet man eht dô als sî nû tuont Hätte man damals gehandelt, wie die es heute tun,
333 die guot für êr went triuten! die Besitz der Ehre vorzuziehen belieben!
334 ich hoer sî vor den liuten Ich höre sie vor den Leuten
335 ûf mangen werfen lobes braht, manchen mit Lob überhäufen,
336 der doch in schanden lît verdaht: der doch bis über beide Ohren in Schande steckt:
337 diz tuot er umb ein alte wât. Er tut das um einen alten Lumpen.
338 dâ bî er ungerüemet lât Dabei lässt er den Edlen ungerühmt
339 und treit dem werden hazzes nît, und trägt ihm den Neid des Hasses nach,
340 ob er im gâbe niht engît. wenn er ihm nichts gibt.
341 waz daz? er ist dest arger niht, Was soll das? Er ist nicht umso böser,
342 ob der frome strâfe phliht wenn der Fromme ihm
343 verdolt von solichen sachen. die gerechte Strafe für solche Dinge erlässt.
344 kein gernder mac geswachen Kein gernder kann den Ruhm des Frommen
345 des fromen lop, sîn art sîn leben. schwächen, nicht seine Abstammung und auch nicht sein Leben.
346 er mag ouch êre niht engeben Er kann umgekehrt auch keine Ehre dorthin bringen,
347 dar dâ sî ungehûset hât. wo sie niemals zuhause war.
348 der gernden orden alsô stât, Die Regel der gernden lautet,
349 der fromen lop ûf künden, dass sie das Lob der Frommen verkünden
350 und die in schanden bünden und die strafen sollen,
351 sint, die sönt sî strâfen. die in Schande leben.
352 des muoz ich schrîgen wâfen Darum muss ich laut aufschreien
353 über mangen affen, über manchen Affen,
354 der dur eins giegen klaffen der glaubt, sein Laster werde durch
355 wænt sîn laster sî verdruht das Geschrei eines Narren übertönt,
356 und er doch hât ze schanden fluht. und der dennoch bei der Schande Zuflucht findet.
357 Des was niht hie: der gernde kneht So war es hier nicht: Der für sein Sprechen entlohnte Knappe
358 tet sînem lop mit lobe reht; tat seinem [scil. Reinfrieds] Ruhm mit Ruhm Recht;
359 wan swer sîn lop ze lobe leit, denn wer seinen Ruhm zu Ruhm legt,
360 dâ stât nâch lobe der êren kleit dem gereicht das Kleid der Ehre zum Ruhm
361 und zieret wirde reine, und ziert die reine Würde,
362 alsam die edeln steine wie rotes Gold aus Arabien
363 tuot rôtez golt von Arâbi. die edlen Steine ziert.
364 und swâ man den der lobes frî Und wo man den, der frei von Ruhm
365 ist, mit lobe bekleidet hât, ist, mit Ruhm bekleidet hat,
366 reht als der siuwe ein satel stât, geht er unter der Last des Ruhmes
367 sô gât er under lobes soun. wie eine Sau unter dem Sattel.
368 sîn lop zergât alsam der troun Sein Ruhm zergeht wie der Traum,
369 der blinden troumet umb ir sehen. den Blinde von ihrer Sehfähigkeit träumen.
370 an lop sol man die wârheit spehen: An Ruhm soll man die Wahrheit erkennen:
371 unlop bî lobe niht gezam. Schmähung und Ruhm zu vermischen, ziemt sich nicht.
372 alsus der knappe urlop nam So nahm der Knappe Abschied
373 und kunte fürbaz in diu lant und trug die Nachricht von der Aventiure weiter
374 die âventiure, als ir wol hânt in die Länder, wie ihr davor
375 dâ vor vernomen umb sin vart, in rechter Weise von seiner Reise, zu der
376 dar umb er ûz gesendet wart. er ausgesandt worden war, vernommen habt.
377 Nu lâzen got des knappen phlegen. Nun lasst Gott sich um den Knappen kümmern.
378 wie er gefüere under wegen, Wie es ihm unterwegs erging,
379 daz lâzen sîn und hoerent wie das lasst sein und höret, wie
380 von Brûneswic der fürste an vie der Fürst von Braunschweig sich
381 sich rihten ûf die selben vart. für diese Reise zu rüsten begann.
382 dô im sô ûz der mâze wart Als ihm die junge Yrkane so
383 diu junge Yrkân gerüemet, über die Maßen gepriesen worden war –
384 wie daz ir lop geblüemet und wie sie durch Schönheit
385 ob allen frouwen hôhe flüge übergroßen Ruhm auf sich zog,
386 und wie sî mit der schoene züge wovon ihr Name an Würde
387 an sich sô übermæzic lop, über allem Lobpreis schwebte –
388 dâ von ir nam an wirde op wovon ihr Namen an Würde
389 allem prîse swepte, über allem Ruhm schwebte –
390 und hôrt daz niemen lepte und er hörte, dass niemand lebte,
391 an schoene an zühten ir genôz, der ihr an Schönheit und Anstand gleichkam,
392 dâ von im in sîn herze flôz floss ihm, an sie denkend, davon
393 ein smerze mit gedenken. der Schmerz in sein Herz.
394 ein süezez jâmer senken Eine süße Sehnsucht nach ihr
395 begunde er in sîns herzen grunt schlich sich tief in sein Herz,
396 nâ ir, daz er etlîcher stunt sodass er einige Stunden
397 sich selben gar verdâhte. ganz in seinen Gedanken versunken war.
398 zehant im aber brâhte Schnell brachte ihm sein Verstand
399 der sin ander unmuoze, wieder anderes Ungemach
400 wie er sich nâ ir gruoze wie er sich ihretwegen
401 solt erbeiten ûf die vart auf die Reise machen sollte,
402 der er dur niht wendic wart. von der ihn nichts abbrachte.
403 Daz leit er an, nu hoerent wie. Nun hört, wie er die Sache anging:
404 er hiez besenden alle die Er befahl, all jene zu informieren,
405 an den im triuwe was bekant deren Treue ihm bekannt war
406 und swel er in dem sinne vant und von denen er wusste,
407 daz sî des kunden ruochen, dass sie mit ihm
408 ob er den hof wolt suochen, auf seine Reise kämen,
409 daz sî füeren mit im dar. wenn er besagten Hof aufsuchen wollte.
410 die nam er al ze sîner schar Die nahm er alle in seine Schar auf
411 und hiez sî vazzen in ein kleit, und befahl, sie gleichartig zu kleiden,
412 wol ahzic ritter, sô man seit, gut achtzig Ritter, so sagt man,
413 junc unde starc, des lîbes frech. jung und stark, auf ihre Körperkraft vertrauend.
414 und grôziu ros swarz als ein bech Und große Rösser, schwarz wie Pech,
415 hiez er gewinnen dur diu lant. befahl er in den Ländern zusammenzusammeln.
416 swaz man von rîcher koste vant, Was man von hohem Wert befand –
417 orse kleider liehtiu wât, Pferde, Kleider, hell glänzendes Gewand –
418 dâ mit diu welt iez umbe gât, womit die Welt jetzt geizt,
419 des wolt er hân mê dan genuoc. davon wollte er mehr als genug haben.
420 sîn herz sô frîgen willen truoc Sein Herz war so freigebig,
421 daz er dur kost niht wolte lân dass er sich durch keine Kosten von etwas abhalten lassen wollte,
422 swaz man ze êren solte hân. das einem zur Ehre gereichen würde.
423 Daz tuont doch iez die herren niht. Das machen die Herren heutzutage nicht.
424 in hôher fürsten hof man siht Am Hof hoher Fürsten sieht man
425 klein guot dik wider êren sparn. oftmals auf Kosten der Ehre an Kleinigkeiten sparen.
426 des muoz ir hêrschaft werden arn: Davon wird ihre Herrschaft arm werden:
427 wan swaz man gên den êren spart, Denn was man auf Kosten der Ehre spart,
428 daz wirt doch ûf unêren vart das wird zuletzt doch auf dem Pfad der Schande
429 ze jungest lasterlich verzert. auf lasterhafte Weise vernichtet.
430 alsus der herren guot ververt. So geht das Gut der Herren verloren.
431 des tet er niht, er kunde lân Das tat er [scil. Reinfried] nicht, er wusste
432 ze rehter zît und kund ouch hân zu rechter Zeit zu geben und auch
433 in der mâze daz er nie Maß zu halten, sodass in ihm nie
434 scham umbe hân noch lân enphie. Scham über Haben oder Geben aufstieg.
435 alsus er sich ûf ruste. So rüstete er sich.
436 under sîner bruste In seiner Brust
437 lag ie verborgentlîch diu magt, verborgen lag stets die Jungfrau,
438 von der der knappe hât gesagt, von der der Knappe erzählt hatte,
439 diu süeziu wol getâne, die süße, wohlgestalte,
440 diu minneclîch Yrkâne, die liebliche Yrkane,
441 der schoen für alle frouwen brach. deren Schönheit alle Frauen überstrahlte.
442 daz strenge süeze ungemach Das harte süße Ungemach
443 tet in ersiufzen dicke. ließ ihn oftmals aufseufzen.
444 im hât der minne stricke Das Band der Liebe hat ihm
445 sîn wildez herz gezemmet, sein unbändiges Herz gezähmt
446 mit süezer nôt beklemmet und mit süßer Not beklommen gemacht,
447 mê denne er vor wær gewon. mehr als er es zuvor gewohnt gewesen war.
448 zuo dem hove was im dâ von Deshalb hatte er es so eilig,
449 sô gâch daz er niht wolte tweln. an den Hof zu gelangen, dass er nicht warten wollte.
450 ûf siben soumer sunder zeln Sieben Lasttiere befahl er, ohne darüber Buch zu führen,
451 hiez er golt und silber tragen. mit Gold und Silber zu beladen.
452 er luot vil mangen starken wagen Er belud manch starken Wagen
453 mit kleinet harnasch liehter wât, mit Kleinodien, Rüstungen, hell glänzender Kleidung,
454 daz fürsten wol ze êren stât. was ehrbaren Fürsten wohl geziemt.
455 Sus hât er sich gerüstet wol. So hatte er sich gut gerüstet.
456 drivalteclichen, swaz man sol Was man haben sollte,
457 hân, daz fuort er mit im dar. führte er in dreifacher Ausführung mit sich.
458 nu kan diu zît ouch nâhe gar Nun rückte die Zeit auch schon sehr nahe,
459 dar ûf der turnei was geleit. auf die das Turnier gelegt worden war.
460 dâ von der helt von hûse reit Daher ritt der Held von zuhause weg,
461 mit rîcher koste keiserlich. reich und fürstlich ausgestattet.
462 sîn schar mit grôzen rotten sich Seine Schar breitete sich
463 zerspreit ûf acker und ûf velt. mit großen Rotten über Äcker und Felder.
464 sîn lop nâ hôher wirde gelt Sein Lob nach der Geltung hoher Würde
465 was mê denn lange wernde. währte mehr als lange.
466 ob iemen dâ wær gernde Ob da jemand nach
467 umb êre guot? jâ, der was vil. großer Ehre strebte? Ja, deren waren viele.
468 von rotten harphen seiten spil Von rotten, Harfen, Saitenspiel,
469 tambûr bûsûn schalmîgen Tamburinen, Posaunen und Schalmeien
470 hôrt man in lüften schrîgen hörte man es in der Luft dröhnen
471 sam ungewiters dunres krach. wie beim Donnergrollen eines Unwetters.
472 der dôz dur tal und berge brach Der Schall brach durch Täler und Berge,
473 daz ez dâ von moht zittern. dass es davon vibrierte.
474 er fuor mit ahzic rittern Er [scil. Reinfried] fuhr mit achtzig Rittern,
475 gerüstet wol nâ ritters lop. gerüstet, wie es Rittern gut ansteht.
476 von tanphe swebet ein nebel op Vom Dampf schwebte ein Nebel über
477 in, swele strâze sî joch riten, ihnen, auf welcher Straße sie auch ritten;
478 gar nâ keiserlîchen siten ganz fürstlich
479 rûschent sam daz Wuotes her. stürmten sie wie das Heer Wotans heran.
480 ir rîten mahte sunder wer Ihr Reiten führte unweigerlich dazu,
481 daz der melm und ouch daz loup dass der Staub und auch das Laub
482 ob in hôh in den lüften stoup, über ihnen hoch in die Luft stiegen,
483 als ob ez allez brünne. als würde alles brennen.
484 sîn oberestiu wünne Seine [scil. Reinfrieds] größte Wonne
485 was niuwan der gedenken war allein der Gedanke an diejenige,
486 diu im ze herzen senken die sich ihm unsichtbar
487 sich kunde unsihteclîche. ins Herz zu senken wusste.
488 diu süeze minneclîche Die süße Liebliche
489 im nie kam ûz den sinnen. kam ihm nie aus dem Sinn.
490 sîn herze muose minnen Sein Herz musste lieben,
491 die doch sîn ouge nie gesach. die sein Auge doch nie gesehen hatte.
492 ich wæn ez selten ie beschach Ich glaube, es geschieht nicht oft,
493 daz sich ein herz lâ binden, dass sich ein Herz binden lässt,
494 ê daz daz ouge vinden bevor das Auge sein
495 künne sîn listic girde. listiges Begehren finden kann.
496 sît nâch des ougen wirde Denn nach dem, was dem Auge gefällt,
497 ein herz ûf minn sich rihtet, richtet sich ein Herz auf Liebe;
498 daz ouge muoz gephlihtet das Auge muss dem Herzen
499 ze boten an daz herze sîn. als Bote dienen.
500 und swie sî went, der ougen schîn, Und wohin immer es den Blick wendet,
501 dâ volget sin und herze nâch. dahin folgen Verstand und Herz nach.
502 wie kam ez dô daz hie sô gâch Wie kam es dann, dass hier das Herz
503 dem herzen was mit sinnen dar mit den Sinnen so eilig zu ihr drängte,
504 ê ir daz ouge næme war? noch bevor das Auge sie erblickt hatte?
505 Des wil ich iuch ûz rihten Das will ich euch genau erklären
506 und ûf ein ende slihten, und bis zum Ende darlegen,
507 ob mir got gan der sinne. wenn Gott mir den Verstand dazu gab.
508 ich sprich daz rehtiu minne Ich sage, dass rechte Liebe
509 sî sô gar gehiure allen Lebewesen
510 für alle crêâtiure so ganz und gar angenehm ist,
511 daz sî niht wan des besten gert. dass sie ausschließlich das Beste begehren.
512 nu hât den hôhen fürsten wert Nun hat den hohen werten Fürsten
513 diu stætiu minne enzündet. die beständige Liebe entzündet.
514 dem herzen wart gekündet Das Herz schloss Bekanntschaft
515 ein sendez lieplich ungemach. mit einem sehnenden lieblichen Ungemach.
516 dar inne man ez ligen sach Darin sah man es
517 verworren und verwalken. verwirrt und verwelkt liegen.
518 an einer leige valken An einer Falkenart
519 spür ich ein lobelîche art, erkenne ich eine so ehrbare Haltung,
520 daz im sô wê von hunger wart dass keinem von ihnen jemals so weh vom Hunger
521 nie, daz er iht næme wurde, dass er irgendein Aas genommen hätte,
522 âz daz im missezæme: das ihm nicht bekommen wäre:
523 er lite ê hungers smerzen. Eher litte er die Schmerzen des Hungers.
524 er wil niht wan der herzen Er will nichts außer den Herzen
525 im ze spîse niezen. als Speise zu sich nehmen.
526 daz merken kan în giezen Die Beobachtung zeigt,
527 daz er des besten niuwan wil. dass er nichts als das Beste will.
528 alsus wil ouch der minne spil Genauso will auch das Spiel der Liebe
529 gewalteclîch in herzen ligen. mit Kraft in Herzen liegen.
530 swenn im daz herz lât an gesigen, Wenn das Herz die Oberhand behält,
531 sô ist ouge und ôre tôt. sind Auge und Ohr machtlos.
532 daz herze alleine lîdet nôt Das Herz alleine leidet Not
533 und kan ouch trôst enphâhen. und kann auch getröstet werden.
534 ein oug sich mac vergâhen Ein Auge kann sich übereilen,
535 sô daz ein herze umbehuot sodass ein unbewachtes Herz
536 dick wider sînem willen tuot oft aus unvernünftiger Liebe
537 an unbesinter minne. gegen seinen Willen handelt.
538 minn ist ein meisterinne Die Liebe ist eine Meisterin,
539 diu sich ie hât geflizzen des, die sich seit jeher dadurch auszeichnet,
540 daz sî niht nâ dem winkelmez dass sie nicht nach dem Winkelmaß,
541 sunder ougen rihten wil. sondern nach dem Auge richtet.
542 irs gewaltes ist sô vil Ihre Gewalt und ihre
543 und irre wunderlîcher kraft, wundersame Kraft sind so groß,
544 swar sî sich senket enkerhaft, dass, wohin sie sich gleich einem Anker senkt,
545 dâ muoz ir maht ouch ob geligen. dort ihre Macht auch oben zu liegen kommt.
546 oug unde herze an gesigen Sie kann Auge und Herz
547 kan sî mit gewaltes maht. mit der Macht ihrer Gewalt besiegen.
548 diu minne im an sîn herze vaht Die Liebe griff ihm sein Herz an
549 und woldez best zem êrsten. und wollte es auf der Stelle.
550 sî wîst in an die hêrsten Sie lehrte ihn die hehrste,
551 lobelîchesten minne löblichste Liebe,
552 die in keins herzen sinne die bisher noch niemals
553 ie ungesehen wâren komen. ohne Anblick in ein Herz gelangt war.
554 man hât ze Tenemark vernomen Man hatte in Dänemark sehr wohl
555 wol von des werden fürsten kunft, von der Ankunft des Fürsten gehört,
556 der iez mit ritterlîcher zunft der jetzt mit ritterlicher Würde
557 und mit hôhes brahtes dôn und mit lautem Getöse
558 was bî der stat ze Liniôn; bei der Stadt Linion war,
559 dar ouch der turnei was geleit. wo auch das Turnier anberaumt war.
560 Fontânâgrîse wart geseit, Fontanagris, dem König aus
561 dem künge ûz Tenemarke, Dänemark, wurde gesagt,
562 wie daz mit maniger barke wie der von jeder Schande Freie
563 wær kon der schanden træge, mit vielen Schiffen gekommen war;
564 ich mein von Norwæge ich meine den jungen König
565 der junge künic Palarei. Palarei von Norwegen.
566 sîn sorge diu was gar enzwei, Seine Sorge war ganz und gar verflogen,
567 dô er sach der ritter schar als er die Schar der Ritter
568 zuo sîgen allenthalben dar schnell zu allen Seiten
569 vast ze allen sîten. hernieder steigen sah.
570 von Brûneswic für rîten Der von Braunschweig befahl
571 hiez und balde gâhen, vorauszureiten und sich sehr damit zu beeilen,
572 im herberge enphâhen ihm in der Stadt eine
573 wirdeclichen in der stat. standesgemäße Unterkunft aufzutreiben.
574 daz was versûmet, wan sî hât Da waren sie zu langsam,
575 Lôrîs der Schotten vogt belegen denn Loris, der Herr der Schotten,
576 und Parlus ein vil werder degen, und Parlus, ein überaus edler Held,
577 der herzog ûz Berbester. der Herzog aus Berbester, hatten sie [scil. die Stadt Linion] belegt.
578 Jôrân von Wintsester Auch Joran von Winchester
579 mit herberg in der stat ouch lac, hatte Herberge in der Stadt genommen,
580 wan er der âventiure phlac. da er wegen der Aventiure gekommen war.
581 Sus was er gar versûmet. So war er wirklich zu langsam gewesen.
582 im mohte niht gerûmet Ihm konnte keine Herberge
583 herberge werden sîner schar. für seine Schar frei gemacht werden.
584 Sî fuoren zuo dem künge dar, Sie wandten sich an den König,
585 ich mein Fontânâgrîsen. ich meine Fontanagris.
586 nâch herberge wîsen Sie baten seine Hoheit,
587 bâten sî sîn werdekeit. sie zu einer Herberge zu weisen.
588 er sprach ,der turnei ist geleit Er sprach: „Das Turnier ist draußen,
589 hin für die stat ûf einen plân, auf einer Ebene vor der Stadt, anberaumt,
590 wan wir niht dinne wîte hân. weil wir drinnen keinen Platz haben.
591 dâ herbergent ûf daz velt. Lagert auf dem Feld.
592 ich schaffe iuch hütten und gezelt, Ich beschaffe euch Hütten und Zelte,
593 dâ ir nâ lobelîcher maht wo ihr auf ehrenhafte Weise
594 belîbent wol vil manic naht.‘ gut viele Nächte bleiben könnt.“
595 Des seiten im die boten danc. Dafür sagten ihm die Boten Dank.
596 von Brûneswic, des herze ie ranc Der von Braunschweig, dessen Herz stets nach
597 nâch hôhen êren, zogte în. hohen Ehren strebte, zog in die Stadt.
598 sîn schar geordent muose sîn Seine Schar soll ganz nach Wunsch
599 vil gar nâch des wunsches segen. geordnet gewesen ein.
600 man sach von êrste drîzic wegen Zuerst sah man dreißig Wägen
601 dur die stat ze Liniôn. durch die Stadt Linion ziehen.
602 dar nâch man siben soumer schôn Nach ihnen führte man sieben herrliche
603 zôch, die truogen goldes last Lastpferde, die so schwer an Gold trugen,
604 sô daz in koste niht gebrast. dass es ihnen an nichts fehlte.
605 dar nâch man zühtenclichen zôch Danach führte man sehr anständig
606 wol hundert ros, diu wâren hôch, an die hundert langbeinige Pferde,
607 alsô grôz und alsô starc, so groß und so kräftig,
608 daz alle die von Tenemarc dass sämtliche Dänen
609 sô grôziu nie gesâhen, so große noch nie gesehen hatten,
610 des sî gemeine jâhen. wie sie einstimmig erklärten.
611 Sus fuoren sî hin dur die stat. So zogen sie hin zur Stadt.
612 und als daz volc bevunden hât Und als das Volk die Ankunft des Fürsten
613 des fürsten kunft und ouch sîn siten, und auch sein Auftreten mitbekommen hatte,
614 dô wart niht langer dô gebiten: wurde da nicht länger gewartet:
615 dur schouwen sî ûz liefen. Sie liefen heraus um zu schauen.
616 die krîer lûte riefen Die Ausrufer schrien laut:
617 ,von Brûneswic der Sahsen vogt „Von Braunschweig der Landesherr der Sachsen,
618 der kunt sô keiserlîch gezogt der kommt so fürstlich dahermarschiert,
619 daz sin lop hôch in wirde swept. dass sein Ruhm hoch in Würde schwebt.
620 danc hab ein fürste der sô lept Dank sei dem Fürsten, der so gegenüber
621 gên got und gên der welte. Gott und der Welt lebt.
622 er tuot mit sînem gelte Mit seinem Einsatz leistet er
623 vil unde vil mê danne vil. viel und viel mehr als viel.
624 ei waz er sper verswenden wil Ei, was er der Ehre wegen und um die Gunst edler Frauen
625 dur êre und werder wîbe segen.‘ an Lanzen verschwenden wird!“
626 alsus sî liefen after wegen So liefen sie hinter ihm her
627 und schriuwen lop mit schalle. und verkündeten laut sein Lob.
628 die liut gemeinlich alle Die Leute waren alle gemeinsam
629 dur schouwen wârn geloufen dar. herbeigelaufen um zu schauen.
630 zwei hundert was der êrsten schar, Die erste Schar zählte zweihundert
631 schiltknehte, die mit guoten siten Schildknechte, die hübsch ordentlich
632 ie zwêne bî ein ander riten: zwei und zwei nebeneinander ritten:
633 die fuorten sper und kreiger dâ. Die trugen Lanzen und Helmzeichen.
634 den kam zehant geriten nâ Unmittelbar hinter ihnen ritt
635 ein jungiu schar gesundert, geschlossen eine junge Schar.
636 der was wol ûf hundert Ihrer waren gut hundert
637 zwei und zwei der schoensten knaben der hübschesten Knaben – immer zwei und zwei –
638 sô edel art ie moht gehaben von so edler Abstammung, wie es
639 über allez Sahsen lant. im ganzen Sachsenland nur geben konnte.
640 ieclîcher fuort ûf sîner hant Ein jeglicher führte auf seiner Hand
641 ein sprinzelîn dur muotes guft. zur Freude des Gemüts ein kleines Sperberweibchen.
642 dar nâ gezieret wart der luft Danach wurde die Luft erfüllt
643 von überdôn des schalles krach, vom Dröhnen lauten Lärms,
644 sô daz ez dur die wolken brach so dass es mit Getöse durch die Wolken
645 mit brahte sam ein dunres dôz. brach wie das Grollen des Donners.
646 der schal von phîfen wart sô grôz Der Schall der Blasinstrumente wurde so laut,
647 daz ez in leit zerstôrte. dass er ihnen ihren Kummer nahm.
648 nieman den andern hôrte, Niemand hörte vom anderen,
649 waz er seite ald waz er sprach. was er sagte oder sprach.
650 dar nâch man hundert ritter sach Danach sah man hundert Ritter
651 ie zwêne sament rîten: immer zu zweit nebeneinander reiten:
652 sît noch vor den zîten Weder vorher noch nachher
653 wart nie beschouwet schoener schar, wurde jemals eine schönere Schar betrachtet.
654 in ein kleit alle sament gar Sie alle trugen wahrhaftig
655 von phell bekleidet ungelogen, Kleider ganz aus Pelz,
656 mit hermîn wîz schôn underzogen mit Hermelin weiß unterfüttert
657 und von koste tiure. und überaus wertvoll.
658 dar nâch kam der gehiure Danach kam der herrliche
659 Reinfrit von Bruneswîc gezogt. Reinfried von Braunschweig daher geritten.
660 wær er ze Rôm gewesen vogt, Wäre er Herrscher in Rom gewesen,
661 dâ moht niht mê sîn schalles. hätte nicht mehr Getöse sein können.
662 nu kan geloufen allez Nun kam alles gelaufen,
663 daz in der stat von liuten was, was an Leuten in der Stadt war,
664 beidiu dur wunder und dur daz sowohl aus Neugier als auch, damit
665 sî den keiserlichen helt sie den fürstlichen Helden
666 sæhen der dâ ûz erwelt sähen, der da auserwählt
667 was vor den argen veigen. war vor den bösen Todgeweihten.
668 wê wel ein vingerzeigen Weh, wie die Leute da anhoben,
669 huop sich von den liuten mit dem Finger auf ihn zu zeigen,
670 ûf in der êre triuten der mit der Begierde seines Herzens
671 kunde mit herzegirde. Ehre auf sich zu ziehen wusste.
672 sîn hôchgelopte wirde Seine hoch gepriesene Würde
673 wart lûterlîch gerüemet. wurde lautstark gerühmt.
674 sîn lop daz wart geblüemet Sein Ruhm wurde von Einheimischen
675 von kunden und von gesten. und Fremden geschmückt.
676 die dannoch niht enwesten Die seine Abstammung da
677 sîn art, die hôrt man prîsen noch nicht kannten, die hörte man
678 den zühterîchen wîsen den hochanständigen Weisen
679 beidiu edel und gedigen. als edel und tüchtig preisen.
680 aller herren lop geswigen Das Lob aller anderen Herren
681 wart ân in, hân ich vernomen, verstummte vor ihm, habe ich gehört,
682 wan sîn lop was vollekomen. denn sein Lob war vollkommen.
683 Sus was er komen ûf daz velt. So war er auf das Feld gekommen.
684 er sluoc manic hôh gezelt Er schlug viele hohe Zelte
685 und manic wîtez pavilûn. und manch geräumigen Pavillon auf.
686 sîn schar diu nam sô wîten rûn Seine Schar, die brauchte so viel Platz,
687 daz er des veldes vil belac. dass er einen Großteil des Feldes besetzte.
688 sîn sin sô hôher koste phlac Er war von so freigebiger Gesinnung,
689 daz er vil guotes rêrte. dass er reichlich austeilte.
690 ê man ein hant bekêrte, Von einem Augenblick auf den anderen
691 dô was reht als ein grôziu stat war da wirklich so etwas wie eine große Stadt,
692 dâ er ûf geslagen hât wo er seine Herberge
693 sîn herberg ûf dem plâne: auf der Ebene aufgeschlagen hatte:
694 der fürste wandels âne Der makellose Fürst befahl,
695 hiez dur die stat hin schrîgen, zur Stadt hin zu verkünden, dass,
696 swâ ritter grâven frîgen wo immer Ritter, Grafen oder Freie
697 wæren unenthalten, voll Tatendrang wären,
698 die solten unverschalten sie seiner Schar
699 sîn sîner massenîe. willkommen sein sollten.
700 al diu companîe Die ganze Gruppe
701 der gernden hât sich dar gemaht, der Tatendurstigen hat sich dorthin aufgemacht,
702 daz niemen hâte keinen braht sodass niemand jemanden gebracht hatte,
703 wan er der schande ie schûhte. der nicht seit jeher Schande scheute.
704 al dur die naht sô lûhte Durch die Nacht leuchtete
705 von kerzen manic grôzez fiur. manch großes Feuer von Kerzen.
706 giuden brehten was niht tiur Freudenlärm war nicht selten
707 in der herberge dâ er lac, in der Herberge, wo er lag,
708 die ganze naht unz an den tac. die ganze Nacht bis Tagesanbruch.
709 Alsus diu vinster naht zergie So verging die dunkle Nacht
710 mit grôzem schalle unde vie mit großem Lärm und begann
711 der tac mit liehtem schîne zuo. der Tag mit hellem Schein.
712 und man den sunnen morgen fruo Und als man die Sonne früh am Morgen
713 die wolken sach durschrenzen, die Wolken durchbrechen sah,
714 dô spurte man ein glenzen da sah man von der Stadt aus
715 ûz der stat har ûf daz velt, ein Glänzen auf dem Feld,
716 dâ manic keiserlîch gezelt wo manch fürstliches Zelt am Spieß
717 stuont ûf geriht in knophes spiz, des Knaufs aufgerichtet stand,
718 daz diu sunne widergliz sodass die Sonne vom Gold,
719 nam von dem golde daz dâ schein. das da glänzte, widerspiegelte.
720 vil kurzelîche wart dô ein Schon bald wurde da
721 messe schôn gesungen in angemessener Weise eine Messe gesungen,
722 und wart dô zuo gedrungen zu der die Herren
723 von herren zühteclichen schôn. wohlgesittet herbeiströmten.
724 dar nâch man hôrte mangen dôn Danach hörte man manchen Ton
725 von phîfen und tambûren. von Blasinstrumenten und Handtrommeln.
726 man sach dâ niemen tûren Man sah da niemanden trauernd
727 noch haben keine swære. oder bedrückt.
728 ir herze an sorgen lære Ihr sorgenfreies Herz
729 kund in den muot erfrischen. wusste ihnen das Gemüt zu erfrischen.
730 sus gie man zuo den tischen So ging man zu den Tischen,
731 und âzen alle schiere und die sich da ritterlich betätigen wollten,
732 ein klein pittimansiere, aßen alle schnell
733 die wolten würken schiltes amt. ein kleines Frühstück.
734 dar nâch geswinde alle samt Danach rüsteten sich alle geschwind,
735 sich rusten ûz ze velde um mit öffentlicher Ankündigung
736 mit offenlîcher melde. auf das Feld zu ziehen.
737 Sus warp der wandels frîe. So handelte der Makellose.
738 nu kam ûf der plânîe Nun kam auch ein starkes Heer
739 mit rotten ouch ein kreftic her. mit Kampfgruppen auf die Ebene.
740 die hât gefüeret über mer Die hatte der König Palarei
741 mit im der künic Palarei mit sich über das Meer geführt,
742 des herze ie nâ triuwen schrei, dessen Herz immer nach Treue rief,
743 wan im kein laster was bekant. weil ihm kein Laster bekannt war.
744 dar was der künc von Engellant Auch der König von England
745 ouch komen hin mit grôzer maht, war mit einer großen Streitmacht dorthin gekommen
746 Flôrin, der ie nâ êren vaht, – Florin, der immer um Ehre kämpfte –
747 und wolt dâ prîs erringen. und wollte da Ruhm erringen.
748 alsus mit disen dingen So, mit diesen Details,
749 sô kunt diu âventiure. erzählt es die Aventiure.
750 Lôrîs der künc gehiure Loris, der gute König
751 von Schotten und Fontânâgrîs von Schottland, und Fontanagris
752 von Tenemark die fürsten wîs von Dänemark, die weisen Fürsten
753 und Jôrân von Berbester, und Joran von Berbester,
754 der herzog ûz Wintsester der Herzog aus Winchester,
755 kan mit in ze velde dar der mit ihnen dorthin auf das Feld kam,
756 und brâhten schôn in einer schar führten, schön in einer Schar,
757 vier hundert werder ritter, vierhundert werte Ritter,
758 die âne vorhtes zitter die ohne das Zittern der Furcht
759 wol kunden werben ritters tât. gut nach ritterlicher Tat zu streben wussten.
760 ein wâfen schôn bekleidet hât Sie alle kleidete eine Rüstung
761 sî al mit einer varwe. hübsch in der gleichen Farbe.
762 man unde ros man garwe Mann und Ross sah man
763 sach einer varwe liuhten. gar in einer Farbe leuchten.
764 von mangem grüenn geriuhten Von viel grünem aufgerauten
765 samît was ir wâfenkleit. Samt war ihr Waffenkleid.
766 ein turteltûbe schôn geleit Eine Turteltaube war schön
767 was dar în ûf des schiltes tach. in die Schildbedeckung eingelegt.
768 die baner man ouch glesten sach Die Banner sah man auch
769 nâ dem selben glanze. im selben Glanze glänzen.
770 mit mangem rôsen kranze Mit manchem Kranz von Rosen
771 wâren sî gekroenet. waren sie gekrönt.
772 diu heide was geschoenet Die Heide war von viel
773 mit manger hôhen wirdekeit. großer Herrlichkeit verschönert.
774 dar nâch in hôher wirde reit Dorthin ritt in hoher Würde
775 des Wunsches kint, der sælden hort, das Wunschkind, der Hort des Glücks,
776 ein reizel gar ûf alliu ort allerorten eine Verlockung
777 gên minneclîcher minne, gegenüber lieblicher Liebe,
778 der sinne stoererinne, die Aufrührerin der Sinne,
779 diu mangen ân ir wizzen bant. die manchen ohne sein Wissen fesselte.
780 ein turteltûbe ûf der hant Die Schöne führte
781 fuorte diu gehiure. eine Turteltaube auf der Hand.
782 ich wæn diu âventiure Ich glaube, die Aventiure
783 wær komen von dem grâle, stammte vom Gral,
784 wan man ze mangem mâle weil man immer wieder
785 in stürmen und in reisen bei Sturmangriffen oder auf dem Kriegszug
786 sach die templeisen die Templeisen die Reinheit der Turteltaube
787 der turtur kiusche füeren. als Zeichen führen sah.
788 unkiusch getorst gerüeren Unkeuschheit wagte keinen
789 keinen, seit man sunder wân, zu berühren, der dem Gral diente,
790 der dem grâl was undertân: so sagt man voll Überzeugung:
791 des fuorten sî diz zeichen. Darum führten sie dieses Zeichen.
792 man sach ûf hôhe reichen Man sah hoch oben
793 ein purpur an vier scheften, einen Purpurstoff auf vier Stangen,
794 daz wart gefüert mit kreften der mit Kraftaufwand
795 enbor von grâven vieren. von vier Grafen in der Höhe getragen wurde.
796 dar under bî den zieren Darunter ritt mit Schmuck
797 reit diu minneclîche magt. die liebliche Magd.
798 swaz man singet oder sagt, Was auch immer man singt oder erzählt,
799 daz was niht gên dem schouwen. war nichts gegenüber dem, was man hier sah.
800 sî hât fünf hundert frouwen Sie hatte fünfhundert Frauen
801 mit ir in ein gekleidet. genau wie sich selbst gekleidet.
802 diu welt sô hinnen scheidet Die Welt geht unter,
803 daz niemer solich hof ergât: bevor es wieder so einen Hoftag gibt:
804 des wæn ich wol als ez nû stât. So, wie es jetzt steht, glaube ich das bestimmt.
805 Sus kômen sî ze velde her. So kamen sie hierher auf das Feld.
806 man fuort in vor sô manic sper Vor ihnen führte man so viele Lanzen
807 von dürren stangen vesten, aus trockenen, festen Stangen,
808 daz dâ dur niht gelesten dass da kein heller Sonnenstrahl
809 moht der liehten sunnen glast. hindurch leuchten konnte.
810 ich wæne verrer denn ein rast Ich glaube, weiter als eine rast entfernt
811 hôrte man des dônes guft, hörte man des Lärmes Schall,
812 als ob diu erde und der luft als ob Erde und Luft
813 wider ein ander duzzen. aufeinander prallten.
814 sus in den wolken schuzzen So dröhnten in den Wolken
815 bûsînen tambûre slagen, Posaunen und das Schlagen der Tamburine,
816 dâ von die berge mohten wagen. dass die Berge davon erzittern konnten.
817 sus gieng ez allez dôsen. So toste alles.
818 ezn dorfte niemen kôsen Es brauchte niemand zu versuchen
819 dem andern in sîn ôre. dem anderen ins Ohr zu flüstern.
820 noch dicker denn in rôre Noch besser, als wenn sie aus Rohr gewesen wären,
821 diu sper dâ sament hielten. hielten die Lanzen da zusammen.
822 niht langer dâ entwielten Der Braunschweiger und seine Schar
823 von Brûneswîc mit sîner schar: warteten da nicht länger:
824 die kâmen ouch ze velde dar. Die kamen auch hierher auf das Feld.
825 Der hât sich ûz gesundert, Er und seine hundert Ritter
826 er und sîn ritter hundert: hatten sich besonders hervorgetan:
827 die dorfte niemen strâfen. Die brauchte niemand zu tadeln.
828 sî fuorten alle ein wâfen Sie trugen alle eine Rüstung
829 von kostelîcher stiure, von hohem Wert,
830 wan nâ der âventiure denn auf der Jagd nach dieser Aventiure
831 in keiner kost bevilte. scheuten sie keine Kosten.
832 man sach daz in die schilte Man sah, dass ihre Schilde
833 geteilet wâren in zwei vach, in zwei Felder geteilt waren:
834 von obene dur des randes tach vom oberen Rand
835 gehalbieret dur den spiz. zum Spitz hin halbiert.
836 von Arâbî gap liehten gliz Aus dem einen Feld leuchteten
837 daz ein vach von drîn stücken. drei Teile aus arabischem Gold.
838 daz golt sich underdrücken Kein Glanz ist heller
839 niht lât mit keinem glaste. als der dieses Goldes.
840 von zobel glizzen vaste Drei andere Teile aus Zobel
841 driu ander stucke gezilt. glänzten genauso hell.
842 sô fuorten sî den halben schilt So führten sie [scil. Reinfrieds Ritter] den halben Schild
843 geworht mit hôhem flîze. mit großem Fleiß gefertigt.
844 von fînen berlen wîze Die andere Hälfte war
845 was daz ander überleit, von feinen weißen Perlen überzogen
846 und was nâ wunsch dar în gespreit und es war aufs Schönste aus roten Rubinen
847 von rubîn rôt ein halber ar. ein halber Adler darin ausgebreitet.
848 swenn man genam ze rehte war, Wenn man zur Rechten sah,
849 wie sunne an golt ir glenzen nan wie die Sonne sich im Gold widerspiegelte
850 und zobel swarz dar under bran und der schwarze Zobel darunter glühte
851 und wie sîn ar der roete gliz und wie sein [scil. des Schildes oder Reinfrieds] halber Adler
852 gap halp dur wîzes schiltes spiz, rot aus der weißen Schildspitze hervor leuchtete,
853 sô sach man rîche koste grôz. dann sah man eine überaus große Kostbarkeit.
854 ir herze gar an sorgen blôz So ließen sie sorglosen Herzens ihre Pferde
855 sus ûf den hof leisierten. mit verhängtem Zügel an den Hof laufen.
856 die krîger vast grôierten Die Kämpfer riefen laut
857 ûf in, des herze ie schande flôch. zu ihm, dessen Herz immer die Schande floh.
858 Fontânâgrîs der alte zôch Fontanagris der Alte zog
859 gên im entwerhes ûf den rinc. ihm in den Ring entgegen.
860 umb eine tjost der jungelinc Um eine Tjost wurde der Jüngling
861 von im wart dâ gebetten. da von ihm gebeten.
862 sîn herz nie übertretten Sein Herz hatte niemals
863 hât keine stunt der mâze riz. das rechte Maß überschritten.
864 des saz er sunder ruomes gliz Darum saß er ohne den Glanz der Prahlerei
865 hôh ûf der êren sedele. hoch auf dem Sitz der Ehre.
866 sîns helmes tach zwên wedele Seinen Helm bedeckten
867 von phâwen hânt bedecket. zwei Wedel aus Pfauenfedern.
868 in schrankes wîs gestrecket Oben
869 heten sî sich bevangen. verschränkten sie sich.
870 von golde lieht die stangen Die einzelnen Federn der Wedel
871 ûf den wedeln glizzen. glänzten von hellem Gold.
872 ûf eine tjost geflizzen Die beiden mächtigen Fürsten hatten sich
873 sich hatten beide fürsten rîch. für die Tjost herausgeputzt.
874 des wart ein schrîen ,wîchâ wîch! Deshalb wurde geschrien: „Platz da, mach Platz!
875 lâ milte hie gên zühte varn!‘ Lass Freigebigkeit hier gegen Wohlerzogenheit antreten!“
876 ûz Sahsenlant des fürsten arn Der Arm des Fürsten aus Sachsen
877 ein kreftic sper dâ sancte. senkte da eine starke Lanze.
878 Fontânâgrîs dâ sprancte Da sprengte auch Fontanagris
879 gên im ouch ûf dem ringe her. im Ring auf ihn zu.
880 zwei dürriu kurziu vestiu sper Zwei trockene kurze feste Lanzen
881 sach man sî beide füeren. sah man sie beide führen.
882 ob sî diu ors iht rüeren Ob sie die Pferde nicht
883 konden zuo den sîten? in die Seiten stoßen konnten?
884 jâ ir snellez rîten Ja, ihr schnelles Reiten
885 was sam des valken fliegen. war wie der Flug des Falken.
886 diu bein sach man sî biegen Die Beine sah man sie
887 dâ neben zuo den lenken. fest um die Leiber der Tiere schließen.
888 ir sper sî kunden senken Sie wussten ihre Lanzen
889 hin zuo der schilte riemen. hin zu den Riemen der Schilde zu senken.
890 ir dewedere gunde niemen Keiner gönnte da dem anderen,
891 für sich dô prîs erringen. Ruhm für sich zu erringen.
892 man sach diu ors erspringen Man sah die Pferde wie
893 sam in dem walde hirzetier. das Wild im Wald umher springen.
894 mit starken kreften man sî schier Mit großen Kräften sah man sie schnell
895 har ûf den orsen trîben sach, auf den Pferden umherhetzen,
896 und daz ietweders schaft zerbrach: und dass der Schaft eines jeden zerbrach:
897 mê dan in tûsent stücken In mehr als tausend Stücken
898 sach man die sprîzen flücken sah man die Lanzensplitter
899 hôh ûf in den lüften. hoch in die Lüfte aufstieben.
900 ein ritterlîchez güften Von dem Klang erhob sich
901 huop sich von dem duzze. ein ritterliches Freudengeschrei.
902 reht als der dunre schuzze, Genauso wie Donnergrollen
903 sô wart ein schal und ouch ein krach. erhoben sich Schall und Lärm.
904 ietweders schilt dâ nider brach Da zerbarst eines jeden Schild
905 und wurden ouch der helme bar. und sie verloren auch ihre Helme.
906 alsus sî von dem stiche gar So wurden beide
907 wurden beide entrümmert. von dem Stoß völlig erschüttert.
908 ir lîp sî vast bekümmert Ihr Leib ließ sie sich
909 umb êre und ritterlîche tât, um Ehre und ritterliche Tat sorgen,
910 daz fürsten wol ze lobe stât. um Ehre und Ritterliche Tat sorgen.
911 Sus pînten sî sich beide. So rackerten sie sich beide ab.
912 nu kan dort ûf der heide Nun kam dort auf der Heide Palarei,
913 Palarei, künc von Engellant, der König von England,
914 den hôhiu wirde ûz gesant den hohe Würde ausgesandt
915 hât umb êre und werdez lop. hatte um Ehre und ehrlichen Ruhm.
916 ein rîche banier swepte op Ein prächtiges Banner schwebte über
917 im, des herze ie schande meit. ihm, dessen Herz sich immer von Schande fernhielt.
918 umb zuht êr unde miltekeit Anstand, Ehre und Freigebigkeit gering zu achten,
919 dorft in niemen strâfen. brauchte ihm niemand nachzusagen.
920 er hât ûf sîne wâfen Er hatte auf seine Ausrüstung
921 nâ küneclîcher kost gezilt. königliche Kostbarkeit verwandt.
922 ûz Arâbîe was sîn schilt Sein Schild war aus glänzendem Gold
923 von glanzem golde, als ich ez las. aus Arabien, wie ich las.
924 ob daz gebirge in Caukasas Wenn das Gebirge im Kaukasus
925 hete gedienet sîner hant, unter seiner Herrschaft gewesen wäre,
926 er moht niht rîcher sîn bekant. hätte er nicht reicher sein können.
927 als uns diu âventiure seit, Wie uns die Aventiure berichtet,
928 von rubîn lâgen drîn gespreit lagen darin [scil. im Schild] quer
929 entwerhes drî lêparten. ausgebreitet drei Leoparden.
930 man sol dem herren zarten, Man soll diesem Herrn wohl gesonnen sein,
931 der alsus keiserlichen vert der so fürstlich daher kommt
932 und lîp und guot nâch êren zert. und Leib und Gut um der Ehre willen aufs Spiel setzt.
933 Er kan ze velde schiere. Er kam eilig auf das Feld.
934 under sînr baniere Unter seinem Banner
935 fuort er hundert ritter dar, führte er dorthin hundert Ritter,
936 die sîner krône nâmen war: die zu seiner Herrschaft gehörten:
937 des was sîn sorge gar enzwei. Darum hatte er keine Sorge.
938 der junge künic Palarei, Der junge König Palarei,
939 an schanden gar der træge der ohne Schande lebte
940 (er was ze Norwæge (er war in Norwegen
941 gewaltic künic unde vogt), ein mächtiger König und Landesherr),
942 kam ûf die heide ouch gezogt kam auch mit dem Lärm
943 mit krache manges schalles. manch kräftigen Tones auf die Heide gezogen.
944 sîn kunft diu maht daz allez Seine Ankunft bewirkte, dass alles,
945 daz dâ was in ein ander dôz. was da war, durcheinander tönte.
946 sîn schar was kreftic unde grôz Groß und stark war seine Schar,
947 die er enthielt von helden zier, die er mit Helden zierte,
948 wan under sîner banier denn unter seinem Banner
949 hât er ouch ûz gesundert hatte er hundert
950 sô fromer ritter hundert so tadellose Ritter gesammelt,
951 daz ir genôze nie gesehen dass ihnen an Würde niemand
952 an wirde wart, sô hoer ich jehen. gleichkam, wie ich sagen höre.
953 Sî fuorten sîniu zeichen, Sie trugen die Zeichen desjenigen,
954 des herze nie erweichen dessen Herz durch keine Furcht
955 moht von keinen vorhten. schwach werden konnte.
956 ei waz sî wunders worhten Ei, was für Wunder sie
957 in stürmen und in strîten! in Stürmen und Kämpfen wirkten!
958 sî kâmen zuo den zîten Sie kamen jetzt
959 mit im, des herze ie schande flôch. mit ihm, dessen Herz stets Schande mied.
960 ein kreftic ors stüef unde hôch Es war ein starkes Pferd, wacker und
961 was, dar ûf der fürste saz; groß, auf dem der Fürst saß;
962 sîn wâpenkleit, als ich ez las, seine Rüstung war, wie ich las,
963 von kostelîcher stiure. von hohem Wert.
964 sô rîche kovertiure So prächtige kovertiure
965 wæn ich sî selten mê gesehen. sieht man, glaube ich, selten.
966 von liehtem rubîn schôn durbrehen Man sah seine Rüstung
967 alsus sîn wâpenkleit man sach, von leuchtendem Rubin durchzogen,
968 und was ûf des schiltes tach und in die Schildbespannung
969 geworht ein meisterlîchez schif war ein meisterhaftes Schiff
970 von fînem golde, und was sîn grif aus feinem Gold eingearbeitet und in seiner
971 des schilt entwerhes überlegen. Breite über den Schild erhaben.
972 ein ort des schiffes sach man phlegen Am einen Ende des Schiffs sah man
973 ein ruoder klein daz dar an hienc. ein kleines Ruder, das daran hing.
974 von dem andern orte gienc Am anderen Ende war
975 ein boun der den schilt hât verdaht. ein Mast auf dem Schild befestigt.
976 dar an ein segel was gestraht Daran war ein Segel aus
977 von kleinen wîz mergriezen, kleinen weißen Perlen aufgezogen,
978 und kund der unden sliezen das sich unten
979 sich wider zuo der stangen. wieder mit dem Mast traf.
980 ich wæn daz er enphangen Ich glaube, dass er [scil. Palarei] da
981 dâ würd mit mangem gruoze. mit manchem Gruß empfangen wurde.
982 vil lieplîcher unmuoze Viel liebe Unruhe
983 schuof er in wîbes ougen brachte er da in die Augen der Frauen,
984 diu in erblihten tougen. die ihn verstohlen ansahen.
985 Alsus kam er mit grôzer maht. So kam er mit großer Stärke.
986 sich huop dô manic lûter braht, Da erhob sich ohrenbetäubender Lärm
987 von phîfen dôz und scheften krach. vom Schall der Pfeifen und Krachen der Lanzenschäfte.
988 man sach daz dirre jenen stach: Man sah, dass dieser jenen stach:
989 sô viel dort einr von jenem nider. So fiel dort einer, von jenem getroffen, nieder.
990 sich pînten manges ritters lider Vieler Ritter Glieder
991 ûf der âventiure trôst. quälten sich um den Preis der Aventiure.
992 von riemen manic schilt erlôst Viele Schilde wurden
993 wart von starken scheften, durch starke Lanzenschäfte,
994 die sî mit hôhen kreften die sie mit großer Kraft zu Pferd
995 ze orse ûf ein ander triben. gegeneinander trieben, von ihren Riemen erlöst.
996 dâ was niemen ruowic bliben: Da blieb keiner säumig:
997 man hôrte schrîgen ,wîchâ wîch! Man hörte schreien: „Aus dem Weg!
998 von Brûneswic der fürste rîch Der mächtige Fürst von Braunschweig
999 kunt aber hie mit frîger ger. kommt wieder mit ungezügeltem Verlangen hierher.
1000 sîn hant diu hât wol zwênzic sper Seine Hand hat gut zwanzig Lanzen
1001 mit der tjost verswendet.‘ bei der Tjost zerbrochen.“
1002 nu was aldar gesendet Nun war ein stolzer Ritter
1003 ein stolzer ritter ûzerkorn. ausgewählt und dorthin geschickt worden.
1004 von Parmenîe geborn Sein kühner starker Leib war
1005 was sîn frecher starker lîp aus Parmenien gebürtig
1006 und mohte sunder vorhtes kîp und konnte, von keiner Angst gehindert,
1007 wol üeben ritterlîch getât. sehr gut ritterliche Taten vollbringen.
1008 dâ von er sich bekleidet hât Darum hatte er sich in Lasurblau,
1009 in stæte varwe lâsûrblâ. die Farbe der Beständigkeit, gekleidet.
1010 ein grôzez ros, was apfelgrâ, Sein großes Pferd, ein Apfelschimmel,
1011 daz lief in sprungen sam ein tier, sprang umher wie ein Reh.
1012 dar ûf der werde ritter zier Auf ihm saß die Zier edler Ritter
1013 saz alsam ein vestiu want. wie angegossen.
1014 ich wæne daz in dar gesant Ich glaube, dass seine Geliebte
1015 hette sîn âmîe. ihn dorthin geschickt hatte.
1016 mit manger lûten krîe Mit manch lautem Ruf
1017 wart lobelîch gewüefet wurde ruhmreich angekündigt
1018 und über lût gerüefet, und überlaut ausgerufen,
1019 dâ wær ein fromer ritter komen. da wäre ein vortrefflicher Ritter gekommen.
1020 schiere wart diz mær vernomen Schnell verbreitete sich die Kunde,
1021 dâ manger gên im drapte. da mancher ihm entgegen trabte.
1022 von Brûneswîc der hapte Der von Braunschweig ritt
1023 gên im ûf der plânîe. ihm auf der Ebene entgegen.
1024 und als der wandels frîe Und als der Makellose
1025 ûf in gehôrt daz kapfen, das Lobgeschrei auf ihn hörte,
1026 man sach in drâte stapfen sah man ihn dem anderen entgegeneilen,
1027 gên im ûf ein tjoste. um eine Tjost gegen ihn zu reiten.
1028 ez lac sô rîchiu koste Er trug solche Reichtümer
1029 an im daz ez was wunder. an sich, dass es ein Wunder war.
1030 sîn sper daz sluog er under Er hakte die Lanze ein
1031 und tet im selben rûmeiz. und verschaffte sich Raum.
1032 ûf einen langen puneiz Man sah ihn sein Pferd so führen,
1033 sach man in sîn ors ziehen. dass er langen Anlauf nehmen konnte.
1034 nu wolt ouch genre fliehen Nun wollte auch der andere ungern
1035 niht, dô er in komen sach. fliehen, als er ihn kommen sah.
1036 für sich er druht des schiltes tach Er hielt den Schild vor sich
1037 und sprancten gên ein ander her. und die beiden sprengten aufeinander zu.
1038 mit frîger tât ietweders sper Ungehindert neigte
1039 sî gên ein ander neigten. ein jeder die Lanze gegen den anderen.
1040 ir hôhe kraft si zeigten Sie bewiesen ihre große Kraft
1041 und ouch ir ritterlîche kunst. und auch ihr ritterliches Können.
1042 vor in sô gie ein starker tunst, Vor ihnen erhob sich eine dichte Staubwolke,
1043 dô sî sus kâmen gedræget. als sie so aufeinander zustürmten.
1044 reht als diu ors gewæget Genauso wie die Pferde
1045 an loufen kæmen dur den luft, beim Laufen durch die Luft wirbelten,
1046 sus fuoren sî nâ muotes guft so ritten sie voll Übermut
1047 und ouch mit grôzer krefte und auch mit großer Kraft
1048 und stâchen daz die schefte und stachen, dass die Lanzenschäfte
1049 in kleine sprîzen hôhe flugen in kleinen Splittern hochflogen
1050 und daz diu ors sich beide bugen und die Pferde hinten einknickten
1051 hinden von dem stiche. von dem Stoß.
1052 ob aber keinre entwiche Ob dabei auch keiner
1053 dem satel hie dur rûmen? jâ, den Sattel räumen musste? Ja doch,
1054 der frouwen ritter der lac dâ der Ritter der Dame; der lag da sehr wohl
1055 von dem orse wol hin dan vom Pferde hinunter
1056 und was gevallen ûf den plân. und auf die Wiese gefallen.
1057 Als daz der Schotten künic sach, Als das Parlus, der König von Schottland
1058 Parlus, dur mange rotte er brach sah, drängte er sich durch die Scharen
1059 her gên dem von Brûneswîc. dem von Braunschweig entgegen.
1060 ob sîn muot iht hôhe stîc Ob seine [scil. Reinfrieds] Stimmung sich da
1061 an fröuden ûf? jâ, herre, jâ. nicht freudig hob? Ja, Herr, ja.
1062 als er gesach Parlûsen dâ Als er Parlus da vor sich
1063 vor im ûf des ringes kreiz, im Ring erblickte,
1064 gên eim starken puneiz rüstete er sich abermals
1065 er sich aber ruste. für einen kraftvollen Stoß gegen ihn.
1066 den schilt er zuo der bruste Er zog den Schild
1067 gar ritterlîche druhte. gar ritterlich an die Brust heran.
1068 den lîp er samfte ruhte Den Körper bewegte er, sich
1069 hin und her gên der tjost. geschmeidig wiegend, auf die Tjost zu.
1070 sîn herze sunder meiles rost Sein von Schande unbeflecktes Herz
1071 in hôhen fröuden swepte. wurde ihm vor Freude leicht.
1072 in dûht daz iemen lepte Ihn dünkte, dass niemand lebte,
1073 an hôher wunne sîn genôz. der so glückselig war wie er.
1074 ein vestez sper unmâzen grôz Er bat, ihm schnell eine feste,
1075 bat er im balde reichen. besonders große Lanze zu reichen.
1076 der âne lobes smeichen Der ohne lobende Schmeicheleien
1077 ie hôchgelopter êren wielt, immer hoch gelobte Ehre verkörperte,
1078 er sach Parlûsen wie er hielt der sah Parlus, wie er auf ihn zu
1079 gên im und hiez wîchen. hielt und aus dem Weg zu gehen befahl.
1080 ob sî zesamen strîchen Ob sie die Pferde hier
1081 diu ors hie liezen? jâ sî, jâ; einander berühren ließen? Ja, sie taten es, ja;
1082 die krîger liefen ûf ir slâ die Kämpfer liefen auf ihrer Spur
1083 mit manger lûten krîge. mit manch lautem Kriegsruf.
1084 hie was der schanden frîge Hier war der Schandenfreie
1085 kon an den êren stæten. an den in Sachen Ehre Beständigen geraten.
1086 diu ors zesamen dræten Die Pferde wirbelte aufeinander zu,
1087 reht als ob sî beide flugen. als ob sie beide flögen.
1088 ûf eine rîche tjost sî zugen Sie zielten beide auf eine herrliche Tjost,
1089 mit der sî beid vertâten bei der sie beide ihre Lanzen
1090 diu sper, dazs hôhe wâten verstachen, dass das hohe wâten
1091 in den lüften klein zerschivert in der Luft in kleine Splitter zerbarst
1092 und man die trunzen gar zerrivert und man die Lanzenstücke zersplittert
1093 sach ob den helmen fliegen. über die Helme fliegen sah.
1094 von dem stiche biegen Von dem Stich musste sich
1095 des künges rugge muoste. der Rücken des Königs krümmen.
1096 ich wæne daz in gruoste Ich glaube, dass ihm heimlich
1097 tougen manges herzen sin. manches Herz zuflog.
1098 alsus der herzog kêrte hin So machte der Herzog [scil. Reinfried]
1099 aber von rinc ze ringe. abermals auf dem Kampfplatz kehrt.
1100 wer in hie zuo twinge? Wer ihn dazu zwang?
1101 daz tuot ein unsihtigiu nôt. Das tut eine unsichtbare Kraft.
1102 lîp unde herze er beide bôt Körper und Herz bot er beide
1103 dar dâ er was unbekant. dort feil, wo er fremd war.
1104 ei süeziu minne, dîniu bant Ei, süße Liebe, deine Fesseln
1105 bindent sunder heften. binden, ohne zu berühren.
1106 swâ du mit dînen kreften Wo auch immer du dich mit deinen Kräften
1107 wilt gewalteclichen ligen, gewaltig niederlässt,
1108 dâ mag und kan dîn maht gesigen da kann und wird deine Macht
1109 gar ân allez dunken. ohne jeden Zweifel siegen.
1110 swâ dîner gneisten funken Wo auch immer deine Funken
1111 gedenke in herze enzündent, liebendes Gedenken in einem Herz entfachen,
1112 ich weiz daz sî durgründent weiß ich, dass sie mit Verlangen
1113 mit luste alle sinne. alle Wahrnehmung durchziehen.
1114 swâ sin nâ hôher minne Wo auch immer der Verstand
1115 ist mit luste girdic, mit Verlangen nach hoher Minne strebt –
1116 ist dâ daz herze wirdic wenn da das Herz
1117 sô lobelîcher minne, so ehrbarer Liebe wert ist,
1118 diu minne tuot dem sinne tut diese Liebe dem Verstand
1119 mit gedenken dicke wol. mit liebendem Gedenken oft gut.
1120 swie daz sîn herze leides vol Obwohl sein Herz oft
1121 sî dicke nâ dem luste, vor körperlichem Verlangen des Leides voll ist,
1122 sô lît doch in der bruste so liegt doch in der Brust
1123 diu fröude hôhes gingen. die Freude hoher geistiger Begierde.
1124 mit sus getânen dingen An solchen Dingen
1125 fröut sich ein herze mange stunt erfreut sich das Herz gar manche Stunde,
1126 daz im ze handen selten kunt. was ihm doch selten zuteil wird.
1127 Diz ist der minne senken. Das ist die vernichtende Kraft der Liebe.
1128 ez mac mit gedenken Ein Herz kann sich mit liebendem
1129 ein herz sich dar zuo twingen, Gedenken dorthin zwingen,
1130 dâ von ez kûme bringen wovon es kaum jemand anderer
1131 mag iemen sunder sterben. als der Tod abbringen kann.
1132 swâ nâch der lîp wil werben, Wonach der Körper auch strebt –
1133 ist ouch dem herzen dar zuo gâch, zieht es auch das Herz dorthin,
1134 er wirbet deste baz darnâch. strebt er umso stärker danach.
1135 Sus was ouch disem fürsten. So erging es auch diesem Fürsten.
1136 sîn frîgez herze er türsten Sein freimütiges Herz ließ er
1137 liez nach hôher minne. nach hoher Minne dürsten.
1138 er hâte sîne sinne Er hatte seine Sinne
1139 mit den gedenken dar zuo brâht, mit stetem Denken dazu gebracht,
1140 daz sî alle zît verdâht dass sie immer auf die eine
1141 wâren an die einen, konzentriert waren,
1142 die hôchgelopten reinen, die hoch gelobte Reine,
1143 die kiuschen wol getânen, die keusche schön Gestalte,
1144 die minneclîch Yrkânen, die liebliche Yrkane,
1145 der schoen für alle schoene wac. deren Schönheit alle anderen übertraf.
1146 diu trûtschaft im ze herzen lac Die Angebetete lag ihm so
1147 sô vesteclîche ûf den grunt, fest auf dem Grund des Herzens verankert,
1148 daz ir bilde alle stunt dass ihr Bild allezeit
1149 was vor sîns herzen angesiht, vor seines Herzens Angesicht war.
1150 ê er mit sîner ougen phliht Bevor er die Liebliche mit
1151 die minneclichen hât gesehen. eigenen Augen gesehen hatte,
1152 des muos sîn herze ir schoene jehen. musste ihm deshalb sein Herz von ihrer Schönheit erzählen.
1153 offenlîch und tougen Öffentlich und geheim
1154 was daz ob sînen ougen war, dass ihre Schönheit sich
1155 ir schoene was verwildet. vor seinen Augen noch verborgen hielt.
1156 sîn herz daz hât gebildet Sein Herz, das hatte sie
1157 sî nâch sîner girde, nach seinem Wunsch gestaltet;
1158 und was ir hôhiu wirde und ihre hohe Würde
1159 alsus in sînem sinne, war dergestalt in seinem Denken,
1160 daz in betwang ir minne, dass ihn ihre Liebe bezwang,
1161 ê sî sîn ouge ie gesach. bevor sein Auge sie erblickt hatte.
1162 hie nâch dô aber daz geschach Als es aber hernach geschah,
1163 daz diu ougen sâhen dass die Augen sahen,
1164 dar dâ daz herze gâhen wohin das Herz mit den Gedanken
1165 hin kunde mit dem sinne, zu eilen wusste,
1166 dô kan diu süeziu minne da kam die süße Liebe
1167 und strihte ouge und herz inein, und führte Auge und Herz zusammen,
1168 alsô daz under disen zwein sodass diese beiden
1169 niht was wan ein einic lust. dasselbe begehrten.
1170 den truog er under sîner brust Das trug er verborgen
1171 verborgenlichen stille. still in seiner Brust.
1172 sus fuor sîn frîger wille So erhob sich sein freier Wille
1173 hôch mit den gedenken. mit den Gedanken.
1174 man sach in aber senken Man sah ihn abermals harte Lanzen
1175 vestiu sper und stechen. senken und verstechen.
1176 grôze schefte brechen Große Lanzenschäfte zu brechen,
1177 was man an im wol genant. war man von ihm gewohnt.
1178 des landes vogt ûz Engellant, Der Landesherr aus England,
1179 der junge künic Flôrîs, der junge König Floris,
1180 bejagt ouch ritterlichen prîs erjagte mit seinem Gefolge
1181 mit sîner massenîe. auch ritterlichen Ruhm.
1182 der kiusche wandels frîe Der keusche Makellose
1183 vertet mit frîges herzen ger verstach mit dem Begehren seines freimütigen Herzens
1184 manic starkez vestez sper manch starke feste Lanze
1185 und warp nâ hôhen êren. und strebte nach hohen Ehren.
1186 mit hôher koste kêren Mit hohem Einsatz wiederkehren
1187 sach man den schanden trægen, sah man den Schandelosen.
1188 ich mein von Norwægen Ich meine den König
1189 den künic mit den barken. von Norwegen mit den Barken.
1190 in allen Tenemarken In ganz Dänemark
1191 was niht sô rîcher koste. gab es keine solchen Reichtümer.
1192 des schilt in roete gloste Sein Schild leuchtete rot
1193 von rubîn rôt alsam ein gluot. wie Glut von rotem Rubin.
1194 er und sîn massenîe guot Er und sein edles Gefolge
1195 ouch worhten ritterlîche tât. vollbrachten auch ritterliche Taten.
1196 der bûhurt sich gezogen hât Der Buhurt hatte sich
1197 vast unz ûf des âbents zît. bis zum Abend gezogen.
1198 man hiez besenden sunder nît Ohne Hintergedanken befahl man,
1199 die fürsten von den landen die Fürsten der Länder zu holen,
1200 die ritterschaft erkanden, denen ritterliche Kultur bekannt war,
1201 wan man die âventiure da man die Aventiure
1202 mit lobelîcher stiure auf ehrbare und würdige
1203 wirdeclichen solte geben. Weise übergeben sollte.
1204 sîn herze in hôher wunne sweben Das Herz desjenigen kann in hoher Wonne
1205 mac, swem diu sælde ist beschert schweben, dem das Glück beschert ist,
1206 daz daz heil im widervert dass ihm das Heil
1207 von der grôzen êre. durch große Ehre widerfährt.
1208 sîn lîp ist iemer mêre Er wird davon
1209 dâ von getiuret alliu zil. immer aufgewertet.
1210 nu was dâ hôher herren vil Nun waren da viele hohe Herren,
1211 die bî ir triuwe erkanten die bei ihrer Treue anerkannten
1212 und al dar an genanten und alle einhellig und
1213 einhelleclichen sunder haz, neidlos verkündeten,
1214 daz niemen het verdienet baz dass niemand die Aventiure,
1215 mit sper und ritterlîcher tât die da des Königs Tochter ausgerufen hatte,
1216 die âventiure, die dô hât besser mit Lanze und ritterlicher Tat
1217 des künges tohter ûz gesant, gemeistert hätte,
1218 denn der fürste ûz Sahsen lant als der Fürst von Sachsen, Reinfried,
1219 Reinfrit, des herze ie schande meit. dessen Herz sich allzeit von jeglicher Schande fernhielt.
1220 nu sach er wie dort gên im reit Nun sah er, wie ihm dort diejenige entgegen ritt,
1221 diu der sîn herz ie frouwe jach, die sein Herz seit jeher »Herrin« nannte,
1222 die sîn gedanc und ouge sach, die sein Denken und sein Auge sah,
1223 diu in vast ân ir wizzen bant. die ihn fest, doch ohne ihr Wissen band.
1224 ein turteltûben ûf der hant Eine Turteltaube brachte
1225 brâhte diu gehiure. die Schöne auf der Hand.
1226 diz was diu âventiure, Das war die Aventiure,
1227 als ir dâ vor wol hânt vernomen. wie ihr davor wohl vernommen habt.
1228 man hiez daz sî dem fürsten fromen Man befahl, dass sie dem frommen Fürsten
1229 solt die âventiure geben, die Aventiure übergebe,
1230 sît daz sîn lîp und ouch sîn leben da sein Leib und auch sein Leben
1231 sich an êren nie versneit. sich nie von Ehre entfernt hatten.
1232 im hiez diu minneclîche meit Das liebe Mädchen befahl ihm,
1233 den heln selbe binden dan. selbst den Helm abzubinden.
1234 ir lieplîch smieren sach in an Sie lächelte ihn lieb an
1235 und sprach ,fromer fürste wert, und sagte: „Frommer werter Fürst,
1236 dîn lîp der hôher êren gert, dein Leib, der hohe Ehren begehrt,
1237 hât grôzen lop errungen, hat großes Lob errungen,
1238 sît daz dir ist gelungen weil du dich hier
1239 hie an ritterschefte. im ritterlichen Kampf bewiesen hast.
1240 wol der starken krefte Heil der starken Kraft,
1241 diu sô manlîch ellent hât, die so männlichen Mut hat,
1242 daz sî sô wirdenclichen gât dass sie so würdevoll
1243 nâ hôher êren stiure. zum Ziel hoher Ehren strebt.
1244 sich, diu âventiure Sieh, die Aventiure
1245 ist dir ze gebende bereit. ist bereit, sich dir zu schenken.
1246 des sol dîn êre werden breit Dadurch soll deine Ehre berühmt werden
1247 für alle die har komen sint.‘ vor allen, die hierher gekommen sind.“
1248 alsus daz minneclîche kint So wusste das liebliche Kind
1249 dem fürsten kunde zarten. dem Fürsten zu schmeicheln.
1250 er lie sîn ougen warten Er ließ seine Augen auch
1251 ouch an daz grôze wunder, das große Wunder anstaunen,
1252 daz im wê tet under das ihm in der Brust
1253 sîner bruste und dâ bî wol. zugleich wohl und wehtat.
1254 sîn herze wart sô fröuden vol Sein Herz war so von Freude erfüllt,
1255 daz im sorge gar entweich. dass ihn jegliche Sorge floh.
1256 ir angesiht diu tet in bleich Ihr Gesicht ließ ihn
1257 von rehter fröuden schrecken. vor ehrlicher Freude erbleichen.
1258 diu fröude in herzen stecken Die Freude verursachte
1259 tet jâmer nâ dem luste. in seinem Herzen schmerzliches Verlangen.
1260 daz herz mit manigem juste Das Herz erhob sich mit manchem Stoß
1261 fuor über sich alsam ez flüge. über sich selbst, als ob es flöge.
1262 ich wæne ir schoene ez an sich züge Ich glaube, ihre Schönheit zog es stärker
1263 vaster denn der agestein an sich, als es der Magnet
1264 daz îsen tuot: ir schoene schein mit dem Eisen tut: Ihre Schönheit strahlte
1265 im dur sîns vesten herzen grunt. bis auf den Grund seines standhaften Herzens.
1266 er was sô süezer wunden wunt, Er litt an so süßen Wunden,
1267 swenn in ir süezer smerze lie, dass er sich danach zurücksehnte
1268 daz er ein trûren denne enphie wenn ihr süßer Schmerz ihn verließ,
1269 und wart jæmerlîche var. und ganz bleich wurde.
1270 und sô sîn sendez herze dar Und wenn es sein sehnsuchtsvolles Herz
1271 in jâmer mit gedenken swanc, in schmerzlichem Gedenken dorthin zog,
1272 sô wart daz trûren daz în twanc so wurde der Schmerz, der ihn gefangen hielt,
1273 dest ringer und dest kleinre. umso weniger und umso kleiner.
1274 minne twanc ist reinre Die Gewalt der Liebe ist reiner
1275 denn ihts iht, des ich wæne. als alles andere, vermute ich.
1276 ir art ist seltsæne, Ihr Wesen ist einzigartig,
1277 sît ir wê gît hôhen muot. da ihr Weh die Stimmung hebt.
1278 sô sî dem man ie wirser tuot, Überfällt sie einen Mann besonders schlimm,
1279 sô liebet sî im aller meist. liebt sie ihn am allermeisten.
1280 diz hât mit ganzer volleist Das hat in ganzer Vollendung
1281 der fürste wol enphunden. der Fürst sehr wohl empfunden.
1282 der süezen minne wunden Die süßen Schmerzen der Liebe
1283 hâten in bevangen. hielten ihn gefangen.
1284 ir senfter blic durgangen Ihr sanfter Blick hatte
1285 hât gar sînes herzen sin: den Verstand seines Herzens durchdrungen:
1286 des was sîn trûren gar dâ hin. Deswegen war seine Trauer verschwunden.
1287 Sus twang in in dem sinne So bezwang ihn in seinem Verstand
1288 diu süeze strenge minne die süße strenge Liebe
1289 und lie sî lidic unde frî. und er ließ sie ledig und frei.
1290 diu küneginne hielte bî Die Königin weilte bei
1291 im, dem sî in herzen lac. ihm, der sie im Herzen trug.
1292 sîn herze mit gedenken pflac Sein Herz war in liebendem Gedenken
1293 sô minneclîche schône, so um Liebe bemüht
1294 und gap sî im ze lône und sie gab ihm nichts als
1295 niht wan süezez ungemach. süßes Ungemach als Lohn.
1296 sus huop der fürste unde sprach: So hob der Fürst an und sprach:
1297 ,Ei werdiu küneclîchiu fruht, „Ei, werter königlicher Spross,
1298 ir hânt an mir sô grôze zuht Ihr habt mir so viel Liebenswürdigkeit
1299 begangen daz ir ist ze vil. erwiesen, dass es zu viel ist.
1300 het ich der âventiure zil Habe ich das Ziel der Aventiure
1301 errungen, des enweiz ich niht. errungen, so weiß ich nichts davon.
1302 sît daz man hôhe krône siht Weil man nämlich gekrönte Häupter
1303 hie werben nâ dem prîse, hier nach Ruhm streben sieht,
1304 sol mit des lobes rîse weiß ich, dass es für mich
1305 mîn lîp gezieret schînen, viel zu viel der Ehre ist,
1306 sô weiz ich daz ez mînen sollte mein Leib mit dem Ruhmeszweig
1307 êren ist mê denn ze vil.‘ geschmückt erscheinen.“
1308 sî sprach ,ich heizez unde wil, Sie sprach: „Ich befehle und will es,
1309 daz ir sî enphâhent. dass Ihr sie [scil. die Taube] empfangt.
1310 wan ob ir ez versmâhent, Denn wenn Ihr sie verschmäht,
1311 ir sint niht guotes gruozes wert. seid Ihr rechten Gruß nicht wert.
1312 morne solt ir mit dem swert Morgen sollt Ihr auch
1313 diu lider ouch erswingen. mit dem Schwert antreten.
1314 mügt ir den prîs erringen, Könnt Ihr den Preis erringen,
1315 iuch wirt daz golt und ouch mîn kus.‘ werden das Gold und auch ein Kuss von mir Euch gehören.“
1316 diu wort dur sînes ôren duz Die Worte drangen ihm
1317 reht als ein mezzer hiuwen. gerade so wie Messer in die Ohren.
1318 sî stôrten senden riuwen Sie störten den sehnsuchtsvollen Schmerz
1319 und brâhten lustic girde. und brachten verlangende Begierde.
1320 ir hôherborne wirde Ihre hochwohlgeborene Würde
1321 im tougen in sîn herze seic. senkte sich ihm heimlich ins Herz.
1322 lîp und gedanc mit sinnen neic Körper und Gedanke neigten sich mit den Sinnen
1323 der kiuschen wandels kranken. hin zur keuschen Makellosen.
1324 ,ich mac noch kan voldanken‘, Er sagte: „Ich kann Euch nicht einmal
1325 sprach er, ,iuch halp der êre niht für die Hälfte der Ehre, die mir
1326 diu unverdienet mir beschiht.‘ unverdient zukommt, ausreichend danken.“
1327 Sus bôt sî im die tûben dar. So streckte sie ihm die Taube hin.
1328 nu kam gerennet manic schar Nun eilten viele heran
1329 dur hoeren und dur schouwen. um zu hören und zu sehen.
1330 mit allen iren frouwen Mit allen ihren Hofdamen
1331 diu küngîn mit im zogte. ging die Königin mit ihm.
1332 ich wæn daz es dem vogte Ich glaube, dass es dem Herrn
1333 von Rôm gewesen wær ze vil. von Rom zu viel gewesen wäre.
1334 alsus hât sich der ritter spil Ob da jemandem seine Freude
1335 den tac rîlîch volendet. durch Neid geschmälert wurde?
1336 ob iemen dâ gephendet Ob da jemand in seiner Freude
1337 an fröuden würde dur den nît? durch den Neid gestört wurde?
1338 nein, sîn lop sô hôhe lît Nein, sein Lob war so erhaben
1339 und was sô wît erklungen, und so weithin erklungen,
1340 daz im gemeine zungen dass ihm alle
1341 für ander lobes jâhen. vor den anderen Lob zusprachen.
1342 man sach dar balde gâhen Man sah die gernden alle in gleicher Weise
1343 die gernden al gelîche. gar schnell eilen.
1344 mit manger krîge rîche Mit manch lautem Ruf
1345 hôrte man in grüezen. hörte man ihn grüßen.
1346 daz lop begunde süezen Das Lob klang auch
1347 ouch in der frouwen ôre. in den Ohren der Damen süß.
1348 ûz seiten noch ûz rôre Weder von Saiten- noch von Blasinstrumenten
1349 wart nie sô senftez doenen, kam jemals so lieblicher Klang,
1350 als dâ man einen kroenen wie man da einen mit Worten
1351 mit worten lobelichen kan. lobend zu krönen wusste.
1352 sî reit im bî und sach in an Sie [scil. Yrkane] ritt neben ihm und sah ihn an,
1353 biz daz sî gedahte bis sie bei sich dachte:
1354 ,disen helt den brâhte „Diesen Helden, den führte
1355 sîn ellent har dur ritterschaft. seine Tapferkeit zur ritterlichen Bewährung hierher.
1356 ei got wie hât sîn manlîch kraft Ach Gott, wie hat seine männliche Kraft
1357 sô ritterlîch gehurtet. so ritterlich gekämpft.
1358 sîn adel hôhgeburtet Sein angeborener hoher Adel
1359 in lobelichen zieret. ziert ihn rühmlich.
1360 sîn lîp sô gar gefieret Sein Leib erstrahlt so schön
1361 in hôher wirde schînet. geschmückt in großer Würde.
1362 hât er sich hie gepînet Hat er sich hier im Dienst
1363 in dienest keiner frouwen, einer Dame gequält,
1364 der herze mac betouwen kann deren Herz gut
1365 wol mit hôher wünne. mit hoher Würde behaftet werden.
1366 er hât sô hôhez künne, Er ist von so hoher Abstammung,
1367 sô rîche lant, sô manlîch kraft, besitzt so reiche Länder, so männliche Kraft,
1368 sô starken lîp ze ritterschaft, einen so starken Körper für ritterliche Bewährung,
1369 daz er ist hôhes gruozes wert. dass er hoher Anerkennung wert ist.
1370 ob er eht gruoz von wîben gert? Ob er nach der Anerkennung der Damen strebt?
1371 jâ er, jâ: war hât mîn sin Ja, wahrhaftig, ja: Wohin hat mein Verstand
1372 mich selben brâht? wâ was ich hin? mich gebracht? Wo dachte ich hin?
1373 solt er niht wîbe gruozes gern? Sollte er etwa nicht nach der Anerkennung der Damen streben?
1374 ich wæne daz sîn herze wern Ich glaube, dass sein Herz sehr wohl
1375 künne hôhen dienest wol Damen, denen er dienen soll
1376 frouwen den er dienen sol und denen sein Herz ergeben ist,
1377 und den sîn herze dienest treit. hohen Dienst leisten könnte.
1378 ich weiz sîn niht, iedoch sô seit Ich kenne ihn nicht, doch sagt
1379 mir mîn sin ez sî alsus. mir mein Verstand, dass es so ist.
1380 wolte got solt im der kus Wollte Gott, würde er
1381 morne von mir werden. morgen den Kuss von mir bekommen.
1382 ich wæn ûf aller erden Ich glaube, auf der ganzen Erde
1383 man iender ritter funde fände man keinen Ritter,
1384 dem ich sîn lieber gunde dem ich ihn lieber gönnte
1385 denn im der mit rîlîcher tât als ihm, der mit herrlicher Tat
1386 sô hôhez lop erworben hât.‘ so großes Lob erworben hat.“
1387 Sus was ir in gedenken. So dachte sie bei sich.
1388 ir herz sich wolte senken Ihr Herz wollte sich ebenfalls
1389 ouch nâ minne girde. dem Verlangen der Liebe anheim geben.
1390 sus reit mit hôher wirde So ritt mit großer Würde
1391 des wunsches kint, ein wünschelî das Wunschkind, das Wünschelein.
1392 ob ir gedenke sîen frî? Ob ihre Gedanken frei waren?
1393 nein sî, nein, sî vâhten Nein, sie waren es nicht, sie fochten
1394 mit süezer nôt und flâhten mit süßer Not und verflochten
1395 sich vast in minne stricke. sich fest in die Fallstricke der Liebe.
1396 dâ zuo ir senden blicke Dazu schossen ihre sehnsuchtsvollen Blicke
1397 ûz ouge in ougen schuzzen. aus ihrem Auge in die Augen des anderen.
1398 dur herzen grunt sî guzzen Auf den Grund des Herzens
1399 minneclîche swære. gossen sie die Last der Liebe.
1400 wie der zarten wære, Die Liebliche wusste nicht,
1401 des wist sî niht: ir was niht wê, wie ihr geschah: Ihr war nicht weh,
1402 und wart ir herze doch nie mê doch wurde ihr das Herz so schwer
1403 sô swær und sô ânmehtic. und ohnmächtig, wie später nie mehr wieder.
1404 ir sinne wâren trehtic Ihre Sinne zog es
1405 dar dâ sî meisterinne was dorthin, wo sie Herrin war
1406 und gewalteclichen saz und mit Macht in der Kammer
1407 in sîns herzen klûse, des Herzens desjenigen saß,
1408 der bî dem künc Artûse der bei König Artus
1409 mit hôhen êren under mit großen Ehren unter
1410 den von der tâvelrunder denen von der Tafelrunde
1411 het genomen werden siz, den Ehrenplatz eingenommen hätte.
1412 sît daz sîn zuht der mâze riz weil seine Wohlerzogenheit
1413 an keinen sachen nie versneit. immer das rechte Maß hielt.
1414 alsus er von dem plâne reit So ritt er von der Wiese
1415 und hât erfohten hôhen prîs, und hatte großen Ruhm erfochten
1416 mit im der künc Fontânâgrîs und mit ihm der König Fontanagris
1417 und Parlus von den Schotten. und Parlus von Schottland.
1418 ei waz man süezer notten Ei, was man vor Freude
1419 vor in schôn dur güften blies. für liebliche Töne für ihn blies.
1420 wie jener stach und dirre stiez, Wie jener stach und dieser stieß
1421 waz iegelîcher sper vertet, und was ein jeder an Lanzen verstach,
1422 des möht ich künden niht, und het das könnte ich gar nicht berichten – und hätte
1423 ich eine tûsent herzen sin. ich den Verstand von tausend Herzen.
1424 sî kêrten von dem plâne hin Sie kehrten von der Ebene hin
1425 ze herberge dur gemach. zur Herberge um auszuruhen.
1426 ei waz man grôzer kerzen sach Ei, was man an großen Kerzen
1427 brinnen dur die ganze naht. die ganze Nacht hindurch brennen sah!
1428 ez hâte niemen schalles braht Es sorgte niemand für so viel Lärm
1429 wan er, des herz ie wandel flôch. wie er, dessen Herz stets jeden Makel floh.
1430 er hiez besenden unde zôch Er ließ holen und zog
1431 an sich swer unenthalten was, an sich, wer ungebunden war,
1432 ellende ritter, unde las tapfere Ritter, und sammelte
1433 der sô vil ze sîner schar, ihrer so viele in seiner Schar,
1434 daz er nâch den turnei gar dass er nach dem Turnier alle
1435 het gehapt ze sîner sit. an seiner Seite gehalten hätte.
1436 al dur die naht in widerstrît Die ganze Nacht über in fröhlichem Wettstreit,
1437 sô wâren sî an sorgen swach, waren sie ausgelassen,
1438 unz man den liehten morgen sach bis man den hellen Morgen
1439 al dur die wolken glesten, überall durch die Wolken blitzen sah
1440 und man ûf grüenen esten und man in den Bäumen
1441 hôrt kleiner vogel doene. das Zwitschern kleiner Vögel hörte.
1442 der küele tou hât schoene Der kühle Tau
1443 anger wisen überspreit. glitzerte auf den Wiesen.
1444 swaz meie schoener bluomen treit, Was der Mai an schönen Blumen vorrätig hat,
1445 die wâren dâ entsprungen. das war da erblüht.
1446 vil schiere wart gesungen Sogleich wurde ihnen da
1447 in ein schoeniu messe, eine schöne Messe gesungen.
1448 dar nâch vil manic presse Danach rüsteten sich
1449 sich ruste ûf den turnei. alle Scharen für das Turnier.
1450 wie man die herren brach enzwei, Wie man die Herren in zwei Gruppen teilte,
1451 daz sî sich glîch rottierten, sodass sie sich gleichmäßig aufteilten,
1452 und wele samt turnierten, und welche miteinander kämpften,
1453 daz wart geteilet schiere. das wurde schnell bestimmt.
1454 der künge wâren viere, Es gab vier Könige.
1455 von Tenemark, von Schotten, Der von Dänemark und der von Schottland
1456 die mit grôzen rotten standen beim Turnier mit ihren großen Truppen
1457 den turnei hielten zeiner sît. auf der einen Seite.
1458 Mit in in dem teile lît Mit ihnen in der Gruppe war
1459 der herzog ûz Wintsester. der Herzog von Winchester.
1460 der herre von Berbester, Der Herr von Berbester,
1461 der in der âventiure lac, der in die Aventiure verwickelt war,
1462 ouch der selben rotten phlac gehörte mit großem Ruhm
1463 mit hôhgeloptem prîse. auch zur selben Truppe.
1464 man fuort Fontânâgrise Man gab Fontanagris
1465 vor ein kreftic ros, was starc, ein kräftiges, starkes Pferd,
1466 dar ûf der künc von Tenemarc auf dem der König von Dänemark
1467 sich wolte lâzen schouwen. sich sehen lassen wollte.
1468 er fuorte von den frouwen Er trug von den Frauen gefertigte
1469 sô küneclîchiu wâfenkleit, so königliche Waffenkleider,
1470 daz mîn munt niemer halbes seit dass mein Mund nie auch nur zur Hälfte die reiche Kostbarkeit,
1471 die rîche koste diu dâ lac, die darauf verwendet worden war, auszudrücken vermöchte,
1472 wan er sô hôher êren phlac denn er [scil. Fontanagris] lebte so ehrenvoll,
1473 daz man sîn noch ze guote sol dass man ihn noch heute zu Recht
1474 niht vergezzen, daz zimt wol. nicht vergessen soll; das geziemt sich.
1475 Sus fuor an sîner sîten So war an seiner Seite
1476 und sach man bî im rîten und sah man bei ihm reiten
1477 Lorîs den künec von Schotten. Loris, den König von Schottland.
1478 sîn triuwe im hât gebotten Seine Aufrichtigkeit hatte ihm geboten,
1479 daz er schande gar vermeit. dass er Schande ganz und gar mied.
1480 sîn küneclîchez wâfenkleit, Wer seine königliche Turnierausrüstung
1481 swer daz prüeven welle, prüfen wollte, fand sie, wie folgt:
1482 von golt ein liehter phelle Aus Gold und glänzendem Fell
1483 was sîn covertiure, war seine covertiure
1484 und was nâ hôher stiure und gemäß edler Sitte
1485 von kelen rôt dar în geleit war aus dem roten Kehlstück
1486 ûf schiltes tach und wâfenkleit in Schildbespannung und Rüstung
1487 eins löwen bilde grimmende das Bild eines brüllenden und
1488 und ûf ze berge klimmende sich hoch aufrichtenden Löwen eingearbeitet,
1489 reht alsam er lepte. ganz so, als lebte er.
1490 umb den löwen swepte Um den Löwen rankte sich
1491 ein smal gezieret schiltes rant. am Rand des Schildes ein schmales Schmuckband.
1492 von golde rîch der strich erkant Das Band war aus hochkarätigem Gold
1493 was und dar în geströuwet und hineingestreut war
1494 ein kost diu mich erfröuwet, eine Kostbarkeit, die mich erfreut,
1495 swenn ich dar an gedenke. wann immer ich daran denke.
1496 umb des schiltes renke, Um den Rand des Schildes,
1497 die des löwen phlâgen, der den Löwen umfasste,
1498 von saphîren lâgen waren kleine Lilien
1499 liljen klein dar în geworht, aus Saphiren eingelegt,
1500 die der fürste unervorht die der unerschrockene Fürst
1501 ze velde wolte füeren. mit ins Feld führen wollte.
1502 von dem striche rüeren Von dem Strich sah man
1503 sach man die bluomen ûz und în. links und rechts die Blumen abstehen.
1504 ein liehtiu krône guldîn Eine strahlende Krone aus Gold
1505 lag ûf sînes helmes tach. lag oben auf dem Helm.
1506 dar nâch man schiere rîten sach Gleich dahinter sah man Parlus
1507 Parlûsen von Wintsester, von Winchester reiten,
1508 des herze an triuwen vester dessen Herz in Bezug auf Treue beständiger
1509 was denn ein herter adamas. war als ein harter Diamant.
1510 sîn wâfenkleit, als ich ez las, Seine Rüstung leuchtet, wie ich las,
1511 schein rôt von rubînen, rot von Rubinen
1512 und sach man verre schînen und man sah daraus
1513 dar ûz ab des schiltes tach weithin vom Dach des Schildes
1514 von golde ein strîmel, diu brach einen Streifen aus Gold leuchten, der
1515 von obnen ab unz in den spiz, von oben bis zur Spitze verlief,
1516 und gâben dar ûz liehten gliz und drei Rosen aus Zobel
1517 von zobel rîcher rôsen drî. leuchteten hell daraus hervor.
1518 dar under sich der wandels frî Darunter wollte sich der Makellose
1519 ze velt wil lâzen schouwen auf dem Kampfplatz
1520 in dienste werder frouwen. im Dienst edler Damen sehen lassen.
1521 Sus man den fürsten rîten sach. So sah man den Fürsten reiten.
1522 von golde lieht sîns helmes tach Zwei Hörner aus leuchtendem Gold
1523 zwei horn hâten bedecket, hielten seinen Helm oben bedeckt
1524 und was dar ûf gestecket und darauf gesteckt war
1525 ein grât von manges phâwen veder, ein Kamm aus vielen Pfauenfedern
1526 unde hât der horn ietweder und jedes Horn hielt
1527 von zobel rîchiu jagebant. ein wertvolles Jagdband aus Zobel.
1528 bî im man nâhe rîten vant Nahe bei ihm reiten sah man
1529 den fürsten rîch Turnîsen den mächtigen Fürsten Turnis
1530 von Berbester, des prîsen von Berbester, dessen Ruhm man
1531 man hôrte verre in wîtiu lant. noch weithin in fernen Ländern hörte.
1532 sîniu wâfen unerkant Seine Turnierausrüstung war
1533 waren zuo den zîten. zu dieser Zeit noch unbekannt.
1534 den fürsten sach man rîten Man sah den Fürsten
1535 in rôter wât alsam ein bluot. in blutrotem Gewand reiten.
1536 ich wæne daz der minne gluot Ich glaube, dass die Glut der Liebe
1537 im sîn herze brante. ihm sein Herz entzündete.
1538 dâ von man in erkante Daher erblickte man ihn
1539 under der minne varwe. in der Farbe der Liebe.
1540 ors unde man begarwe Ross und Reiter glühten
1541 in rôter varwe brunnen, ganz in Rot,
1542 sô daz ez gên der sunnen sodass sie den Augen
1543 gab ougen liehten widerglanz. das Sonnenlicht hell zurückwarfen.
1544 wie iegelîcher wâfen ganz Wie die Ausrüstung eines jeden genau
1545 fuorte, des enweiz ich niht. beschaffen war, weiß ich nicht.
1546 ir lande noch ir namen phliht Weder ihre Länder noch ihre Namen
1547 hân ich niht wol genomen war. habe ich vollständig erfahren.
1548 sî fuorten ie in irre schar Sie führten jeder in ihrer Schar
1549 vil röscher ritter tûsent. viele tausend wackere Ritter.
1550 hin ûf den plân sî sûsent Sie eilten mit herrlichen großen Truppen
1551 mit rîchen rotten grôzen. hin auf den Kampfplatz.
1552 man sach die schanden blôzen, Man sah die ohne Schande,
1553 den künc von Engellanden den König von England
1554 und von Norwæg, sich handen und den von Norwegen, sich ebenfalls
1555 ouch zuo der plânîe. ihren Weg hin auf die Ebene bahnen.
1556 wie ir geræte sîe Wie ihre Waffen und ihre Ausrüstung
1557 und wâfen, daz ist iuch bekant. waren, ist euch bekannt.
1558 sî hâten den von Sahsen lant Sie hatten sich den aus Sachsen
1559 ze houbetman in ûz erkorn. zum Anführer auserkoren.
1560 dur ir zuht des wolt enborn Ihrer Abstammung wegen wollte er darauf
1561 er hân, dô moht es niht ensîn. verzichten, aber das konnte nicht sein.
1562 sî tâten hôhe wirde schîn Sie machten große Würde offenbar
1563 an im, der sich ie êren fleiz. an ihm, der sich stets um Ehre bemühte.
1564 hin ûf der planîe kreiz Hin zur Kampfarena
1565 sî hurten alle schiere. eilten sie alle schnell.
1566 under der baniere Unter dem Banner
1567 von der âventiure der Aventiure
1568 wolt sich der gehiure wollte sich der Treffliche
1569 des tages lâzen schouwen. an diesem Tag sehen lassen.
1570 ob im von werden frouwen Ob ihm von edlen Damen
1571 ie tougen würd gezartet? da heimlich ihr Wohlwollen gezeigt wurde?
1572 jâ, iedoch sô wartet Ja, jedoch hielt er
1573 er ûf sî altere eine, ganz allein nach derjenigen Ausschau,
1574 diu ie von kindes beine die schon von Kindesbeinen an
1575 was der minne wünschelrîs. alle Liebe auf sich gezogen hatte.
1576 er leit ie allen sînen flîz, Er sann mit aller Kraft darauf,
1577 wie er sich meht genæhen dar, wie er sich ihr nähern könnte,
1578 daz sî der tæte næme war damit sie die Taten wahrnähme,
1579 die er dur sî begienge. die er ihretwegen beginge.
1580 ,ei süeze minn, wan vienge „Ei süße Liebe, wenn deine Kraft
1581 sî dîn gewalt, als du mich hâst sie nur einfinge, wie du mich gefangen
1582 gevangen! minne, war um lâst‘, hast! Liebe, warum“,
1583 sprach er, ,du sî sorgen bar, sprach er, „lässt du sie sorglos
1584 und ninst sô herreclichen war und widmest dich mir
1585 mîn ze allen stunden? so herrisch zu jeder Zeit?
1586 sî hât mîn herz gebunden Sie hat mein Herz gefesselt
1587 und ist sî lidic unde frî. und ist selbst unbeschwert und frei.
1588 sol der smerze wonen bî Wenn der Schmerz allein bei mir
1589 mir alleine, ich bin tôt. zuhause ist, bin ich tot.
1590 ouwê, süezez mündel rôt, Oh weh, süßes rotes Mündchen,
1591 würde dir mîn swære kunt! würde dir doch mein Elend bekannt!
1592 wie hât sô gar der sælden funt Wie hat die Kunst der Glückseligkeit
1593 an dich geleit sîn vollez mez! so ganz ihr volles Maß an dich gelegt!
1594 mîn herze entoeret sich, wan ez Mein Herz macht sich zum Idioten, indem
1595 ûz jâmer nâ dir ringet. es aus Schmerz um dich kämpft.
1596 ei got, ob mir gelinget, Ach Gott, wird es mir gelingen,
1597 daz mir ir munt gît kusses gruoz? dass mich ihr Mund küsst?
1598 jâ, mîn lîp sol unde muoz Ja, mein Körper soll und wird sich
1599 arbeiten ûf die zuoversiht. in der Hoffnung darauf plagen.
1600 ob daz grôze heil beschiht Wenn mir das große Glück
1601 mir, sô ist mir deste wirs. beschieden ist, geht es mir umso schlechter.
1602 ob daz lieplîch küssen irs Wenn mich das liebliche Küssen
1603 mündels mich berüeret, ihres Mündchens berührt,
1604 dâ von wirt zerfüeret wird davon die höchste Kraft
1605 mîner fröude hoehstiu maht, meiner Freude zerstört,
1606 ob ir sin niht nimet aht wenn sie den bitterlichen Schmerz
1607 des bitterlichen smerzen nicht bemerkt,
1608 den ich in grunt des herzen den ich im Grunde meines Herzens
1609 unmæzlîche lîde. ohne Maß leide.
1610 nâ ir des tôdes snîde Ihretwegen wird die Klinge des Todes
1611 wirt gegen mir gewetzet, gegen mich gewetzt,
1612 wan daz küssen hetzet weil mich das Küssen
1613 mich in den tôt mit senfter gift, mit dem zarten Geschenk in den Tod treibt,
1614 sam diu Syrêne, sô man schift wie die Sirene es mit der Stimme macht,
1615 bî ir, tuot mit der stimme. wenn man mit dem Schiff in ihre Nähe kommt.
1616 sus in des tôdes grimme So führt mich ihre Schönheit
1617 leitet mich ir schoene. in den Abgrund des Todes.
1618 ei waz strenger loene Ach, welch harten Lohn
1619 gîst du mir, süeze minne!‘ gibst du mir, süße Liebe!“
1620 nu saz diu küneginne Nun saß die Königin
1621 hôh enbor dur schouwen der Sicht wegen hoch oben
1622 wol mit fünf hundert frouwen. mit fünfhundert Damen.
1623 Als sî den hôherbornen sach, Als sie den Auserwählten sah,
1624 dem ir herze tougen jach dem ihr Herz heimlich
1625 lieplîcher friuntschefte, liebevolle Freundschaft zusagte,
1626 minne mit ir krefte brachte die Liebe mit ihren Kräften
1627 hât ir herze dâ zuo brâht ihr Herz dazu,
1628 daz sî was an in verdâht dass sie die ganze Nacht über
1629 gar gesîn die ganze naht, in Gedanken an ihn versunken war,
1630 wan sî mit gedenken vaht weil sie in Gedanken focht,
1631 hin und har als ob sî strite. hin und her, als ob sie kämpfte.
1632 ob ir herze iht kumber lite Ob ihr Herz leicht
1633 alles mit gedenken? in Gedanken Kummer litt?
1634 als sî wolte wenken Sobald sie von ihm lassen
1635 von im, sô zôch der sin hin zuo, wollte, zog der Verstand sie hin zu ihm,
1636 die ganze naht biz morgen fruo, die ganze Nacht bis zum frühen Morgen,
1637 daz sî lac in sorgen tief. sodass sie in tiefen Sorgen dalag.
1638 swenn ir ouge êrst entslief, Sobald ihr die Augen zufielen,
1639 des sî niuwan dûhte, schien ihr erneut,
1640 ie zehant sô lûhte er leuchtete sofort
1641 er vor ir in dem schîne vor ihr auf und erweckte den Anschein,
1642 als ob er solte sîne als ob er seinen Mund
1643 mündel an irz drücken. auf ihren drücken würde.
1644 der troun begunde lücken Der Traum lockte
1645 ir herze gên der minne zil, ihr Herz hin zum Ziel der Liebe,
1646 alsam ein jungez vederspil wie ein junger Greifvogel,
1647 daz man mit luoder reizet, den man mit Lockspeise reizt,
1648 ê mit im werd gebeizet. bevor mit ihm gejagt wird.
1649 Swenn sich der troun volendet, Sobald der Traum zum Ende kam,
1650 sô wart diu schoen gephendet wurde die Schöne
1651 girdeclîcher küsse. begieriger Küsse beraubt.
1652 des jâmers überflüzze Aus Überfluss des Jammers
1653 sî tet ersiufzen dicke. seufzte sie oft auf.
1654 sî sprach mit mangem schricke Erschrocken sprach sie:
1655 ,wâfen, wie ist mir beschehen? „Aufgewacht! Wie ist mir geschehen?
1656 nu hânt mîn ougen doch gesehen Nun haben meine Augen doch schon
1657 mengen ritterlîchen helt, manchen ritterlichen Helden gesehen,
1658 des prîs, des lop, des lant gezelt dessen Ruhm, Lob und Länder
1659 an êren ist wol im gelîch, sicherlich ebenso ehrenvoll wie seine sind,
1660 und wart mîn herz sô jâmers rîch und doch wurde mein Herz
1661 nie von der gesihte. von ihrem Anblick nie so voll des Jammers.
1662 hât er mit zoubers phlihte Hat er mich mit Zauberkräften
1663 mich von sinnen alsus brâht? meiner Sinne beraubt?
1664 nein, mîn sin hât sich vergâht, Nein, mein Verstand war vorschnell,
1665 daz ich in zoubers zîhe. dass ich ihn der Zauberei bezichtigte.
1666 ûz herzen grunt ich lîhe Aus dem Grund meines Herzens
1667 im lieplîchez gedenken. lasse ich ihm liebreiches Gedenken zukommen.
1668 der sin kan sich mir senken Der Verstand kann sich mir
1669 von im har in mîn herze. von ihm her in mein Herz senken.
1670 diz ist der bernde smerze, Das ist der furchtbare Schmerz,
1671 dar an ich mîne sinne wene. auf den ich meine Sinne lenke.
1672 sô ich ie vaster nâ im sene, Je stärker ich mich nach ihm sehne,
1673 sô mir ie wirser von im wirt. umso schlechter geht es mir deshalb.
1674 ach daz sô strenge swære birt Ach, dass mich sein freimütiges Tjostieren
1675 mir sîn frîlîch justen! so schwer bedrückt!
1676 under mînen brusten In meiner Brust
1677 lît diu lustic girde liegt das begierige Verlangen,
1678 dâ mit sîn hôhiu wirde mit dem seine hohe Würde
1679 mich minneclîchen bindet. mich liebevoll fesselt.
1680 ich suoche fröud, sô vindet Suche ich Freude, so findet
1681 mîn herze bitter swære. mein Herz bittere Bedrückung.
1682 sol ich niht sorgen lære Wenn ich von dem Anblick
1683 werden von der angesiht, nicht meiner Sorgen ledig werde,
1684 sô weiz ich daz mir reht beschiht so weiß ich, dass mir recht geschieht
1685 nâ mîner sinne dunke wie ich vermute,
1686 als man seit von dem unke, wie man auch vom Basilisken sagt,
1687 swen der siht, der sîe tôt. dass stirbt, wen er anblickt.
1688 sîn sehen mir ouch tôdes nôt Sein Blick bringt auch mich in
1689 tuot, ob ez niht senftet sich. Todesnot, wenn sich das nicht beruhigt.
1690 ei süeziu minne minneclich, Ei, süße liebliche Liebe,
1691 troest und hilf und gib mir rât, tröste und hilf und gibt mir Rat,
1692 sît al mîn leben an dir stât.‘ weil mein ganzes Leben von dir abhängt.“
1693 Alsus was ir gedenken. So waren ihre Gedanken.
1694 swenn ir sin wolte wenken, Wann immer ihr Verstand davon lassen wollte,
1695 sô wolt ir herze niht dâ von. wollte das Herz nicht davon weg.
1696 sî lernet des sî ungewon Sie lernte, was sie im Herzen
1697 biz dar in herzen was gewesen. bis jetzt nicht gewöhnt gewesen war.
1698 ,ei‘, sprach sî, ,sol ich genesen „Ei“, sprach sie, „werden meine Sinne
1699 in den sinnen iemer? jemals genesen?
1700 nein zwâre, ich mac niemer Nein, fürwahr, ich kann
1701 werden frô die wîl ich lebe, mein Lebtag nicht mehr froh werden,
1702 ez kume denn sô hôhiu gebe es sei denn, es käme ein so hohes Geschenk
1703 von im ze mir, dâ von mîn sin von ihm zu mir, wovon mein Verstand
1704 gelîhtet werde, wan ich bin unbeschwert würde, weil ich
1705 alze vast an in verdâht. meine Gedanken allzu sehr an ihn verloren habe.
1706 dâ zuo hât mich minne brâht.‘ Dazu hat mich die Liebe gebracht.“
1707 Sus saz sî mit der trahte So saß sie mit ihren schweren Gedanken
1708 und hât dekeine ahte und nichts in der Welt war
1709 ûf al die welte wan ûf in, ihr wichtig außer ihm,
1710 dem ir herze und ouch ir sin dem ihr Herz und auch ihr Verstand
1711 was lieplîch zuo gebunden. in Liebe verbunden waren.
1712 nu hâten an den stunden Nun hatten sich zu dieser Zeit
1713 die schar sich gerottieret. die Scharen zusammengefunden.
1714 schône geflôrieret Schön geschmückt
1715 sach man sî zemen stapfen. sah man sie nebeneinander marschieren.
1716 ez solte niemen kapfen Es sollte niemand den anderen
1717 dem andern dô dur füeren. wegen des Führens angaffen.
1718 ob sî diu ors iht rüeren? Ob sie die Pferde nicht mit den Sporen rührten?
1719 jâ vaste zuo den sîten. Ja, sie traten sie fest in die Flanken.
1720 ir hurteclîchez rîten Ihr schnelles Reiten ließ
1721 tet anger plân erzittern. den Rasenplatz erzittern.
1722 von zwein tûsent rittern Zweitausend Ritter
1723 huob sich ein rîlîch vehten. begannen eifrig zu kämpfen.
1724 man sach die rotten flehten Man sah die Rotten sich
1725 sich vaste in ein ander. fest ineinander verstricken.
1726 swer ihts iht suoht, daz vander Wer auch immer Ritterschaft
1727 dâ von ritterschefte. suchte, fand sie da.
1728 bî ellenthafter krefte In der Ausübung tapferer Kräfte
1729 sich schar und schar verwurren. geriet Schar um Schar ineinander.
1730 man hôrt die slege snurren Man hörte die Schläge sirren
1731 und in den lüften dôsen. und in der Luft tönen.
1732 dô wurden liehte rôsen Da wurden viele leuchtende Rosen
1733 und bluomen vil zertrettet. und Blumen zertrampelt.
1734 ob iemen wart gesettet Ob da jemand genug
1735 dâ von ungefüegen slegen? von wilden Schlägen bekam?
1736 jâ, sich muoste manger legen Ja, mancher musste sich vorne
1737 vorne ûf den satelbogen. auf den Sattelbogen legen.
1738 sô der turnei wart gezogen Wie sich das Turnier hinzog,
1739 hin, sô kam er denne har. So kam es dann wieder her.
1740 rot und rot sich zemen war Rotte und Rotte stritten da
1741 hie dâ ûf einen hûfen. zusammen auf einem Haufen.
1742 sô man den teil ûfen Sobald man den einen Teil oben
1743 sach, sô lag er denne nider. sah, lag er auch schon wieder danieder.
1744 ein ritter moht dô sîniu lider Ein Ritter konnte seine Glieder da
1745 ritterlîch erswingen. ritterlich gebrauchen.
1746 schar in schar sich dringen Kämpferisch konnte sich da
1747 dâ vîentlîche kunde. eine Schar in die andere drängen.
1748 nieman dem andern gunde Niemand gönnte dem anderen,
1749 für sich nâ prîse stellen. erfolgreicher als er selbst nach Ruhm zu streben.
1750 man sach dâ mangen vellen Man sah da manchen vom Pferd
1751 von orse ûf die erde. auf die Erde fallen.
1752 golt und gestein unwerde Unnützes Gold und Gestein
1753 ûz schilten wart gekloezet. wurde aus Schilden geschlagen.
1754 vil setel man enbloezet Viele Sättel konnte man
1755 moht ûf dem plâne schouwen. leer geräumt auf der Ebene sehen.
1756 ûz helmen lieht gehouwen Aus glänzenden Helmen wurden
1757 wurden fiures blicke. Funken geschlagen.
1758 sich flâhten sunder stricke Ohne Stricke verflochten sich
1759 die rotten in ein kuppel. die Rotten zu einer Schar.
1760 zehant sô wart ein truppel Sogleich wurde ein Trupp dahin
1761 zerstoeret hin, diu ander her. zerschlagen, der andere dorthin.
1762 dirre sluoc, sô wolte der Dieser schlug, ein anderer wollte
1763 den ûz dem satel bürzen. jemanden aus dem Sattel werfen.
1764 dem dritten sach man stürzen Dem Dritten sah man sein Pferd
1765 sîn ors ûf die plânîe. auf die Ebene stürzen.
1766 wie sich der wandels frîe Wie sich der Makellose
1767 von Brûneswîc gehüebe? von Braunschweig bewährte?
1768 in dem genibel trüebe In dem Dunstschleier
1769 sach man diu wâfen glenzen. sah man die Waffen glänzen.
1770 die rotten er durschrenzen Er wusste die Rotten
1771 kund mit drâtem juste. mit schnellen Tjosten zu durchbrechen.
1772 er hatte zuo verluste Er hatte da manchen
1773 mangen dâ gestellet, zu seinem Schaden gestellt,
1774 der hurteclîch gevellet der hurtig von ihm
1775 von im zuo dem plâne wart. auf den Boden befördert wurde.
1776 ei waz liehter schilte schart Ei, was man an glänzenden Schilden
1777 man sach von sînen handen! von seinen Händen schartig werden sah!
1778 nu wart der helt bestanden Nun wurde der Held
1779 von krefteclîchen rotten. von starken Rotten angegriffen.
1780 der junge künc von Schotten Der junge König von Schottland
1781 mit slegen ûf in berte, drang mit Schlägen auf ihn ein,
1782 des sich der fürste erwerte derer sich der Fürst so
1783 sô ritterlîche snelle, ritterlich und schnell erwehrte,
1784 daz sîne slege helle dass seine Schläge hell
1785 dur die wolken duzzen durch die Wolken tönten
1786 und von den helmen schuzzen und von den Helmen schossen
1787 des wilden fiures gneisten. die Funken wilden Feuers.
1788 man sach den fürsten leisten Man sah den Fürsten
1789 hôhe ritterlîche tât. hohe ritterliche Taten vollbringen.
1790 sîn frîgez herze niht enlât Sein freimütiges Herz zögerte nicht,
1791 sich an wirde sûmen. nach Würde zu streben.
1792 er konde im selben rûmen Er wusste sich selbst Raum zu verschaffen
1793 mit starken ungefüegen slegen. mit kräftigen ungebändigten Schlägen.
1794 man sach in mangen ritter wegen Man sah ihn manchen Ritter
1795 von dem satel ûf die wisen. aus dem Sattel auf die Wiese bringen.
1796 sîner kraft mües einen risen Seine Kraft müsste einem Riesen
1797 völleclîch benüegen. vollkommen ausreichen.
1798 man sach in ie sich füegen Man sah ihn sich immer hin
1799 hin in daz gedrenge. in das Gedränge stürzen.
1800 man hât in kurzer lenge Man erhielt von ihm
1801 von im ein grôz getengel. in kurzer Zeit viele Schwerthiebe.
1802 alsam die hanfstengel Wie die Hanfstängel
1803 sach man die rotten spalten. sah man die Rotten auseinanderbrechen.
1804 ze beiden sîten valten Zu beiden Seiten fällten
1805 sî ritter ûz der mâze. sie unmäßig viele Ritter.
1806 ez wart ein wîtiu strâze Es entstand eine breite Spur
1807 in enge swar er kêrte. in dem Gedränge, wohin auch immer er sich wandte.
1808 ei waz sîn swert verrêrte Ei, was sein Schwert an Seide,
1809 sîden golt und steine! Gold und Steinen verstreute!
1810 nu kan der wandels eine Nun kam der makellose
1811 Fontânâgrîs mit grôzen scharn Fontangris mit großen Scharen
1812 hurteclîchen har gevarn hurtig hierher
1813 ûf den von Engellanden, gegen den von England geritten,
1814 Florîs, der von schanden Floris, der sein Herz
1815 sîn herze hât gefrîget. von Schande befreit hatte.
1816 ,Tenemark‘ sô schrîget „Dänemark“, so schrie
1817 man ûf der einen sîten. man auf der einen Seite.
1818 sich huop in schimph ein strîten Im Scherz erhob sich ein Kämpfen,
1819 als ob ez gult ein rîchez lant. als ob es um ein mächtiges Land ginge.
1820 sus wart der künc von Engellant So wurde der König von England
1821 von starken rotten umbehabt. von starken Rotten umschlossen.
1822 ein knappe drâte kam gedrabt Ein Knappe kam flott herangetrabt
1823 und seit ez dem von Sahsen. und sagte es dem von Sachsen.
1824 des muoste helfe wahsen Daraus musste dem jungen Helden
1825 dem jungen helt Florîsen. Floris Hilfe erwachsen.
1826 man sach in manic îsen Man sah ihn [scil. Reinfried] manches Eisen
1827 mit swerten nider schrôten. mit seinem Schwert zerhauen.
1828 diu ors begunden rôten Die Pferde wurden an den Seiten
1829 von bluote zuo den sîten. rot von Blut.
1830 dur die rotten rîten Man ließ ihn unangefochten
1831 man in ungevohten lie. durch die Rotten reiten.
1832 mit armes swang er umbevie Mit den Armen umfing er
1833 den künc Fontânâgrîsen, den König Fontanagris,
1834 des lop man hôhe prîsen dessen Lob an ritterlichen Taten
1835 sol an ritterlîcher tât. man hoch rühmen soll.
1836 wes er in nu geniezen lât Aus welchem Grund
1837 daz er in niht her under warf? er ihn nicht aus dem Sattel warf?
1838 niemen mich des frâgen darf. Das braucht mich niemand zu fragen.
1839 doch tet er mit gewalte schîn Dennoch machte er deutlich klar,
1840 daz ez wol möht gewesen sîn dass es ohne den geringsten Zweifel
1841 sunder zwîvels wanke. gut möglich gewesen wäre.
1842 diz lie der schanden kranke Der ohne Schande war, ließ
1843 dur sîne zuht belîben. es aus Anstand bleiben.
1844 ob er von reinen wîben Ob er von reinen Damen
1845 dar umb iht würd gegrüezet? deswegen etwa geachtet wurde?
1846 jâ, sîn lop daz süezet Ja, heimlich klang sein Ruhm
1847 in ir ôre tougen. süß in ihren Ohren.
1848 er hatte sunder lougen So hatte er [scil. Reinfried] fürwahr
1849 sus den von Engellanden, den von England,
1850 dô er sô was bestanden, als er angegriffen wurde,
1851 fridelîch erloeset. kampflos befreit.
1852 des wart sîn lop geroeset Davon wird sein Lob geblümt
1853 mit manges ruomes kranze. mit manchem Ruhmeskranz.
1854 man sach die schilte glanze Man sah den hellen Schein
1855 mit liehtem schîn erloschen. der glänzenden Schilde erloschen.
1856 ûf helme gar zerdroschen Ganz zerhauen lag manch
1857 manic rîch zimierde lac. teurer Schmuck auf dem Helm.
1858 wes der hôchgelopte phlac Was der hoch Gerühmte tat,
1859 von Norwæg künic Palarei? der König Palarei von Norwegen?
1860 mit kreften von im der turnei Das Turnier wurde von ihm
1861 von juste wart durfüeret. nach Kräften mit Tjosten gespickt.
1862 vil manic ritter rüeret Viele Ritter brachten
1863 den plân von sînem hurte. die Ebene mit ihrem Stoßen in Bewegung.
1864 er kunde ûz engem furte Er konnte auch aus engen Durchlässen
1865 ouch houwen wîte gazzen. weite Gassen hauen.
1866 man sach den schanden lazzen Man sah den von jeder Schande Freien
1867 dur daz gedrenge brechen. durch das Gedränge brechen.
1868 den jungen künic frechen Den jungen kühnen König
1869 lie man nâ prîse ringen. ließ man um Ruhm kämpfen.
1870 diu swert man hôrt erklingen Die Schwerter hörte man hoch
1871 hôch ûf in den lüften. oben in den Lüften erklingen.
1872 diz ritterlîche güften Man sah nicht, dass dieses ritterliche Tönen
1873 sach man ûf sic niht velzen. zum Sieg geführt hätte.
1874 die rotten kunden welzen Die Kampfgruppen wussten den Sieg
1875 nu hin nu har mit sigenunft. mal auf die eine, mal auf die andere Seite zu ziehen.
1876 diz was ie swâ des fürsten kunft Das war die Situation, auf die der Fürst
1877 von Brûneswîc sich halten von Braunschweig zusteuerte,
1878 wolt, dâ sach man spalten als man die Rotten
1879 die rotten sunder bîten. sich unverzüglich teilen sah.
1880 ungevohten rîten Unangefochten reiten
1881 lie man in sunder irren, ließ man ihn ohne einzugreifen.
1882 swenn er sich verwirren Wann immer er sich
1883 wolt in daz gedrenge, in das Gedränge mischen wollte,
1884 sô wert daz gar unlenge so dauerte es nicht lange,
1885 daz manneclîcher von im zôch. bis jeder sich vor ihm zurückzog.
1886 sîn übermæzic kraft die flôch Seine übermäßige Kraft floh
1887 maniger der in schûhte. mancher, der ihn zuerst verjagen wollte.
1888 die liut gemeine dûhte, Den Leuten kam es allen vor,
1889 sîn einic lîp der wær ein her. als wäre er allein ein ganzes Heer.
1890 er hât mit ritterlîcher wær Er hatte mit ritterlichem Gebaren
1891 des tages ûf dem plâne an diesem Tag auf der Ebene
1892 gemachet ritter âne fünfzehn Ritter von
1893 fünfzehen ors, diu wâren hôch, ihren hohen Rössern gefällt.
1894 diu man alle sament zôch Welchen Erfolg jene dort und
1895 den gernden ûz dem ringe. dieser hier hatten, lassen wir.
1896 wie jenen dort gelinge Welcher Erfolg jener dort und
1897 und disem hie, daz lâzen sîn. dieser hier hatte, lassen wir.
1898 minne tet ir zeichen schîn Die Liebe zeigte sich oft
1899 dicke an im der schande ie meit, an ihm, der Schande von jeher mied,
1900 wan er sich sô überstreit weil er sich so verausgabte,
1901 daz in betwanc diu müede. dass ihn die Müdigkeit bezwang.
1902 ob sich noch überlüede Wenn sich ein Ross so viel
1903 ein ros alsus, ez würde swach. zu viel auflüde, würde es schwach.
1904 swenn er denn êrst mit ougen sach Sobald er dann aber die erblickte,
1905 die die sîn herze meinte, an die sein Herz dachte,
1906 an die sîn sin sich einte, an die sein Verstand sich band,
1907 der sîn gedanc mit wunsche phlac, auf die sich sein Wunschdenken richtete,
1908 diu im sô nâhe im herzen lac die ihm so sehr am Herzen lag,
1909 daz al sîn sin und sîn gedanc dass sein ganzer Verstand und sein Denken
1910 zuo ir sunder valschen wanc mit ihr ohne falsches Zögern
1911 einlich was gemischet, eine Einheit bildeten,
1912 sô wart sîn kraft erfrischet so wurde seine Kraft aufgefrischt
1913 und lûterlîch erniuwet. und rein erneuert.
1914 alsus er aber bliuwet So schlug er wieder
1915 mit swerten ûf der helme tach. mit Schwerschlägen auf Helme.
1916 sîn herze dicke tougen sprach Sein Herz sagte oft heimlich:
1917 ,ach wær daz küssen mir beschert!‘ „Ach, würde ich doch den Kuss bekommen!“
1918 wartâ wart, wie er nu vert Aufgepasst, wie er nun reitet
1919 und nâ dem prîse vihtet! und um Ruhm kämpft!
1920 wie er die krumbe slihtet Wie er die Unordnung schlichtet
1921 mit hurtender malîe! mit Sturmangriff.
1922 wie nu in herzen sîe Wie es nun um das Herz derjenigen bestellt
1923 der diu im in sinnen lac war, die seinen Verstand beherrschte
1924 und diu sîn mit gedenken phlac und die seiner so
1925 sô gar durliuhteclîche, ganz und gar strahlend gedachte,
1926 wie diu minneclîche wie der Lieblichen
1927 in herzen sich gehüebe? ums Herz war?
1928 ir ougen wurden trüebe Ihre Augen wurden oftmals trüb
1929 dicke von den schricken, vor Schreck,
1930 swenn sî diu swert erblicken wenn sie die Schwerter auf dem Helm
1931 sach ûf ir friundes helme, ihres Geliebten aufblitzen sah
1932 und sô er in dem melme und er in dem Staub
1933 leit ritterlîchen ungemach. ritterliches Ungemach litt.
1934 swenn aber er die rotten brach Wann immer er aber mit gewaltigen
1935 mit gewaltes hurte, Stößen die Rotten durchbrach,
1936 zehant diu minne schurte schürte die Liebe sogleich
1937 ir fiur in herzen nâher, ihr Feuer näher am Herzen,
1938 daz ir gedenken gâher sodass ihr Gedenken ihm ungeduldiger
1939 wart zuo im denn ez wære. zueilte als zuvor.
1940 ir aller groestiu swære Ihre allergrößte Sorge
1941 was wie sî daz minnen war, wie sie ihm die Liebe
1942 in möhte bringen innen auf so angemessene Weise
1943 und doch mit dem gelimphe vermitteln könnte,
1944 daz ez im iht ze schimphe dass sie ihm nicht zum Spott
1945 wær, ob ers niht enmeinde. gereichte, wenn er sie nicht erwiderte.
1946 ir herze tougen weinde Ihr Herz weinte heimlich
1947 umb die zwîvellîche nôt. aus großer Verzweiflung.
1948 sî wiste niht ob er sich bôt Sie wusste nicht, ob er ihr zu dienen
1949 in ir dienest oder niht, bereit wäre oder nicht,
1950 und seit ir doch irs herzen phliht, und doch sagte ihr ihr Herz,
1951 sî wær ez nâ ir dunken. sie wäre ihm die, die sie ihm zu sein glaubte.
1952 sîn geberde sunken Seine Gebärden berührten
1953 sô tief in ires herzen grunt sie so tief im Herzen,
1954 daz ir in den sinnen kunt dass sie wahrnahm,
1955 wart des sî wiste kleine. was sie doch kaum wusste.
1956 mit alsô ganzer meine Mit all ihrer Liebe
1957 trût sî den sælden rîchen, war sie dem Glückreichen hold,
1958 daz sî unzwîvellîchen sodass sie ohne Zweifel
1959 wolt wizzen daz siz wære wissen wollte, dass sie es wäre,
1960 dur die der fürste mære für die der herrliche Fürst
1961 sich alsus arbeite. sich so abrackerte.
1962 irs herzen sin der seite Der Verstand ihres Herzens ließ sie
1963 ir sicher sîner noete phliht. über das Ziel seiner Anstrengung nicht im Unklaren.
1964 wizzent daz ez wol beschiht Wisst, dass es sehr wohl vorkommt
1965 und aller meist von minne, und zumeist aus Liebe,
1966 daz eines herzen sinne dass die Sinne eines Herzens
1967 dem andern swære kündent dem anderen Betrübnis bringen,
1968 alsô daz sî durgründent sodass einer ständig
1969 die sinne mit gedenken, an den anderen denken muss.
1970 dâ zuo kan sich senken In der Folge meint man rasch,
1971 schier der minne merken. es mit Liebe zu tun zu haben.
1972 daz merken kan denn sterken Das kann den Zweifel
1973 den zwîvel daz er wizzen wil, stärken, sodass man wissen will:
1974 ,wie ich mîner denke vil „Sowie ich möglichst viele meiner Gedanken
1975 hin senke mit der trahte: in Betrachtung auf etwas richte,
1976 dar hab ich bezzer ahte erfahre ich dort mehr Beachtung
1977 denn dâ ich hin gedenke niht. als da, wohin sich meine Gedanken nicht richten.
1978 und swaz mîn ouge guotes siht, Und was mein Auge Gutes sieht,
1979 daz nim ich mir ze heile.‘ das nehme ich zu meinem Vorteil.“
1980 sus wart ouch ir ze teile So entstand auch ihr
1981 von dem merken wizzen. aus der Wahrnehmung Wissen.
1982 sî was dar an geflizzen Sie bemühte sich darum
1983 mit al irs herzen trahte, mit dem ganzen Streben ihres Herzens,
1984 daz sî ûf in ahte dass sie auf ihn achtete,
1985 swaz er tet und ie begienc, was er tat und je beging,
1986 daz sî daz in ir herze vienc dass sie das in ihrem Herzen sammelte,
1987 und jagt im mit den ougen nâch. und folgte ihm mit den Augen.
1988 der strengen süezen minne schâch Das unerbittliche süße Spiel der Liebe
1989 dem fürsten under helme sprach. geisterte ihm im Kopf umher.
1990 er wartet ûf sî unde sach Er suchte sie und sah
1991 ir ougen ûf in blicken. ihre Augen auf ihn gerichtet.
1992 daz blicken kunde stricken Ihr Blick wusste ihm
1993 im swære in die sinne. die Sinne schwer zu machen.
1994 diu künsterîchiu minne Die trickreiche Liebe
1995 sî lêrte an den stunden, lehrte sie zu dieser Stunde,
1996 sô sî schier befunden wie sie bald feststellten,
1997 ein einhelligez meinen, das Gleiche zu denken,
1998 und kunden daz bescheinen und sie wussten das gut
1999 beidiu wol ein ander. einer dem anderen zu zeigen.
2000 er suochte blic, sô vander Suchte er ihren Anblick, so sah er,
2001 an ir widerblicke. dass sie zurückblickte.
2002 die blicke in minne stricke Die Blicke verknoteten
2003 ir beider herze knupften ihrer beider Herzen in die Stricke der Liebe,
2004 alsô daz sî erlupften sodass sie durch das liebende Gedenken
2005 von der minne meine. in die Höhe gehoben wurden.
2006 diu minneclîche reine Die liebliche Reine
2007 den zwîvel snelleclîchen liez vergaß den Zweifel schnell,
2008 der ir in ir herze stiez, der sie im Herzen damit gepeinigt hatte,
2009 ob sî ez wære oder niht. ob sie es wäre oder nicht.
2010 er hât ouch guote zuoversiht Er machte sich auch große Hoffnungen
2011 gên ir, daz maht ir kapfen. auf sie; das bewirkte ihr intensives Schauen.
2012 sô er ie nâher stapfen Je näher er sich auf sie
2013 ze ir began, sô spurt er daz zu bewegte, umso mehr spürte er, dass
2014 in ir ouge nie vergaz. sie ihn nicht aus den Augen ließ.
2015 Diz tet im sorge kranken. Das ließ seine Sorgen schrumpfen.
2016 im was in den gedanken Er wusste auch
2017 ouch kunt ir lieplich triuten. um ihre liebevolle Zuneigung.
2018 dâ von sô muos er riuten Daher musste er sich die Sorge
2019 sorge ûz dem sinne. aus dem Kopf schlagen.
2020 wes er nu beginne, Was er nun anfing,
2021 des nement war, wie er nu vert, das vernehmt, wie er nun verfährt,
2022 wie sîn swert ûf helme bert, wie sein Schwert auf Helme schlägt,
2023 wie er schilt zerstücket, wie er Schilde zerhaut,
2024 wie er helde drücket wie er Helden mit Gewalt
2025 mit gewalt her under. niederdrückt.
2026 er mohte wol, sô kunder Er vermochte es wohl, so wusste er
2027 ouch würken ritterlîche tât. auch ritterliche Taten zu vollbringen.
2028 sus der tac vollendet hât Auf diese Weise verging
2029 sich unz ûf die âbentzît. der Tag bis zum Abend.
2030 wê waz grôzer koste lît Weh, was an Werten auf
2031 ûf dem plân geströuwet! der Ebene verstreut liegt!
2032 ob iemen dâ erfröuwet Ob da jemand
2033 wart von gebender hende? von freigebigen Händen erfreut wurde?
2034 jâ, sunder missewende Ja, ohne eine schändliche Handlung
2035 wart man dâ rîch und niemen arn. wurde man da reich und niemand arm.
2036 och waz krîger kan gevarn Ach, was an Kämpfern,
2037 dar mit lobendem schalle! von Jubelrufen begleitet, daher kam!
2038 man hiez die herren alle Man gebot den Herren allen
2039 erteilen nâ dem kusse. über den Kuss ein Urteil zu fällen.
2040 ob des ieman verdruzze? Ob das jemanden verdross?
2041 jâ, wan er was hin gegên Ja, denn er wurde mit der Intention
2042 in dem sinne, in solte nên gegeben, dass derjenige ihn empfangen sollte,
2043 der des er eigenlîche was, dem er rechtmäßig zustand,
2044 der gewalteclîchen saz der heimlich mit aller Macht
2045 in ir herzen tougen. in ihrem Herzen saß.
2046 dô wart ie âne lougen Da wurde gleich unleugbar
2047 erteilet ritterlîchen und ritterlich von Armen
2048 von armen und von rîchen, und Reichen entschieden,
2049 er het in ouch errungen. er [scil. Reinfried] hätte ihn auch errungen.
2050 man hôrte manic zungen Man hörte viele Zungen
2051 sîn lop in wirde gesten. sein Lob in Würde preisen.
2052 man zalt in für den besten Man zählte ihn auf beiden Seiten
2053 verre ûf beiden sîten. weitaus zu den Besten.
2054 nu hiez man balde rîten Nun gebot man, schnell
2055 nâ der wolgetânen, die wohlgestalte,
2056 der minneclîchen Yrkânen, liebliche Yrkane zu holen,
2057 diu daz küssen bî ir truoc. die den Kuss bei sich trug.
2058 wê wie dô ir herze sluoc, Weh, wie da ihr Herz klopfte,
2059 dô sî solte zuo im dar! als sie zu ihm hin sollte!
2060 under iren armen har Unter dem Schutz ihrer Arme brachten
2061 sî hôhe fürsten fuorten hohe Fürsten sie her,
2062 die sî doch niht enruorten die sie doch nicht mehr berührten,
2063 wan als diu rehte mâze hiez. als das rechte Maß es zuließ.
2064 nider von dem orse liez Manch verdienter Held ließ sich
2065 sich gên ir manic werder helt. vor ihr von seinem Ross gleiten.
2066 den aber sî hât uz erwelt Den sie sich aber in ihrem Kopf
2067 ze trût in irme sinne als Liebsten ausgewählt hatte
2068 und den ir herzen minne und die Liebe ihres Herzens
2069 für alle fürsten wolte, vor allen anderen Fürsten wollte,
2070 dem sî ouch geben solte dem sie auch die Krone
2071 der âventiure krône, der Aventiure geben sollte,
2072 der stuont vor ir dô schône der stand da schön, mit Anstand
2073 mit zühten fröuden rîche. und voll Freude vor ihr.
2074 und in diu minneclîche Als ihn die Liebliche
2075 sô ruozig under ougen sach, so schmutzig unter den Augen sah,
2076 in ir herz sî tougen jach: sprach sie heimlich in ihrem Herzen:
2077 ,Ei daz sint ritterlîchiu mâl. „Ei, das sind ritterliche Male.
2078 lept Rischaude die der Grâl Lebte Rischaude, von der der Gral
2079 sich von êrste tragen lie, sich zuerst tragen ließ,
2080 ir wær ze vil und solt sî hie wäre es ihr zu viel, sollte sie hier
2081 den fürsten küssen als ich sol. den Fürsten küssen, wie ich es soll.
2082 ach süeziu minne, tuo sô wol, Ach, süße Liebe, sei so gut,
2083 lâ sîn herze erkennen lass sein Herz das liebliche
2084 daz minneclîche brennen Brennen erkennen,
2085 sô ich nâ im lîde. das ich nach ihm leide.
2086 mir hât der sorgen snîde Mir hat die Klinge der Sorgen
2087 ze herzen jâmers vil geleit. viel Leid im Herzen verursacht.
2088 wol der hôhen manheit Wohl der hohen Männlichkeit,
2089 diu sô vil êren wirbet! die so viel Ehre erwirbt!
2090 mîn fröude in wâne stirbet Meine Freude stirbt vor
2091 nâ im, die sol er troesten. Sehnsucht nach ihm; die soll er trösten.
2092 mîner sinne roesten Das Brennen meiner Sinne
2093 ist von im schier erloeset, wird sogleich besänftigt durch ihn,
2094 des lop sô hôch geroeset dessen Lob so hoch verherrlicht
2095 für alle fürsten liuhtet. vor allen Fürsten leuchtet.
2096 ei wirt sîn herze erfiuhtet Ei, verspürt sein Herz
2097 ouch nâ girdes luste, auch die begierige Lust,
2098 sô daz in under bruste sodass ihn in der Brust
2099 ouch twunge daz mich twinget, dasselbe drängte, was mich bezwingt,
2100 sô wær mîn leit geringet so wäre mein Leid geschmälert
2101 und müest mîn herze fröude hân.‘ und müsste mein Herz Freude haben.“
2102 sus stuont sî ûf und sach in an So stand sie auf und sah ihn an,
2103 verdâht mit dem gedenken. ganz versunken in Gedanken.
2104 ir schoene sich ouch senken Ihre Schönheit berührte ihn
2105 ze sînes herzen grunde ab dieser Stunde
2106 begunde an der stunde. tief im Herzen.
2107 Dô er sî sô schoene ersach, Als er sie so schön erblickte,
2108 daz sîn herze niht enbrach war es ein Wunder, dass sein Herz
2109 von fröuden, daz was wunder. vor Freude nicht zersprang.
2110 ir reidez hâr ir under Ihr blondes Haar schien
2111 der vil rîchen krône schein unter der überaus wertvollen Krone
2112 durliuhteclîchen reht als ein von innen heraus leuchtend, ganz wie
2113 schôn durwünscht gespunnen golt. fein gesponnenes Gold.
2114 got hât hôher fröuden solt Gott hat den Lohn hoher Freuden
2115 an ir lîp erzöuget. an ihrem Körper geoffenbart.
2116 ach wie schôn geböuget Ach, wie schön gebogen
2117 ûz wîzer stirnen glizzen, glänzten braune Brauen
2118 reht als sî dar gerizzen aus ihrer weißen Stirn, ganz so
2119 wæren, brûne brâwen! als wären sie aufgezeichnet!
2120 gelwer denn ie klâwen Gelber als Horn je sein
2121 würden oder sîgen könnte oder der Urin
2122 eines wilden wîgen, einer wilden Weihe,
2123 sô was ir goltvarwez hâr. so war ihr goldfarbenes Haar.
2124 ûf dem schein durliuhtic klâr Darauf glänzten leuchtend klares
2125 golt, und drin gewieret Gold und eingearbeitete
2126 edel stein, daz zieret Edelsteine, das zierte
2127 wol die zarten fînen. die zarte Feine gut.
2128 dem glaste widerschînen Diesem Glanz entgegen strahlen
2129 sach man ir klârez bilde. sah man ihr klares Antlitz.
2130 nie herze wart sô wilde, Nie gab es ein so rohes Herz,
2131 ir schoene möht ez binden dass ihre Schönheit es nicht gefesselt hätte,
2132 und künde herzen linden die Herzen zu erweichen vermocht hätte,
2133 diu herter wæren denn ein stein. die härter als Stein waren.
2134 sô gar minneclîche schein So ganz und gar lieblich leuchtete
2135 ir scheitel sam ein krîde. ihr Scheitel wie Kreide.
2136 ich waene daz kein sîde Ich glaube, dass keine Seide
2137 sô klein ie wart gespunnen jemals so fein gesponnen wurde
2138 als ir löcke. entrunnen wie ihre Locken. Allem Leid
2139 wær er allem leide, entronnen wäre,
2140 swer ir zöphe reide wer auch immer ihre blonden Zöpfe
2141 solde girdeclîche sehen begierig sehen sollte
2142 und ir neckel dâ dur brehen und ihren Nacken, der weißer
2143 wîzer denn ein simelmel. als feines Weizenmehl hindurchblitzte.
2144 lanc und als ein sîde gel Lang und gelb wie Seide
2145 was ir hâr, daz verre hienc war ihr Haar, das bis über den Gürtel
2146 für den gürtel, swar sî gienc. herabhing, wo immer sie ging.
2147 Sus was sî geschicket, So war sie beschaffen.
2148 swer sî reht erblicket, Wer immer sie recht erblickte
2149 hâr scheitel und ir stirne, – Haar, Scheitel und ihre Stirn –,
2150 sô weiz ich daz sîn hirne von dem weiß ich, das sein Hirn
2151 nâ ir mit sinne wüete. sich mit allen Sinnen nach ihr verzehrte.
2152 diu minneclîche blüete Die liebliche Blüte,
2153 durliuhter denn ein mandel. durchscheinender als die einer Mandel.
2154 an ir sô wart kein wandelflecke An ihr wurde niemals
2155 nie beschouwet. irgendein Makel entdeckt.
2156 ir lîp den hât betouwet Ihren Körper hat heimlich
2157 alliu sælde tougen. alles Glück mit Tau überzogen.
2158 ach wie lieht ir ougen Ach, wie hell ihre Augen
2159 nâ sternen funken schuzzen! gleich Sternen Funken versprühten!
2160 ich wæne daz sî guzzen Ich glaube, dass sie, indem
2161 in herze mit ir senke sie Eingang ins Herz fanden, diesem
2162 senelîch gedenke sehnsuchtsvolle Gedanken eingaben,
2163 die sî wol kunden stricken. mit denen sie gut zu fesseln verstanden.
2164 ach ir friuntlich blicken Ach, ihr freundliches Schauen,
2165 wie sach man daz dô schiezen wie sah man das da schießen
2166 und tougenlîchen sliezen und heimlich schließen
2167 herze in herz und sin in sin! Herz in Herz und Verstand in Verstand!
2168 die gedenke sam ein zin Die Gedanken verschmolzen
2169 tâten sî versmelzen. wie Zinn.
2170 vesteclîchen velzen Tief im Herzen wussten sie
2171 sich kunden sî in herzen grunt. sich fest ineinander zu legen.
2172 ganziu herzen wurden wunt Heile Herzen wurden wund
2173 von ir angesihte. von ihrem Anblick.
2174 swaz ie mit getihte Was auch immer jemals mit Reimen
2175 an frouwen schoene wart geleit, Frauen an Schönheit zugesprochen wurde,
2176 daz wac gên ir schônheit das zählte gegenüber ihrer Schönheit
2177 niht als umb ein bappel. nicht mehr als eine bappel.
2178 irre krône schappel Der Zierde ihrer Krone
2179 und irre ougen liuhten und das Leuchten ihrer Augen
2180 mehten noch durfiuhten könnten gar noch eine vom Wind
2181 ein kerze gar wintdürre. ausgeblasene Kerze entzünden.
2182 ob ir gesihte würre Ob ihr Äußeres etwa
2183 gedenke iht zuo gedenken? die Gedanken verwirren könnte?
2184 jâ, sî kunden krenken Ja, es konnte Sorgen
2185 sorge und dâ bî füegen nôt. schmälern und dabei Leid zufügen.
2186 nie kein munt sô rôsenrôt Niemals wurde ein so rosenroter Mund
2187 als ir mündel wart gesehen wie der ihre gesehen,
2188 schôn durliuhteclîchen brehen der so herrlich hervorleuchtete
2189 sam ein rôse in touwe. wie die Rose aus dem Tau.
2190 wâ wart reiner frouwe Wo gab es jemals eine reinere
2191 ie? des weiz ich sicher niht. Frau? Das weiß ich wirklich nicht.
2192 alsô minneclîch gesiht Ein so liebliches Gesicht
2193 wart nie an ritters trûte. gewann niemals die Zuneigung eines Ritters.
2194 swaz man von Jeschûte Was immer man von dem Mund der
2195 de la Lander mündel seit, Jeschute von Lalander sagte,
2196 der truoc halbe schônheit dessen Rot war nicht
2197 nie sô dirre gerwe. halb so schön.
2198 ich wæn dâ mit man verwe, Ich glaube, damit [scil. mit Yrkanes Mund] könnte man
2199 ez sîge minwe ald zinober, sogar Mennige oder Zinnober färben.
2200 ir under mündel und der ober Ihre Lippen
2201 tragent liehter varwe schîn. leuchteten hell.
2202 ein bild niht schoener möhte sîn, Ein Bild könnte nicht schöner sein,
2203 stüend ez in einer kefsen. stünde es in einem Rahmen.
2204 ze mâzen dicke ir lefsen Ihre Lippen mäßig voll,
2205 sam ein zunder brunnen. wie eine Zündquelle,
2206 noch liehter denn der sunnen noch heller als die Sonne
2207 was ir zarter ougen brehen. war das Strahlen ihrer zarten Augen.
2208 ûz dem mündel wart gesehen Aus ihrem Mund blitzten
2209 zene nâ helfenbeine. Zähne wie Elfenbein.
2210 wîze dünne und kleine Weiß, schmal und klein waren
2211 sî gewünschet wâren dar. sie darin, wie man sie sich wünschte.
2212 sam die wilden rôsen var In der Farbe wilder Rosen
2213 lûhten lieht ir wengel, leuchteten hell ihre Wangen
2214 und hienc des hâres strengel und es hing ihr eine blonde
2215 ein löckel reit dâ bî zetal. gelockte Haarsträne daneben herab.
2216 diu schoene süeze über al Die schöne Süße erstrahlte
2217 sô minneclîch erlûhte, überall so lieblich,
2218 daz einen wol bedûhte, dass es wohl schien,
2219 ez wær ein engel, niht ein wîp. sie sei ein Engel, keine Frau.
2220 minneclîcher schoener lîp Ein lieblicher schöner Körper
2221 wart nie sô süezer noch sô guot entstand niemals so süß noch so gut
2222 als dâ man milch und dâ zuo bluot wie da, wo man Milch und Blut
2223 in rehter mâze mischet. nach rechtem Maß mischte.
2224 noch reiner wart erfrischet Noch reiner wurden ihr Mund
2225 ir mündel und ir wangen. und ihre Wangen erfrischt.
2226 strenger minne zangen Die Zangen unerbittlicher Liebe
2227 lâgen dinn verborgen. lagen in ihnen verborgen.
2228 ich weiz daz an dem morgen Ich weiß, dass am Morgen
2229 nie lûhte liehter morgenrôt das Morgenrot niemals heller leuchtete,
2230 als ir schîn dem golde bôt als ihr Leuchten auf Gold abstrahlte
2231 und daz golt dem schîne wider. und das Gold den Schein reflektierte.
2232 ez solten noch eins ritters lider Es sollten noch die Glieder eines Ritters
2233 umb den kus erkrachen. wegen des Kusses krachen.
2234 ich wæne daz ir lachen Ich glaube, dass ihr Lachen
2235 træge sinne mahte snel. träge Sinne schnell machte.
2236 da bî ein kerz ir slehtiu kel, Dazu wie eine Kerze ihr zarter Hals,
2237 wîzer denn ein hermel. weißer als Hermelin.
2238 ich weiz wol, swen ir ermel Ich weiß genau, dass, wen immer ihr Arm
2239 solt lieplîch umbevâhen, liebevoll umfangen sollte,
2240 daz dem müese nâhen dem Freude und freudige Stimmung
2241 fröude und hôchgemüete. zukommen müssen.
2242 munt und wengel blüete Mund und Wangen erstrahlten so,
2243 daz nie sin sô listic wart dass kein Verstand jemals so erfinderisch war,
2244 der gewünschen halber vart dass er sich auch nur halb so viel wünschen
2245 künde daz dâ gerwer schein. konnte, wie da an Farbe leuchtete.
2246 sô gar minneclîche rein So ganz und gar lieblich rein
2247 was krône schappel gelwez hâr, waren Krone, Kopfschmuck, blondes Haar,
2248 stirne brâwen oügel klâr, Stirn, Brauen, klare Äuglein,
2249 nase mündel tinne, Nase, Mund, Schläfe,
2250 hüffel wengel kinne, Hüften, Wangen, Kinn,
2251 kele neckel, al der lîp Hals, Nacken – kurz: der ganze Körper,
2252 der sol zieren reiniu wîp der reine Damen zieren soll,
2253 ân alle vingerzeige. ohne dass jemand mit dem Finger auf sie zeigte.
2254 swaz ich lobes seige Was immer ich an demütigem Lob
2255 ûffen sî, daz ist ein wint. in den Himmel riefe, das wäre nichts.
2256 hendel wîz und vinger sint Die Händchen sind weiß und die Finger
2257 lanc sleht unde sinewel. lang, schmal und wohlgeformt.
2258 sô durliuhtic libes vel Die Haut eines so strahlenden Körpers
2259 wart nie noch sô reine aus Fleisch und Knochen
2260 von fleische noch gebeine war noch nie so rein,
2261 swâ sî schein vor der wæte. wo sie hinter der Kleidung hervorleuchtete.
2262 waz sî dar under hæte, Was sie darunter hatte,
2263 daz weiz sî wol, ich sach sîn niht. das weiß sie wohl, ich sah es nicht.
2264 doch dunket mich, irs lîbes phliht Doch kommt mir vor, die Beschaffenheit ihres Körpers
2265 wær gar nâ wunsches luste. war ganz nach der Begierde des Wunsches.
2266 hôch und kleine bruste Eine hohe und kleine Brust,
2267 reht als ein apfel sinewel. rund wie ein Apfel
2268 wîzer denn ie krîdemel und weißer als jemals Kreidestaub,
2269 wæn ich daz ez wære. glaube ich, dass es wäre.
2270 sus der sorgenbære So stand der Unglückliche
2271 vor der hôchgelopten stuont, vor der Hochgelobten,
2272 und tet als alle die noch tuont und tat, was noch heute alle die tun,
2273 die sich nâ minne senkent die sich um Liebe bemühen
2274 und ungedâht gedenkent und gedankenlos denken,
2275 alsô daz sî verstumment. sodass sie ganz verstummen.
2276 ir ôren diu vertumment Ihre Ohren ertauben,
2277 daz sî niht hoerent waz man seit. sodass sie nicht hören, was man sagt.
2278 swer ein sendez herze treit, Wer immer ein sehnsuchtsvolles Herz hat,
2279 der merket daz ich sunder vâr der wird feststellen, dass ich ohne Schlechtigkeit
2280 hân an mangen dingen wâr. über viele Dinge Wahres gesagt habe.
2281 Alsus wart hie ein brehten So erhob sich ein Lärmen
2282 von herren unde knehten, von Herren und Untergebenen,
2283 rittern unde frouwen, Rittern und Damen,
2284 die alle wolten schouwen die alle sehen wollten,
2285 wie ez dâ ergienge, wie es da zuging,
2286 wie er den kus enphienge wie er den Kuss und auch
2287 und ouch daz golt. dô daz beschach, das Gold entgegennahm. Als das geschah,
2288 Fontânâgrîs der alte sprach sprach der alte Fontanagris:
2289 ,hoerent, alle die hie sint, „Hört alle, die ihr hier versammelt seid,
2290 der die âventiure nint, wer die Aventiure gewonnen hat,
2291 ein fürste ûz Sahsen lande, ein Fürst aus Sachsen,
2292 des werder lîp vor schande dessen edler Leib sich bisher
2293 sich har hât gefrîget. jeglicher Schande enthalten hat,
2294 ûf in hât gezwiget nach ihm hat die Ehre
2295 êre ir frühtic lobes rîs. ihren fruchtbaren Zweig des Ruhmes ausgestreckt.
2296 im ist der âventiure prîs Ihm wurde der Preis dieser Aventiure
2297 mit urteil hie erteilet, hier durch Urteilsspruch zuteil,
2298 sît er umb êre veilet weil er Körper, Geist und Leben
2299 lîp geist unde dâ zuo leben. für die Ehre riskiert.
2300 tohter schoen, dem soltu geben Schöne Tochter, dem sollst du
2301 der hôhen âventiure zins. den Preis der hohen Aventiure geben.
2302 sîn lîp herter denn ein flins Sein Körper ist an großer Kraft
2303 ist an hôher krefte. härter als Fels.
2304 er hât mit ritterschefte Er hat mit Ritterschaft
2305 den hôhen prîs errungen. großen Ruhm errungen.
2306 im sont alle zungen Darum sollen ihm alle
2307 lobes dar umb flêhen. Zungen Lob singen.
2308 sô starker slege lêhen Er hat hier heute
2309 het er hiut hie verliuhen, so starke Schläge ausgeteilt,
2310 daz man in billich schiuhen dass man zu Recht Respekt
2311 sol an ritterlîcher tât.‘ vor seinen ritterlichen Taten haben soll.“
2312 sî sprach ,herre, sît er hât Sie sprach: „Herr, weil er hier
2313 genomen hie des siges prîs den Sieg errungen hat,
2314 sô lege ich gerne mînen vlîz so gewähre ich ihm gerne,
2315 an in nâ dînem râte.‘ was Ihr mir befehlt.“
2316 hin sô bôt sî drâte Sie streckte ihm sogleich
2317 daz golt mit ir snêwîzen hant. mit ihrer schneeweißen Hand das Gold hin.
2318 ,veterlîn, tuo mir bekant‘, „Väterlein, sag mir“,
2319 sprach sî ,wie sol daz küssen sîn?‘ sprach sie, „wie soll das Küssen vonstatten gehen?“
2320 ,sîn mündel sol sich an daz dîn „Sein Mund soll sich liebevoll
2321 triuten minneclîche‘, an deinen drücken“,
2322 sprach der künic rîche. sprach der mächtige König.
2323 ,Nein‘, sprach der fürste, ,ich enwil. „Nein“, sagte der Fürst, „ich will nicht.
2324 der êren wære gar ze vil, Das wäre der Ehren gar zu viel,
2325 die ich unverdienet hân. die ich nicht verdient habe.
2326 kusses wil ich sî erlân: Mir soll das Küssen, bitte, erlassen werden:
2327 mich wil sus wol benüegen.‘ Ich werde mich so zufrieden geben.“
2328 daz weren kunde füegen Seine Abwehr machte
2329 der minneclîchen swære. es der Lieblichen schwer.
2330 sî dâht ,im ist unmære Sie dachte: „Vielleicht ist ihm
2331 lîht mînes mundes rüeren. die Berührung meines Mundes egal.
2332 er wil sîn küssen füeren Er will dort küssen,
2333 dar dâ er holder herze treit.‘ wo er mehr liebt.“
2334 daz brâht ir ein strengez leit Das verursachte ihr hartes Leid
2335 in sinnen und in muote. in Kopf und Gemüt.
2336 ,nein‘, sprach der hôchgemuote „Nein“, sprach der hochgestimmte
2337 Fontânâgrîs, ,daz sol niht sîn. Fontanagris, „das soll nicht sein.
2338 sît ich und mîn töhterlîn Immerhin ließen ich und mein Töchterlein
2339 die âventiure ûz hiezen diese Aventiure ausrufen,
2340 schrîgen, unde liezen und ließen
2341 wir sî denn sô under wegen, wir sie so im Sand verlaufen,
2342 dâ von lasters müese phlegen müsste meine Ehre davon
2343 mîn êre. nement hin den kus. Schaden nehmen. Empfangt diesen Kuss,
2344 ez ist niht anders denn alsus, es geht nicht anders,
2345 sît ir hânt von schanden fluht.‘ weil Ihr Schande flieht.“
2346 diz versprach er dur sîn zuht Er [scil. Reinfried] versprach es aus Anstand
2347 und lie sich doch wol twingen und ließ sich doch gern
2348 mit gar senften dingen. mit sehr sanftem Druck dazu zwingen.
2349 Sus daz küssen dô ergienc So ging das Küssen also vonstatten,
2350 daz sî gap und er enphienc das sie gab und er empfing,
2351 mit einem umbevange. wobei sie einander umarmten.
2352 sî druhten wang an wange Sie drückten Wange an Wange
2353 und minneclîche munt an munt. und liebevoll Mund auf Mund.
2354 ob kein herze würde enzunt Ob da die Herzen nicht von
2355 dâ von süezer minne? süßer Liebe entzündet wurden?
2356 jâ, ich wæne ez brinne Ja, ich vermute, sie entbrannten
2357 dur lusteclîche wirde bei der lustvollen Ehrung
2358 nâ der süezen girde in süßer Begierde,
2359 diu in ir herze ûf kîmet, die in ihrem Herzen aufkeimte,
2360 dô munt an munt gelîmet als so liebevoll und eng
2361 sus minneclîche klepte. Mund an Mund klebte.
2362 ir beider herze swepte Ihrer beider Herzen wurden ihnen
2363 hôch in fröuden sam sî flugen. vor Freude leicht, als ob sie flögen.
2364 in ein einic sî sî zugen Herz, Verstand und Gefühl
2365 beide herze sin und muot. verschmolzen zu einer Einheit.
2366 ach waz minne wunders tuot Ach, was Minne noch heute
2367 noch an zwein gelieben! zwischen zwei Liebenden an Wundern bewirkt!
2368 von herz in herz sî schieben Von einem Herz ins andere kann
2369 kan wunderlîche fünde, sie wunderliche Dinge stoßen,
2370 alsô daz ouch die münde so dass kein Mund
2371 ir leit niht hânt gekündet: ihr Leid verkündet:
2372 dâ wirt der sîn durgründet Da wird der Verstand ohne Worte
2373 ân sprâchen mit gedenken. mit Gedanken erfüllt.
2374 wâ von sich aber senken Wovon sich die Liebe aber
2375 diu minne mê mit flüzzen mit feuchten Küssen
2376 von eines mundes küssen mehr als durch andere Sachen
2377 kan dan von ander sache, ins Herz senken kann,
2378 ob ich kan, daz mache das mache ich euch,
2379 ich iuch kunt mit sinne. wenn ich kann, verständig kund.
2380 wizzent daz diu minne Wisst, das die Liebe
2381 niht ist wan ein gedenken nicht mehr ist als ein Denken
2382 und ein lieplîch senken und ein liebliches Sehnen
2383 mit minneclîcher girde mit liebevoller Begierde
2384 nâ hôchgelopter wirde, nach hochgelobter Auszeichnung,
2385 vor allem valsch gefrîet, frei von allem Falsch,
2386 und wirt von êrst gezwîet und sie befällt zuerst
2387 in ougen und in herzen. Augen und Herzen.
2388 daz senen senftet smerzen, Die Sehnsucht dämpft die Schmerzen,
2389 gir und fröude beide. ebenso die Begierde und die Freude.
2390 ez fröuwet in dem leide Sie erfreut im Leid
2391 und smirzet in der liebe. und schmerzt in der Liebe.
2392 man zellet sî ze diebe Man rechnet sie zu den Dieben
2393 an herzen und an sinnen. an Herzen und Sinnen.
2394 wizzent mê von minnen: Erfahrt noch mehr von der Liebe:
2395 swâ ir name ist als vergift Wo immer ihr Name fälschlich in den Mund genommen wird,
2396 daz er niht zem besten trift sodass er nicht zutrifft
2397 und velschet sich in muote, und nicht mit der Empfindung übereinstimmt,
2398 sô daz er schînet guote sodass er gut erscheint,
2399 und treit doch leides angel, aber doch die Spitze des Leides in sich trägt,
2400 wizzent daz man mangel wisst, dass man da
2401 dâ hât rehter minne. aufrichtiger Liebe entbehrt.
2402 minne wîset sinne Die Liebe weist die Sinne
2403 niuwan an daz guote. ausschließlich zum Guten.
2404 swer sich sô hât in huote Wer sich so in der Gewalt hat,
2405 daz er sich niht vergâhet dass er sich mit den Sinnen
2406 mit sinnen, seht dem nâhet nicht übereilt, seht, dem wird
2407 von minnen hôher sælden funt. durch die Liebe hohes Glück zuteil werden.
2408 minne in sender herzen grunt In der Tiefe sehnsuchtsvoller Herzen
2409 ûf wahset unde würzet. wächst und wurzelt die Liebe.
2410 swar der sin sich schürzet, Wohin immer der Verstand zieht,
2411 dâ jagent die gedenke nâch. dahin jagen die Gedanken nach.
2412 nu mac den sinnen wol ze gâch Nun können sich die Sinne wohl
2413 werden, daz si vælent übereilen, sodass sie die rechte Liebe
2414 an rehter minne und mælent nicht treffen und sich
2415 sich ze ungenôzen. mit Unpassendem paaren.
2416 dâ hant gedenk verstôzen Da haben sich die Gedanken
2417 an herzen und an sinne. an Herz und Sinnen vergangen,
2418 des ist unschuldic minne, daran ist die Liebe unschuldig,
2419 wan diu wil niht wan guotes. denn sie will nichts als Gutes.
2420 minne phliget des muotes Liebe tut dem Gemüt gut,
2421 dem sin und herz ist undertân. dem Verstand und Herz unterstellt sind.
2422 sît sî alsus senken kan Da sie sich auf diese Weise
2423 sich in vester herzen grunt, tief in harte Herzen senken kann,
2424 dâ von sol ein ieclich munt soll und wird jeder Mund
2425 und muoz ein wârer bote sîn ein glaubwürdiger Bote
2426 des herzen, dâ diu minne în des Herzens sein, wo die Liebe
2427 sich hât geleit mit sinnen. sich mit den Sinnen niedergelassen hat.
2428 swar daz herze minnen Worauf das Herz seine Liebe richten
2429 wil, dâ sol ouch hin der munt will, dorthin soll auch der Mund
2430 ein bote sîn und machen kunt Botschaft senden und des Herzens
2431 des herzen kumber unde pîn. Kummer und Leid bekannt machen.
2432 der minne slôz sô sol er sîn, Er soll wie das Schloss der Liebe sein,
2433 diu zunge ein starker vester rigel, die Zunge einer starker fester Riegel,
2434 ein kus ein wârez ingesigel ein Kuss ein glaubhaftes Siegel
2435 friuntlîcher trûtschefte. freundschaftlicher Zuneigung.
2436 swâ minne mit ir krefte Wo Liebe sich mit ihrer Macht
2437 gesiget in zwein herzen, in zwei Herzen versenkt,
2438 diu gelîchen smerzen die die gleichen Schmerzen
2439 nâ ein ander lîdent, nacheinander leiden,
2440 die gedenke snîdent schneiden die Gedanken
2441 beidenthalben sam ein swert. auf beiden Seiten wie ein Schwert.
2442 swaz dâ herz und herze gert, Was auch immer Herz und Herz da begehren,
2443 dâ ist niht wan ein einlîch ein, da ist nichts als genau das Gleiche,
2444 ein liep, ein leit, ein jâ, ein nein, eine Liebe, ein Leid, ein Ja, ein Nein,
2445 sô gar in ein betwungen so ganz übereinstimmend,
2446 daz irre münde zungen dass die Zungen ihrer Münder
2447 die einhelligen sinne weder die übereinstimmenden Sinne
2448 noch die lûter minne noch die aufrichtige Liebe
2449 niht mügent gar durgründen. vollständig erklären könnten.
2450 dâ von sô wirt den münden Deswegen haben es die Münder
2451 gâch nâ des küssens niezen, mit dem Küssen so eilig,
2452 daz sî dâ mit versliezen weil sie damit beider Herzen
2453 went beider herzen sinne, Sinne zu verschließen glauben,
2454 und allez daz sî inne und vor allem, was sie hinter
2455 des herzen tür gedenkent, der Tür des Herzens denken,
2456 dâ für die münde schrenkent schließen die Münder
2457 der stæten zungen vesten rigel. den festen Riegel der beständigen Zungen.
2458 des wâren kusses ingesigel Das Siegel des wahren Kusses
2459 für munt und herz sich drücket. schiebt sich vor Mund und Herz.
2460 alsus mit kusse lücket So erregt man mit einem Kuss
2461 man minneclîcher minne, liebevolle Liebe,
2462 niht dâ man die sinne nicht wo man die Sinne
2463 nu wendet hin und denne her. einmal dahin, einmal dorthin wendet.
2464 manger hât nâ kusse ger So mancher sehnt sich nach einem Kuss,
2465 der sich nâ minne biuget der sich nach der Liebe streckt
2466 und doch mit kusse triuget: und mit dem Kuss dennoch betrügt:
2467 der tuot offenlîche mort. Der begeht einen öffentlichen Mord.
2468 küssen ist ein solich hort Küssen ist solch ein Schatz,
2469 dâ mit man leit vernihtet mit dem man Leid vernichtet
2470 und vîentschaft verslihtet und Feindschaft schlichtet
2471 und friundet friunt in friundes trift. und den Freund in freundschaftlicher Weise behandelt.
2472 swâ man aber bringet gift Wo immer man aber mit den Sinnen
2473 in küssen mit den sinnen, Falschheit ins Küssen bringt,
2474 daz ist niht von minnen. kommt das nicht von der Liebe.
2475 Diz was niht hie: ir küssen was Das war hier nicht der Fall: Ihr Küssen war
2476 geliutert reht alsam ein glas so rein und klar wie Glas
2477 und slôz in herz und sin in ein: und umfasste ihr Herz und ihren Verstand:
2478 daz wol an in beiden schein. Das war deutlich an ihnen zu sehen.
2479 von des kusses zeichen Aufgrund des Kusses
2480 sach man ir varwe bleichen sah man sie erbleichen
2481 und zehant denn aber rôt und dann sogleich wieder rot
2482 werden. senelîche nôt werden. Sehnsuchtsvolle Not
2483 liten sî in sinne, litten sie in ihren Sinnen
2484 und wâren doch ir minne und waren sich ihrer gegenseitigen Liebe doch
2485 verspart in allen und unkunt. in keinster Weise bewusst.
2486 sî dâhten ,scham diu het enzunt Sie dachten: „Die Scham vor den Leuten
2487 ir varwe vor den liuten.‘ ist für das Erröten verantwortlich.“
2488 ir lieplîchez triuten Auf diese Weise blieb ihre
2489 alsô beleip vil tougen. liebevolle Zuneigung sehr geheim.
2490 sî zogten sunder lougen Sie zogen fürwahr
2491 în mit grôzem schalle. mit großem Lärm ein.
2492 diu gemeinde alle Alle Anwesenden gestanden
2493 in hôher wirde jâhen. ihnen hohe Würde zu.
2494 ze herberge gâhen Man sah sie herrschaftlich
2495 sach man sî keiserlîche. zur Herberge eilen.
2496 nu reit diu minneclîche Nun ritt die Liebliche
2497 bî im ûf der wisen velt neben ihm über den Rasenplatz
2498 unzent hin dâ sîn gezelt bis dorthin, wo sein Zelt
2499 stuont mit rîlîcher koste. in ritterlichem Prunk stand.
2500 golt in sîden gloste An Seide befestigtes Gold
2501 dar an alsam ez brunne, glänzte, als würde es brennen,
2502 daz diu liehtiu sunne dass die helle Sonne
2503 dâ schein mit widerglaste. sich darin spiegelte.
2504 zuo dem werden gaste Zu dem edlen Gast
2505 sprach diu rein gehiure, sprach die reine Wohlgestalte,
2506 des wunsches âventiure, der Wunschtraum:
2507 ,got lâze iuch herre wol geschehen. „Gott lasse es Euch, Herr, gut ergehen.
2508 doch sönt ir mich mê gesehen Doch Ihr sollt mich noch öfter sehen,
2509 ê daz ir scheident hinnen. bevor Ihr diesen Ort verlasst.
2510 got lâz iuch gewinnen Gott lasse Euch Freude
2511 fröude und hôhe wunne. und großes Glück zuteil werden.
2512 swes iuch mîn herze gunne, Was immer Euch mein Herz gönnt,
2513 des sönt ir niemer werden ân. das sollt Ihr niemals entbehren müssen.
2514 heizent weschen ab den rân Lasst Euch den Schmutz der Rüstung abwaschen
2515 und füegent iuch in ruowe phliht.‘ und gönnt Euch selbst Ruhe.“
2516 er sprach ,des entuon ich niht Er sprach: „Das tue ich nicht,
2517 al die wîl ich iemer leben. solange ich lebe.
2518 rân und ruoz die müezen kleben Schmutz und Dreck müssen immer
2519 dâ dâ iuwer mündel lac. dort kleben, wo Euer Mund mich berührte.
2520 solt der minneclîch bejac Sollte der liebliche Lohn
2521 sô schiere an mir enden? an mir so rasch sein Ende nehmen?
2522 nein, mich müez ê phenden Nein, mir müsste eher der Tod
2523 der tôt an dem lîbe das Leben rauben,
2524 ê mîn munt keinem wîbe ehe mein Mund sich einer Frau
2525 ze kus sich iemer biete zum Kuss darbietet
2526 ald mîn lîp sich niete oder mein Leib sich
2527 dekeiner slahte friundîn. irgendeiner Geliebten hingibt.
2528 ich wil ûf mîn ende sîn Ich will bis an mein Lebensende
2529 liebes ân und doch alsô auf Liebe verzichten und doch
2530 êweclîche wesen frô immerzu froh sein
2531 dur iuch kiuschen reinen. wegen Euch keuscher Reiner.
2532 mîn herze mac gemeinen Mein Herz kann sich mit niemand
2533 niemer anders denn an iuch. anderem mehr vereinigen als mit Euch.
2534 swar ich in der welte fliuch, Wohin in die Welt ich auch fliehe,
2535 sô jaget mir diu minne nâch. jagt mir die Liebe nach.
2536 fliuch ich von iuch, ir ist gâch Fliehe ich von Euch, hat sie es eilig,
2537 wie sî mir die sinne mir die Sinne
2538 gebinde an iuwer minne: an Eure Liebe zu ketten:
2539 des ich doch unwirdic bin. Dabei bin ich dessen nicht würdig.
2540 iuwer kus hât mînen sin Euer Kuss hat meinen Verstand
2541 in leit alsô verworren, so in Leid verstrickt,
2542 daz mir müezent dorren dass mir die Sinne
2543 sinne mit gedenken. durch Gedanken verdorren.
2544 went mîn sinne swenken Wollten meine Sinne sich auch
2545 hin, doch hât mîn herze abwenden, hat doch
2546 ein minneclîcher smerze ein lieblicher Schmerz
2547 friuntlîchen getroffen mein Herz in Freundschaft getroffen
2548 und ist nâh gesloffen und ist mir beinahe sanft
2549 senfte in mîne sinne, in meine Sinne geschlüpft,
2550 alsô daz ich brinne sodass ich oft
2551 dicke in grôzem froste. brenne in großer Kälte.
2552 als îsen von dem roste Wie Eisen durch Rost
2553 gekrenket wirt, sô er ez vegt, geschwächt wird, wenn er es an der Oberfläche verletzt,
2554 alsô ist ouch mir verzegt so ist auch mir das Herz
2555 mîn herze in mînem lîbe. in meinem Leib entmutigt.
2556 sol der gnâden schîbe Wenn sich das Rad der Gnade
2557 mit trôst gên mir niht welzen, nicht mit Trost zu mir dreht,
2558 sô muoz ich sorge velzen so werde ich in mir Sorge
2559 in mich diu niemer mê zergât. auftürmen, die niemals mehr vergeht.
2560 hôhe künges fruht, sus stât So strebt mein Herz in liebendem Gedenken
2561 mîn herze in den gedanken zu Euch, eines mächtigen Königs Kind,
2562 nâ iuch und muoz mir kranken und mir müssen Freude
2563 fröude und hôchgemüete. und Hochstimmung gering werden.
2564 mir hât der minne glüete Mir hat die Glut der Liebe
2565 mîn herze sô enphenget mein Herz so entzündet,
2566 daz al mîn sin besenget dass mein ganzer Verstand vom
2567 ist von minne fiure. Feuer der Liebe versengt wird.
2568 muoz ich den kus sô tiure Muss ich den Kuss so teuer
2569 mit mînen fröuden gelten, mit meinen Freuden entgelten,
2570 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2571 nein nein, die schulde sint niht sîn: Nein, nein, die Schuld liegt nicht bei ihm:
2572 in mir selben hât mich in Ich selbst habe mich
2573 dise nôt geworfen. in diese Notlage gebracht.
2574 sin noch herze dorfen Weder Verstand noch Herz dürfen
2575 dar umbe niemen strâfen. darum jemanden strafen.
2576 minne ir scharphen wâfen Liebe hat ihre scharfen Waffen
2577 hât über mich gewetzet. über mir gewetzt.
2578 dar zuo hât geletzet Dazu hat mich die Gier
2579 mich des kusses girde. nach dem Kuss geführt.
2580 jô wart ich der wirde Wahrlich, ich wurde der Würde
2581 gewirdet nie sô mir beschach, nie würdig, die mir zuteil wurde,
2582 dô man iuch minneclîchen sach als man Euch mich liebevoll
2583 mir friuntlîch küssen zeigen. und freundschaftlich küssen sah.
2584 al mîn sin ist eigen Mein ganzer Verstand ist nun hörig,
2585 der vor was lidic unde frî. der zuvor ledig und frei war.
2586 swie joch disen mæren sî, Wie auch immer es um diese Geschichte steht,
2587 ich wolt der noete niht enbern. ich wollte der Nöte nicht entbehren.
2588 mir ist wê, doch lîde ich gern Mir ist weh, doch leide ich das Weh
2589 daz wê, und ist mir dâ mit wol, gerne und es geht mir gut damit,
2590 swaz dâ von beschehen sol.‘ was auch immer daraus entstehen wird.“
2591 Alsus er klagte sîne nôt So klagte er sein Leid.
2592 flîzeclîch diu reine bôt Eifrig bot die Reine
2593 zuo der klage ir ôre dar. der Klage ihr Ohr dar.
2594 swaz er hât gesprochen gar, Über alles, was er gesprochen hatte,
2595 dem gedâht sî iemer nâch. dachte sie immerfort nach.
2596 iren sinnen wart sô gâch Kaum dass sie es gehört hatte,
2597 dar zuo wie siz gehôrte, eilten ihre Sinne dorthin,
2598 daz ez ir sorge stôrte sodass ihre Sorge dadurch
2599 in herzen und in sinnen. in Herz und Verstand gemindert wurde.
2600 ,ei wirt im von minnen „Ei, ergeht es ihm aus Liebe
2601 nâ mir als mir ist gesîn zu mir genauso, wie es mir
2602 nâ im, seht sô wære hin‘, seinetwegen ergeht, seht, so wären“,
2603 gedâht sî in ir herzen, dachte sie in ihrem Herzen,
2604 ,mîner sorgen smerzen „meine schmerzliche Sorge
2605 und gar al mîn ungemach.‘ und mein ganzes Ungemach Vergangenheit.“
2606 tougenlîch sî zuo im sprach: Heimlich sagte sie zu ihm:
2607 ,Gênt mir urloup, ich wil varn. „Nehmt Abschied. Ich werde gehen.
2608 got der müeze iuch bewarn Gott möge Euch Gut, Glück
2609 guot sælde unde êre. und Ehre erhalten.
2610 ich wil der hinnenkêre Ich will von Eurem
2611 von iuch niht enwizzen. Weggang nichts wissen.
2612 dar an sint geflizzen Denkt daran, dass
2613 ê, ir kument noch ze mir Ihr zuvor noch allein zu mir
2614 einest, wan mîns herzen gir kommt, weil das Begehren meines Herzens
2615 ze redende mit iuch begert, mit Euch reden will,
2616 hôchgelopter fürste wert, hochgelobter teurer Fürst,
2617 des wir nu state niht enhân. der nicht bei uns bleibt.
2618 ich var hin, ir sönt niht lân, Ich gehe, Ihr sollt es nicht unterlassen
2619 tuont als ich iuch hân geseit.‘ zu tun, wie ich Euch gesagt habe.“
2620 hin diu minneclîchiu reit Die Liebliche ritt
2621 mit hôhen fröuden in die stat. hocherfreut in die Stadt.
2622 swaz er mit ir geredet hât Was auch immer er mit ihr gesprochen hatte
2623 und sî mit im, der worte phliht und sie mit ihm, niemand
2624 sô enahte niemen niht achtete auf die Worte
2625 weder noch der geberde tât. noch auf die Gebärden.
2626 der herre ouch kurzelîche hât Der Herr hatte sich auch bald
2627 der wâfen sich entænet. seiner Waffen entledigt.
2628 ist ez als mîn sin wænet, Ist es, wie ich glaube,
2629 sô was sîn herze fröuden rîch. so war sein Herz voll Freude.
2630 al die gerenden gelîch Er befahl, nach allen
2631 hiez er dar besenden. Bittstellern gemeinsam zu schicken.
2632 ir aller armuot phenden Er wollte ihrer aller Armut
2633 wolt er mit gebender stiure. mit Freigebigkeit gegensteuern.
2634 sîn miltiu hant gehiure Seine freigebige Hand teilte fürwahr
2635 gap und gap eht iemer dar, immerfort auf geziemende Weise aus,
2636 daz kein herze nie gebar sodass kein Herz jemals
2637 alsô grôze milte. ähnlich große Freigebigkeit hervorbrachte.
2638 die nemenden bevilte Die Empfänger machte sein
2639 sîn vil milteclîchez geben. besonders großzügiges Austeilen reich.
2640 man sach in sînem hove leben Man sah in seinem Hofstaat
2641 sô rîlîch und sô schône, so reichlich und schön leben,
2642 het er getragen krône hätte er die Kronen von
2643 von zwênzic künicrîchen, zwanzig Königreichen getragen,
2644 man müese sicherlîchen man müsste mit Bestimmtheit
2645 sprechen daz sîn wær genuoc. sagen, dass es genug wäre.
2646 iemer in dem herzen truoc Das Drängen der Liebe
2647 er der minne twingen. trug er immerfort im Herzen.
2648 diu nôt begunde bringen Diese Not brachte
2649 im angestlîche trahte ihm die ängstliche Sorge,
2650 daz er nienâ ûf ahte dass er auf nichts achtete,
2651 wan dâ hin dâ sîn herze was. außer darauf, wohin es sein Herz zog.
2652 alsus er in gedenken saz So saß er in manchen
2653 verdâht in mangem sinne. Gedanken versunken da.
2654 in betwanc diu minne: Ihn bezwang die Liebe:
2655 sô tet im wol der ginge, Wie ihm das Verlangen wohl tat,
2656 wê tet im misselinge; tat ihm das Unglück weh;
2657 sô tet im wol ir troesten, wie ihre Zuwendung ihm wohl tat,
2658 sô tet im wê daz roesten schmerzte ihn das Brennen,
2659 daz er leit in dem herzen. das er im Herzen litt.
2660 sô fröut er sich des smerzen So freute er sich des Schmerzes,
2661 der in sô lusteclîchen twanc. der ihn so lustvoll quälte.
2662 in den gedenken er sô ranc So rang er in Gedanken
2663 mit sînes sendes herzen ger. mit dem Begehren seines sehnenden Herzens.
2664 nu wil er hin, nu wil er her, Einmal will er hierhin, einmal dorthin,
2665 nu wil er sus, nu wil er sô, einmal will er so, dann wieder anders,
2666 nu ist er trûric, nu denn frô, einmal ist er traurig, dann wieder froh,
2667 nu wil er diz, nu wil er daz, einmal will er dies, einmal das,
2668 nu liebet im, nu treit er haz einmal liebt, dann wieder hasst er
2669 gên der süezen minne die süße Liebe
2670 in sînes herzen sinne. im Verstand seines Herzens.
2671 Alsus er sîne sinne bouc, So änderten sich seine Launen,
2672 daz kein vogel nie geflouc dass kein Vogel jemals im Wind
2673 nâ wint sô manic kêre. so viele Wendungen geflogen wäre.
2674 nu gap im minne lêre Da erteilte ihm die Liebe eine Lehre,
2675 als sî noch tuot und hât getân, wie sie es noch heute tut und immer schon getan hat,
2676 daz ein mensche niht enkan die ein Mensch nicht
2677 vinden in dem sinne. durch Nachdenken finden kann.
2678 twinget ez diu minne, Was die Liebe erzwingt,
2679 ez trahtet wunderlîchiu dinc. trägt wunderliche Früchte.
2680 alsus ouch der jungelinc So saß auch der Jüngling
2681 mit ganzer sinne trahte mit der ganzen Last seiner Sinne
2682 in sînes herzen ahte im Bannbereich seines Herzens
2683 saz und im gedâhte, und überlegte bei sich,
2684 wie er von der âhte wie er der Bedrängnis
2685 sender sorgen kæme. drückender Sorgen entkäme.
2686 waz im dâ von gezæme Was ihm dafür zu tun passend
2687 ze tuonde, dar ûf gie sîn sin. erschien, darauf heftete sich sein Verstand.
2688 nu kan diu minne und wîste in Nun kam die Liebe und gebot ihm,
2689 wie er solte kêren wie er
2690 für den künic hêren vor den hehren König,
2691 und für die andern künge drî vor die drei anderen Könige
2692 und für die fürsten ouch dâ bî und auch vor die Fürsten,
2693 die bî dem hove wârn gesîn, die bei dem Hoftag waren,
2694 und für die werden künegîn, und vor die edle Königin treten sollte,
2695 dar nâch für die frouwen dar danach vor die anwesenden Damen
2696 und für gemein der ritter schar, und vor die Gemeinschaft der Ritterschar,
2697 und solte sî mit girde und sie dringend
2698 bitten dur ir wirde bei ihrer Würde
2699 und dur küneclîchen prîs, und dem königlichen Ruhm bitten sollte,
2700 daz sich iht ir belîben slîz dass ihr Hierbleiben nicht
2701 dâ ûf ein zerrîten, durch das Auseinanderreiten ein Ende finde
2702 daz sî durch in dâ bîten und sie seinetwegen noch einen Tag
2703 noch einen tac, den welle er hân warten würden, an dem er Hof halten
2704 hof. sîn sin geviel dar an wollte. Sein Verstand verfiel darauf
2705 und dâhte in sînem muote und er dachte bei sich:
2706 ,daz kumet mir ze guote. „Das kommt mir zugute.
2707 ob ich mit ir gereden mac Wenn ich mit der reden kann,
2708 der mîn herze naht und tac die mein Herz bei Nacht und bei Tag
2709 niht eine stunt vergizzet, nicht eine Stunde lang vergisst,
2710 ich weiz wol, unde mizzet weiß ich wohl, wenn
2711 ir minne halbez sorgen, die Liebe ihr nur halb so viele Sorgen zumisst
2712 daz ich gar verborgen wie die, die ich
2713 trag in mîner bruste aus liebender Begierde
2714 nâ minneclîcher luste, ganz verborgen in meiner Brust trage,
2715 es würde ir ein teil ze vil.‘ würde es ihr ein bisschen zu viel.“
2716 hie was sîner sinne zil Zu diesem Schluss waren seine Sinne
2717 komen an. alsus er gienc gelangt. So trat er
2718 für die künegîn: man enphienc vor die Königin: Man empfing
2719 in wirdeclîche schône. ihn angemessen würdig.
2720 mit süezer worte dône Mit dem Klang schöner Worte
2721 hôrte man in prîsen. hörte man ihn rühmen.
2722 er bat Fontânâgrîsen, Er bat Fontanagris,
2723 den künc von Tenemarken, den König von Dänemark,
2724 und den der mit den barken und den, der mit den Schiffen
2725 was kumen von Norwægen, von Norwegen gekommen war,
2726 Palarei den trægen Palarei, der sich stets aller
2727 an allen houbetschanden, großen Schanden enthielt,
2728 Florîn von Engellanden Floris von England
2729 und Parlus von den Schotten, und Parlus von Schottland
2730 und dâ nâch al die rotten und danach alle Gruppen
2731 der fürsten, grâven, ritter schar, der Fürsten und Grafen sowie die Schar der Ritter,
2732 die zuo dem hove wâren dar die aufgrund ihrer Würde
2733 kumen dur ir werdekeit, an den Hof gekommen waren,
2734 daz sî an im ir êre breit dass sie ihm alle gleichermaßen
2735 mahten al gelîche. Ehre erweisen möchten.
2736 ,ir hôhen künge rîche, „Ihr hohen mächtigen Könige,
2737 ir fürsten grâven frîgen ihr Fürsten, Grafen, Freie
2738 und alle die hie sîgen, und alle, die sich hier eingefunden haben,
2739 ich sol iuch sagen gnâden danc, ich soll euch gnädigst Dank sagen,
2740 daz ir an mîne wirde kranc dass ihr meiner geringen Würde
2741 sô hôhe êre hânt geleit. so hohe Ehre erwiesen habt.
2742 ich hân von mîner werdekeit Ich verdanke es nicht meiner Würde,
2743 niht daz man mich sô êret. dass man mich so ehrt.
2744 mîn sin mich merken lêret, Mein Verstand sagt mir,
2745 ir hânt geêret iuch an mir. dass ihr mir gegenüber Ehre erlangt habt.
2746 dâ von mînes herzen gir Deshalb will mein Herz
2747 von schuld iuch dienstes willen treit. euch zu Recht bereitwillig dienen.
2748 lîp und guot ist iuch bereit Leib und Gut stehen euch zur Verfügung,
2749 eigenlîch die wîl ich lebe. solange ich lebe.
2750 nu bit ich noch einer gebe, Nun bitte ich noch um eines,
2751 swer mir die verzîhet, wer auch immer mir das verweigert,
2752 wizzent daz der lîhet wisst, dass der
2753 mîm herzen sende swære. meinem Herzen sehnsuchtsvolle Last auferlegt.
2754 aller sorgen lære Frei von allen Sorgen
2755 wird ich ouch ob ez geschiht, werde auch ich, wenn es geschieht,
2756 daz man mich hie êren siht, dass ich hier geehrt werde,
2757 und ist ze tuonde mügelich. und es ist leicht zu erfüllen.
2758 wær daz mîn bete trügelich Wäre es, dass meine Bitte
2759 wære gên iuch allen, gegenüber euch allen hinterlistig wäre,
2760 dâ von müese vallen müsste meine schwache Ehre
2761 mîn krankiu êre in schande. deswegen in Schande versinken.
2762 ê wolt ich von dem lande Eher wollte ich das Land
2763 gân daz mich ûf geerbet verlassen, das ich geerbt
2764 hât, ê sô ersterbet habe, als dass eure Huld
2765 gên mir würd iuwer hulde. mir gegenüber so getötet würde.
2766 der êren übergulde Ihr setzt der Ehre,
2767 sô ir mir erboten hânt die ihr mir erwiesen habt,
2768 ir an mîner bet begânt, durch die Gewährung meiner Bitte noch die Krone auf,
2769 ob ir mir niht verzîhent. wenn ihr sie mir nicht abschlagt.
2770 wizzent daz ir lîhent Wisst, dass ihr mir damit
2771 mir dâ mit hôher fröuden vil.‘ zu großer Freude verhelft.“
2772 Fontânâgrîs der sprach ,ich wil Fontanagris sagte: „Ich werde
2773 uns alle hie fürsprechen. für uns alle hier sprechen.
2774 sît iuwer bete brechen Da Eure Bitte nicht
2775 niht kan ab rehter mâze, vom rechten Maß abweichen wird,
2776 sô triuwe ich wol, ich lâze worauf ich vertraue, lasse ich
2777 iuch der bet niht ungewert. Eure Bitte nicht unerfüllt.
2778 sprecht an, lât sehen wes ir gert: Na los, lasst sehen, was Ihr begehrt:
2779 ob ez bî mâze fuoge treit, Wenn es in den Grenzen des Anstands bleibt,
2780 daz wirt iuch hie niht verseit.‘ wird es Euch hier nicht verwehrt.“
2781 Er sprach ,dar umbe sol mîn sin Er [scil. Reinfried] sprach: „Deshalb soll mein Verstand
2782 willeclîchen nîgen hin immer willig
2783 in iwerm gebote iemer. Eurem Gebot folgen.
2784 sin und herze niemer Verstand und Herz mögen
2785 mit dienste an iuch wenkent, niemals beim Dienst an Euch zweifeln,
2786 sît ir wîrde schenkent solange Ihr mir Würde schenkt
2787 mir und mich tuont fröuden vol. und mich erfreut.
2788 ich bitte, sît ich bitten sol, Ich habe, wenn ich um etwas bitten darf,
2789 mit urloup iuch ein kleine, mit Eurer Erlaubnis eine kleine Bitte:
2790 daz ir algemeine dass Ihr Euch alle gemeinsam
2791 die zît alhie vertrîbent hier die Zeit vertreibt
2792 und einen tac belîbent und einen Tag hier bei mir
2793 bî mir hie, daz ist mîn gir. bleibt, das ist mein Wunsch.
2794 den selben tac sô sollen wir An diesem Tag sollen wir
2795 hovieren gar biz er ververt. Hof halten, bis weit in den Abend hinein.
2796 swaz hie guotes wirt verzert, Was hier an Gutem verzehrt wird,
2797 daz gât mit koste über mich. geht auf meine Kosten.
2798 diz ist mîn bete, die wil ich Das ist meine Bitte, die will ich
2799 verschulden iemer swâ ich kan vergelten, wo immer ich kann,
2800 umb iuch, ob mir got heiles gan, wenn mir Gottes Gnade vergönnt,
2801 daz ez ze schulden iemer kunt: dass diese Schuld jemals fällig wird:
2802 sô sol mîn leben alle stunt So soll Euch mein Leben
2803 iuch mit dienste wesen bî.‘ immerzu zu Diensten stehen.“
2804 dô sprach der hôhe wandels frî, Da sprach der hehre Makellose,
2805 ich mein den muotes starken, ich meine den Willensstarken,
2806 den künc von Tenemarken, den König von Dänemark,
2807 des lîp in hôher wirde schein, dessen Leib in hoher Würde erstrahlte:
2808 ,der bete spriche ich jâ und nein: „Auf die Bitte hin sage ich » ja « und » nein «:
2809 jâ umb daz belîben, » ja « in Bezug auf das Verweilen,
2810 nein daz ir wellent trîben »nein« dazu, dass Ihr die Kosten
2811 kost ûf iuch die ich sol hân; übernehmen wollt, die doch ich tragen sollte;
2812 dâ mit under wirt getân damit werden mein Lob und
2813 lop und mîner êren prîs.‘ der Ruhm meiner Ehre untergraben.“
2814 ,nein, werder künc Fontânâgrîs, „Nein, teurer König Fontanagris,
2815 mîn bet ist sus, ich wil alsô.‘ meine Bitte ist so, ich will es so.“
2816 ein belîben lopten dô Hier zu bleiben gelobten da
2817 die herren sament alle die Herren alle zusammen
2818 und wâren frô mit schalle. und freuten sich lautstark.
2819 Morgen dô der tac ûf brach Am nächsten Morgen bei Tagesanbruch,
2820 und man dur grâwiu wolken sach als man durch graue Wolken
2821 liehten tac ûf liuhten, die Sonne aufgehen sah,
2822 bluomen gras erfiuhten spürte man, wie Blumen und
2823 man spurte von dem touwe. Gräser feucht vom Tau waren.
2824 dâ was sô rîchiu schouwe Da war solch ein Reichtum
2825 von liehter bluomen schoene. an schönen leuchtenden Blumen zu sehen!
2826 man hôrte vogel doene Man hörte das Zwitschern der Vögel
2827 hôh in den wolken wægen. hoch oben durch die Wolken ziehen.
2828 man sach ûz sæten drægen Man sah aus den Saatfeldern die Lerchen
2829 die lerken gên den lüften. in die Lüfte aufwirbeln.
2830 irs gesanges güften Der Klang ihres Gesanges
2831 tet manic herze schallen. ließ manches Herz klingen.
2832 messe wart in allen Eine Messe wurde ihnen allen
2833 gesungen lobelîche. rühmlich gesungen.
2834 dar nâch die fürsten rîche Danach nahm sich der Beständige
2835 und al ir massenîe von Braunschweig der mächtigen Fürsten
2836 die nam der wandels frîe und ihres ganzen Gefolges
2837 von Brûneswîg, und hât bereit an und er hatte
2838 mit alsô grôzer rîcheit mit großem Aufwand
2839 sô übermæzic wirtschaft ein so riesiges Gastmahl
2840 von rât und alsô grôze kraft vorbereiten lassen und so große Kraft darauf verwandt,
2841 daz ich ir niht geprüeven sol. dass ich es nicht beschreiben werde.
2842 ich weiz daz sî ze Karidol Ich weiß, dass es zu Karidol
2843 gezæme künc Artûse. König Artus angemessen wäre.
2844 wie ieclîch brâte sûse Wie ein jeglicher Braten zischte
2845 und traht nâ würzen smegge und das Aufgetragene nach Gewürzen schmeckte
2846 und bîgerihte negge und Beilagen rochen
2847 und ander guot geræte, und anderes Gutes geraten war,
2848 waz leige man wiltbræte was man alles an Wildbret
2849 in wirtschaft nider slüege, im Überfluss erlegte,
2850 waz man ze tische trüege was man an hochgelobten Gerichten
2851 von hôhgelopten trahten, zu Tisch trug –
2852 solt ich des alles ahten, sollte ich das alles berücksichtigen,
2853 ich weiz es iuch verdruzze. so weiß ich, dass es euch verdrösse.
2854 swaz ie in wazzers fluzze Was jemals als Nahrungsmittel
2855 dur lîbes nar gevangen wart, aus fließendem Wasser gefangen wurde,
2856 swaz waldes wilde ie verspart was die Wildnis des Waldes
2857 mit holze hât von tieren an Tieren je mit Holz umgab,
2858 diu tische solten zieren, sollte die Tische zieren;
2859 swaz in den lüften ie geflouc, was jemals durch die Lüfte flog,
2860 swaz ie getranc od ie gesouc, was jemals getrunken oder geschlürft wurde
2861 daz zuo wirtschaft tohte, und was zu einem Gastmahl taugte,
2862 ob man ez haben mohte, an dem war kein Mangel,
2863 sô was sîn dâ kein mangel. sofern man es auftreiben konnte.
2864 sus rîcher koste krangel Eine so reichliche Auswahl an Köstlichkeiten
2865 ist mînem hûse tiure. gibt es in meinem Haus nie.
2866 ich siut bî strôwes fiure Ich koche bei Strohfeuer
2867 und brâte wol mîn spîse. und brate meine Speise gut.
2868 des muoz ich werden grîse Darum werde ich vor der Zeit
2869 ê zît bî jungen jâren. in jungen Jahren altern.
2870 dô sî enbizzen wâren, Nachdem sie gegessen hatten,
2871 dô huop sich ein hovieren. erhob sich festliche Geselligkeit.
2872 man hôrt daz wolken zieren Man hörte, dass Wolken,
2873 von manges kraches dône, vom Klange vieler Töne geschmückt wurden,
2874 die in den lüften schône die in den Lüften von reichen Noten schön erschallten.
2875 von rîchen notten schullen. geschmückt waren von dem Klang vieler Töne.
2876 ob in ir herze swullen Ob ihnen etwa ihre Herzen
2877 iht sender herzeswære, aus sehnsuchtsvollem Herzleid anschwollen,
2878 der zweiger den diz mære den zweien, denen diese Geschichte
2879 hie dient nâ lobes danke? um den Dank des Lobes gewidmet ist?
2880 jâ mit mangem swanke Ja, mit mancher Wendung
2881 ir ougen zemen swungen, trafen ihre Augen zusammen,
2882 daz sich die blicke drungen dass die Blicke hindurch
2883 dur in ir herzen arke. bis in die Kammer ihres Herzens drangen.
2884 diu junge ûz Tenemarke Die Junge aus Dänemark
2885 lie hin ir ougen flücken, zwinkerte ihm mit den Augen zu
2886 und kund daz blicken lücken und konnte ihm seinen Blick
2887 im ûz dem herzen sinne. aus dem Verstand des Herzens locken.
2888 ir was ouch von der minne Auch ihr war das Herz
2889 daz herze unenbunden. von der Liebe gefesselt.
2890 scharpher minne wunden Auch sie war von der scharfen Minne
2891 was sî tief ouch worden wunt. tief verwundet worden.
2892 des muos ir minneclîcher munt Deshalb musste ihr lieblicher Mund
2893 ersiufzen tougen dicke, oftmals heimlich aufseufzen.
2894 sô sîner ougen blicke Sowie seine aufmerksamen Blicke
2895 hin swungen ûf ir warte, zu ihr hin schweiften,
2896 sus diu reine zarte So war die reine Zarte
2897 was nâ im und er nâ ir mit steter Begierde des Herzens
2898 verdâht mit stæter herzen gir. in Gedanken bei ihm und er bei ihr.
2899 Sorgen und ouch fröuden blôz Sie waren frei von Sorge und
2900 wâren sî: nu was sô grôz auch von Freude. Nun wurde so viel
2901 daz tanzen und daz springen, getanzt und gesprungen,
2902 daz sagen und daz singen, geredet und gesungen;
2903 der schal was grôz und was dâ klein. der Lärm war da groß und dort klein.
2904 sô wurfen jene dort den stein, Wie die einen dort Steine warfen,
2905 sô zugen dis schâhzabelspil. spielten die anderen Schach.
2906 sô schuzzen jene zuo dem zil, Wie sich jene im Zielschießen übten,
2907 sô sach man dis dâ springen. sah man diese da springen.
2908 sô wolten jene ringen, Wie jene ringen wollten,
2909 sô sach man wie dis spilten so sah man, wie diese spielten
2910 ald mit den kugeln zilten. oder Kugeln auf ein Ziel hin rollten.
2911 sô seiten die von minne, Wie die einen von Liebe erzählten,
2912 dis von guot gewinne so die anderen von großen Erfolgen
2913 und aber die von ritterschaft. und wieder andere von Ritterschaft.
2914 sô schuzzen dise hie den schaft, Wie diese hier Speere warfen,
2915 sô wolten jene trinken wîn. so wollten jene Wein trinken
2916 sô wolten dis bî frouwen sîn und andere sich die Gunst
2917 werben nâ ir gruoze. der Damen erwerben.
2918 dâ was sô vil unmuoze Da war so viel los,
2919 daz nieman nam kein ahte dass sich niemand
2920 umb des andern trahte um den anderen kümmerte,
2921 noch umb sîn haben, umb sîn lân, weder um sein Tun noch um seine Unterlassungen
2922 umb sîn werben. man lie gân oder um sein Werben. Man ließ
2923 ie daz dinc nâ sîner phliht, den Dingen ihren Lauf,
2924 als under wîlent noch geschiht wie es zuweilen heute noch
2925 ze hoven, der es næme war, bei Hof geschieht – wer es wissen will –,
2926 ob ich die wârheit sprechen tar. wenn ich die Wahrheit sprechen darf.
2927 Sus gienc ez allez umbe. So ging das alles vor sich.
2928 nu hoer ich daz kein stumbe Nun höre ich, dass kein Stummer
2929 ân heischen werde selten rîch. jemals durch Fragen reich wird.
2930 dem tet der fürste ungelîch, Der Fürst verhielt sich nicht so,
2931 wan er gedâht ie an den pîn, denn er dachte oft an die Qual,
2932 wie er hin zuo der künegîn wie er mit Anstand in die Nähe
2933 mit fuoge nâhe kæme, der Königin kommen könnte,
2934 ob sî noch baz vernæme damit sie die Gesinnung
2935 sînes herzen meine. seines Herzens noch besser vernähme.
2936 nu dûhte in, diu reine Nun kam ihm vor, die Reine
2937 im winhte mit den ougen. deutete ihm mit den Augen.
2938 er gie hin nâher tougen Er ging heimlich näher hin,
2939 sô daz sîn niemen warte. sodass niemand ihn bemerkte.
2940 sus gie diu reine zarte Da schlüpfte die reine Zarte
2941 under ein swache hüttelîn, in eine leichte kleine Hütte
2942 und lie niemen bî ir sîn und erlaubte niemandem, bei ihr zu sein,
2943 wan ir juncfrouwen eine. außer einer ihrer Jungfrauen.
2944 den andern algemeine Den anderen sagte sie allen
2945 seit sî, sî wær ein wênic swach, zusammen, sie fühlte sich ein wenig schwach
2946 und wolt ein klein dur ir gemach und wollte in ihr Gemach
2947 gân in der ruowe lâge. gehen, um kurz auszuruhen.
2948 ,ob iemen nâ mir frâge, „Wenn jemand nach mir fragen sollte,
2949 dem sagent sô, ich kum her wider, so sagt ihm, ich komme wieder her,
2950 swenn ich ein stunde mîniu lider wenn ich in einer Stunde meine Lider
2951 von dem slâfe erbriche.‘ nach dem Schlaf wieder öffne.“
2952 sus diu minnecliche So stahl sich die Liebliche
2953 in daz hüttelîn entweich. in die kleine Hütte.
2954 tougenlîchen nâch ir sleich Heimlich schlich hinter ihr
2955 der fürste ouch hin under. auch der Fürst hinein.
2956 nu hoerent frömdiu wunder, Nun hört erstaunliche Wunder,
2957 waz liep mit liebe liebes kan was Liebe mit Liebe an Liebem vermag,
2958 dâ liep eht liebe liebes gan. wo Liebes der Liebe etwas Liebes gönnt.
2959 Die würkent wunderlîchiu dinc. Die [scil. die Wunder] bewirken wundersame Dinge.
2960 ir minneclîcher ursprinc Ihr Ursprung aus der Liebe
2961 gît dicke ein liebez ende, bringt oftmals ein liebreiches Ende,
2962 dâ man ez âne phende wo man es ohne Schaden
2963 hôher êren trîbet, an hoher Ehre betreibt,
2964 wan minne alsô belîbet wenn Liebe auf diese Weise
2965 gekroenet mit den êren. mit Ehren gekrönt bleibt,
2966 dâ kan minn êre hêren da kann Liebe die Ehre erhöhen
2967 und hêrt ouch êre minne, und erhöht auch die Ehre der Liebe.
2968 wan diu welt mit unsinne Wenn die Welt mit unsinniger Liebe
2969 tobelîchen minnet. wie verrückt liebt,
2970 dâ ist niht wol besinnet ist damit weder die Liebe
2971 minne noch diu êre. noch die Ehre gut beraten.
2972 swâ diu minne kêre Wo sich die Liebe von
2973 von êren hât, daz ist unsin. der Ehre abwendet, da entsteht Unvernunft.
2974 dâ von hât man ungewin Davon hat man noch nie etwas
2975 dicke genon und nimet noch. gewonnen und tut es auch nicht.
2976 diz ist wâr und flîzet doch Das ist wahr; und doch strebt
2977 diu welt sich zuo unminne, die Welt nach unminne,
2978 wan man mit unsinne wenn man mit Unvernunft
2979 siht frouwen minnen unde man. Männer und Frauen lieben sieht.
2980 ob sî dâ verlierent an, Wenn sie dabei verlieren,
2981 wer mag in des? diu schuld ist ir. wer kann ihnen das vergelten? Die Schuld liegt bei ihnen.
2982 swâ minne in minneclîcher gir Wo immer die Liebe in liebevollem Begehren
2983 nâ êren wirbet unde stât, nach Ehre strebt und nicht davon ablässt,
2984 ob diu ein wîle kumber hât, auch wenn sie eine Weile Kummer hat,
2985 doch gît sî hôher fröuden teil. bringt sie doch große Freude mit sich.
2986 gotes gunst, der welte heil Gottes Gunst und das Heil der Welt
2987 erwirbet man mit minne, erwirbt man durch Liebe,
2988 dâ sî sich zuo unsinne wo sie sich nicht zu Unvernunft
2989 niht birget noch vermischet. versteigt oder sich mit dieser vermischt.
2990 sô wirt doch ie erfrischet So wird durch sie schließlich
2991 mit ir diu êr ze leste. doch immer die Ehre befördert.
2992 minn ist ein hort der beste So ist Liebe der beste Schatz,
2993 des ie zer welte wart erdâht der je auf Erden erdacht wurde,
2994 alsô ob sî sich niht vergâht. wenn sie sich nicht übereilt.
2995 Alsô warp hîe minne. So wirkte hier die Liebe.
2996 des werden fürsten sinne Des teuren Fürsten Sinne
2997 niht nâ unminne stalten. waren nicht auf unminne aus.
2998 nâ êren man in valten Nach Ehre sah man ihn verrenken
2999 sach alliu sînes lîbes lider. alle Glieder seines Leibes.
3000 sî driu zuo ein ander nider Zu dritt saßen sie
3001 sâzen in der hütten. beieinander in der Hütte.
3002 ob in ir herze iht sütten Ob ihnen ihre Herzen nicht
3003 minneclîcher gedenke? liebevolle Gedanken einflüsterten?
3004 jâ der sinne senke Ja, die Sinne gruben
3005 sich sancten sô ze grunde, sich so tief ins Herz,
3006 daz ir dewederz kunde dass keiner von ihnen
3007 ein wort gesprechen noch gesprach, ein Wort sprechen konnte noch sprach,
3008 wan daz eht ietwederz sach außer dass der eine
3009 daz ander minneclîchen an. den anderen liebevoll ansah.
3010 wâ von daz wære, ob ich kan, Wovon das kam, will ich euch hier,
3011 daz vil ich iuch hie künden, wenn ich kann, verraten,
3012 ob ich eht mac durgründen wenn ich tatsächlich die Sache
3013 die sache mit dem sinne. mit dem Verstand vollständig zu erklären vermag.
3014 wir sehen von der minne Wir sehen von der Liebe
3015 ein dinc daz dick beschehen ist etwas, das schon oft geschehen ist
3016 und noch beschiht ze manger frist und mitunter noch heute geschieht
3017 und ouch beschach an disen zwein. und auch diesen beiden widerfuhr.
3018 swâ sich zwei herzen schôn in ein Wo immer sich zwei Herzen mit Gedanken
3019 mit den gedenken einent, schön in eines fügen,
3020 sô daz sî beide meinent so dass sie beide dasselbe,
3021 ein dinc, ein ein, ein liep, ein leit, ein Einziges, eine Liebe, ein Leid denken,
3022 und doch dewederz hât geseit wobei doch keiner dem anderen
3023 dem andern sînes herzen pîn, seine Herzensqual geschildert hat,
3024 diu herzen müezent beide sîn müssen beide Herzen gedanklich
3025 verdâht nâ süezer minne. in süßer Liebe versunken sein.
3026 sî denkent in ir sinne Sie denken in ihren Köpfen:
3027 ,ei bræht gelücke mir die stunt „Ei, brächte das Glück mir die Stunde,
3028 daz ich in ir ôre kunt dass ich ihr eine Bedrückung
3029 mîn swære möhte machen, zu Gehör bringen könnte,
3030 sô wolt ich an den sachen so wollte ich von den Dingen
3031 an vâhen und wolt reden sus: beginnen und wollte folgendermaßen sprechen:
3032 ich wolt sî bitten umb ir kus Ich wollte sie um ihren Kuss bitten
3033 und wolt ir klagen mînen pîn und wollte ihr meine Qual klagen
3034 und ir künden wie sî in und ihr mitteilen, wie sie sich
3035 mîn herz sich hât gesenket.‘ in mein Herz gebohrt hat.“
3036 alsus der sin gedenket So denkt der Verstand
3037 an mange sache mê dan vil an manche Sache allzu viel,
3038 die er mit ir reden wil, die er mit ihr besprechen will,
3039 ob im diu fuoge gît die stat. wenn der Anstand es ihm erlaubt.
3040 und swenne er sich gesetzet hât Und sobald er sich in aller Ruhe
3041 zuo ir in rehter ruowe phliht, zu ihr gesetzt hat,
3042 sô kan er ein wort reden niht so bringt er kein Wort heraus
3043 und sitzet dâ und siht sî an und sitzt da und schaut sie an
3044 und scheidet ungeret von dan. und verlässt sie, ohne ein Wort gesagt zu haben.
3045 diz ist beschehen mange stunt. Dies ist schon oft geschehen.
3046 und sô er êrst von dannen kunt, Und sobald er erst von ihr weg ist,
3047 sô kan er rede wunder. kann er Wunder was sprechen.
3048 zehant der minne zunder Sofort entzündet ihm die Glut
3049 enbrennet im die sinne, der Liebe die Sinne
3050 und kan denn von der minne und dann kann er von der Liebe
3051 gesagen allez daz ie wart. alles sagen, was jemals einer sagte.
3052 wâ von daz sî daz sô verspart Wovon das kommt, dass das Schloss der Zunge
3053 der zungen slôz bî liebe sî? in Gegenwart der Geliebten so verschlossen ist?
3054 daz ist dâ von, ir herzen bî Das kommt daher, dass ihre Herzen
3055 ein ander stæteclîche sint, immerfort beieinander sind,
3056 wan minne mit gedenken bint weil Liebe sie beide im Gedenken
3057 sî beidiu in der minne stric. mit ihren Stricken aneinander bindet.
3058 dâ bî ist der ougen blic Der Blick der Augen ist nicht
3059 niht, ez tuot diu minne dabei, es bewirkt allein die Liebe
3060 in der gedenke sinne in den Sinnen der Gedanken
3061 mit minneclîchem prîse. mit lieblichem Ruhm.
3062 zuo gelîcher wîse In gleicher Weise
3063 geschiht den sinnen alle frist ergeht es den Sinnen immer
3064 als dâ ein hûs erfüllet ist wie dort, wo ein Haus so
3065 mit liuten alsô daz ein man voller Leute ist, dass kein Mann
3066 niht mê dâ hin în komen kan. mehr da hineinkommen kann.
3067 diz bîspel ich gelîche spür. Dieses Beispiel empfinde ich ähnlich.
3068 nu stânt liute vor der tür Nun stehen Leute vor der Tür,
3069 mê denne in dem hûse sîn. mehr als in dem Haus sind.
3070 jen went her ûz und dis hin în Jene wollen hinaus und diese hinein
3071 und dringent vast an der getât. und sie drängeln nach Kräften.
3072 der ûzern alsô vil dâ stât Heraußen stehen so viele,
3073 daz jene belîbent dinne. dass jene drinnen bleiben müssen.
3074 alsus beschiht dem sinne, Genauso ergeht es dem Verstand,
3075 swâ liep ist liebem liebe bî. wenn Liebende beieinander sind.
3076 ob ir blicke sîgen frî? Ob ihre Blicke da frei sind?
3077 nein sî twingt diu minne Nein, die Liebe zwingt sie,
3078 daz sî went zuo dem sinne dass sie zu dem Verstand
3079 dringen in daz herze. ins Herz dringen wollen.
3080 der unmüezige smerze Der unruhige Schmerz
3081 die sinne hât verklummen, hält die Sinne umklammert,
3082 daz der munt verstummen sodass der Mund verstummen
3083 muoz und weiz niht waz er seit. muss und nicht weiß, was er sagt.
3084 nâtûre tuot gewisheit Die Natur bestätigt,
3085 des daz die ûzern sinne dass die äußeren Sinne
3086 die gedenke inne die Gedanken im
3087 dem herzen bringent von der phliht. Herzen ablenken.
3088 sus ist ez nu diu gesiht, So ist es nun der Anblick,
3089 diu dik gedenke schicket, der den Gedanken die Richtung weist,
3090 sô sî mit luste erblicket wenn sie mit Lust dorthin blicken,
3091 dar dâ daz herze ist hin verdâht. wohin sich das Herz gewandt hat.
3092 alsus wirt von gedenken brâht So wird von den Gedanken der Verstand
3093 der sin und jagt den ougen nâch. gebracht und jagt den Augen nach.
3094 im wirt sô herzelîchen gâch Er hat es so furchtbar eilig
3095 zuo der ougen mezzen den Augen zu folgen,
3096 daz er muoz vergezzen dass er vergessen muss,
3097 swaz er vor betrahet hât. was er zuvor betrachtet hat.
3098 alsô der sin verirret stât So verirrt sich der Verstand
3099 und weiz ein man niht waz er tuot. und weiß ein Mann nicht, was er tut.
3100 diu ougen irrent im den muot. Die Augen verwirren ihm den Verstand.
3101 diz beschiht noch mange stunt. Das geschieht noch heute immer wieder.
3102 swenne er denn von dannen kunt Sobald er sich dann zu lösen vermag
3103 und ir diu ougen niht mê sehent, und die Augen sie nicht mehr sehen,
3104 die gedenke wider spehent erkennen die Gedanken wieder,
3105 daz sî hânt versûmet, was sie versäumt haben,
3106 wan in êrst gerûmet wenn ihnen erst
3107 wirt mit der gesihte. der Anblick entzogen wird.
3108 in suslîcher phlihte In solcher Gemeinschaft
3109 sâzen diu gelieben hie, saßen die Geliebten hier,
3110 daz ir dewederz kunde nie sodass lange keiner von beiden
3111 gesprechen wort ein lange stunt. ein Wort sprechen konnte.
3112 nu was der juncfrouwen kunt Nun wusste Yrkanes Fräulein sehr wohl
3113 wol irs herzen meine. um die Gesinnung ihres Herzens
3114 diu minneclîche reine Die liebliche Reine
3115 sprach ,war umb sint ir komen her? sprach: „Warum seid Ihr hergekommen?
3116 wie sitzent ir sô, ir und er? Wie sitzt Ihr so, Ihr und er?
3117 wan redent ir doch etewaz! Wann redet Ihr endlich etwas!
3118 diz swîgen hie waz meinet daz? Was bedeutet dieses Schweigen hier?
3119 ald schiuhent ir mich hinne Oder Ihr scheucht mich weg;
3120 an, an wârer minne in Bezug auf wahre Liebe
3121 hânt ir an mir kein sûme. findet Ihr an mir kein Zögern.
3122 ir beide hânt doch kûme Ihr beide konntet es doch kaum
3123 erbiten dirre statte.‘ erwarten hierher zu kommen.“
3124 mit den Worten hatte Bei diesen Worten hatte
3125 alrêrst der fürste sich bedâht, sich der Fürst endlich besonnen,
3126 wan er was ze sinnen brâht denn durch die Worte des Fräuleins,
3127 von der megde worte, die er so sprechen hörte,
3128 die er sô sprechen hôrte, war er wieder zu Verstand gekommen;
3129 dâ von entweich sîn ungemach. davon verschwand seine Starre.
3130 mit siufzendem munt er sprach: Seufzend sprach er:
3131 ,Waz sol ich sprechen? ich enkan. „Was soll ich sagen? Ich kann nicht.
3132 mîn zunge ist mir worden lan Meine Zunge ist mir
3133 sît iez in mînem munde. soeben im Mund erschlafft.
3134 swaz ich vor wunders kunde, Was ich früher Wunderbares erzählte,
3135 des hân ich gar vergezzen. habe ich vollkommen vergessen.
3136 sin unde herz besezzen Mein Verstand und mein Herz werden
3137 mir sint mit den gedenken. von sehnsüchtigen Gedanken vereinnahmt.
3138 owê daz ich wenken Oh weh, dass ich nicht
3139 von den sorgen niht enkan! von den Sorgen loskomme!
3140 mich brennet unde vihtet an Mich brennt und sticht
3141 sô bitterlîcher smerze. so bitterlicher Schmerz.
3142 mich wundert daz mîn herze Mich wundert, dass mein Herz auch nur
3143 ez halbez mag erlîden, die Hälfte davon ertragen kann,
3144 wan der minne snîden denn die Schärfe der Liebe
3145 ez ûf den tôt versêret. verwundet es auf den Tod.
3146 mir werde dann verkêret Wenn mein Leid mir nicht
3147 mîn leit mit süezem trôste, durch süße Zuwendung verwandelt wird,
3148 sô muoz ich ûf dem rôste so muss ich auf dem Rost
3149 der strengen minne brinnen. der harten Liebe brennen.
3150 ich bin sô gar von sinnen Ich habe so vollständig den Verstand
3151 komen und von muote, verloren und den Mut,
3152 daz ich ûz al der huote dass ich von allen guten Geistern verlassen
3153 bin, der ie sinnic herze wielt. bin, die sich jemals um ein vernünftiges Herz sorgten.
3154 ob ich ie ritters orden hielt, Ob ich jemals die Ritterwürde empfing,
3155 des weiz ich niht: sô hânt ir mir weiß ich nicht: So habt Ihr mir
3156 genomen mînes herzen gir die Begierde meines Herzens genommen
3157 und aller mîner sinne kraft. und die Kraft meines Verstandes.
3158 süeze kiusche tugenthaft, Süße keusche Tugendhafte,
3159 daz lânt iuch erbarmen. habt deswegen Erbarmen.
3160 senfterent mir armen Lindert mir Armem
3161 den bitterlîchen smerzen, den bitteren Schmerz,
3162 den ich trag in herzen, den ich im Herzen trage,
3163 und daz strenge ungemach.‘ und das harte Ungemach.“
3164 zühtelîch diu reine sprach: Voll Anstand sprach die Reine:
3165 ,Waz rede ist daz? waz meinent ir? „Was redet Ihr da? Was meint Ihr?
3166 wâ mit hân ich, daz sagent mir, Sagt mir, womit habe ich
3167 iuwer herz gebunden? Euer Herz gefesselt?
3168 an den strengen wunden An schlimmen Wunden bin ich
3169 sô biut ich mîn unschulde. meiner Meinung nach unschuldig.
3170 ob iuwer herze dulde Ob Euer Herz meinetwegen
3171 von mir leit, daz weiz ich niht. Leid erduldet, weiß ich nicht.
3172 ald wie sol ich der noete phliht Oder wie soll ich Euer Herz
3173 iuch ûz herzen scheiden? aus der Not befreien?
3174 hân ich gewalt an beiden Habe ich die Macht, Euch sowohl
3175 iuch binden und enbinden? zu fesseln als auch die Fesseln zu lösen?
3176 mag ich iuch sorge linden Kann ich Euch sowohl Sorgen lindern
3177 und füegen hôhen smerzen? als auch großen Schmerz zufügen?
3178 wenn wart ich iuwers herzen Wann gewann ich solche Macht
3179 mit sinnen sô gewaltic, über Euer Herz und Eure Sinne,
3180 daz ir sô manicvaltic dass Ihr meinetwegen
3181 sorge dur mich lîdent? so mannigfaltige Not leidet?
3182 ob ir fröude mîdent, Wenn Ihr keine Freude empfindet,
3183 wie sol ich daz erwenden?‘ wie soll ich das ändern?“
3184 ,dâ sönt ir mir ellenden „Da solltet Ihr mir Armem
3185 mit trôste hôchgemüete gên, mit Trost zu besserer Stimmung verhelfen,
3186 alsô daz ir geruochent nên indem Ihr mich
3187 in iuwer dienestlîch gebot in Euren Dienst zu nehmen
3188 mich, und daz ich sunder spot geruht und ich allen Ernstes
3189 dienstes iuch gebunden sî, dienstlich an Euch gebunden bin
3190 und daz iuch, reine wandels frî, und indem Euch, reine Makellose,
3191 mîn dienest sî genæme. mein Dienst genehm sei.
3192 ob iuch der muot gezæme, Wenn Euch diese Haltung geziemt,
3193 sô mües mir sorge swachen. werden meine Sorgen gering werden.
3194 mîn herze möht erkrachen Mein Herz könnte
3195 von den senden noeten. vor Sehnsucht zerbersten.
3196 iuwer zuht mich toeten Euer Anstand kann mich
3197 kan an hôhem muote. um alle Glückseligkeit bringen.
3198 der minne geiselruote Die Geißel der Liebe
3199 mich zuo den noeten twinget. verdammt mich zum Leid.
3200 swaz hôchgemüete bringet, Was auch immer Glückseligkeit bringt,
3201 des ist mîn herze leider arn. daran ist mein Herz leider arm.
3202 iuwer güete well bewarn Will Eure Güte mich nicht besser
3203 baz von senden sorgen mich, vor sehnsuchtsvoller Sorge bewahren,
3204 sô muoz ich sterben sicherlich.‘ muss ich mit Sicherheit sterben.“
3205 Sî sprach ,diu red ist wunderlich. Sie sprach: „Diese Worte sind seltsam.
3206 went ir underwîsen mich Wollt Ihr mich dazu bringen,
3207 daz sich mîn sin vergâhe, dass sich mein Verstand übereilt
3208 alsô daz ich enphâhe und ich jemanden in meinen Dienst
3209 ze dienest den ich nie gesach. nehme, den ich nie zuvor gesehen habe?
3210 mir möht beschehen als beschach Mir könnte es ergehen, wie es Dido
3211 Dîdô der werden künigîn, erging, der edlen Königin,
3212 dô sî in ires herzen schrîn als sie sich in ihrem innersten Herzen
3213 Enêam zuo âmîse kôs. Eneas zum Geliebten erkor.
3214 dâ von sî den lîp verlôs, Das bezahlte sie mit dem Leben,
3215 wan er sich von ir hin verstal. weil er sich von ihr davon stahl.
3216 Virgilîus seit über al, Vergil sagt ganz genau,
3217 wie sî verbran und ir ergie. wie sie sich verbrannte und wie es ihr erging.
3218 sich wil baz verwarten hie Mein Verstand, mein Herz und mein Denken
3219 mîn sin mîn herze und mîn gedanc. wollen hier besser auf sich achtgeben.
3220 ob ir sint an fröuden kranc, Wenn Ihr arm an Freuden seid,
3221 daz ist mir leit: ich wolte wol tut es mir Leid: Ich wünschte wohl,
3222 daz ir wærent fröuden vol, dass Ihr voll Freude wäret,
3223 alsô daz diu fröude mich wenn die Freude mich
3224 an êren tæt unschamelich.‘ in meiner Ehre nicht beschämte.“
3225 ,Unschamelich? waz meinet daz? „Nicht beschämte? Was bedeutet das?
3226 gotes und der welte haz Der Hass Gottes und der Welt
3227 sol im wesen unverseit sollen dem sicher sein,
3228 swer den valsch in herzen treit‘, der Falschheit im Herzen trägt“,
3229 sprach er, ,von des sachen sprach er, „solche Dinge
3230 diu êre müese swachen: müssten der Ehre schaden:
3231 des bin ich lidic unde frî. Ich bin davon vollkommen frei.
3232 swie daz ich nu leider sî Auch wenn ich der Ehren nun
3233 der êren gar unwirdic, leider ganz unwürdig wäre,
3234 sô muoz mîn herze girdic so muss mein Herz doch
3235 doch sîn nâ hôhen dingen. nach hohen Dingen streben.
3236 hôchgedenke bringen Hoch fliegende Gedanken können
3237 mir künnent tiefe swære. mir tiefe Betrübnis bringen.
3238 ob ich sô sælic wære, Wenn mir,
3239 daz mir leider widervert was leider nie passieren wird,
3240 niemer, daz mir wær beschert durch Euch, erhabene Königin,
3241 von iuch, hôhe künegîn, das Glück widerfahren würde,
3242 sô daz ir den dienest mîn dass Ihr meinen Dienst
3243 enphâhen hie geruochent, anzunehmen geruht
3244 und doch dar an versuochent und es immerhin darauf ankommen lasst,
3245 ob ich iuch dienen türre, dass ich Euch dienen dürfte,
3246 lîp und guot ich würre würde ich Leib und Gut für
3247 ze iuwerr gnâden krône, die Krone Eurer Gnade riskieren
3248 und wolte doch ze lône und wollte dafür doch
3249 dar umbe niemer niht gegern, niemals etwas zum Lohn begehren.
3250 wan des ir mich wol gewern als was Ihr mir gut und gerne
3251 möhtent sunder schande. ohne Schande gewähren könntet.
3252 mîn herze ist von dem brande Mein Herz ist vom Feuer
3253 der strengen minne enzündet. der strengen Liebe entzündet.
3254 ist daz mir niht gekündet Ist es so, dass mir von Euch kein
3255 von iuch wirt senfter sache, Entgegenkommen gezeigt wird,
3256 ich kranken unde swache werde ich von Stunde zu Stunde
3257 gar von stunt ze stunde. schwächer und elender.
3258 mir lît in herzen grunde Mir liegt auf dem Grunde des Herzens
3259 daz bitter leit verborgen, das bittere Leid verborgen,
3260 von dem mîn lîp mit sorgen aufgrund dessen mein Leib stets
3261 in jâmer stæteclichen lept. mit Sorgen in Jammer lebt.
3262 von fröuden zuo der noete strept Von Freude zum Leid streben
3263 lîp sin muot mit dem herzen. mit dem Herzen Körper, Verstand und Gemüt.
3264 owê ach! den smerzen Oje und ach! Ihr könntet
3265 möhtent ir wol wenden, den Schmerz sehr wohl abwenden,
3266 sô daz ich iuwern henden sodass ich mich dienstfertig
3267 mit dienste solte nîgen. vor Euren Händen verneigen würde.
3268 dâ von sô müeste sîgen Davon müsste ein Teil
3269 nider mîner sorgen teil, meiner Sorgen vergehen
3270 und diuhte mich ein guotez heil, und es deuchte mich ein großes Glück,
3271 solt ich dar inne schînen. sollte ich in diese glückliche Lage kommen.
3272 doch dur mîns dienstes pînen Doch für die Qual meines Dienstes
3273 gert ich niemer anders niht begehrte ich nichts anderes
3274 wan der hôhen zuoversiht als die große Hoffnung,
3275 daz ir mîns dienstes næment war. dass Ihr meinen Dienst bemerkt.
3276 geviel er iuch, sô wære gar Gefällt er Euch, so wäre vollständig
3277 in iuwerm dieneste geschehen in Eurem Dienst geschehen,
3278 swaz guotes von mir würd gesehen. was man mich Gutes tun sähe.
3279 wær des niht, sô liezent sîn Wäre das nicht das Fall, so lasst mich
3280 mich der ich ouch iezent bin der sein, der ich auch jetzt
3281 und lange leider bin gewesen und leider schon lange ohne Trost
3282 ân trost. sol aber ich genesen, bin. Soll es mir aber wieder gut gehen,
3283 daz stât an iuch einen so liegt das an Euch allein,
3284 minneclîchen reinen.‘ Ihr liebliche Reine.“
3285 Sî sprach ,nu muoz ich lachen Sie sprach: „Nun muss ich lachen
3286 von wunderlîchen sachen über die seltsamen Dinge,
3287 die ir hie trîbent umbe. die Ihr hier treibt.
3288 ich bin niht sô tumbe, Ich bin nicht so töricht,
3289 ich merke iuwer meinen. ich weiß, worauf Ihr hinauswollt.
3290 daz ir an mich einen Der Behauptung, dass Ihr all Eure Gedanken
3291 sô kêrent iuwer sinne, nur auf mich richtet,
3292 des mag ich sicher inne kann ich in meinem Herzen
3293 dem herzen klein getriuwen. nur wenig trauen.
3294 ich möhte wol ze riuwen Ich könnte es leicht bedauern,
3295 mîn sinne dâ mit binden, meine Sinne dadurch zu binden,
3296 sô ich wânde vinden dass ich Euch dienstfertig
3297 iuch mit dienestlîcher phliht, zu finden glaube,
3298 daz denn iuwer herze niht Euer Herz dann aber
3299 dâ zuo gebunden wære. nicht daran gebunden wäre.
3300 ir sint ein lantfarære Ihr seid ein Reisender
3301 und werbent hie und minnent dort. und werbt hier und liebt dort.
3302 ich wæne iuwer süeze wort Ich glaube, Eure Schmeicheleien
3303 entrihte manic frouwen verführen manche Frau,
3304 diu iuch wænet schouwen die glaubt, Euch immerzu
3305 in ir dienste alle frist, in ihrem Dienst zu sehen
3306 diu doch lîht betrogen ist. und dabei doch leicht betrogen ist.
3307 alsus möht ouch mir beschehen. Dasselbe könnte auch mir geschehen.
3308 niemer mannes nam gesehen Im Kreis meiner Diener wird
3309 wirt in mînes dienstes schîn, niemals der Name eines Mannes auftauchen,
3310 er welle denn mit namen sîn außer wenn er mit seinem Namen
3311 mîn diener alters eine; ganz allein mein Diener sein will;
3312 wan solich gemeine denn solch eine Gemeinschaft
3313 muoz man mit leide teilen. wird man mit Leid bezahlen.
3314 ich wil ouch niemer veilen Ich werde meine Ehre auch niemals
3315 mîn êre umb keine sache, um einer Sache willen verkaufen,
3316 dâ von ich müge swache durch die ich
3317 machen mîne wirde.‘ meine Würde schmälern könnte.“
3318 ,jâ‘, sprach er, ,mîn girde, „Ja“, sprach er, „mein Begehren,
3319 zarte, diu ist anders niht: Ihr Schöne, ist so beschaffen:
3320 eht ich hân die zuoversiht Ein bisschen habe ich
3321 ûf den hôhen gingen, die hochgegriffene Hoffnung,
3322 mîn jâmer möhte dringen dass mein Jammer
3323 dur eines herzen adamant. ein Herz aus Diamant erweichen könnte.
3324 ouwê möht iuch sîn bekant Oh weh, wäre Euch doch
3325 der bitterlîche smerze! der bitterliche Schmerz bekannt!
3326 ich wolt daz ir mîn herze Ich wollte, dass Ihr heimlich
3327 tougen möhtent schouwen, in mein Herz sehen könntet,
3328 wie ir ob allen frouwen wie Ihr darin über
3329 dar inne tragent schône allen Damen so schön
3330 zepter unde krône mit liebender Gesinnung
3331 mit minneclîcher meine, Szepter und Krone tragt,
3332 wie ir alters eine wie Ihr ganz allein
3333 mich twingent unde niemen mê. mich bezwingt und sonst niemand.
3334 wizzent daz mir nie sô wê Wisst, dass mir nie so weh
3335 in herzen noch in sinnen im Herzen noch in den Sinnen
3336 wart sô von dem minnen wurde wie von dem Lieben,
3337 daz mir unminneclîche tuot. das mich unlieb behandelt.
3338 herz lîp sin und dâ zuo muot Herz, Leib, Verstand und dazu das Gemüt
3339 lânt sich in jâmer senken. versinken in Jammer.
3340 ich möhte mit gedenken Ich könnte mit den Gedanken
3341 mîn herze gar zerzerren. mein Herz gar zerreißen,
3342 daz jâmer siht man derren sodass man sieht, wie der Jammer
3343 dur ganzen lîp des jâmers verch. im ganzen Körper Fleisch und Blut verdorren lässt.
3344 in sô wunderlîchiu werch Die Liebe hat mich in ein so
3345 hât minne mich geworren, wunderliches Werk verstrickt,
3346 daz man mir siht dorren dass man mir den Leib verdorren
3347 den lîp als einen swachen schoup. sieht wie dünnes Stroh.
3348 ich muoz als ein äspîn loup Ich muss vor großen Sorgen
3349 von sorgen grôz erzittern. wie Espenlaub erzittern.
3350 ich lîde sende bittern Ich leide sehnsuchtsvolle Qual,
3351 angest unde smerzen, Angst und Schmerzen,
3352 daz ich von grunt des herzen da ich vom Grund des Herzens
3353 ûf glimse unde brinne. her glimme und brenne.
3354 owê daz mir diu minne Oh weh, dass mir die Liebe
3355 gît sô unwunneclîchen gruoz, so unschönen Gruß sendet,
3356 und ich doch umb einen fuoz wo ich doch nie auch nur
3357 ûz ir gebote nie entweich. einen Fuß breit von ihrem Gebot abwich.
3358 ei dô sî sô suoze sleich Ei, als sie mir auf so süße Weise tief
3359 mir in mînes herzen grunt, in mein Herz schlich,
3360 wær mir dô gewesen kunt wären mir da ihr Kummer
3361 ir kummer und ir swære, und ihre Betrübnis bekannt gewesen,
3362 sî wær mir nie sô mære wäre sie mir niemals so wertvoll
3363 worden als sî mir dô was. geworden, wie sie mir da war.
3364 lieber got, waz meinde daz Lieber Gott, was bedeutete das,
3365 daz sich mîns herzen girde dass sich das Begehren meines Herzens
3366 vereinde an ir wirde an ihre Würde heftete,
3367 ê sî mîn ouge ie gesach, bevor mein Auge sie erblickt hatte,
3368 daz dô in mîn herze brach dass ihre Würde lieblich
3369 ir wirde minneclîche, in mein Herz eindrang,
3370 sô daz ich alliu rîche sodass ich alle Königreiche
3371 dar umbe hete niht genomen nicht dafür genommen hätte;
3372 ichn wære har ze hove komen: anders wäre ich nicht hierher an den Hof gekommen:
3373 daz was ein wunderlîchez dinc. Das war doch sehr merkwürdig.
3374 ir mînneclîcher ursprinc Ihr lieblicher Anfang
3375 wil mir gên strengez ende. wird für mich ein schlimmes Ende nehmen.
3376 des muoz ich mîne hende Deshalb muss ich meine Hände
3377 in jâmer dicke valten. oft in Jammer zusammenschlagen.
3378 mîn herze möhte spalten Mein Herz könnte
3379 von bitterlîchen noeten, aus bitterer Not zerbrechen,
3380 sît mir fröude toeten weil mir diejenige mit ihrer Liebe
3381 diu wil mit ir minne die Freude töten will,
3382 der mîn senden sinne der meine sehnsuchtsvollen Sinne
3383 ie stæter triuwe jâhen schon beständige Treue versprachen,
3384 ê sî mîn ougen sâhen.‘ bevor meine Augen sie sahen.“
3385 Des antwurt im diu zarte Darauf antwortete ihm die Schöne:
3386 ,an solîcher red ich warte „Aus solchen Worten nehme ich wahr
3387 und merke wunderlîchen sin, und bemerke ich eine seltsame Denkweise,
3388 daz ich dâ hin komen bin, dass ich nämlich in jemandes Herz
3389 in herze dâ man mich nie sach. gekommen sein soll, der mich nie sah.
3390 waz daz sî, wie dem geschach, Was das sei, wie es geschah,
3391 des wist ich gern ein ende. das wüsste ich gerne genau.
3392 gap ich iuch fröuden phende Gab ich Euch das Pfand der Freude,
3393 ê iuch mîn ouge sæhe, bevor mein Auge Euch sah,
3394 wâ von daz geschæhe, wovon das geschehen sein soll,
3395 daz wist ich gern unz ûf den grunt.‘ das wüsste ich gerne ganz genau.“
3396 er sprach ,ich wil machen kunt Er sprach: „Ich will Euch
3397 iuch ez mit kurzen worten, mit wenigen Worten erklären,
3398 wie mîniu ôren hôrten wie meine Ohren einen Knappen
3399 iuch einen knappen rüemen Euch loben hörten
3400 und sô mit worten blüemen und so mit Worten rühmen,
3401 daz ich des wunders nie vernam. dass ich so Wunderbares noch nie vernommen hatte.
3402 mîns herzen sin mich hinderkam Der Verstand meines Herzens hinterging mich
3403 dar an mit den gedenken, mit dem Denken daran,
3404 daz sich begunde senken sodass sich mir die [scil. Eure] Schönheit
3405 diu schoene in mînes herzen grunt. tief ins Herz senkte.
3406 der selbe knappe tet mir kunt Derselbe Knappe erzählte mir
3407 dis hoves âventiure, von der Aventiure dieses Hofes,
3408 wie ir schoen gehiure wie Ihr schöne Wohlgestalte
3409 die tûben gæbent und den kus. die Taube und den Kuss gäbt.
3410 mit den sinnen ich alsus Ich war von diesen Gedanken
3411 sô vaste hinderdâhte so vereinnahmt,
3412 daz mîn herze brâhte dass mein Herz mich
3413 mich zuo disem sinne. zu dieser Geisteshaltung brachte.
3414 dâ nâ kam diu minne Danach kam die Liebe
3415 mit alsô frevenlîcher maht mit so verbrecherischer Macht,
3416 daz ich beide tac und naht dass ich weder bei Tag noch bei Nacht
3417 geruowen niht enkunde auch nur eine halbe Stunde
3418 eine halbe stunde Ruhe fand,
3419 ê iuch mîn ouge selbe sach. bevor mein Auge Euch selbst sah.
3420 alsô schier dô daz beschach, Sobald das geschehen war,
3421 dô was ouge und herze tôt. da waren Auge und Herz machtlos.
3422 sin mit den gedanken bôt Dienstwillig bot ich Euch
3423 ich iuch mit dienstes willen. den Verstand mit den Gedanken.
3424 went ir mir nu stillen Wollt Ihr mir nun
3425 niht mînes herzen müege, mein Herzeleid nicht stillen,
3426 sô bin ich gar ze früege so bin ich leider gar zu früh
3427 in nôt betwungen leider. von der Not bezwungen.
3428 sin und herze beider Ihr nehmt sowohl meinem Verstand
3429 tuont ir mich unmehtic. als auch meinem Herzen die Kraft.
3430 mîn gedenke trehtic Meine Gedanken
3431 sint iemer ûf die sache, drehen sich immer darum,
3432 wie iuwer tugent swache wie Eure ängstliche Tugend
3433 mir hôher sorge bürde, mir die Bürde großer Sorge auferlegt,
3434 diu wol senfter würde die wohl gemildert würde,
3435 ob iuwer zuht es gunde, wenn Euer Anstand es zuließe,
3436 sô daz diu strenge wunde sodass die schlimme Wunde
3437 der bitterlîchen sorgen, der bitteren Sorgen,
3438 in der ich verborgen in der ich den Strahl
3439 trag der minne strâle, der Liebe verborgen trage,
3440 von der ich zie dem mâle von der ich jedes Mal
3441 erklupfe und erschricke, hochfahre und erschrecke,
3442 swenn sî mit sendem blicke wenn sie mit sehnsuchtsvollem Blick
3443 mich girdeclîchen schiuzet mich begierig beschießt
3444 und sich der smerze sliuzet und sich der Schmerz in den Verstand
3445 in der gedenke sinne, der Gedanken schließt,
3446 und in der diu minne und in der [scil. der Wunde] die Liebe
3447 kan hôhe fröude teilen, hohe Freude austeilen kann,
3448 müese schiere heilen schnell heilen würde
3449 und minneclîch verwahsen. und lieblich zuwachsen.
3450 owê daz ich von Sahsen Oh weh, weil ich jemals aus Sachsen
3451 ie kam, sol mir niht bezzer trôst hierher kam, soll mir kein Trost zuteil
3452 werden der mich tuot erlôst werden, der mich von dem Leid
3453 von leide, und ich doch niht ger erlöst, obwohl ich doch nichts anderes
3454 anders denn man mich gewer begehre, als dass man mir gewährt,
3455 des ie sunder schande frist was immer gut ohne Schande
3456 wol mohte wesen und ouch ist.‘ möglich war und auch jetzt ist.“
3457 Sî sprach ,ob ich nu stæte Sie sprach: „Wenn ich nun Beständigkeit
3458 an iuch funde und tæte an Euch fände und täte,
3459 des ir an mich suochent worum Ihr mich ersucht
3460 und ze tuonde ruochent, und das zu tun Ihr mich bittet,
3461 waz hulfe daz iuch oder mich?‘ was hülfe das Euch oder mir?“
3462 er sprach ,mîn gedenke sich Er sprach: „Meine Gedanken
3463 müesen dâ von fröuwen würden davon Freude erfahren
3464 und ze rugge ströuwen und zurückschleudern,
3465 swaz mir leides ie gewar. was mir jemals an Leid widerfuhr.
3466 swenn mîn sin gedæhte har, Wenn mein Verstand solches in Erwägung zöge,
3467 sô wær mîn muot erfrischet wäre mein Gemüt erhellt
3468 und mîn nôt gemischet und meine Not
3469 mit hôher fröuden wunne. mit der Wonne großer Freude gemischt.
3470 reht alsam diu sunne Genau wie die Sonne
3471 den tou von tolden zücket, den Tau von den Baumwipfeln saugt,
3472 alsô würd gelücket so würde mein Verstand
3473 mîn sin zuo hôchgemüete, zu freudiger Stimmung verlockt,
3474 ob diu süeze güete wenn die süße Güte
3475 der minneclîchen werdekeit, liebevoller Wertschätzung derjenigen,
3476 diu in mînem herzen treit die in meinem Herzen
3477 krôn gewalteclîchen unbestritten die Krone
3478 ob allen minneclîchen über allen lieblichen
3479 hôhgelopten frouwen, hoch gelobten Damen trägt,
3480 wolt daz jâmer schouwen den Jammer sehen wollte,
3481 daz ich sender dulde. den ich Sehnender erdulde.
3482 weiz got ich verschulde Weiß Gott, weder verdiene
3483 noch verschulte nie den haz. noch verdiente ich ihre Ablehnung.
3484 minne möhte mir wol baz Die Liebe sollte mich in ihrer Gnade
3485 mit ir gnâde erschiezen, besser erschießen,
3486 sô daz sî lêrte sliezen sodass sie Euch lehrte,
3487 iuch in des herzen bruste die liebestolle Begierde,
3488 minneclîche luste von der ich ergriffen bin,
3489 mit den ich bin begriffen. in die Brust zu schließen.
3490 gewetzet und gesliffen Gewetzt und geschliffen
3491 hât über mich ir snîden hat über mir die Liebe
3492 diu minn, des muoz ich lîden ihre Klinge, weshalb ich im Herzen
3493 in herzen minneclîche nôt, liebliche Not leiden muss.
3494 iuwer mündel rôsenrôt Außer Eurer kleiner rosenroter Mund
3495 daz well mich danne loesen. wollte mich davon erlösen.
3496 phî dem argen boesen Verflucht sei der arge Böse,
3497 der iemer des gedenket der immerzu dergestalt denkt,
3498 daz er mit sinnen wenket dass er mit Sinnen hin und her
3499 nu hin nu har alsam ein schif, schwankt wie ein Schiff,
3500 daz mit unstætes windes grif das mit dem unsteten Griff des Windes
3501 swebet ûf wâges flüete. über die Fluten der Wogen gleitet.
3502 sich hât diu süeziu güete Die süße Güte
3503 der minneclîchen angesiht im Angesicht der Geliebten
3504 sô gar mit eineclîcher phliht hat sich ganz mit gemeinschaftlichen Banden
3505 in mîn herz vereinet in mein Herz vergraben,
3506 sô daz ez niemen meinet sodass es an niemand anderen
3507 anders denn iuch eine denkt als an Euch allein,
3508 mit sinnen noch mit meine, weder mit den Sinnen noch mit liebendem Gedenken
3509 noch mac niht anders meinen, noch kann es an jemand anderen denken,
3510 wan ez hât iuch einen weil es Euch allein
3511 ûz al der welte sunder aus der ganzen Welt
3512 genomen und hât under ausgewählt und so
3513 die brust iuch sô versigelet, in seiner Brust versiegelt hat,
3514 daz ir dar inn verrigelet dass Ihr darin
3515 ob allen werden wîben bis an mein Lebensende
3516 stæteclîch belîben vor allen edlen Damen
3517 unz an mîn ende müezent, eingeschlossen seid,
3518 ob ir niht schiere süezent wenn Ihr nicht schleunigst
3519 die bitterlîchen ungehabe das bitterliche Ungemach versüßt,
3520 diu mich schiere zuo dem grabe das mich schnell ins Grab
3521 schicket, sol ez lange wern. bringt, sollte es noch lange dauern.
3522 jâ ich wil willeclîche gern Ja, ich will liebend gern
3523 ê zît dâ von ersterben, vor der Zeit daran zugrunde gehen,
3524 ob ich niht erwerben wenn ich das Geschenk so großen Trostes
3525 mac sô hôhes trôstes gebe. nicht erwerben kann.
3526 waz hilfet mich daz ich sô lebe Was hilft es, dass ich lebe
3527 und doch bin tôt an muote? und dabei doch innerlich tot bin?
3528 minneclîche guote, Liebe Gute,
3529 dar an gedenkent und tuont schîn daran denkt und erweist
3530 trôst den senden sorgen mîn.‘ meinen sehnsuchtsvollen Sorgen Trost.“
3531 Sî sprach ,wist ich daz wære Sie sprach: „Wüsste ich ohne Zweifel,
3532 daz jâmer und diu swære dass der Jammer und die Bedrückung
3533 iuch in herzen, als ir sagent in Eurem Herzen so wären,
3534 und sô bitterlîche klagent, wie Ihr sagt
3535 âne zwîvels wenken, und wie Ihr bitterlich klagt,
3536 ich wolt iuch sorge krenken wollte ich Eure Sorgen in der Weise schmälern,
3537 alsô daz doch kein arger sin dass doch kein böser Gedanke
3538 iuch beruorte von mir hin von mir Euch
3539 in unwirdiger meine. in unwürdiger Absicht berührte.
3540 ich wolt iuch alters eine Ich wollte Euch ganz allein
3541 ze diener hie enphâhen, hier als Diener empfangen
3542 und wolt iuch lâzen gâhen und wollte Euch schnell nach
3543 nâ hôher wirde danke, dem Lohn hoher Würde streben lassen,
3544 sô daz ir sunder wanke sodass Ihr treu
3545 mir dienent alters eine, mir allein dient
3546 und daz diu selbe meine und dass diese Gesinnung
3547 wær sunder valsche minne. ohne falsche Liebe wäre.
3548 sô wolt ouch ich mîn sinne So wollte auch ich meine Sinne
3549 von allen dingen wenden von allen anderen Dingen abwenden
3550 und mîn herz ellenden und mein Herz mit den Gedanken
3551 mit den gedenken swâ ir sît quälen, wo Ihr zu allen Stunden
3552 alle stunt und alle zît.‘ und jeder Zeit seid.“
3553 Er sprach ,sô bin ich genesen. Er sprach: „So bin ich gerettet.
3554 lîp und herze müezent wesen Leib und Herz müssen
3555 frî vor aller minne ohne Euch, Königin,
3556 ân iuch küneginne: frei von aller Liebe sein:
3557 des wil ich iemer wesen haft Daran will ich stets gebunden sein
3558 mit alsô ganzer trûtschaft mit ganzer Zuneigung,
3559 diu niemer mac zerrinnen, die niemals zergehen kann,
3560 und sol doch daz minnen und doch soll das Lieben
3561 verselwen niemer êren kranz. niemals den Kranz der Ehre beschmutzen.
3562 sî muoz lûter unde ganz Sie wird lauter und vollkommen
3563 belîben sam ein spiegelglas. bleiben wie ein Spiegel.
3564 nie herze wirdeclîcher saz Niemals saß ein Herz würdevoller
3565 ûf hôher êren krône auf der Krone hoher Ehre
3566 denn mînez nâ dem lône als meines aufgrund dieses Lohns,
3567 sô mir ist entwænet. so scheint mir.
3568 het ich dar umb entænet Hätte ich darum auch auf
3569 mich aller künecrîche, alle Königreiche verzichtet,
3570 ich wære sicherlîche ich wäre sicherlich
3571 dâ mit wol ergetzet glücklich darüber.
3572 ich hab êrst gesetzet Ich habe den Fuß erstmals
3573 den fuoz ûf hôhe zuoversiht. auf die große Hoffnung gesetzt.
3574 wirt mir niemer anders niht, Bekomme ich auch weiter nichts,
3575 sô lept doch niender mîn genôz. so lebt doch niemand, dem es auch nur ähnlich gut geht wie mir.
3576 minne hôher fröude slôz Liebe brachte noch niemals
3577 nie in herzen sinne. größere Freude in den Verstand eines Herzens.
3578 ach Vênus, küneginne, Ach Venus, Königin,
3579 der sorgen schûr, der fröuden schilt, der Schutz der Sorge, der Schild der Freude,
3580 swen du lieplîch troesten wilt, wen auch immer du liebevoll trösten willst,
3581 der ist wol behüetet. der ist wohl behütet.
3582 swaz dîn güete güetet, Was auch immer deine Güte gut macht,
3583 daz möhte guoter werden das könnte auf Erden
3584 niemer ûf der erden, niemals besser werden,
3585 des hân ich wol enphunden. das habe ich sehr wohl verspürt.
3586 du hâst die scharphen wunden Du hast die scharfen Wunden,
3587 geheilet die du slüege. die du geschlagen hast, geheilt.
3588 ez ist niht ungefüege Es ist nicht ungehörig,
3589 daz dir mîn zunge lobes giht. dass meine Zunge dir Lob singt.
3590 mir ist beschehen und beschiht Mir ist geschehen und geschieht noch immer,
3591 daz ich verdiene niemer, was ich niemals verdiene,
3592 und solt ich leben iemer, selbst wenn ich ewig leben sollte
3593 ob joch diu welt ân ende stât. und die Welt ohne Ende besteht.
3594 hôchgeloptiu reiniu, lât Hoch gelobte Reine, lasst
3595 mich alsô belîben. mich in dieser Weise verbleiben.
3596 sorge kan vertrîben Der Trost kann mir auf vielerlei Weise
3597 mir daz troesten manicvalt. die Sorge vertreiben.
3598 nênt hin in iweren gewalt Nehmt Herz, Leben und Verstand
3599 herze leben unde sin.‘ in Eure Gewalt.“
3600 sus bôt er die hende hin So bot er ihr
3601 ir in ganzen triuwen. in vollendeter Treue die Hände dar.
3602 vor ir sach sî kniuwen Vor sich knien sah sie denjenigen,
3603 den der ir in herzen lac. den sie im Herzen trug.
3604 dâ von sî sô sêre erschrac Darüber erschrak sie so sehr,
3605 daz sî aber niht ensprach. dass sie abermals verstummte.
3606 von ir kiusche daz beschach. Das geschah aufgrund ihres Anstandes.
3607 Sus sî saz, er kniuwet hie. So saß sie hier und er kniete.
3608 schier dô sî ze sinnen vie Sobald sie sich besonnen
3609 und kan mit gedenken wider, und ihre Gedanken wieder gesammelt hatte,
3610 dô hiez sî in sitzen nider. hieß sie ihn sich niederzusetzen.
3611 diz tet er: dô daz beschach, Er tat es: Als das geschah,
3612 siufzende diu reine sprach: sagte die Reine seufzend:
3613 ,Ei süeze minne minneclîch, „Ei, süße, liebliche Liebe,
3614 wie hât dîn kraft sô wunderlîch wie hat deine Kraft mir so wundersam
3615 mir sin und herz betwungen. Verstand und Herz bezwungen.
3616 jâ hetten tûsent zungen Bestimmt fehlten selbst tausend Zungen
3617 ze vil dâ von ze sagene, die Worte, um zu sagen,
3618 wie sich mîn sin mit klagene wie mein Verstand durch Klagen
3619 hât versenket und vertopt. deprimiert und verrückt wurde.
3620 minne, dîn gewalt der opt Liebe, deine Gewalt übertrifft
3621 aller hande krefte. Kräfte jeglicher Art.
3622 du kanst mit trûtschefte Du weißt ein Herz
3623 ein herze in jâmer binden. durch Zuneigung in Jammer zu fesseln.
3624 minne diu kan linden Die Liebe kann Sorgen,
3625 sorge herter denn ein flins. härter als Fels, lindern.
3626 minne diu gît swæren zins Die Liebe fordert von
3627 iren besten friunden. ihren besten Freunden hohen Zins.
3628 minne überbünden Liebe kann die Sinne
3629 kan aller herzen sinne. aller Herzen einschließen.
3630 minne gît gewinne Liebe gibt Gewinn
3631 und lêret doch verlieren. und lehrt doch zu verlieren.
3632 minne kan sich zieren Liebe kann sich mit
3633 mit jâmerlîchem luste. beklagenswerter Lust schmücken.
3634 minne in ganzer bruste Liebe macht sich mit Gewalt
3635 hûset mit gewalte. in der ganzen Brust breit.
3636 minne ûf fröuden valte Liebe verband von jeher
3637 ie hôhen herzen wünne. die Wonne leichter Herzen mit Freude.
3638 minne sorgen dünne Liebe macht mit ihren Künsten
3639 ouch machet mit ir künste. auch Sorgen leicht.
3640 minne gît vernünste Liebe verleiht Einsichten,
3641 die niemen ân sî vinden kan. zu denen niemand ohne sie kommen kann.
3642 minne frouwen unde man Liebe kann Mann und Frau
3643 kan ze fröuden schalten. zur Freude gereichen.
3644 minne lêret alten Liebe lehrt schon in jungen Jahren
3645 gar bî jungen jâren. sehr erfahren zu sein.
3646 wie sol ich gebâren Wie soll ich mich dir
3647 gên dir, zarte minne, gegenüber verhalten, zarte Liebe,
3648 sît du mir die sinne da du mir die Sinne
3649 sô wandellîche schîbest? so unstet machst?
3650 du füerest unde trîbest Du führst und treibst mich
3651 mich umb und umb als einen klôz. herum wie eine Kugel.
3652 unverschult du jâmer grôz Unverschuldet senkst du mir
3653 in mîn herze senkest. großen Jammer ins Herz.
3654 du swachest unde krenkest Du minderst und schwächst
3655 mînes herzen krefte, meines Herzens Kräfte,
3656 sô daz du mit trûtschefte sodass du mir durch Zuneigung
3657 mich zuo noeten bindest. Leid verschaffst.
3658 du suochest unde vindest Du suchst und findest
3659 an mir swes du hâst begert. an mir, was du begehrt hast.
3660 sol ich disem ritter wert Soll ich diesem edlen Ritter
3661 mîne sinne künden? meine Empfindungen preisgeben?
3662 jâ ich wil durgrunden Ja, ich will ihm mein Herz
3663 im mîn herze und gar enbarn. vollständig erklären und völlig entblößen.
3664 mîn gedenke went sich sparn Meine Gedanken werden sich hier
3665 gên im hie niht langer. nicht länger vor ihm verbergen.
3666 mîner fröuden anger, Wiese meiner Freuden,
3667 mînes trôstes wirde, Würde meines Trostes,
3668 mînes lustes girde, Objekt meiner Begierde,
3669 mînes herzen wunne, Wonne meines Herzens,
3670 mîner ougen sunne, Sonne meiner Augen,
3671 mîner sinne hoehstez heil, das größte Glück meiner Sinne,
3672 mîner fröuden bester teil der beste Teil meiner Freude
3673 sint ir, rîcher fürste wert. seid Ihr, mächtiger teurer Fürs
3674 sin und herze hât begert Verstand und Herz haben
3675 iuwer in gedenken. Euch in Gedanken begehrt.
3676 dâ von muosen schenken Darum mussten Euch
3677 iuch mîn ougen dicke meine Augen oftmals
3678 seneclîche blîcke, sehnsuchtsvolle Blicke zuwerfen,
3679 die zuo manger stunde die gelegentlich
3680 ûf von herzen grunde vom Grunde meines Herzens
3681 mir girdeclîchen slichen, begierig heraufdrängten,
3682 sô daz sî entwichen sodass sie Euch
3683 iuch niemer eine wîle. nicht eine Sekunde losließen.
3684 mit der minne phîle Mit den Pfeilen der Liebe
3685 hât mich ein jâmer troffen. hat mich ein Leid getroffen.
3686 ich wæne daz noch offen Ich glaube, dass die Wunde
3687 mir diu wunde stande. noch offen ist.
3688 mit der sorgen bande Mit den Banden der Sorgen
3689 hât minne mich geseilet. hat die Liebe mich gefesselt.
3690 eht sî hât geteilet Wenn sie den Schmerz auch Euch
3691 den smerzen iuch, sô aht ich niht hat zuteil werden lassen, so ist mir einerlei,
3692 waz iemer drumbe mir beschiht was immer mir darum
3693 dâ von ze keiner stunde. zu irgendeiner Stunde widerfährt.
3694 iuch hât sô von grunde Aus tiefstem Inneren hat mein Herz
3695 mîn herze ûz al der welt genomen, auf der ganzen Welt Euch ausgewählt,
3696 daz ir ûz den sinnen komen dass Ihr mir nicht aus dem Sinn
3697 mügent noch enkunnent, kommen werdet oder auch nur könntet,
3698 ob eht ir mir gunnent wenn Ihr mir
3699 sô lûterlîcher minne so reine Liebe gewährt,
3700 als iuch mîne sinne wie ich sie Euch gegenüber
3701 tragent unde haltent, pflege und bewahre,
3702 alsô daz ir schaltent sodass Ihr den Stachel der Untreue
3703 von iuch untriuwen angel. von Euch stoßt.
3704 ê wold ich haben mangel Ich wollte eher bis an mein Lebensende
3705 liebes unz ûf mînen tôt, auf Liebe verzichten,
3706 ê ich iemer schame rôt als Euretwegen jemals
3707 dur iuch wolte werden. schamrot zu werden.
3708 sin mit den geberden Der Verstand und das Gebaren
3709 went iuch tragen holden muot. werden Euch stets geneigt sein.
3710 swaz ir iemer mê getuot Was immer Ihr in Zukunft noch tut
3711 und begânt ze guote, und an Gutem begeht,
3712 daz wil ich in muote das werde ich mir selbst in meiner Gesinnung
3713 mir selben hie ze dienste nên hier zum Dienst nehmen
3714 und solich lôn dar umbe gên und solchen Lohn dafür zahlen,
3715 der êre und ouch liebe zimt, der der Ehre und auch der Liebe ziemt,
3716 swâ man iemer daz vernimt sodass wir, wo auch immer
3717 daz wir sunder schande man davon hört, ohne Schande
3718 wol stân in allem lande.‘ im ganzen Land angesehen sind.“
3719 Er sprach ,des trôstes ist ze vil. Er sprach: „Das ist zuviel der Aufmunterung.
3720 dâ von ich ûf geben wil Ich will dafür auf alles Gute,
3721 swaz mir iemer widervert das mit jemals widerfährt,
3722 guotes, ob mir got beschert verzichten, wenn Gott mir gewährt,
3723 daz ich lop erringen dass ich Ruhm erringen
3724 mac mit keinen dingen, kann mit irgendwelchen Dingen,
3725 die wîl ich hân der welte phliht, während ich weltlichen Pflichten nachkomme.
3726 daz daz lûterlîch beschiht Das soll in aufrichtiger Weise
3727 ze dienest iuch alleine, allein Euch zum Dienst geschehen,
3728 minneclîche reine, liebliche Reine,
3729 und wil daz iemer trîben. und ich will es immer so halten.
3730 frouwe ob allen wîben Herrin über alle Frauen
3731 sönt ir wesen unde sîn sollt Ihr in meinen Sinnen
3732 in sinnen und in herzen mîn und meinem Herzen immerzu
3733 stæteclîch ân ende. und ohne Ende werden und sein.
3734 ezn sîge daz mich phende Wenn mich nicht
3735 ein gemeinez sterben, der allen bestimmte Tod ereilt,
3736 sô wil ich iemer werben so will ich immer nach solchem Dank
3737 nâ des dienstes danke, für meinen Dienst streben,
3738 sô daz ich êre kranke dass ich damit die Ehre
3739 dar umbe niht enmache. nicht verletze.
3740 ich wil alle sache Ich will alle Dinge
3741 schiuhen unde fliehen vertreiben und fliehen,
3742 die sich mügent ziehen die zu falscher Tat
3743 hin ze valscher tæte, führen könnten,
3744 und wil dar an stæte und will auf ewig
3745 belîben êweclîche.‘ daran festhalten.“
3746 sus diu minneclîche So nahm ihn die Liebliche
3747 in ir dienest in enphie. in ihren Dienst auf.
3748 ob iht anders dâ ergie? Ob da noch etwas anderes passierte?
3749 nein ez, wan, als ich iuch wil Nein, außer, was ich euch erzählen
3750 sagen, dâ was alsô vil will. Da war so viel
3751 schalles unde brahtes, Lärm und Geschrei,
3752 daz man lützel ahtes dass man wenig auf irgendwelche
3753 hât ûf keiner slahte dinc. Dinge achtete.
3754 diu süeze und der jungelinc Die Süße und der Jüngling
3755 hâten sich erklaffet, hatten sich unterhalten,
3756 die wîl iht anders schaffet während das Fräulein,
3757 diu juncfrowe diu mit in dar das mit ihnen hergekommen war,
3758 komen was. nam sî sîn war, etwas anderes tat. Dass sie ihn sah,
3759 des schûhten sî doch kleine. störte sie [scil. Reinfried und Yrkane] doch wenig.
3760 diu minneclîche reine Die liebliche Reine
3761 erkante sî sô stæte kannte sie als so zuverlässig,
3762 daz sî ungerne hæte dass sie [scil. das Fräulein] keinesfalls
3763 vermeldet keine sache. irgendetwas erzählt hätte.
3764 iedoch sprach sî gemache, Jedoch sprach sie mit Bedacht,
3765 diu minneclîche kluoge, die liebliche Kluge:
3766 ,diu zît het wol fuoge, „Es wird langsam Zeit,
3767 ê daz der mære werd ze vil. bevor es zu viel wird.
3768 ir sint gar ein langez zil Ihr seid hier ganz schön
3769 sament hie gesezzen.‘ lange zusammengesessen.“
3770 nu hâten sî vergezzen Nun hatten sie den Hof
3771 des hoves und des schalles. und den Trubel vergessen.
3772 ir gedenken alles All ihre Gedanken kreisten
3773 was niht wan umb die minne. um nichts als die Liebe.
3774 sî hâte sîne sinne Sie hielt seine Sinne
3775 in ir herz beslozzen. in ihrem Herzen eingeschlossen.
3776 von ir ist geflozzen Von ihr war ihr Verstand
3777 ir sin zuo sînem herzen. hin zu seinem Herzen geströmt.
3778 sî leit sînen smerzen Sie litt seine Schmerzen
3779 und truog er iren kummer. und er trug ihren Kummer.
3780 winter unde summer Wären sie Winter und Sommer
3781 wæren sî wol eine ganz allein
3782 gewesen, daz sî kleine gewesen, hätte sie das
3783 sament het verdrozzen. wenig gekümmert.
3784 sî hât in verslozzen Sie hielt ihn verschlossen
3785 in ir herzen klûse. in der Kammer ihres Herzens.
3786 ouch hât er sî ze hûse Auch er hielt sie
3787 geladen mit dem sinne, in seinem Verstand beheimatet
3788 daz diu süeze minne sodass die süße Liebe
3789 ir beider was gewaltic. über sie beide herrschte.
3790 sî hâten manicvaltic Sie pflegten mannigfaltige
3791 liebe mit ein ander. Liebe zueinander.
3792 swaz er wolt, daz vander Was immer er wollte, das fand er
3793 an ir nâ êren krône. auf ehrenhafteste Weise an ihr.
3794 diu minneclîche schône Die liebliche Schöne
3795 vant ouch swes sî gerte fand auch, was immer sie an ihm
3796 an in, wan er gewerte begehrte, denn er gewährte
3797 sî mit stætes herzen sin ihr mit dem Verstand seines beständigen Herzens,
3798 swes sî muoten moht an in. was immer sie an ihm wünschen mochte.
3799 Sus stuont ir fröuden schouwe. So zeigte sich ihre Freude.
3800 aber diu juncfrouwe Abermals sprach das Fräulein:
3801 sprach ,bînamen, ez ist zît. „Bei Gott, es ist Zeit.
3802 leit bî liebe dicke lît Leid liegt oftmals nahe bei Liebe,
3803 dâ man sich missehuotet.‘ wo man nicht genug aufpasst.“
3804 ir beider herze bluotet Ihre beiden Herzen bluteten
3805 in jâmer von den worten aus Gram, verursacht von den Worten,
3806 diu sî beide hôrten die sie beide aus
3807 von der zarten munde. dem Mund der Guten hörten.
3808 nôt in herzen grunde Wegen der Trennung schlich
3809 sleich in umb daz scheiden. sich Not in ihre Herzen.
3810 man sach von in beiden Man sah von ihnen beiden
3811 senelîchez blicken. sehnsuchtsvolle Blicke.
3812 siufzeberndez schricken Seufzender Schrecken
3813 wuohs in in den herzen. wuchs ihnen im Herzen.
3814 schiere sî den smerzen Schnell sühnten sie
3815 lieplîchen versuonden. den Schmerz auf liebevolle Weise.
3816 als sî ûf gestuonden, Sobald sie aufstanden,
3817 zehant sô sâzen sî dernider. setzten sie sich wieder nieder.
3818 alliu ires lîbes lider Alle Glieder ihres Leibes
3819 mit gedanke vâhten. rangen mit den Gedanken.
3820 minneclîche flâhten Liebevoll verschränkten
3821 sich ir ougen blicken. sich ihrer Augen Blicke.
3822 beidenthalben stricken Auf beiden Seiten wussten sie
3823 kunden sî sich nâhen. sich tief im Inneren zu verbinden.
3824 lieplîch umbevâhen Sie hielten einander
3825 mahten sî untiure. liebevoll umarmt.
3826 hôher sorgen stiure Die Last großer Sorgen
3827 was in beiden wilde. war ihnen fremd.
3828 ir vil klâren bilde Ihre leuchtend klaren Gestalten
3829 sich zuo ein ander drungen. drängten zueinander.
3830 die minneclîchen jungen Die lieben Jungen,
3831 sî liebe vil begiengen. sie erwiesen einander viel Liebe.
3832 mit armen umbeviengen Mit den Armen umschlangen
3833 sî sich mange stunde. sie einander lange.
3834 munt ze rôtem munde Liebevoll wurde
3835 minneclîch gedrücket Mund auf roten Mund
3836 wart, dâ von gezücket gepresst, wovon ihnen
3837 in was sendiu swære. die drückende Sehnsucht genommen wurde.
3838 aller sorgen lære In ihrem Gemüt wurden sie
3839 wurden sî in muote. frei von allen Sorgen.
3840 munt bî munde bluote Mund blühte an Mund
3841 alsam ein liehter rôse rôt. wie eine leuchtend rote Rose.
3842 ob sî ie gewunnen nôt, Was ihnen jemals an Leid widerfahren war,
3843 diu was dâ zergangen. war hier vergessen.
3844 wang bî liehten wangen Wange strahlte an heller Wange
3845 sam ein mandel lûhten. wie eine Mandel.
3846 ob sî iemen schûhten? Ob sie Scheu zeigten?
3847 nein, ez was eht allez ganz. Nein, es war doch alles perfekt.
3848 sî was sîner fröuden glanz, Sie war der Glanz seiner Freude
3849 er irs herzen liehter schîn. er ihres Herzens heller Schein.
3850 sîn munt an ir mündelîn, Sein Mund an ihrem Mündchen,
3851 ir wange an sîn wange ihre Wange an seiner Wange,
3852 mit mangem umbevange mit mancher Umarmung
3853 sî ein ander druhten. drückten sie einander.
3854 ob sich ie verruhten Ob ihre Gedanken sich
3855 ir gedenke an luste? je der Lust entschlugen?
3856 nein, dâ wart brust an bruste Nein, da wurde liebevoll
3857 gedrücket minneclîche. Brust an Brust gedrückt.
3858 ez wart sô fröuden rîche So freudvoll wurde Liebe
3859 nie begangen liebe amt niemals ausgelebt,
3860 als dâ liep bî lieb verschamt als wo die Liebenden die Scham voreinander ablegten,
3861 sunder sorge sweichen. ohne die Scheu zu verlieren.
3862 dâ mac man minne zeichen Daran kann man die Zeichen der Liebe
3863 prüeven unde schouwen. überprüfen und erkennen.
3864 swie daz mir von frouwen Obwohl mir die Liebe
3865 sî diu liebe tiure, von Frauen unbekannt ist,
3866 sô gît mir doch stiure so gestattet mir mein Verstand
3867 mîn sin mit deme wâne, doch die Vermutung anzustellen,
3868 ez sîge leides âne derjenige sei ohne Leid,
3869 swem ez sô wirdeclîch ergât. dem es so würdig ergeht.
3870 mîn gedanc mir dicke hât Mein Denken hat mir oftmals
3871 in sinnen hôhe fröude brâht, in den Sinnen große Freude gebracht,
3872 sô ich nâ liebe hân gedâht, wenn ich an Liebe gedacht habe,
3873 daz mîn sin wart fröuden vol. sodass mein Verstand von Freude erfüllt war.
3874 tæten mir gedenke wol Täten mir Gedanken über die Liebe
3875 in herzen von der minne, im Herzen gut,
3876 daz wîset mîne sinne richtete das meine Sinne
3877 an daz liebe mære, auf die Liebesgeschichte,
3878 daz disen beiden wære in der es diesen beiden
3879 mit den werken michels baz. mit Taten viel besser erginge.
3880 swaz man ie von minne las Was man jemals von Minne las
3881 und von liebe vindet, und von Liebe dichtet,
3882 daz hâten hie gesindet dem waren sie beide hier
3883 sî beide in ir sinne, in ihren Sinnen gefolgt,
3884 daz diu süeze minne sodass die süße Liebe
3885 bî in was enthalten mit Ehre gepaart bei ihnen
3886 mit êren, wan sî walten war, weil sie ihrer beider Herzen
3887 konde ir beider herzen mit Liebe und mit Schmerzen
3888 mit liebe und mit smerzen. zu regieren wusste.
3889 Alsus sî wâren lange So waren sie lange
3890 mit mangem umbevange in mancher Umarmung
3891 verslozzen und bevangen. eingeschlossen und umfangen.
3892 wang bî liehten wangen Wange zu hellen Wangen
3893 und munt ze liehtem munde rôt und Mund zu hellem roten Mund
3894 sich ze tûsent mâlen bôt bot sich tausendmal
3895 nâ kuslîchem kusse, zu küssendem Kuss,
3896 des noch niht verdruzze der noch niemals verdross,
3897 swâ liep bî liebe wære. wo immer Liebes bei Liebem war.
3898 nu seit in aber mære Nun sprach ihnen das Fräulein
3899 diu juncfrow umb ein scheiden. abermals vom Abschied,
3900 des wart an in beiden weshalb an ihnen beiden
3901 bitterlîchez trûren schîn. bitterliche Trauer sichtbar wurde.
3902 doch moht ez niht anders sîn: Dennoch konnte es nicht anders sein:
3903 ez was zît, sîn was genuoc. Es war Zeit, es war genug.
3904 in ir lîp sî dannen truoc In ihrem Körper trug sie sein Herz
3905 sîn herze und hât im dâ verlân von dannen und hat ihm ihrerseits
3906 ir herze sunder valschen wân ihr Herz ohne Unaufrichtigkeit
3907 in triuwen vesteclîche. in beständiger Treue da gelassen.
3908 baz sprach diu minneclîche Da sprach das liebliche
3909 juncfrouwe ,ich wil für Fräulein: „Ich will vor
3910 die hütten gân dur daz ich spür, die Hütte gehen, um zu erkunden,
3911 ob unser iemen lâge. ob uns jemand belauert.
3912 bî einer wîle trâge Nach einer guten Weile
3913 sönt ir mir nâ slîchen‘, sollt Ihr mir nachschleichen“,
3914 seit sî der minneclîchen sagte sie der lieblichen
3915 hôchgelopten künegîn, hochgelobten Königin.
3916 ,herre, und sönt ir hinne sîn „Und Ihr, Herr, sollt hernach noch
3917 ouch ein stündelîn dar nâch. ein Stündchen hier herinnen bleiben.
3918 lât iuch wesen niht ze gâch, Übereilt Euch nicht,
3919 biz ich die sache gar erspür.‘ bis ich die Sache vollständig ausgekundschaftet habe.“
3920 ûz der hütten gie sî für Sie trat aus der Hütte
3921 und sach dâ froelîch schallen. und sah da fröhlichen Trubel.
3922 den frouwen herren allen All den Damen und Herren
3923 was mit fröuden alsô wol, ging es mit Freude so gut,
3924 daz ir herzen wunne vol dass ihre mit Wonne erfüllten Herzen
3925 sich nihtes hinderkâmen nichts bemerkten
3926 noch nie kein ahte nâmen und weder auf dies noch auf das
3927 ûf diz noch daz, sus oder sô, achteten, so oder so,
3928 ân ein ritter, der was dô, außer einem Ritter, der da war,
3929 der hâte von geschiht gesehen, der hatte zufällig
3930 als noch dicke moht beschehen, das Gebaren des Fräuleins mitbekommen,
3931 der juncfrouwen gebærde. was noch heute oft vorkommen kann.
3932 iedoch dekein geværde Jedoch witterte sein Verstand
3933 sîn sin dâ von beruorte. deswegen keine Gefahr.
3934 mit der gesiht er snuorte Er blickte hin
3935 hin und liez es alsô sîn. und ließ es dabei bewenden.
3936 nu sach er die künegîn Nun sah er die Königin
3937 ouch ûz der hütten sliefen. ebenfalls aus der Hütte schlüpfen.
3938 dâ von sîn ougen swiefen Da machte er sich Gedanken
3939 gedenke in sînem sinne. über das Gesehene.
3940 ,waz schuof diu küneginne‘, „Was machte die Königin
3941 gedâht er, ,dâ sus eine? da so alleine?“ dachte er.
3942 waz betiut diu meine „Was bedeutet diese Heimlichtuerei
3943 ald war umb ist ez beschehen, und warum ist es geschehen,
3944 daz diu juncfrowe gesehen dass das Fräulein zuerst ohne sie
3945 wart ân sî ê und sî nu kunt?‘ gesehen wurde und nun sie heraus kommt?“
3946 nu was ir wengel und ir munt Nun waren ihre Wangen und ihr Mund
3947 zerküsset und zertriutet, von Küssen und Liebkosen mitgenommen,
3948 als liep noch liebe biutet wie Liebende es noch heute tun,
3949 dâ sî die state mügent hân, wo sie einen Ort haben,
3950 daz ir in ein ander bran dass ihre Münder und Wangen
3951 mündel unde wengel. aneinander brennen.
3952 er sach ir hâres strengel Er sah auch ihre Haarstränen
3953 ein teil ouch dâ verirret. zum Teil zerzaust.
3954 des wart im verwirret Davon wurde ihm sein Herz
3955 sîn herze in dem sinne. in seiner Vernunft verwirrt.
3956 waz sî schüefe dinne, Was sie drinnen zu schaffen hatte,
3957 des hât sîn sin begunnen, das dachte sich sein Verstand aus,
3958 ald wâ ir enbrunnen und warum sie so rot
3959 wær diu varwe sam ein gluot. wie Blut geworden war.
3960 alsus stuont der ritter guot So stand der gute Ritter
3961 verdâht in manger wîse. in mancher Weise in Gedanken versunken da.
3962 nu sach er aber lîse Nun sah er abermals leise
3963 ûz der hütten slîchen aus der Hütte schleichen
3964 den hôherbornen rîchen den hochwohlgeborenen mächtigen
3965 helt von Sahsen landen. Helden aus Sachsen.
3966 sîniu ougen kanden Seine Augen erkannten
3967 in; er dâhte wider sich ihn; er dachte bei sich:
3968 ,zwâr, diz ist der minne strich: „Wahrlich, das ist der Lauf der Liebe:
3969 daz spürt man an ir varwe. Das merkt man an ihrer Farbe.
3970 wie sint sî beide garwe Wie sind sie beide so
3971 sô durliuhtic fiurîn rôt!‘ ganz leuchtend feuerrot!“
3972 zwîvel sînem herzen bôt Manch fester Glaube
3973 manic grôze zuoversiht, bot seinem Herzen Zweifel,
3974 ob ez wære oder niht. ob es so wäre oder nicht.
3975 Sus sîn herze umbe So nahm sein Herz
3976 fuor manic wilde krumbe mit Gedanken manch wilde Wendung
3977 und slihte mit gedenken. und manchen Schleichweg.
3978 als er sich nu senken Wenn er sich auf einen Gedanken
3979 wolt ûf ein sin, sô was ez niht, festlegen wollte, so gelang das nicht,
3980 wan sô kan diu zuoversiht denn da kam der feste Glaube,
3981 diu im ein anderz brâhte, der ihm etwas anderes sagte,
3982 alsô daz er gedâhte sodass er bei sich
3983 zuo im selb ,dâ ist niht an. dachte: „Da ist nichts dran.
3984 wie getörst er understân Wie könnten er und sie
3985 ald sî ein alsô grôzez dinc?‘ etwas so Ungeheuerliches wagen?“
3986 ûf der stat der jungelinc Da dachte der Jüngling
3987 gedâht in sînem sinne bei sich:
3988 ,zwâr sî hât diu minne „Wahrlich, die Liebe hat sie
3989 mit ir kunst gebunden. mit ihrer Kunst gefesselt.
3990 ich hân ez befunden Ich habe das am Zeichen
3991 an irre varwe zeichen. ihrer Farbe festgestellt.
3992 sô man die siht bleichen, Kaum sieht man sie erbleichen,
3993 nu sô sint sî denne rôt. werden sie auch schon wieder rot.
3994 minne dise selbe nôt Liebe bewirkt dieses Übel
3995 an in beiden füeget. an ihnen beiden.
3996 sî meldet unde rüeget Sie meldet und moniert
3997 ir minneclîchez triuten. ihr liebliches Tun.
3998 sî wæren bî den liuten‘, „Sie wären nicht unter den Leuten
3999 gedâht er aber, ,niht gesîn, gewesen“, dachte er wieder,
4000 wær ez wâr dar an mich mîn „wenn stimmt, was mir
4001 sin mit wâne bringet. mein Verstand weismachen will.
4002 ei zwâre minne twinget Ei, wahrhaftig, Liebe erzwingt
4003 noch groezer sache denne alsô.‘ noch größere Sachen als diese.“
4004 sus gedâht er aber dô So dachte er wieder
4005 mit wandellîchem sinne. mit unterschiedlichem Ergebnis darüber nach.
4006 nu zêh er sî der minne, Nun zieh er sie der Liebe,
4007 nu lât er sî unschuldic. nun ließ er sie unschuldig sein.
4008 sîn sinne ungeduldic Seine Sinne drängen
4009 sint umb ein jâ und umb ein nein. auf ein Ja oder ein Nein.
4010 ,jâ an inen beiden schein. Ja, es war an ihnen beiden zu sehen.
4011 nein, ez getorste niht gesîn. Nein, es konnte nicht sein.
4012 jâ sî twanc der minne pîn Ja, es zwang sie die Not der Liebe,
4013 daz sî sich zemen flâhten.‘ dass sie sich zueinander gesellten.
4014 sîn sinne sêre vâhten, Seine Sinne kämpften heftig,
4015 ob ez wære oder niht. ob es so wäre oder nicht.
4016 ze jungest kan diu zuoversiht Schließlich kam der feste Glaube
4017 dar an, ez wære sicherlich daran, es wäre sicherlich
4018 wâr, und hinderkam des sich wahr, und er erkannte das
4019 sô vaste sunder wânes phlîht, so sicher und ohne jeden Zweifel,
4020 daz er zwîvelte niht dass er nicht daran
4021 dar an, ez müeste alsô sîn. zweifelte, dass es so sein müsste.
4022 die gedenke vielen in Diese Gedanken gruben sich ihm
4023 sîn herze sô ze grunde, so tief ins Herz,
4024 daz er niht enkunde dass er sich ihrer
4025 noch moht sich ir entænen. nicht erwehren konnte.
4026 er wiste sunder wænen Er wusste ohne Zweifel
4027 und wolt sîn sin dâ von niht lân. und wollte seinen Verstand nicht davon abbringen.
4028 in twanc ze diu der arcwân, Ihn zwang der Argwohn dazu,
4029 daz er der unschulde niht dass er nichts von der Unschuld
4030 wolte wizzen minne phliht. der Liebe wissen wollte.
4031 Nu ist diu minne und ir ursprinc Nun sind die Liebe und ihr Ursprung
4032 ein alsô wunderlîchez dinc, eine so merkwürdige Angelegenheit,
4033 dem nieman kan gewarten vor der niemand sicher ist,
4034 mit schelten noch mit zarten, weder scheltend noch schmeichelnd,
4035 mit dienest noch mit twingen, weder dienend noch mit Zwang,
4036 mit keiner slahte dingen, auf keine Weise,
4037 mit flêhen noch mit dröuwen. weder flehend noch drohend.
4038 minn wil ie niuwan fröuwen Liebe will seit jeher dort,
4039 dâ dar sî sich hin senket. wo sie sich niederlässt, nichts als erfreuen.
4040 dar mîn herz gedenket Wohin es bisher weder mein Herz
4041 niemer noch niht ouch gewan noch meinen Verstand jemals
4042 sin dâ zuo, kunt dar ein man zog – kommt ein anderer Mann dorthin
4043 und erwirbet gruozes danc, und findet er dort Beachtung,
4044 swie daz mîn herze nie geranc so denkt mein Verstand dennoch, obwohl
4045 dâ nâch, sô denket doch mîn sin: mein Herz niemals danach strebte:
4046 wær ich komen ê dâ hin, Wäre ich früher dorthin gekommen,
4047 mir möhte sîn gelungen. hätte ich vielleicht Erfolg gehabt.
4048 die gedenke stungen Die Gedanken können
4049 kunnent zuo dem herzen, ins Herz stechen,
4050 daz ich dâ nâ smerzen sodass mir daraus Schmerzen erwachsen,
4051 trage des ich gedâhte nie. wie ich sie nie für möglich gehalten hätte.
4052 dem kan ich gewenken hie Dessen kann ich mich
4053 doch mit keiner künste. mit keinem Kunstgriff erwehren.
4054 daz kunt von der verbünste, Das kommt vom Neid,
4055 die ich trag in den sinnen. den ich in den Sinnen trage.
4056 alsus hât ze minnen So hat Neid mir oft
4057 verbunst mir dick die sinne brâht, zu lieben eingegeben,
4058 des ich niemer het gedâht worauf ich nie gekommen wäre
4059 noch gedæhte, wære daz noch jemals käme, wäre
4060 eim andern niht gelunge baz, ein anderer darin nicht erfolgreicher gewesen,
4061 und wirt mir doch niemer niht. während es mir doch niemals zuteil wird.
4062 ich merke wol daz ez beschiht Ich erkenne sehr gut, dass es aufgrund
4063 von mîner sinne untugende. der Untugend meiner Sinne geschieht.
4064 minne mit ir mugende Liebe und ihr Vermögen
4065 würket wunderlîchiu dinc. bewirken wunderliche Dinge.
4066 dâ von ir süezer ursprinc Daher nimmt ihr süßer Anfang
4067 dicke ein sûrez ende hât, oftmals ein bitteres Ende,
4068 dâ man ze vil sich an sî lât da man sich zu sehr auf sie einlässt
4069 und gên ir niht enschiuhet. und zu ihr keine Distanz hält.
4070 swer sînen willen ziuhet Wer seinen Willen auf alles richtet,
4071 an allez daz des er begert, was er begehrt,
4072 wirt der wîlent missewert, wird bisweilen vor den Kopf gestoßen,
4073 des enist kein wunder. das ist kein Wunder.
4074 ein man muoz sich under Ein Mann muss sich mitunter
4075 wîlent von minne ziehen von der Liebe fernhalten
4076 und mit gedenken fliehen und gedanklich das meiden,
4077 daz im wol in muote lît, was ihm die Stimmung hebt,
4078 ald er wirt etelîche zît oder er wird etliche Zeit
4079 von minne missehandelt. von der Liebe geplagt.
4080 swer mit der minne wandelt Wer immer mit der Liebe anders umgeht,
4081 anders denn ir orden stât, als es ihre Bestimmung ist,
4082 wizzent daz sî dicke lât wisst, dass sie über den oftmals
4083 an dem gesigen ungemach: Ungemach kommen lässt:
4084 als disem ritter hie geschach. So geschah es diesem Ritter hier.
4085 Dô er kom in die sinne, Als er auf die Idee kam,
4086 daz er diu zwei der minne dass er die zwei der Liebe
4087 bewænen wolte unde zêch, verdächtigen wollte und bezichtigte,
4088 der gedenke er sô vil lêch dachte er so viel darüber nach
4089 und gap dâ zuo, daz im der sin und verstieg sich darein, dass ihm der Verstand
4090 dur ein verbünnen viel dâ hin aus Missgunst darauf verfiel
4091 daz sich sîn herz vergâhte. und sich sein Herz übereilte.
4092 zehant er dô gedâhte Sogleich dachte er sich:
4093 ,ei war umb würbe du niht vor? „Ei, warum hast du nicht früher geworben?
4094 minne het ir sælden tor Die Liebe hätte dir das Tor ihres Glücks
4095 lîht dir ûf entslozzen. leicht geöffnet.
4096 dirre hât genozzen Dieser hat bestimmt nichts anderes
4097 nihtes wan des einen genossen als das eine,
4098 daz er der zarten reinen was er sich von der zarten Reinen
4099 torste muoten minne.‘ an Liebe zu erhoffen wagte.“
4100 im kâmen sîne sinne Seine Gedanken
4101 dar an sô vesteclîche versteiften sich so darauf,
4102 daz er vil sorgen rîche dass er in seinem Herzen
4103 wart in sînem herzen. ganz sorgenvoll wurde.
4104 dâ von er senden smerzen Davon trug er in seinem Neid
4105 truog in der verbunste. sehnsuchtsvolle Schmerzen.
4106 sîner sinne vernunste Die Aufmerksamkeit seiner Gedanken
4107 leit er sô völleclîch dar zuo, richtete er so vollständig darauf,
4108 daz er âbent unde fruo dass er von früh bis spät
4109 niht wan dar an gedâhte. nur daran dachte.
4110 daz gedenken brâhte Das Grübeln brachte ihm
4111 im leit und ungewinne. Leid und Schaden.
4112 im viel ie in die sinne Ihm fiel plötzlich ein
4113 daz, und kan er ouch dar an, und er kam auf den Gedanken,
4114 daz er niht enwolte lân, dass er nicht unterlassen wollte,
4115 swaz dar umb ergienge ebenfalls die Beachtung
4116 und swie erz an gevienge, der lieben Guten zu erringen
4117 er wolt der zarten guoten und um ihre Liebe zu werben,
4118 ouch ir gruozes muoten wohin auch immer das führte
4119 und werben nâ ir minne. und wie immer er es anfangen sollte.
4120 er dâht in sînem sinne Er dachte bei sich:
4121 ,bevindet sî daz du dâ weist, „Geht ihr auf, dass du davon Kenntnis hast,
4122 sî gît dir trôstes volleist gibt sie dir volle Entschädigung,
4123 ê sî ez lâze rüegen. bevor sie die Anklage laut werden ließe.
4124 ich sol ez wol gefüegen Ich werde es gut einrichten,
4125 daz sî bevindet mînen sin, dass sie mein Vorhaben versteht,
4126 wan ich stæteclîchen bin denn ich bin ein ständiger
4127 des hoves ingesinde. Angehöriger des Hofes.
4128 swenne eht ich bevinde Sobald ich sicher von der Abreise
4129 des fürsten hinnenkêre, des Fürsten weiß,
4130 zwâr sô wirt niht mêre wird die Bitte an sie
4131 diu bet an sî gesûmet. fürwahr nicht länger hinausgezögert.
4132 sô er den hof gerûmet Wenn er den Hof erst verlassen hat,
4133 nu, er komet niemer mê. kommt er bestimmt nie mehr zurück.
4134 wie ez dann ze hove ergê Was dann hier am Hof vor sich
4135 hie, daz ist im wilde. geht, ist ihm unbekannt.
4136 sô manic verre gevilde So viele ferne Gegenden
4137 scheidet diz und Sahsen lant, trennen dieses Land und Sachsen,
4138 daz im iemer unbekant dass er niemals erfährt,
4139 ist swaz ich hie trîbe.‘ was ich hier treibe.“
4140 dem herzen und dem lîbe Dem Herzen und dem Leib
4141 gap er minneclîchen trôst spendete er dahingehend liebevollen Trost
4142 alsô daz er würde erlôst dass er von der Last der Sehnsucht
4143 von senelîcher erebeit, erlöst werden würde,
4144 als ich dâ vor hân geseit. wie ich davor gesagt habe.
4145 Sus wurben sîne sinne. Dahin strebten seine Sinne.
4146 im hât ouch diu minne Ihm hatte auch die Liebe
4147 sîn herze ein teil gebunden. sein Herz zum Teil gefesselt.
4148 nu was ie in den stunden Nun waren zu dieser Stunde
4149 diu junge küneginne, auch die junge Königin,
4150 ein wünschelrîs der minne, eine Wünschelrute der Liebe,
4151 ein spiegel klârer schouwe, ein Spiegel klarer Schönheit,
4152 sî und ir juncfrouwe und ihr Fräulein
4153 gegangen zuo der frouwen schar, zu der Schar der Frauen gegangen,
4154 sô daz irre verte war sodass ihre Abwesenheit
4155 niemen hât genomen. niemand bemerkt hatte.
4156 der herre was ouch komen Der Herr war auch dorthin
4157 hin, und wânden daz diu vart gekommen. Und sie glaubten, dass ihr Weggang
4158 al der welte vor gespart der ganzen Welt mit Sicherheit
4159 wære sicherlîch gesîn verborgen geblieben
4160 und unkünde, wan in drîn und nicht bekannt wäre, außer ihnen dreien,
4161 die ouch sament wâren. die auch zusammen gewesen waren.
4162 man sach sî nu gebâren Man sah sie sich nun
4163 froelîch unde schône. fröhlich und angemessen gebärden.
4164 ob ir lîehte krône Sollte ihre hell glänzende (Haar-)Krone
4165 vor dur ein triuten was verruht, zuvor durch Liebkosungen in Unordnung gebracht worden sein,
4166 sô wart sî nu hie gedruht so wurde sie hier nun mit weißen Händen
4167 mit wîzen handen eben nider. flach niedergedrückt.
4168 sus diu hôchgeborne wider So saß die Hochwohlgeborene wieder,
4169 saz dâ sî gesezzen was. wo sie zuvor gesessen war.
4170 ie der ritter warte baz Doch der Ritter achtete genauer
4171 ûf sî denn er het getân auf sie, als er es getan hatte,
4172 ê sîn herze arcwân bevor in seinem Herzen der Argwohn
4173 gewunne an in beiden. ihnen gegenüber erwacht war.
4174 des konde im fröude leiden Das konnte ihm die Freude
4175 in herzen und in sinne, in Herz und Gemüt verleiden,
4176 wan er spurt die minne denn er erkannte die Liebe
4177 an manger leige zeichen. an verschiedenerlei Zeichen.
4178 sô er sî nu sach bleichen, So sah er sie bald erbleichen
4179 sô sach er sî nu rôten. und dann wieder erröten.
4180 dâ von er einem tôten Darob wurde er oftmals
4181 sich gelîchet dicke. einem Toten ähnlich.
4182 ir minneclîchen blicke Ihre liebenden Blicke
4183 sach er zesamen schiezen. sah er einander begegnen.
4184 hant in hendel sliezen Händchenhalten
4185 er an in beiden spurte. konnte er an ihnen ausmachen.
4186 dâ von sô wart dem furte Davon wurde seinen Sinnen
4187 gerûmet sîner sinne, Bahn gebrochen,
4188 daz er dâ von die minne dass er daran die Liebe
4189 sunder zwîvel kante. ohne Zweifel erkannte.
4190 ob in diu minne brante? Ob ihn die Liebe dazu trieb?
4191 nein, ez tet unminne, Nein, das tat die unminne,
4192 wan er sich mit unsinne da er sich unbesonnen
4193 hielt und hât vergâhet, verhielt und sich übereilte,
4194 dâ von im schade nâhet. woraus ihm Schaden erwuchs.
4195 Alsus was dâ wunnen vil. So waren da der Freuden viele.
4196 aller hande fröuden spil, Allerhand Spielformen der Freude,
4197 sô in der welt ie wart gedâht, wie sie auf Erden jemals erdacht worden waren,
4198 daz wart allez vollebrâht wurden da alle
4199 dâ mit hôhem schalle, mit freudigem Lärm ausgeführt,
4200 biz daz zuo dem valle bis der Tag
4201 diu sunn sich hât gekêret zur Neige ging
4202 und der âbent lêret und der Abend die Nacht
4203 die naht hin nâher dringen, mit sich brachte.
4204 tanzen ballen springen, Tanzen, Ballspielen, Springen,
4205 singen schallen swîgen, Singen, Rufen, Schweigen,
4206 harphen rotten gîgen, Harfen, Rotten, Geigen,
4207 phîfen hel tambûren. Pfeifen, helle Tamburine.
4208 man sach niemen trûren Man sah niemanden traurig sein,
4209 in herzen noch in sinnen. weder im Herzen noch mit dem Verstand.
4210 ez wære denn von minnen, Außer aus Liebeskummer
4211 sô moht dâ niemen trûric sîn. konnte niemand traurig sein.
4212 alsus von dem velde în So zogen sie von der Wiese
4213 zogten sî mit schalles braht. mit großem Lärm hinein.
4214 tanzen springen al die naht Tanzen und Springen trieben sie
4215 sî triben sunder lougen. unverhohlen die ganze Nacht lang.
4216 nie slâf in ir ougen Zu keiner Stunde wurden ihre Augen
4217 kan, biz daz der tac ûf bran müde, bis dass der Tag erwachte
4218 und manneglîcher urloup nan. und so mancher Abschied nahm.
4219 Dô gieng ez an ein scheiden. Da ging es ans Abschiednehmen.
4220 wie in dô wær den beiden Wie ihnen da zumute war den beiden,
4221 die sich sô underminneten, die einander so sehr liebten,
4222 daz sî niht anders sinneten dass sie nichts anderes dachten
4223 wan ,ich bin dîn, sô bist du mîn, als: „Ich bin dein, so bist du mein,
4224 ich wil bî dir, du bî mir sîn ich will bei dir, willst du bei mir sein
4225 in herzen und in sinnen?‘ im Herzen und in Gedanken?“
4226 daz eineclîche minnen Die gemeinsame Liebe
4227 sî alsô zuo ein ander twanc zwang sie so zueinander,
4228 daz ir sin und ir gedanc dass ihr Verstand und ihr Denken
4229 was niht wan ein einen nichts als ein einziges
4230 und ein einlîch meinen und gemeinsames Sinnen
4231 mit sinnen und mit herzen. mit den Sinnen und mit dem Herzen war.
4232 sî hât sînen smerzen, Sie litt seine Schmerzen,
4233 sô twanc sîn herze ir swære. wie ihre Bedrückung sein Herz bedrängte.
4234 sich hâte sô einbære Ihr Denken hatte sich
4235 in ein vereinet ir gedanc so einhellig zu einem gemeinsamen vereint,
4236 daz in allez daz betwanc dass ihm alles naheging,
4237 swaz ir war, sô twanc ouch sî was sie beunruhigte, wie auch sie bedrückte,
4238 swaz im was von kumber bî. was ihm Kummer bereitete.
4239 Sus was ir sin geschicket Ihre Gesinnung war so beschaffen,
4240 daz sî zwei gestricket dass sie beide auf wundersame Weise
4241 wâren wunderlichen. miteinander verbunden waren.
4242 zuo der minneclîchen Er trat zu der Lieblichen
4243 kan er und wolt urloup nên. und wollte Abschied nehmen.
4244 daz sach man die zarten gên Da sah man die Guten
4245 gar mit trüebem sinne, ganz betrübt gehen,
4246 wan diu strenge minne da die harte Liebe
4247 twanc sî sunder lougen, sie fürwahr quälte,
4248 daz man in ir ougen sodass man in ihren Augen
4249 mange starke sorgen trehen bestimmt manch schwere Sorgentränen
4250 mohte sicherlîch gesehen sehen konnte,
4251 hân, die dar ûz vielen die heraus fielen
4252 und ûf von herzen wielen und aufgrund bitterer Schwere
4253 von bitterlîcher swære. vom Herzen herauf quollen.
4254 diu süeze minnebære Die süße Liebenswürdige
4255 sprach ,ez mac niht anders sîn. sprach: „Es kann nicht anders sein.
4256 varent hin, gedenkent mîn, Fahrt hin, gedenkt meiner,
4257 tuont als ich iuch hân geseit. tut, wie ich Euch gesagt habe.
4258 wizzent daz mîn herze treit Wisst, dass mein Herz sich
4259 nâ iuch kumber unde pîn, in Kummer und Schmerz nach Euch verzehrt
4260 und wil iemer froelîch sîn und doch immer fröhlich sein
4261 doch ûf den hôhen gingen, will aufgrund der hehren Hoffnung,
4262 daz got uns noch wol bringen dass Gott uns noch einmal in guter Weise
4263 mac zesamen minneclîch. in Liebe zusammenbringen wird.
4264 ich wil iemer stæteclîch Ich werde allzeit ohne zu wanken
4265 an iuch gedenken swâ ir sint. an Euch denken, wo immer Ihr seid.
4266 minne mir mîn herze bint Liebe fesselt mir mein Herz
4267 alsô daz ez niht enmac derart, dass es durch nichts
4268 von iuch weder naht noch tac weder Tag noch Nacht
4269 komen dur kein sache. von Euch abzubringen ist.
4270 ich wil dem ungemache Ich werde dem Ungemach
4271 dur iuch undertænic sîn. um Euretwillen unterworfen sein.
4272 ich wil sin und herze mîn Ich will meinen Verstand und mein Herz
4273 iemer zuo iuch stricken immerfort an Euch binden
4274 und mit gedenken schicken und in Gedanken dorthin schicken,
4275 swâ ir sint der lande kreiz. wo und in welchem Landkreis immer Ihr seid.
4276 al die wîle sô ich weiz Solange ich weiß,
4277 daz ir mich niht übergebent dass Ihr mich nicht fallen lasst
4278 und nâ mînem gruoze strebent, und nach meiner Anerkennung strebt,
4279 sô belîb ich stæte. wanke ich nicht.
4280 diu triuwe mac durgræte Die Treue kann an mir
4281 niemer an mir werden, niemals Schaden nehmen,
4282 die wîl ich ûf der erden solange ich auf Erden
4283 einen êweclîchen tac auch nur noch
4284 lebe und dâ zuo leben mac.‘ einen Tag zu leben habe.“
4285 Des neig er ir und sprach alsô Darüber verneigte er sich vor ihr und sprach folgendermaßen:
4286 ,ich wil iemer wesen frô „Ich will mich immer auf
4287 ûf die hôhe zuoversiht das hohe Ziel freuen,
4288 der iuwer mündel mir vergiht, das Euer Mündchen mir verspricht
4289 nâ der ich iemer ringe. und nach dem ich immer strebe.
4290 wizzent daz ich bringe Wisst, dass ich
4291 mîn leben an daz ende, sterbe,
4292 ê mîn sin sich wende bevor sich mein Verstand
4293 iemer von iuch reinen. von Euch Reiner abwendet.
4294 mîn herze hât iuch einen Mein Herz hat auf der ganzen Welt
4295 ûz al der welt gesundert. Euch allein auserwählt.
4296 minne hât gewundert Liebe hat an mir
4297 an mir sô wildiu wunder, solch wundersame Wunder vollbracht,
4298 daz ich iemer under dass ich im Herzen
4299 der brust trag nâ iuch swære. immer Sehnsucht nach Euch verspüre.
4300 ich wolt ê daz ich wære Ich wäre lieber tot,
4301 tôt ê ich mit sinnen als dass ich mit meinen Sinnen
4302 iemer wolte minnen jemals jemand anderen als Euch
4303 ald meinen anderswar denn iuch. liebte oder ihm zugetan wäre.
4304 allen wîben ich entziuch Allen anderen Frauen entziehe ich
4305 sinne mit gedenken. meine Sinne mitsamt meinen Gedanken.
4306 in iuwer gebot senken Unter Euer Gebot stellen
4307 wil ich den sin mit dienstes ger. will ich den Verstand mit Dienstbeflissenheit.
4308 swaz mit schilt und ouch mit sper Was auch immer man jemals von mir
4309 man iemer mê von mir gesiht, mit Schild oder Lanze sieht,
4310 iuch ze lobe daz beschiht, das geschieht Euch zum Lob,
4311 und swaz ich vollebringen und was auch immer ich
4312 mac mit andern dingen in meinem Leben
4313 die wîle ich lebe guotes, in anderen Bereichen vollbringen kann,
4314 sô bin ich des muotes, das geschieht allein Euch
4315 daz beschiht iuch eine zu Diensten, süße Reine,
4316 ze dienste, süeze reine.‘ solcher Gesinnung bin ich.“
4317 Hie mit was diu rede hin. Damit war die Rede zu Ende.
4318 er fuorte mit im iren sin Er führte ihren Verstand mit sich
4319 und lie ir den sînen dâ. und ließ ihr den seinen da.
4320 ir herze jagt im balde nâ, Ihr Herz jagte ihm bald nach,
4321 wan diu minne ez von ir treip. da die Liebe es von ihr trieb.
4322 sin herze hie bî ir beleip Sein Herz blieb hier bei ihr
4323 und fuor er sunder herzen. und er ritt ohne Herz,
4324 mit mangem süezen smerzen mit manch süßem Schmerz
4325 was beider sin bevangen. war ihrer beider Verstand beladen.
4326 minne mit ir zangen Die Liebe hielt sie mit ihren Zangen
4327 sî leides hât beklæwet, leidvoll umschlossen,
4328 daz ir lîp gegræwet sodass ihr Leib vor Sorgen,
4329 möhte sîn von sorgen die sie beide verborgen
4330 die sî beid verborgen in ihrem Gemüt trugen,
4331 truogen in ir muote. gealtert sein könnte.
4332 hin der stolze guote Der stolze Gute fuhr
4333 fuor mit sorgen fröuden rîch. mit freudigen Sorgen beladen hin.
4334 sîn lîp sîn leben zierte sich Sein Leib, sein Leben schmückte
4335 ûf an ritterlîcher tât. sich mit ritterlichen Taten.
4336 swaz sîn lîp begangen hât, Was auch immer er bisher vollbracht hatte,
4337 daz was allez gar ein niht, das war alles nichts gegenüber dem,
4338 als man in nu werben siht wie man ihn jetzt streben sah.
4339 wît in allen rîchen. weithin in allen Reichen.
4340 er fuor sô ritterlîchen Er zog so ritterlich
4341 und mit sô hôhem schalle, und mit so großartigem Schall dahin,
4342 daz man sîn lop für alle dass man sein Lob über das
4343 fürsten hôhe rüemet. aller anderen Fürsten stellte.
4344 sîn prîs sô gar durblüemet, Sein Ruhm leuchtete so ganz und gar
4345 sô durliuhteclîchen schein: geblümt und strahlend:
4346 er liez in allen landen ein Er unterließ keine Reise in ein Land,
4347 marsche niht ern wære dâ, es sei denn, er war ohnehin schon dort.
4348 und warp sô wirdeclîchen nâ und warb so würdevoll um
4349 hôher êren kranze, den Kranz hoher Ehren,
4350 daz man sîn wirde ganze dass man seine Würde vollständig
4351 ie zalte zuo dem besten. zu den Besten zählte.
4352 man hôrt sîn êre gesten Man hörte, wie ihm weithin
4353 wît in allen landen. in allen Ländern Ehre zugestanden wurde.
4354 die in niht erkanden, Die ihn nicht kannten,
4355 die hôrte man in prîsen. hörte man ihn preisen.
4356 sîn herze kund in wîsen Sein Herz wusste ihn zum Trohn
4357 ze hôher êren stuole, hoher Ehren zu weisen
4358 und hât von schanden phuole und er floh mit Verstand und Herz
4359 mit sinne und mit herzen fluht. den Pfuhl der Schande.
4360 er phlac sô ritterlîcher zuht Er pflegte so ritterlichen Anstand
4361 und alsô reiner mâze und so aufrichtige Mäßigung
4362 mit herze und mit gelâze, mit Herz und Gebaren,
4363 mit koste und mit milte, mit Verpflegung und Freigebigkeit,
4364 mit swerte und mit schilte, mit Schwert und Schild,
4365 mit wandel und mit sitten, mit Benehmen und Sitte,
4366 daz sîn lop besnitten dass sein Lob in keiner Weise
4367 gar unwandellîchen schein. angreifbar erschien.
4368 man hât sîn wirde reht als ein Man achtete seine Würde
4369 heiltuon in den rîchen. in den Reichen genau wie ein Heiligtum.
4370 er warp sô wirdeclîchen Er warb so würdevoll
4371 mit aller slahte dingen, auf allerlei Weise,
4372 daz man sîn lop dringen dass man sein Lob mit Ehren
4373 mit êren hôrt sô verre, sich so weit ausbreiten hörte,
4374 daz niender lept ein herre dass nirgendwo ein Herr lebte,
4375 an lobes wirde sîn genôz. der ihm an Ruhm und Ehre gleichkam.
4376 sîn maht sîn gelt daz was sô grôz Seine Kraft und seine Geltung waren so groß,
4377 daz er wol vollefuorte dass er gut ausführte,
4378 swaz im den sin beruorte was immer ihm
4379 von kostelîcher stiure. wertvoll erschien.
4380 swâ er kein âventiure Wo er von irgendeiner Aventiure
4381 hôrte, dâ zuo was im gâch, hörte, eilte er hin
4382 und warp mit wirdekeit dâ nâch und warb dort ehrenhaft
4383 êren und nâ werdekeit, um Ehre und Anerkennung,
4384 des sîn nam noch wirde treit. wovon sein Name heute noch mit Würde behaftet ist.
4385 Diz treib er wol ein ganzez jâr, Das trieb er gut ein ganzes Jahr lang,
4386 daz sîn lob als umb ein hâr sodass sein Lob sich nie
4387 von êren nie gewanhte. auch nur um ein Haar von der Ehre entfernte.
4388 sîn frîger wille schanhte Sein freier Wille gab
4389 sô hôhe kost den êren, der Ehre so hochwertige Nahrung,
4390 daz man sîn lop mêren dass man sein Lob ohne Bestechung
4391 hôrte sunder miete. sich mehren hörte.
4392 er gap der gernden diete Er gab dem gernden Volk
4393 sô hôher gâbe stiure, so wertvolle Gaben zum Lohn,
4394 daz sî sîn lop vil tiure dass sie sein Lob sehr kostbar
4395 ze hôher wirde flâhten mit hoher Würde verflochten
4396 und sînen namen brâhten und seinen Namen ehrenvoll
4397 mit êren gar dur alliu lant. in alle Länder verbreiteten.
4398 ez wart in Tenemark erkant Vielfach wurde in Dänemark
4399 sîn lop ze manger stunde sein Lob aus dem Mund dieser Spielleute
4400 von der gernden munde bekannt gemacht,
4401 die dar ze hove kâmen die da an den Hof kamen
4402 und guot dur êre nâmen und Gut für Ehre nahmen
4403 ald kunten sunder lâge oder dort aufrichtig Nachrichten
4404 höve; sô was ie frâge, verbreiteten. So kam die Frage auf,
4405 wer sich ze hôhen êren züge wer hohe Ehren erwerbe
4406 ald wes lop mit wirde flüge oder wessen Lob sich mit Würde
4407 für ander, wen man gesten über das der anderen erhebe, wen man
4408 hôrte zuo dem besten über alle Landkreise hinaus
4409 gar dur aller lande rinc: zu den Besten zähle:
4410 sô was eht ie ein jungelinc So war wirklich einmal ein Jüngling
4411 erzogen und erwahsen in Sachsen
4412 in dem lant ze Sahsen erzogen worden und aufgewachsen,
4413 der ûf an êren bluote. der ehrenvoll erblühte.
4414 ,er ist ein wünschelruote „Er ist eine Wünschelrute
4415 an ritterlîcher krefte, an ritterlicher Kraft,
4416 ein helt ze ritterschefte, ein Held der Ritterschaft,
4417 ze swerte sper und schilte, mit Schwert, Lanze und Schild,
4418 ein kruft der rehten milte, ein Hort der rechten Freigebigkeit,
4419 ein berndez zwî der zühte, ein fruchtbarer Zweig des Anstands,
4420 ein wurze reiner frühte, eine Wurzel reiner Früchte,
4421 ein stam rehter triuwe, ein Stamm rechter Treue,
4422 ein slôz der stæte niuwe, ein Schloss der ausschließlichen Beständigkeit,
4423 scham und mâze ein ingesigel, ein Garant für Bescheidenheit und Maß,
4424 der êre ein vester houbetrigel ein fester Halt der Ehre
4425 seit man daz er wære.‘ sagt man, dass er wäre.“
4426 daz minneclîche mære Diese liebliche Erzählung
4427 erschal sô dicke und alsô vil, erklang so oft und so stark,
4428 hiute morn und alliu zil, heute, morgen und allezeit,
4429 ie mê und mê und aber mê, immer mehr und mehr und wieder mehr,
4430 daz der juncfrouwen wê dass sich der Schmerz der Jungfrau
4431 sich dicke muose stillen, oft stillen ließ,
4432 sît er dur iren willen weil er [scil. Reinfried] sich ihretwegen
4433 sich sô hôher êren fleiz, so hoher Ehren befleißigte,
4434 daz dur aller lande kreiz dass sein Name durch alle Landkreise
4435 sîn nam erschal zem besten. als der beste erklang.
4436 swenne in alsus gesten Wann immer die Königin
4437 hôrt diu küneginne, so über ihn reden hörte,
4438 sô dâht sî ,süeze minne, so dachte sie: „Süße Liebe,
4439 hilf und füege daz ich in hilf und füge es, dass ich ihn
4440 schier gesehe, sît ich bin bald sehe, denn ich bin
4441 sîn und er mir frouwe giht.‘ sein und er nennt mich Herrin.“
4442 diu lieplîche zuoversiht Die liebende Zuversicht
4443 und daz loben minneclîch und das liebliche Loben
4444 tet sî dicke fröuden rîch machten sie oft ganz froh
4445 und ouch dâ bî ungemeit und dabei auch traurig
4446 von dem jâmer den sî leit aufgrund des Jammers, den sie
4447 nâ im alle stunde. zu jeder Stunde um ihn litt.
4448 ûz siufzeberndem munde Aus seufzendem Mund
4449 wunscht sî im dicke guotes, wünschte sie ihm oftmals Gutes,
4450 fröude und hôhes muotes. Freude und hohe Gesinnung.
4451 Nu lâzen got des fürsten phlegen. Überlassen wir die Sorge für den Fürsten nun Gott.
4452 sîn lîp nâ êren kunde stegen Sein Leib wusste nach Ehren zu streben,
4453 sô daz sîn wirde nie verdarp. sodass seine Würde keinen Schaden nahm.
4454 dô im der lîp mit leben erstarp, Als er starb,
4455 sô lept sîn lop doch iemer mê. lebte sein Ruhm doch weiter.
4456 hoerent wie ez dem ergê, Hört, wie es dem erging,
4457 des sin sich sô versinte dessen Verstand sich so verstieg,
4458 daz sîn herze minte dass sein Herz liebte,
4459 dar dâ er was unmære. wo er unerwünscht war.
4460 im was sô grôziu swære Ihm war vom Neid
4461 kon von der verbünste solches Leid aufgebürdet worden,
4462 daz von der minne brünste dass sein Herz vom heißen Verlangen
4463 sîn herze was enphlammet. der Liebe entflammt war.
4464 sîn wilder sin gezammet Sein aufgebrachter Verstand wurde
4465 wart von der minne krefte. von der Kraft der Liebe beherrscht.
4466 er was ze ritterschefte Er war ein Held in Bezug auf Ritterschaft
4467 ein helt und ouch des muotes. und auch in Bezug auf seine Gesinnung.
4468 sîn lîp der hât vil guotes Sein Leib hatte viel Gutes
4469 gewürket und begangen. bewirkt und begangen.
4470 sîn herze nie gevangen Sein Herz war nie
4471 mit zagelîcher tæte in zaghafter Tat
4472 wart; er was sô stæte, gefangen; er war so beständig,
4473 sô milte manlîch und sô guot, so freigebig männlich und gut
4474 und hât sô ritterlîchen muot und hatte eine so ritterliche Gesinnung,
4475 daz man im hôher wirde sprach. dass man ihm große Würde nachsagte.
4476 wan daz von minnen diz beschach, Weil das aus Liebe geschah,
4477 sô was sîn lîp gar wandels bar. so war er keineswegs wankelmütig.
4478 sîn sin sîn herze zôch ie dar Sein Verstand und sein Herz strebten jäh dorthin,
4479 dâ man sîn niht engerte. wo man ihn nicht haben wollte.
4480 der strenge kummer werte Der harte Kummer war
4481 sô vil und alsô lange, so stark und hielt so lange an,
4482 daz er von minne twange dass er aufgrund der Zwänge der Liebe
4483 in jâmer lac verworren. in Leid verstrickt war.
4484 hôchgemüete dorren Traurig werden
4485 sach man im alle stunde. sah man ihn zu jeder Stunde.
4486 im lag in herzen grunde Bitter lag ihm auf dem Grund des Herzens
4487 der minne strâle bitter, der Stachel der Liebe,
4488 dâ von den werden ritter weshalb man den edlen Ritter
4489 man sach vil starke trûren. arg trauern sah.
4490 in sîne sinne er mûren Er verstand seine bitteren Sorgen
4491 kunde bitter sorgen, so für sich zu behalten,
4492 daz er doch verborgen dass er sie geheim
4493 truoc sô tougenlîchen. und verborgen trug.
4494 mit siufzen bitterlîchen Mit bitterlichem Seufzen
4495 gedâht er mange stunde, dachte er manche Stunde darüber nach,
4496 wie in sîns herzen grunde wie auf dem Grund seines Herzens
4497 sîn leit geringert würde, sein Leid geschmälert werden könnte
4498 und wie diu strenge bürde und wie es anzustellen sei, dass die harte Last
4499 der überlesten minne der erdrückenden Liebe
4500 sîn herze und ouch sîn sinne sein Herz und auch seine Sinne
4501 sô sêre niht endruhte. nicht so sehr belastete.
4502 daz leit sô nâhe ruhte Das Leid ging
4503 im hin zuo dem herzen ihm so zu Herzen,
4504 daz sîn lîp den smerzen dass sein Körper den Schmerz
4505 bî nihte moht erlîden. beinahe nicht ertragen konnte.
4506 er dâhte ,solt du mîden Er dachte: „Wenn du die Anklage noch
4507 die klage langer, du bist tôt.‘ länger hinauszögerst, bist du tot.“
4508 im tet diu sorge und ouch diu nôt Ihm tat die Sorge und auch die Not
4509 sô wê daz man in trûren sach so weh, dass man ihn wegen seines Ungemachs
4510 stæte dur daz ungemach, ständig trauern sah,
4511 und wist doch niemen waz im war. und doch wusste niemand, was ihn quälte.
4512 sîn sin sîn herze wâren gar Sein Verstand und sein Herz waren
4513 in der nôt versteinet. in der Not ganz versteinert.
4514 er dâht ,würd ich vereinet Er dachte: „Könnte ich sie
4515 bî ir tougenlîchen, heimlich treffen,
4516 ich wolt der minneclîchen würde ich der Lieblichen
4517 mînen kumber künden, meinen Kummer sagen
4518 und wolte gar durgründen und die Last meines Herzens
4519 mînes herzen swære. vollständig offenlegen.
4520 ich hân sô siufzebære Ich leide so schreckliche
4521 nôt, daz ich muoz sterben, Not, dass ich sterben werde,
4522 sol ich niht erwerben sollte ich nicht erringen,
4523 nâ dem min herze vihtet. worum mein Herz kämpft.
4524 diu nôt mich schiere rihtet, Die Not bringt mich bald,
4525 daz weiz ich, zuo des tôdes grabe. das weiß ich, ins Grab.
4526 sol der kumber den ich habe Wenn der Kummer, den ich habe,
4527 weren keine wîle, noch länger dauert,
4528 sô ist mit balder île so sind meine Tage
4529 verendet hin mîn lebetage. gezählt.
4530 nein, der sorgen der ich trage, Nein, die Sorge, die ich mit mir herumtrage,
4531 muoz ir wesen offen. muss ihr geoffenbart werden.
4532 diu nôt diu mich getroffen Die Not, die mich getroffen
4533 hât, diu muoz ir werden kunt.‘ hat, die muss ihr kund werden.“
4534 nu fuogt ez sich daz zeiner stunt Nun fügte es sich, dass einmal
4535 diu minneclîche reine die liebliche Reine
4536 gesaz alters eine ganz allein
4537 in einer wîten louben. in einer geräumigen Laube saß.
4538 nu dâht er ,ê du rouben Da dachte er: „Ehe du dem Tod gestattest,
4539 den tôt dich lîbes lâzest, dir das Leben zu rauben,
4540 daz doch beschiht, enmâzest was doch geschieht, wenn du
4541 du dich niht an swære, deine Last nicht mäßigst,
4542 sô muoz diu sældenbære muss die Glückliche
4543 dînen kumber hoeren. deinen Kummer hören.
4544 wil sî sorge stoeren Will sie meine Sorge verringern,
4545 mir, daz sî: wil sî des niht, soll es so sein: Will sie das nicht,
4546 daz denne in sorgen nu beschiht was mir zu weiterer Sorge
4547 mir, daz sî ouch denne. gereicht, dann sei auch das so.
4548 ich prüeve unde kenne, Ich stelle fest und weiß:
4549 swîg ich, ich muoz sterben. Wenn ich schweige, muss ich sterben.
4550 sol ich trôst erwerben Egal, ob ich Erbarmen finde
4551 ald niht, daz wirt versuochet hie.‘ oder nicht, es wird hier versucht.“
4552 sus er in die louben gie So ging er, traurig
4553 mit sorgen trûreclîchen. aus Sorge, in die Laube.
4554 er vant die minneclîchen Er fand die Liebliche
4555 sitzen alters eine. allein dasitzen.
4556 als in diu kiusche reine Als ihn die keusche Reine
4557 sô minneclîche komen sach, so liebenswürdig kommen sah,
4558 tugentlîch sî zuo im sprach: sprach sie tugendhaft zu ihm:
4559 ,Waz wirret iuch? wie tuont ir sô? „Was macht Euch zu schaffen? Was handelt Ihr in dieser Weise?
4560 waz meinet daz ir sô unfrô Woran denkt Ihr, dass Ihr Euch so unglücklich
4561 und sô wêlîch gebârent, und leidend gebärdet,
4562 und ir doch wîlen wârent wo Ihr doch gerade noch
4563 des muotes fröuden rîche? so gut gelaunt ward?
4564 wie stât sô trûreclîche Wieso sind Euer Sinn
4565 iuch der sin und ouch der muot, und eure Stimmung so bedrückt,
4566 daz ir werder ritter guot dass Ihr, werter, edler Ritter,
4567 an hôhem muote sîgent der gehobenen Stimmung verlustig geht
4568 und die nôt verswîgent und die Not vor der ganzen Welt
4569 vor al der welte tougen? verschweigt und verheimlicht?
4570 man spürt ouch sunder lougen Man erkennt fürwahr
4571 an lîbe und an varwe, an Leib und Farbe,
4572 daz iuch daz herze garwe dass Euer Herz ganz und gar
4573 in sorgen lît versunken. in Sorgen versunken liegt.
4574 jô wîset mir min dunken Mein Instinkt sagt meinem Verstand
4575 den sin dar an, ir tragent leit. doch, dass Ihr mit Kummer beladen seid.
4576 werder ritter, sint gemeit; Werter Ritter, reißt Euch zusammen,
4577 lânt von dem unmuote‘, lasst von der Niedergeschlagenheit ab.“
4578 ,ei minneclîche guote, „Ei, liebliche, gute,
4579 hôchgeborne süeze fruht, hochwohlgeborene süße Frucht,
4580 ich muoz iemer haben fluht ich muss für immer von den Freuden
4581 von fröuden zuo den sorgen. zu den Sorgen fliehen.
4582 âbent und den morgen Abends und morgens
4583 mêret sich mîn swære. wächst meine Bedrückung,
4584 diu ist sô klagebære‘, die so beklagenswert ist“,
4585 sprach er, ,daz ich niemer mac sagte er, „dass ich nie mehr auch nur
4586 frô belîben halben tac: einen halben Tag froh sein kann:
4587 ich muoz in sorgen trûren. Ich muss sorgenvoll trauern.
4588 ich hân sô strengen sûren Ich fühle einen so harten, bitteren,
4589 bitterlîchen smerzen peinigenden Schmerz
4590 in sinnen und in herzen, in den Sinnen und im Herzen
4591 daz ich bînamen stirbe. dass ich beinahe sterbe.
4592 ich trûre und verdirbe Ich trauere und vergehe
4593 mit gesundem lîbe. bei gesundem Leibe.
4594 swar ich mîn herze schîbe, Wohin auch immer ich mein Herz wende,
4595 sô mag ez sorge niht gelân, es wird die Sorge doch nicht los,
4596 wan der kummer den ich hân, denn der Kummer, den ich leide,
4597 ist sô bitter und sô grôz ist so bitter und so groß,
4598 daz ich iemer fröuden blôz dass ich immer freudlos
4599 muoz sîn unz an mîn ende. sein muss bis an mein Lebensende.
4600 des siht man mîne hende Darum sieht man mich oft
4601 mich dicke zemen valten. die Hände zusammenschlagen.
4602 mîn herze möhte spalten Mein Herz möchte
4603 von bitterlîcher quâle vor bitterem Leid zerspringen,
4604 die ich ze ie dem mâle das mir jedes Mal, wenn der Kummer
4605 hân von jâmers schricken. hochkommt, zuteil wird.
4606 von nôt mich mag erkicken Aus dieser Not kann mich niemand
4607 niemen, wan mîn swære retten, weil meine Last
4608 ist sô siufzenbære, so schwer ist,
4609 in der mîn herz mit jâmer swept, unter der sich mein kummerbeladenes Herz befindet,
4610 daz niemen in der welte lept dass niemand auf Erden lebt,
4611 dem ich sî türre künden. dem ich sie zu sagen wagte.
4612 ich möht mit tûsent münden Ich könnte selbst mit tausend Mündern
4613 volsagen niht daz sorgen die Besorgnis nicht erschöpfend beschreiben,
4614 daz in mir verborgen die in mir mit großem Kummer
4615 lît vil jâmerlîche.‘ verborgen liegt.“
4616 dô sprach diu minneclîche: Da sprach die Liebliche:
4617 ,Wie hât sich daz gefüeget „Wie kommt es,
4618 daz iuwer nôt gerüeget dass Ihr Euer Leid
4619 mac keinem menschen werden? keinem Menschen mitteilen könnt?
4620 lept iemen ûf der erden, Wenn es auf Erden jemanden gibt,
4621 daz iuwer munt getürre dem Euer Mund zu klagen wagte,
4622 klagen waz im würre, was ihn bedrückt,
4623 dem soltent ir den sin enparn, dann solltet Ihr ihm Euer Denken offenbaren,
4624 ê ir sô von fröuden arn bevor Ihr für immer
4625 iemer mê belîbent. so arm an Freude bleibt.
4626 ob irz iht lange trîbent, Wenn Ihr es noch lange so treibt,
4627 ez krenket iuch ze vaste. schwächt es Euch zu sehr.
4628 ir sint mit überlaste Euer Herz ist allzu
4629 geladen in dem herzen.‘ schwer beladen.“
4630 er sprach ,ich törst den smerzen Er sprach: „Euch alleine würde
4631 künden iuch wol eine, ich den Schmerz wohl zu sagen wagen,
4632 ob ir süeze reine wenn Ihr süße Reine
4633 die klage mir erloubent. mir die Klage gestattet.
4634 ir stoerent unde roubent Ihr stört und raubt
4635 mir dâ mit ungemüete, mir damit den Verdruss,
4636 ob ich an iuwerr güete wenn Ihr mir in Eurer Güte
4637 die hôh genâde funde, die hohe Gnade zuteil werden ließet,
4638 daz ich von herzen grunde dass ich Euch vom Grund meines Herzens
4639 iuch törste sagen mînen sin, mein Denken offenlegen dürfte,
4640 wâ von und wie ich komen bin wodurch und warum ich
4641 in des jâmers stricke, mich in ein Leid verstrickt habe,
4642 von dem mîn herze dicke von dem mein Herz oft
4643 ersiufzet bitterlîche: bitterlich aufseufzt:
4644 sô möhte fröuden rîche So könnte mein Gemüt
4645 mîn muot dâ von wol werden, daran wohl reich an Freude werden,
4646 wan niemen ûf der erden da niemand auf Erden
4647 lept der mich ellenden lebt, der mich Elenden
4648 an sorgen müge phenden von meinen Sorgen befreien
4649 und gên ze fröuden stiure, und zur Freude zurückbringen könnte,
4650 wan ir zart gehiure außer Euch, Euch guter Anständiger,
4651 mit trôstlîchem râte. mit tröstendem Rat.
4652 ich brinne unde brâte Ich brenne und schmore
4653 in strengen sorgen iemer, immerzu in harten Sorgen
4654 und mag erloeset niemer und kann ohne Eure Hilfe
4655 ân iuwer helfe werden.‘ niemals erlöst werden.“
4656 er schuof mit den geberden Er bewirkte mit den Gebärden
4657 und mit der klage die sî sach, und mit der Klage, die sie sah,
4658 daz diu minneclîche sprach: dass die Liebliche sprach:
4659 ,Mag ich iuch kumber büezen „Wenn ich Euren Kummer verschwinden machen
4660 und bitter jâmer süezen und das bittere Leid mit dem Trost
4661 mit mînes râtes trôste, meines Rats versüßen kann,
4662 ob ich iuch denn niht lôste, Euch aber nicht davon erlöste,
4663 daz wær unreht, ob ez sô lît wäre das unrecht, wenn es sich so verhält,
4664 daz der rât noch daz troesten gît dass weder der Rat noch das Trösten
4665 flecken mîner wirde: meine Würde befleckt:
4666 sô sol nâ voller girde So soll Eure Zunge mir
4667 iuwer zunge künden ganz nach Belieben Eure Gesinnung kundtun
4668 und völleclîch durgründen und bis zum Äußersten
4669 mir den sin unz ûf ein ort. vollständig darlegen.
4670 swenn mîn ôre ez hât gehôrt, Sobald mein Ohr es gehört hat,
4671 ich râte sô ich beste kan.‘ rate ich Euch, so gut ich kann.“
4672 er sprach ,süeze wol getân, Er sprach: „Süße Wohlgestalte,
4673 sô wil ich iuch den kumber, so will ich Euch auf Eure Gnade hin den Kummer,
4674 den ich sender tumber den ich sehnsüchtiger Narr
4675 hân getragen lange stunt, schon lange mit mir herumtrage,
4676 ûf genâde machen kunt mit dem Verstand des tiefsten Herzens
4677 mit herzen grundes sinne. kundmachen.
4678 wizzent daz iuwer minne Wisst, dass die Liebe zu Euch
4679 mir hôhe fröude selwet, mir hohe Freude trübt,
4680 liehte varwe velwet, leuchtende Farbe blass und
4681 süezen gingen siuret, süßes Verlangen sauer macht,
4682 frô gemüete tiuret mir frohe Stimmung raubt
4683 und liebet leitlîch ungemach. und leidvolles Ungemach lieb werden lässt.
4684 swaz mîn ouge ie gesach Was mein Auge je an
4685 von liehter spilnder wunne, hell glänzender Wonne erblickte,
4686 swaz himel oder sunne was immer Himmel oder Sonne
4687 hât bedecket ald beschein, überzog oder beschien,
4688 ie daz wig ich reht als ein das wiegt gerade so viel wie ein
4689 ei gên mîner sorgen, Ei gegenüber meinen Sorgen,
4690 die ich sô verborgen die ich ganz verborgen
4691 hân in herzen grunde. im Grunde meines Herzens habe.
4692 mich hât ein scharphiu wunde Mich hat eine scharfe Wunde
4693 durwundet und durhouwen, zutiefst verwundet und zerschlagen,
4694 daz sô wê nâ frouwen dass niemals einem Herzen so weh
4695 nie herzen wart dekeine frist nach einer Frau wurde,
4696 als mir ze allen zîten ist wie mir stets um Euretwillen,
4697 nâ iuch, hôchgeborne. Hochwohlgeborene, ist.
4698 diu minne mit ir zorne Die Liebe hat mir mit ihrem Zorn
4699 hât mir den sin versnitten, den Verstand zerschnitten,
4700 daz mîn herze enmitten sodass mein Herz in der Mitte
4701 möht enzwei zerklieben. entzwei springen könnte.
4702 alsô kan în schieben Darum können mir
4703 begirde mit dem luste Begierde und Lust
4704 nôt mir zuo der bruste, Not in die Brust einpflanzen,
4705 daz ich in sorgen brinne. dass ich in Sorgen brenne.
4706 owê strenge minne, O weh, du harte Liebe,
4707 bist du süez, des weiz ich niht, wenn du süß bist, weiß ich nichts davon,
4708 sît daz dîner sorgen phliht außer dass das Wesen deiner Sorgen
4709 mich alsô lêret trûren. mich auf diese Weise trauern lässt.
4710 dîn süeze kan mir sûren, Deine Süße kann mir sauer werden,
4711 du kanst mir liebe leiden, du kannst mir Liebe verleiden,
4712 du kanst von fröuden scheiden du kannst mir Herz und Gemüt
4713 mir herze und gemüete. von jeglicher Freude trennen.
4714 ob ie ze fröuden blüete Sollte mein Verstand sich jemals
4715 mîn sin, daz ist vergezzen. freudig erhoben haben, ist das vergessen.
4716 sorge hât besezzen Sorge hat mir das Herz
4717 mir daz herze und ouch den muot, und auch das Gemüt besetzt,
4718 daz ich als ein heiziu gluot sodass ich wie eine heiße Glut
4719 brinne und erswitze. brenne und dampfe.
4720 gewan ich sin ald witze Sollte ich jemals Verstand oder Vernunft
4721 ie, daz ist reht als ein stoup. besessen haben, ist davon nichts als Staub übrig.
4722 herze und die gedenke toup Herz und Gedanken sind mir
4723 sint mir von jâmer worden. vor Jammer stumpf geworden.
4724 hât alsô strengen orden Wenn Liebe alle Menschen
4725 minne an allen liuten, so hart hernimmt,
4726 sô ist ir lieplîch triuten so ist ihre liebevolle Zuwendung
4727 unlîdîc unde bitter. unleidlich und bitter.
4728 in fiures gluot ich zitter Ich zittere in der Glut des Feuers
4729 und switze in kaltem froste. und schwitze bei kaltem Frost.
4730 mir wil des jâmers koste Mir will der Preis des Jammers
4731 daz herze übertrîben. das Herz bedrängen.
4732 sol mîn lîp belîben Wenn mein Leib noch lange
4733 in den sorgen lange, in diesen Sorgen gefangen bleibt,
4734 sô swære und sô ange ist mir so Schweres und Bedrückendes
4735 mir noch unlange ist gesîn. noch nie widerfahren.
4736 hôchgeborne künegîn, Hochwohlgeborene Königin,
4737 sô muoz ich verderben. dann muss ich sterben.
4738 lânt an iuch erwerben Lasst mich von Euch
4739 mich genædeclîchen trôst, gnädigen Trost erringen,
4740 alsô daz ir mich erlôst indem Ihr mich von dem Leid
4741 tüegent von dem leide. zu erlösen wagt.
4742 lîp und leben beide Leib und Leben sollen
4743 sönt iuwer wesen iemer. beide für immer Euer sein.
4744 sin und herze niemer Verstand und Herz sind Euch
4745 an iuch mit triuwen wenkent. immer in Treue ergeben.
4746 sît ir mir fröude krenkent, Da Ihr mir die Freude nehmt,
4747 sô krenkent ouch der sorgen bunt, nehmt mir auch alle Sorgen,
4748 alsô daz mir fröude kunt sodass mir die Freude
4749 werde von iuch einen von Euch allein, Ihr lieblich Reiner,
4750 minneclîchen reinen.‘ kund werde.“
4751 Von disen worten sî erschrac. Aufgrund dieser Worte erschrak sie.
4752 ,owê‘, dâhte sî, ,waz mac „O weh“, dachte sie, „was können
4753 daz meinen hie betiuten? diese Gedankengänge bedeuten?
4754 soltest du den triuten Solltest du den
4755 mit dekeinen dingen, abweisen,
4756 der dich von êren bringen der dich ohne Zweifel leicht
4757 wol möhte sunder lougen? um deine Ehre bringen könnte?
4758 wê daz in mîn ougen Weh, dass meine Augen
4759 sîn lîp ie wart ansihtic! seiner je ansichtig wurden!
4760 solt mîn herze gihtic Bevor mein Herz ihm
4761 im holder sinne werden, Zuneigung entgegen brächte,
4762 ich liez mich in die erden ließe ich mich
4763 ê lebendigen telben. bei lebendigem Leibe begraben.
4764 ich wolt den tôt mir selben Eher wollte ich mir selbst
4765 ê füegen unde schicken, das Leben nehmen,
4766 ê daz ich mich erblicken als dass ich bei anderen jemals
4767 liez iemer in dem schîne. diesen Anschein erweckte.
4768 phûch, sînes herzen pîne Pfui, seine Herzensqualen
4769 sönt mêren unde wahsen. sollen sich mehren und wachsen.
4770 ich wil den helt von Sahsen Ich werde dem Helden aus Sachsen
4771 für al die welte meinen, vor der ganzen Welt den Vorzug geben,
4772 des lîp vor wandel reinen dessen Leib sich mit hohem Ruhm
4773 sich kan mit hôhem prîse. von jedem Makel zu befreien weiß.
4774 jâ hânt ir in der wîse‘, Ihr habt wirklich in einer Weise
4775 sprach sî, ,zuo mir gesprochen, zu mir gesprochen“, sagte sie,
4776 und hânt an mir zerbrochen „und habt an mir Eure
4777 ritterlîche wirde, ritterliche Würde zerbrochen,
4778 daz ir mir keiner girde sodass Ihr von mir niemals
4779 ie getorstent muoten.‘ irgendein Begehren erwarten könnt.“
4780 man sach die süezen guoten Man sah, wie die süße Gute
4781 enbrinnen von dem zorne. vor Zorn erglühte.
4782 als bî dem scharphen dorne Wie sich neben dem spitzen Stachel
4783 stât liehter rôsen blüete, die leuchtende Rosenblüte befindet,
4784 alsô was bî ir güete so nahe lagen bei ihr Güte
4785 scharphes zornes lâge. und scharfer Zorn beieinander.
4786 ,ê daz ich ûf die wâge „Bevor ich Euretwegen
4787 mîn êre wolte setzen meine Ehre aufs Spiel
4788 dur iuch, ich liez ê schetzen‘, setzte“, sagte sie, „ließe ich
4789 sprach sî, ,mich von dem lîbe. mich lieber töten.
4790 ê daz mîn lîp ze wîbe Bevor mein Leib Euch Ehefrau
4791 iuch würde ald ze amîen, oder auch Geliebte würde,
4792 ich lieze mich ê frîen ließe ich mich lieber
4793 lîbes unde guotes, um Leib und Gut bringen,
4794 ê des swachen muotes bevor mein Herz je wieder
4795 mîn herze ie mêr gedæhte, des Schwachsinns gedächte,
4796 der mich von wirde bræhte, der mich um meine Ehre brächte,
4797 als ir hânt gesprochen. wie Ihr gesagt habt.
4798 zwâr ez würd gerochen Fürwahr, Ihr müsstet dafür bezahlen,
4799 an iuch, schônt ich niht mîner zuht. achtete ich nicht meine gute Erziehung.
4800 balde phlegent von mir fluht Macht Euch schleunigst aus dem Staub
4801 und schiuhent mîne angesiht, und meidet mein Blickfeld,
4802 alsô daz ir niemer niht sodass Ihr mir nie wieder
4803 vor mînen ougen sîgent.‘ vor die Augen kommt.“
4804 sî wart im alsô vîgent, Sie war ihm so feindlich gesonnen,
4805 swenn sî an in gedâhte, dass ihr, wenn sie
4806 daz der gedanc ir brâhte an ihn dachte, der Gedanke
4807 leit in herzen grunde. tiefes Herzeleid verursachte.
4808 ûz alsô rôtem munde Aus einem so roten Mund
4809 wurden nie sô scharphiu wort wurden niemals wieder im Zorn
4810 in zornes wîse mê gehôrt, so scharfe Worte gehört,
4811 als mîn sin wil wænen. wie ich glaube:
4812 er muose sich entænen Er durfte ihr nicht mehr
4813 der striche für ir ougen. vor die Augen kommen.
4814 ich wæne alsô tougen Ich vermute, insgeheim
4815 sô vîentlîche bürde wurde noch nie
4816 ie getragen würde, eine solche Feindschaft gehegt,
4817 als sî im in dem herzen wie sie sie gegen ihn im Herzen
4818 truoc. nu was daz smerzen trug. Nun war dem Ritter
4819 dem ritter unverwischet. sein Schmerz nicht genommen worden.
4820 erniuwet und erfrischet Erneuert und frisch aufgerissen
4821 wurden sîne wunden. wurden seine Wunden.
4822 sîn herze wart gebunden Sein Herz wurde in Jammer
4823 mit jâmer und mit leide, und Leid gefesselt,
4824 daz er ân underscheide dass er genauso wie vorher
4825 trûrte in dem sinne. in seinem Verstand trauerte.
4826 wâ sint ir nu, frô Minne, Wo seid Ihr jetzt, Frau Minne,
4827 waz went ir nu hie schicken? was habt Ihr noch auf Lager?
4828 daz ir dem ritter stricken Werdet Ihr dem Ritter Verstand
4829 went sinne unde herze und Gefühl dorthin zwingen,
4830 dar dâ im niuwan smerze wo ihm nur neue Schmerzen
4831 wirt gehandet und gebreit. angetan und bereitet werden?
4832 im solte iuwer miltekeit Ihm sollte durch Eure Milde
4833 nâ trôste baz erschiezen. besser Trost zuteil werden.
4834 er solte wol geniezen Er sollte sich wirklich daran erfreuen,
4835 daz er ein helt was muotes, dass er der Gesinnung nach ein Held war
4836 und daz sîn lîp vil guotes und sein Leib viel Gutes
4837 gewürket hete und getân. erreicht und getan hatte.
4838 wie stât daz, went ir in lân Wie sieht es damit aus, wollt Ihr ihn so
4839 ân trôst sô ungeduldic? ungeduldig ohne Trost lassen?
4840 ,ich bin der sache unschuldic. „Ich bin daran nicht schuld.
4841 diu schulde ist sîn, als ich hie wil Die Schuld liegt bei ihm, wie ich hier erklären
4842 bescheiden: sîner sinne zil werde: Die Richtung seines Ansinnens
4843 hât in dâ hin verleitet. hat ihn hierher gebracht.
4844 ob sîn nôt dâ von breitet, Wenn ihm daraus Not erwächst,
4845 waz mag ich des? verbunstes gir was kann ich dafür? Die neidvolle Begierde
4846 truog in dar er wolte mir brachte ihn dorthin, wohin er mir
4847 niht volgen mit dem sinne. mit dem Verstand nicht folgen wollte.
4848 daz ist niht rehtiu minne, Es ist nicht rechte Liebe,
4849 ob sich ein herze bindet wenn sich ein Herz dort bindet,
4850 dar dâ ez vor bevindet wo es zuvor festgestellt hat,
4851 daz man mit liebe ist behaft. dass man bereits liebt.
4852 des herzen sinne hânt die kraft, Die Sinne des Herzens haben die Kraft,
4853 swar sî sich stæte senkent wo immer sie sich mit Beständigkeit niederlassen
4854 und girdeclîch gedenkent, und mit Verlangen an den anderen denken,
4855 dâ muoz daz ouge schicken dorthin muss auch das Auge
4856 ouch hin sich mit den blicken seine Blicke wenden
4857 und müezen dâ belîben. und sie müssen dort bleiben.
4858 die sinne ez mügent trîben Die Sinne können das
4859 sô vil und alsô dicke so oft und so stark treiben,
4860 daz sî mit dem stricke dass sie mit den Stricken der falschen Liebe
4861 ze etelîchen stunden zu allen Stunden
4862 werden sô gebunden so gefesselt werden,
4863 daz sî niemer dannen kon dass sie nie mehr von dort wegkommen
4864 mügent, ob sî went dâ von: können, auch wenn sie weg wollten:
4865 daz schaffet niht diu minne. Das bewirkt nicht die Liebe.
4866 ez tuont die frîgen sinne Das tun die freien Sinne,
4867 die dik daz herze triegent, die das Herz oft betrügen,
4868 sô sî in wandel fliegent wenn sie wankelmütig umherfliegen,
4869 nu sus, nu sô, nu hin, nu har, mal so, mal anders, mal hierhin, mal dorthin,
4870 und sô sî alle sache gar und auf diese Weise alles ganz und gar
4871 mit wanke überswenkent. mit Wankelmütigkeit überziehen.
4872 vil lîhte sî sich senkent Allzu leicht lassen sie sich
4873 ze jungest an daz boeste. schließlich beim Schlechtesten nieder.
4874 ob ich den missetroeste Wenn ich dem nicht zu Unrecht mit Trost
4875 an fröuden, diu schuld ist niht mîn. zur Freude verhelfe, liegt die Schuld nicht bei mir.
4876 ûf erden frîgers niht gesîn Auf Erden kann es nichts Freieres geben
4877 mac denn des vogels güften. als das Rufen des Vogels.
4878 er fliuget in den lüften Frei von allen Sorgen
4879 frî von allen sorgen. fliegt er in den Lüften.
4880 offen noch verborgen Weder offen noch verborgen
4881 kan im niht arges werren. kann irgendetwas Böses ihm etwas anhaben.
4882 der aber im ein herren Wenn ihm aber jemand einen Herren
4883 verbirget und verstophet, verheimlicht und vorenthält,
4884 iemer mê sô hophet so hüpft er beständig
4885 er stæteclîch dar umbe umso mehr
4886 manig wilde krumbe in wilden Bögen herum,
4887 unz daz er dinne wirt behaft. bis er eingefangen wird.
4888 wirt er der herren schadehaft, Verliert er die Herren,
4889 dâ ist sîn wille schuldic. ist er selbst schuld.
4890 sus mache ich Minne ouch huldic So ordne ich, die Minne, auch nicht
4891 niht alliu dinc dem sinne. alle Dinge dem Verstand unter.
4892 wizzent daz diu minne Wisst, dass die Liebe
4893 nienâ ist wan an den zwein, nimmer und nirgendwo ist außer zwischen zweien,
4894 denn ein jâ, denn ein nein, die in aufrichtiger Weise
4895 die nôt sunder triegen. eines Sinnes sind.
4896 swer sîne sinne biegen Auch wenn irgendeiner
4897 wil nâ wirdeclîcher phliht, auf würdevolle Dinge sinnt –
4898 wer mac des, ob im misseschiht wer kann das, wenn ihm widerfährt,
4899 als disem ritter hie beschach? was diesem Ritter hier geschah?
4900 sîn ôre hôrt, sîn ouge sach, Sein Ohr hörte, sein Auge sah,
4901 sîn herze seit im von den zwein sein Herz sagte ihm von den beiden
4902 niht wan ein jâ und ouch ein nein nichts als ein gemeinsames Ja und auch ein Nein,
4903 und warp doch mit den sinnen dar, und doch strebte er dorthin mit den Sinnen,
4904 mit den er sich sô vast verwar, mit denen er sich so fest verstrickte,
4905 daz sî niht mohten dannen komen.‘ dass sie nicht mehr von dort wegkommen konnten.“
4906 wir sehen und hân wol vernomen Wir sehen und haben sehr wohl gehört,
4907 daz ein man sich twinget dass ein Mann sich mit den Sinnen
4908 mit sinnen unde bringet bezwingt und dorthin bringt,
4909 sich dâ zuo dâ er doch von von wo er doch nicht mehr
4910 kûm ald niemer mac bekon, wegkommt und nie mehr wegkommen kann,
4911 ob er sich missehüetet. wenn er sich nicht vorsieht.
4912 ein tumbez huon daz brüetet Ein törichtes Huhn bebrütet
4913 ein tôtez ei, unz dâ von wirt ein totes Ei, bis daraus ein
4914 ein lebendez huon: reht alsô birt lebendes Huhn wird: Genauso gebiert
4915 daz herz mit tôten sinnen das Herz mit toten Sinnen
4916 ein lebende kraft von minnen eine lebendige Kraft der Liebe
4917 und hebt daz liederlîche, und erhöht das Liederliche,
4918 dâ man doch kumberlîche wovon man doch nur schwer
4919 ald niemer von bekumen kan. oder nie mehr wegkommen kann.
4920 dâ ist niemen schuldic an Daran trägt niemand Schuld
4921 wan der sin gedenken. als allein das geistige Streben des Verstands.
4922 jô wellen wir niht wenken Ja, wir wollen nicht wanken,
4923 hin und har und biegen. uns hierhin und dorthin biegen.
4924 wir wænen minne triegen, Wenn wir glauben, die Liebe zu betrügen,
4925 sô triegen wir uns selben. betrügen wir uns selbst.
4926 dâ von siht man schelben Davon sieht man den Lohn der Liebe
4927 der minne lôn ze mangen tagen manchen Tags schal werden
4928 von den die in wænent tragen von denen, die glauben, er brächte
4929 lop, und vellet ûf die phliht Lob, und man scheitert bei der Aufgabe,
4930 dâ man sîn sich klein versiht. wenn man sich nicht vorsieht.
4931 Alsus beschach dem ritter hie. So geschah es diesem Ritter hier.
4932 trûreclîch er dannen gie Traurig ging er davon,
4933 mit manges jâmers schricke. immer wieder leidvoll zusammenzuckend.
4934 wê der leiden blicke Wehe den leidbringenden Blicken,
4935 die er von der zarten sach. die er von der Guten auffing.
4936 daz sîn herze niht enbrach, Dass sein Herz nicht zerbrach,
4937 daz was ein unbilde. war ungeheuerlich.
4938 fröude wart im wilde, Freude wurde ihm unbekannt,
4939 wan er in jâmer blüete. da er in Jammer lebte.
4940 im wart nâ ir güete Er sehnte sich mit solch grimmem
4941 sô grimme bitterlîche wê. bitteren Schmerz nach ihrer Güte.
4942 für daz mâl er niemer mê Zum Gastmahl wagte er
4943 torste an ir angesiht ihr nie mehr vor die Augen
4944 komen, wan sî wolte niht zu kommen, denn sie wollte ihn
4945 in sehen weder hoeren. weder sehen noch hören.
4946 seht daz kunde stoeren Seht, das wusste ihm
4947 im hôher fröuden stiure. das Wesen hoher Freude zu stören.
4948 er wolte in dem fiure Er wollte in dem Feuer
4949 heizer minne erfrieren. heißer Liebe erfrieren.
4950 sin herze kond er zieren Sein Herz wusste er nicht anders
4951 niht anders denn mit sorgen. als mit Sorgen zu schmücken.
4952 âbent unde morgen Von früh bis spät
4953 sô wuohs daz bitter trûren. wuchs die bittere Trauer.
4954 sîn süeze fröude sûren Seine süße Freude verstand es,
4955 kund im mit hôhen riuwen. durch großen Kummer sauer zu werden.
4956 die swære sach man niuwen Die Bedrückung sah man
4957 und wahsen alle stunde. zu jeder Stunde sich erneuern und wachsen.
4958 er was in herzen grunde Tief im Herzen litt er
4959 sô minneclîcher wunden wunt, solchen Liebeskummer,
4960 daz in sorge manic stunt dass ihn die Sorge oftmals
4961 ze grôzer unmaht brâhte. aller Kräfte beraubte.
4962 trûreclîch gedâhte Traurig grübelte er
4963 er dicke in sînem sinne, oft darüber nach,
4964 wenne er der minne wie er sein Herz
4965 sîn herze meht enziehen. der Liebe entziehen könnte,
4966 und swenne er wolte fliehen und wann immer er entfliehen
4967 hin, sô fuor sîn sin hin wider. wollte, so zog es seinen Verstand wieder hin.
4968 alliu sînes lîbes lider Alle Glieder seines Körpers
4969 er mit gedenken dannen zôch. zog er mit Verstandeskraft weg.
4970 und sô er alsô vaste flôch Und wie er dort so angestrengt floh,
4971 daz man in sach erkalten, dass man ihn erkalten sah,
4972 ûf der stat sô snalten da schnalzten
4973 die sinne sam ein îsentrât, die Sinne wie ein Eisendraht zurück,
4974 under den daz herze hât unter den das Herz sich
4975 sich hin geleit mit twange. mit Zwang gelegt hat.
4976 hie mit sô vaht er lange Damit rang er lange
4977 und was in jâmer gar unfrô, und war in seinem Leid ganz traurig
4978 und liez iedoch dar keine drô, und unterließ es dennoch allen Drohungen zum Trotz nicht,
4979 swâ er ez kund geschicken, sie zu sehen,
4980 daz er sî mohte erblicken, wo immer er es einrichten konnte.
4981 er blihte mit den ougen dar Er richtete seinen Blick dorthin
4982 und maht ir mit dem munde bar und entdeckte ihr mit dem Mund
4983 sînes herzen ungemach, das Ungemach seines Herzens,
4984 swenn diu state im geschach. so oft es ging.
4985 Ie mê er ir dô klagte, Je mehr er ihr da klagte,
4986 ie vaster sî versagte umso mehr versagte sie sich
4987 und mêret dâ von ir haz. und steigerte darüber ihre Abneigung.
4988 ie mê er ir gebunden was, Je mehr er sich an sie binden wollte,
4989 ie vaster sî sich von im zôch. umso vehementer entzog sie sich ihm.
4990 ie mê er jagt, ie vaster flôch Je mehr er jagte, umso weiter entfernte
4991 er von irre hulde. er sich von ihrer Huld.
4992 ,ei‘, dâht er, ,ê ich dulde „Ei“, dachte er, „bevor ich die
4993 die bitter sorge lange, bittere Sorge lange erdulde,
4994 ê daz ich alsus ange bevor ich so bedrängt
4995 in disen noeten lepte in diesen Nöten lebte
4996 und iemer mêre swepte und für immer in Leid
4997 in jâmer und in swære, und Bedrückung gefangen wäre,
4998 dir wær doch alsô mære wäre mir doch genauso recht,
4999 daz dîn leben stürbe, dass ich stürbe,
5000 ê alsus verdürbe bevor auf diese Weise mein Leib,
5001 dîn lîp dîn leben und dîn sin. mein Leben und mein Verstand Schaden nähmen.
5002 got, möht ich noch eines hin Gott, könnte ich noch einmal hin
5003 zuo der minneclîchen komen, zu der Lieblichen kommen,
5004 unz daz von mir würd vernomen sodass sie von mir zu hören bekäme,
5005 diu gesiht die ich dô sach, wie ich sah,
5006 waz in der hütten dort beschach, was in der Hütte dort geschah!
5007 zwâr ez mües ir werden bar; Wahrlich, es müsste ihr klar werden.
5008 kæm ich iemer mêre dar Käme ich nur noch einmal dazu,
5009 dâ sî vernæme mîniu wort, dass sie meine Worte anhört,
5010 von mir würde dâ gehôrt bekäme sie da von mir zu hören,
5011 dâ von vil lîht sî würd unfrô.‘ wovon sie sehr leicht unglücklich würde.“
5012 von geschiht sô kam ez sô Durch Zufall kam es so,
5013 daz er sî aber eine vant, dass er sie abermals alleine fand
5014 und kam zuo ir alzehant und sogleich heimlich
5015 tougenlîch gegangen. zu ihr ging.
5016 ob er würde enphangen Ob er mit freudigem Gruß
5017 mit friundes gruoze? nein er, nein. empfangen wurde? Nein, wurde er nicht.
5018 sî verstummet als ein stein, Sie verstummte wie ein Stein,
5019 daz sî hôrte noch ensach. sodass sie weder hörte noch sah.
5020 trûreclîch der ritter sprach: Traurig sprach der Ritter:
5021 ,Gnâde, hôhiu künegîn. „Gnade, hohe Königin,
5022 tuont an mir genâde schîn, erweist mir Gnade,
5023 sît al mîn trôst und gnâde rât weil all mein Trost und jedes Erbarmen
5024 an iuch, minneclîche, stât von Euch allein, Liebliche,
5025 eine und an niemen mê. und von niemandem sonst abhängen.
5026 lânt mîn bitterlîchez wê Lasst Euch, Ihr süßes Geschöpf,
5027 iuch süeze fruht erbarmen, von meinem bitterlichen Schmerz erbarmen,
5028 sô daz ir mir armen sodass Ihr mir Armem
5029 senftent mîne swære. meine Bedrückung mindert.
5030 sol ich trôstes lære Sollte ich ohne Trost
5031 von iuch zarten scheiden, von Euch Guter scheiden,
5032 zwâr sô muoz mir leiden so werden mir fürwahr
5033 beidiu leben unde lîp. Leib und Leben schwer.
5034 ob ich dise klage trîp Wenn ich diese Klage noch lange
5035 lange, seht sô bin ich tôt. betreibe, seht, so bin ich tot.
5036 lânt daz süeze mündel rôt Lasst das süße rote Mündchen
5037 sich gên mir ûf entsliezen, sich gegen mich öffnen,
5038 daz ez müg begiezen damit es meinem Herzen
5039 mîn herz mit trôstes gingen. tröstliche Zuversicht schenkt.
5040 went ir trôst niht bringen Wenn Ihr mir keinen Trost
5041 mir, sô bin ich sicher tôt.‘ bringt, so bin ich mit Sicherheit tot.“
5042 sî sprach ,wizzent, iuwer nôt Sie sprach: „Wisst, dass Eure Not
5043 wirt gewendet niemer. niemals abgewendet wird.
5044 solt ich leben iemer Solange wir beide
5045 und ir, sô wizzent sicher daz leben, seid gewiss, dass
5046 sich der bitterlîche haz sich der bitterliche Hass,
5047 verslihtet niemer den ich trage den ich gegen Euch hege,
5048 iuch.‘ ,sô hoer ich nâ der sage‘, niemals legt.“ „So höre ich aus Eurer Rede,
5049 sprach er, ,daz ich sterben sol. dass ich sterben soll“, sprach er.
5050 ich bedürfte von iuch wol „Ich bedürfte eines besseren Trostes
5051 bezzers trôstes, sol ich leben. von Euch, wenn ich leben soll.
5052 ouwê minne, kanst du geben O weh, Liebe, du vermagst so
5053 alsô herte siure. harte Bitternis zu geben.
5054 minneclîch gehiure, Lieblich Angenehme,
5055 süeze wol getâne, süße Wohlgestalte,
5056 lânt mich trôstes âne lasst mich der edlen Zuflucht wegen,
5057 niht sô dur die werden fluht, des liebevollen Anstands wegen,
5058 dur die minneclîche zuht, der werten Keuschheit wegen,
5059 dur die kiusche werdekeit die Gott Euch vor allen
5060 die got an iuch hât geleit lieblichen Frauen gegeben hat,
5061 für al die frouwen minneclich. nicht so ohne Trost.
5062 lânt erbarmen über mich Lasst Eure Milde, Eure Güte
5063 sich iuwer milte güete, sich meiner erbarmen,
5064 sô daz sî mîn gemüete sodass sie mein Gemüt
5065 ûz sûren sorgen strickent aus bitteren Sorgen befreien
5066 und ez ze fröuden schickent: und es zur Freude geleiten:
5067 daz tuont ir wol und niemen mê.‘ Das könnt Ihr gut und sonst niemand.“
5068 sî sprach ,swîgent, iuwer wê Sie sprach: „Schweigt, Euer Schmerz
5069 gât mir ze herzen reht als ein dringt mir ins Herz wie
5070 wazzer in den herten stein, Wasser in harten Stein,
5071 der dâ von niht erfiuhtet. der davon nicht nass wird.
5072 mit nazzen schouben liuhtet Man leuchtet eher mit nassen
5073 man ê und vazzet mânen schîn Grasbüscheln und füllt den Mondschein
5074 in secken, ê iuch iemer mîn in Säcke, bevor Euch meine
5075 hulde werd ze teile.‘ Huld zuteil wird.“
5076 ,sô bin ich von dem heile‘, „So habe ich jedes Glück verloren“,
5077 sprach er, ,hôher wunne. sprach er, „und hohe Freude,
5078 sô sint ir doch diu sunne da doch Ihr die Sonne seid,
5079 diu mir ie in mîn herze schein. die mir immer ins Herz schien.
5080 süeze minneclîche rein, Süße liebliche Reine,
5081 lânt den strengen willen. gebt Eure strenge Haltung auf.
5082 ruochent gên mir stillen Geruht Euren bitterlichen Zorn
5083 den vil bitterlîchen zorn, gegen mich zu stillen,
5084 sît daz ir ze trôst geborn da Ihr mir zum Trost geboren
5085 mir sint und ich ze dienest iuch. seid und ich Euch zum Dienst.
5086 swar ich in der welte fliuch, Wohin auch immer in der Welt ich flöhe,
5087 sô jaget doch diu minne har so jagte doch die Liebe
5088 mîn herz daz iuch niht wenken tar meinem Herzen hinterher, das um keinen Preis
5089 mit keiner sache ræte.‘ von euch abzulassen wagte.“
5090 sî sprach ,ir went der tæte Sie sprach: „Ihr wollt das weder
5091 dur drô noch vorhte niht enlân. durch Drohungen noch aus Furcht unterlassen.
5092 sît daz ich geschônet hân Da ich mich Euch gegenüber bisher
5093 dâ her mîner zühte aufgrund meines Anstands
5094 an iuch, sô phlegent flühte zurückgehalten habe, so entfernt Euch
5095 von mir noch ê daz mîn haz von mir, bevor mein Hass
5096 füege sunderlîchen daz sich etwas ausdenkt, das
5097 iuch missekumt und missezimt. Euch schlecht ansteht und schadet.
5098 ob iuwer werben ende nimt Wenn Euer Werben kein Ende
5099 niht, ich lân iuch sicher sehen nimmt, versichere ich Euch,
5100 daz iuch dâ von mac geschehen dass Euch davon widerfahren wird,
5101 daz iuch iemer mêre swirt was Euch noch mehr durcheinander bringt
5102 und diu bezzerunge wirt und wovon Ihr niemals erlöst
5103 niemer, wan sî mac niht sîn.‘ werdet, weil das nicht möglich ist.“
5104 von den worten viel im în Von diesen Worten befiel ihn
5105 sô grôziu widermüete, so große Verstimmung,
5106 daz er aller güete dass er jegliche Güte
5107 und ritters orden gar vergaz. und ritterlichen Anstand vergaß.
5108 ,ei‘, sprach er, ,nu merk ich daz „Ei“, sprach er, „nun stelle ich fest, dass
5109 frouwen nie getâten Frauen noch nie das Beste
5110 daz beste, und ie hâten getan haben und seit jeher
5111 sin und herze dar geleit Verstand und Herz dorthin wandten,
5112 dâ man mit unstætekeit wo man mit Unbeständigkeit
5113 und nâ valscher minne warp. und um falsche Liebe warb.
5114 ob ir lop dâ von verdarp Wenn ihr Ruhm dadurch einmal
5115 ie, daz was ein billich dinc. Schaden nahm, war das nur recht und billig.
5116 man siht noch in der welte rinc Man sieht noch heute rund um die Welt,
5117 daz manic sache missegât dass manche Sache schiefgeht,
5118 die man haltet noch enlât die man weder zur rechten Stunde hält
5119 an rehter stunt noch rehter zît. noch zur rechten Zeit loslässt.
5120 sît iuch iuwer herze lît Da Euer Herz an einem hängt,
5121 dâ den ir gesâhent nie, den Ihr nie zuvor gesehen habt,
5122 unde mich lânt der iuch hie und Ihr mich, der Euch hier
5123 dienet und gedienet hât, dient und gedient hat, ablehnt,
5124 ob iuch minne dar umb lât und wenn Euer Lob durch Liebe
5125 lob in wandel fliezen, zum Makel wird,
5126 wes sol er geniezen wessen wird er sich erfreuen,
5127 der iuch mit ougen nie wart kunt der Euren Augen unbekannt war
5128 und den ir niewan eine stunt und den Ihr nicht länger als eine Stunde
5129 hânt gehoeret und gesehen?‘ gehört und gesehen habt?“
5130 ,waz red ist diz?‘ hôrt er sî jehen, „Was sind das für Worte?“ hörte er sie sagen,
5131 ,waz sagent ir, wie redent ir sô?‘ „was sagt Ihr, wie redet Ihr so?“
5132 er sprach trûreclîchen dô Traurig sprach er da
5133 aber von der minne. abermals von der Liebe.
5134 er bat die küneginne Er bat die Königin
5135 vil und vil und dannoch mê. wieder und wieder und wieder.
5136 sî tet aber nu als ê: Sie aber tat wie zuvor:
5137 mit hazze sî verseite. Abwehrend widersagte sie.
5138 niht langer er dô beite Da wartete er nicht länger
5139 und sprach ,nu müez erbarmen got und sprach: „Nun soll Gott erbarmen,
5140 daz mîn lîp iuwer gebot dass mein Leib Euer Gebot
5141 nie eine stunde übergie, nicht eine Sekunde überging
5142 und ich dâ von ze lôn enphie und ich davon nichts als Trauer
5143 niewan trûren unde leit, und Leid zum Lohn empfing
5144 und daz daz troesten ist bereit und dass Erhörung findet,
5145 dem der iuch dienstes nie getet. der Euch noch nie diente.
5146 daz der lôn enphangen het Dass er bei Euch Erhörung
5147 von iuch, daz ist mir swære.‘ fand, lastet schwer auf mir.“
5148 sî frâgte wer daz wære. Sie fragte, wer das wäre.
5149 er sprach ,daz wizt ir selbe wol. Er sprach: „Das wisst Ihr selbst sehr gut.
5150 ob ich iuch fürbaz nennen sol, Wenn ich ihn Euch genauer nennen sollte,
5151 war zuo wær daz mære guot, wofür wäre das gut,
5152 daz mîn künden offen tuot dass meine Nachricht Euch offenlegt,
5153 iuch daz ir wol wizzent? was Ihr sehr gut wisst?
5154 ob ir iuch noch flizzent Wenn Ihr Euch noch befleißigt,
5155 mînen kumber wenden, meinen Kummer zu wenden,
5156 die rede wolt ich enden.‘ wollte ich die Rede lassen.“
5157 ,Nein‘, sprach sî, ,swaz mir beschiht, „Nein“, sprach sie, „was immer mir geschieht,
5158 holdes gruozes niemer giht einen wohlgesinnten Gruß bekommt Ihr
5159 iuch mînes mundes zunge. von mir nie mehr zu hören.
5160 ê iuwer dröuwen twunge Bevor Euer Drohen mich dazu
5161 mich dâ zuo, ich sturb ê tôt. zwänge, wählte ich lieber den Tod.
5162 ich weiz, du maht schamerôt Ich weiß, du kannst mir
5163 niemer mich gemachen mit nichts,
5164 von dekeinen sachen was ich im Leben getan habe,
5165 die mîn leben ie begie.‘ die Schamesröte ins Gesicht treiben.“
5166 ,ei‘, sprach der ritter, ,sagent wie „Ei“, sprach der Ritter, „verratet Ihr, wie
5167 im in der hütten wære, es ihm in der Hütte erging,
5168 sît daz ich diz mære bevor ich die Geschichte
5169 muoz offenlîchen künden, öffentlich machen muss,
5170 dô ir mit minne bünden dass Ihr in liebender Verbindung
5171 umbevangen lâgent umschlungen dalagt
5172 und süezer minne phlâgent und mit dem aus Sachsen
5173 mit dem ûz Sahsen landen? der süßen Liebe fröntet?
5174 ei wie schier erkanden Ei, wie schnell haben meine Augen
5175 mîn ougen iuwer sinne. Eure Sinne durchschaut!
5176 iuch hât diu süeze minne Euch hat die süße Liebe
5177 zesamen sô gebunden so aneinander gefesselt,
5178 daz mîniu ougen funden dass meine Augen dafür
5179 offenlîchiu zeichen. offensichtliche Zeichen entdeckten.
5180 sô man iuch nu sach bleichen So wie man Euch in einem Moment bleich
5181 reht alsam die tôten, wie die Toten werden sah,
5182 sô sach man iuch denn rôten so sah man Euch beide im nächsten
5183 beidiu sam die rôsen. wie die Rosen erröten.
5184 sô sach man iuch denn kôsen Genauso sah man Euch dann
5185 sament minneclîche. liebevoll miteinander kuscheln.
5186 sus nam ich tougenlîche So nahm ich verborgen
5187 war der minne stricke. die Stricke der Liebe wahr.
5188 ich sach daz iuwer blicke Ich sah, dass Eure Blicke
5189 gegen ein ander vâhten zueinander strebten
5190 und girdeclîche flâhten und sich begierig mit regem Blitzen
5191 sich mit schüzzen under ein. ineinander verflochten.
5192 an den sachen mir erschein Dadurch wurde mir
5193 offenlîchiu minne. die Liebe offenbart.
5194 werde küneginne, Werte Königin,
5195 sît ich diz sach und ez wol weiz weil ich das gesehen und sehr gut verstanden habe
5196 und mîn zunge sich ie fleiz und sich meine Zunge seit jeher
5197 daz sî künde swîgen, verschwiegen zeigen konnte,
5198 dâ von solte sîgen sollte mir Euer
5199 gên mir iuwer güete. Erbarmen zuteil werden.
5200 ob ich mich missehüete Wenn ich nicht aufpasse
5201 daz diu sach wirt offen, und die Sache öffentlich wird,
5202 zwâr sô hât iuch troffen tragt Ihr fürwahr
5203 wandellîcher flecke.‘ den Makel der Verführbarkeit.“
5204 diu küneginne kecke Mutig sprach die Königin
5205 sprach mit herten worten, mit festen Worten,
5206 dô iriu ôren hôrten als ihre Ohren diese Worte
5207 diu wort alsô von grunde, auf diese Weise von Grund auf hörten:
5208 ,phî dem vertânen munde „Pfui dem verkommenen Mund,
5209 der solche lüge stiftet, der solche Lügen erfindet,
5210 und des zunge giftet und dessen Zunge
5211 mit lügelîchen mæren.‘ Lügengeschichten verbreitet.“
5212 er sprach ,ich wil bewæren Er sprach: „Ich werde beweisen,
5213 daz ich niht enliuge, dass ich nicht lüge,
5214 wan ich die sache erziuge da ich die Sache mit
5215 mit iuwer selbs juncfrouwen, Eurem eigenen Fräulein bezeuge,
5216 diu sich ouch liez schouwen, das sich ebenfalls sehen ließ,
5217 dô sî von der hütten sleich. als es von der Hütte wegschlich.
5218 einen fuoz ich nie entweich, Ich wich nicht einen Fuß von dort,
5219 biz ich ez ûf ein ort bevant. bis ich Gewissheit hatte.
5220 tætent ir mir noch erkant Ließet Ihr mir noch Zuwendung
5221 trôst, ê ruote ich niemer, zuteil werden, ruhte ich nimmer und
5222 sin und herze iuch iemer dienten Euch Verstand und Herz für immer
5223 dienden ûf mîn ende. bis an mein Lebensende.
5224 mîn herze in iuwer hende In diesem Sinne würde ich
5225 wolt mit dem willen sîgen. mein Herz in Eure Hände legen.
5226 mîn munt wolte swîgen Mein Mund würde für immer
5227 iemer aller sache.‘ über all diese Sachen schweigen.“
5228 ,hânt mich niht sô swache „Haltet mich im Verstand Eures Herzens
5229 in iuwers herzen sinne. nicht für so schwach.
5230 phî‘, sprach sî, ,mîn minne Pfui“, sprach sie, „meine Liebe
5231 und mîner hulde stiure und das Wesen meiner Huld
5232 muoz iuch iemer tiure werden Euch für immer
5233 wesen êweclîche, unerreichbar sein,
5234 sît ir tougentlîche da Ihr heimlich
5235 spellent ûf mîn êre. auf meine Ehre abzielt.
5236 des wirt niemer mêre Darum wird mein Hass
5237 mîn haz gên iuch verlâzen. auf Euch nie mehr versiegen.
5238 daz ir sît verwâzen Ihr seid verdorben
5239 und an iuch ritters orden, und an Euch ritterliche Ehre,
5240 geht ir ich sî worden wenn Ihr sagt, ich sei des Fürsten
5241 des fürsten trût amîe, intime Freundin geworden,
5242 sô daz der schanden frîe indem der Schandlose
5243 mir alsus sî gelegen bî. mir auf diese Weise beigelegen hätte.
5244 er ist unschuldic und ich frî Er ist unschuldig und ich bin
5245 aller valschen tæte. frei von aller Missetat.
5246 ob aber ich im hæte Wenn ich ihn aber
5247 dienstes lôn entwænet, für seinen Dienst entlohnt hätte,
5248 dâ von würde entænet wäre mein Leib dadurch
5249 mîn lîp keiner wirde. nicht entwürdigt worden.
5250 er hât sô hôhe girde Er strebt so sehr
5251 nâ êren und nâ werdekeit, nach Ehren und nach Würde,
5252 sîn nam sîn lant diu sint sô breit, sein Name und sein Land sind so groß,
5253 sô rîch und alsô mehtic, so reich und auch so mächtig,
5254 und ist sîn sin sô trehtic auch steht ihm der Sinn so sehr
5255 ûf êre daz sîn name swept nach Ehre, dass sein Name so hoch
5256 sô hôhe daz nu niemen lept schwebt, dass heute niemand lebt,
5257 an maht an wirde sîn genôz. der ihm an Macht und Würde gleichkäme.
5258 doch stân ich des ziges blôz Dennoch sind ich und er,
5259 und er des lîp ie schande meit, dessen Leib sich schon immer jeder Schande enthielt
5260 der die mâze nie versneit und der das rechte Maß nie und
5261 mit keiner missetæte. mit keiner Missetat überschritt, von dieser Schuld frei.
5262 ich und der êren stæte Ich und der allzeit Ehrbare
5263 wâren dâ, des lougn ich niht. waren da, das leugne ich nicht.
5264 aber des dîn munt dâ giht, Aber dessen, was dein Mund da sagt,
5265 des sîn wir lidic unde frî. sind wir wahrlich unschuldig.
5266 swie doch disen mæren sî, Wie auch immer diese Geschichte zustande kam,
5267 strîch von mînen ougen. geh mir aus den Augen.
5268 wizzest sunder lougen, Sei dir ohne Zweifel sicher,
5269 ob mîn lîp dich iemer siht dass dir, wenn ich dich nach dem heutigen Tage
5270 für dis stunt, daz dir beschiht jemals wieder sehe, widerfährt,
5271 daz dir iemer füeget leit. was dir ewig leid tun wird.
5272 mîner sælden wirdekeit Den Wert meines Glücks
5273 setze ich dir ze phande, gebe ich dir zum Pfand:
5274 swâ ich dich in dem lande Wo immer ich dich in diesem Land
5275 erwische und erstrîche, antreffe und erwische,
5276 ich füeg dir sicherlîche füge ich dir mit Sicherheit
5277 sô bitterlîchen ungemach, so bitterliches Ungemach zu,
5278 daz sô wê dir nie geschach.‘ dass dir noch niemals etwas so leid tat.“
5279 Sus muos er dannen kêren. So musste er von dannen gehen.
5280 man sach sîn ougen rêren Man sah seine Augen
5281 heizer trehen trophen. Tropfen heißer Tränen vergießen.
5282 sîn herze im muose klophen Sein Herz musste ihm vor Grimm
5283 und zittern von der grimme. klopfen und zittern.
5284 er sprach mit trüeber stimme Er sprach mit matter Stimme:
5285 ,owê süeze minne, owê, „O weh, süße Liebe, o weh,
5286 nu bin ich êrst iemer mê nun bin ich erst für immer
5287 von sorgen unerloeset. von Sorgen unerlöst.
5288 mîn leit ist geboeset, Mein Leid ist verschlimmert,
5289 mîn liep ist geminret. meine Liebe gemindert.
5290 mîn sin sich wol inret Ich bin mir
5291 hin zuo der unschulde. ihrer Unschuld bewusst.
5292 swaz ich iemer dulde Was auch immer ich jemals
5293 leides unde sorgen von früh bis spät
5294 âbent unde morgen, an Leid und Sorgen dulde,
5295 daz hân ich verschuldet wol. das habe ich wirklich selbst verschuldet.
5296 ichn weiz war ich kêren sol. Ich weiß nicht, wohin ich mich wenden soll.
5297 swâ diu minneclîche weiz Wo immer die Liebliche mich
5298 mich in aller lande kreiz, im Umkreis aller Länder weiß,
5299 dâ bin ich verdorben. da bin ich verloren.
5300 ich hân sô geworben Ich habe auf eine Weise um sie geworben,
5301 daz ich hân irn verdienten haz. dass ich ihren Hass verdient habe.
5302 owê ach, und wist ich waz O weh, ach, wüsste ich doch,
5303 ich solt an vâhen oder tuon! was ich anfangen oder tun sollte!
5304 wirb ich iemer umb ir suon, Bemühe ich mich um ihre Vergebung,
5305 sî lât mich ze hulden niht schenkt sie mir keine
5306 komen; swaz mir denn beschiht, Gnade; was immer mir dann widerfährt,
5307 daz muoz ich hân, diu schuld ist mîn. das muss ich ertragen, die Schuld liegt bei mir.
5308 ouwê bitterlicher pîn Au weh, bitterlicher Schmerz,
5309 den ich trag in herzen! den ich im Herzen trage!
5310 ouwê sendez smerzen Au weh, sehnsuchtsvolles Weh,
5311 daz ich umb wâre schulde das ich zu Recht
5312 von der zarten dulde! von der Schönen erdulde!
5313 des muoz ich iemer sîn unfrô.‘ Darum muss ich immer unglücklich sein.“
5314 ie gedâhte er aber dô Dann dachte er aber:
5315 ,du solt alsô verderben niht. „Auf diese Weise sollst du nicht zugrunde gehen.
5316 sô sî dîn ouge nimmê siht, Sobald dein Auge sie nicht mehr sieht,
5317 sô vergizzet ir der muot. vergisst sie auch das Gemüt.
5318 dâ von ist mir niht sô guot, Deshalb ist es am besten,
5319 ich var ûz disem rîche, ich verlasse dieses Herrschaftsgebiet,
5320 sît doch diu minneclîche da die Liebliche doch
5321 an mich sô wirfet ir ungunst. ihre Ablehnung gegen mich richtet.
5322 swenn da von dem lande kunst, Sobald du das Land verlassen hast,
5323 dîn herze ir vergizzet vergisst dein Herz sie,
5324 alsô daz ez niht mizzet sodass es so sinnlose Gedanken
5325 sô grundelôse sinne dar. an etwas nicht vermisst.
5326 swar ich in den landen var, Mich kümmert nicht, wohin in der Welt
5327 mir wirret niht; ich hân daz guot ich auch fahre; ich besitze genug,
5328 dâ mit mîn lîp und ouch mîn muot womit mein Leib und auch meine Gesinnung
5329 mügent wol nâ êren sehr gut nach Ehren streben können,
5330 swar sî lüstet kêren.‘ wo immer es ihnen beliebt.“
5331 Sus er sich selben trôste, So tröstete der sich selbst damit,
5332 daz in von sorgen lôste dass ihn die Reise und die Trennung von ihr
5333 diu vart und von ir scheiden. von Sorgen befreite.
5334 iedoch sach man im leiden Jedoch sah man
5335 fröuden rîche sinne. seine freudvollen Sinne leiden.
5336 im hât diu süeze minne Ihm hatte die süße Liebe
5337 sin und herz gezücket Verstand und Herz geraubt
5338 und alsô vast gedrücket und so sehr bedrückt,
5339 daz er in tiefen sorgen lac. dass er in tiefen Sorgen gefangen war.
5340 alle stunt er niht enphlac Ständig tat er nichts anderes
5341 wan siufzen unde trûren. als zu seufzen und zu trauern.
5342 des sach man sô vil mûren Davon sah man sich so viel
5343 in in sîns herzen sinne in den Sinnen seines Herzens aufbauen,
5344 daz in diu strenge minne dass ihn die harte Liebe
5345 versêrt an hôhem muote an freudiger Stimmung versehrte
5346 und im sîn herze bluote und ihm sein Herz
5347 von minneclîcher swære. wegen der Last der Liebe blutete.
5348 der minne marterære Der Märtyrer der Liebe
5349 moht ez niht langer trîben. ertrug es nicht länger.
5350 dâ von sîn belîben Daher nahm sein Aufenthalt
5351 nam in dem lande ein ende. in diesem Land ein Ende.
5352 der minnegernde ellende Der nach Liebe strebende Tapfere
5353 ûz von dem lant sich ruste. rüstete sich, das Land zu verlassen.
5354 er truog in sîner bruste Er fühlte in seiner Brust
5355 ein wahsendez twingen, eine wachsende Bedrängnis,
5356 daz im vor allen dingen die ihm vor allem anderen
5357 dur sînes herzen grunde sneit. durch den Grund seines Herzens schnitt.
5358 sus er von dem lande reit So ritt er ohne Abschied und
5359 ân urloup und ân alle sage. ohne ein Wort zu sagen aus dem Land.
5360 er hât sô jâmerlîche klage Beständig trauerte er
5361 nâ ir stæteclîche so jammervoll um sie,
5362 daz der sorgen rîche dass der mit Sorgen Beladene
5363 ahte kleine wie ez gienc wenig darauf achtete, wie es ihm erging
5364 oder waz er ane vienc. oder was er anfing.
5365 Nu fuor er von dannen, Nun brach er auf,
5366 daz wîben unde mannen sodass Frauen und Männern
5367 sîn vart was unkünde. seine Abreise unentdeckt blieb.
5368 ich wæn man iender fünde Ich glaube, man fände nirgendwo
5369 an senden sorgen sîn gelîch. einen, der ihm an sehnsuchtsvollen Sorgen gleich war.
5370 er fuor her ûz gên Frankenrîch Er reiste nach Frankreich
5371 und was dâ vil mangen tac, und blieb da viele Tage lang,
5372 daz sîn herze niemer phlac wobei sein Herz nichts als
5373 wan minneclîcher swære. Liebeskummer verspürte.
5374 war nu der ritter wære Wohin der Ritter nun gekommen
5375 komen, des wist niemen niht, oder warum er abgereist
5376 ald war umb er dannen phliht wäre, das wusste niemand
5377 het genomen, sunder ein außer allein
5378 diu minneclîche süeze rein, der lieblichen süßen Reinen,
5379 diu wist ez wol und sweic dâ zuo. die wusste es wohl und schwieg dazu.
5380 nu tet man âbent unde fruo Nun fragte man von früh bis spät
5381 dik nâ dem ritter frâge, oftmals nach dem Ritter,
5382 war sîner verte lâge wohin und in welche Länder
5383 der lande wær gekêret. sich sein Weg gewandt haben mochte.
5384 sîn was daz rîch gehêret Durch ihn war das Reich erhöht worden,
5385 die wîl er dâ ze hove gie. während er hier bei Hofe war.
5386 frecher ritter sô wart nie Niemals gab es zu Pferd oder
5387 ze ors und ouch ze fuoze. zu Fuß einen kühneren Ritter.
5388 er kund nâ êren gruoze Er wusste zu jeder Stunde
5389 werben zallen stunden, Ehre zu erwerben,
5390 wan daz in überwunden außer als ihn hier der Stachel
5391 hie het der minne angel. der Liebe besiegte.
5392 man hât sîn grôzen mangel Man spürte sein Fehlen
5393 in des rîches lande. hier im Land schmerzlich.
5394 sîn lîp vor aller schande Bis dahin war sein Leib
5395 was unz dar geschoenet. von aller Schande verschont geblieben.
5396 wan daz in hât verhoenet Außer als ihn hier
5397 hie verbunstes girde, die neidvolle Begierde verhöhnte,
5398 sô hât er ritters wirde, hielt er an ritterlicher Würde fest,
5399 guot gelt und swaz ein ritter sol Gut, Vermögen und was immer ein Ritter besitzen
5400 hân, daz hât er allez wol soll, das hatte er alles
5401 mit volleclîchem râte. zur Genüge.
5402 des landes künic hâte Der König des Landes hatte
5403 dur sîne werde frumekeit ihm aufgrund seiner Tüchtigkeit
5404 êren vil an in geleit durch verschiedene Handlungen
5405 mit manger leige tæte. schon viel Ehre erwiesen.
5406 frumekeit und stæte Tüchtigkeit und Beständigkeit
5407 sô jach man im beider. sprach man ihm beide zu.
5408 er truoc des künges kleider Er trug Kleider des Königs
5409 und was sîn obereste rât. und war sein oberster Rat.
5410 alsus man sîn vermisset hât Daher vermisste man ihn
5411 und wiste niemen wâ er was. und niemand wusste, wo er war.
5412 dez hofgesind beswârte daz, Das belastete die Angehörigen des Hofes,
5413 den künc und al daz rîche. den König und das ganze Reich.
5414 man hiez in flîzeclîche Man befahl, ihn überall
5415 suochen allen enden. eifrig zu suchen.
5416 man hiez boten senden Man befahl, Boten
5417 ûz in allen landen. in alle Länder auszusenden.
5418 swaz man suoht, man vanden Wie sehr man auch suchte, man fand
5419 niht: des wart der künc unfrô. ihn nicht: Darüber wurde der König traurig.
5420 alsus gestuont diz dinc alsô So verhielt sich die Sache
5421 volleclîch ein halbez jâr, ein ganzes halbes Jahr lang,
5422 daz sî kunden nie vür wâr dass sie wahrlich nichts
5423 von im hoeren noch vernên. von ihm hören oder erfahren konnten.
5424 man frâgte disen unde den Allenthalben, hier und dort
5425 allenthalben dort und hie, fragte man diesen und jenen
5426 unde kunden von im nie und konnte doch nie
5427 vernemen rehtiu mære, die Wahrheit über ihn erfahren,
5428 war er komen wære wohin er gekommen wäre
5429 ald wâ von er dannen schiet. oder warum er abgereist war.
5430 nu fuogte sich daz dar geriet Nun fügte es sich, dass ein fahrender Knappe
5431 ein gernder knappe, dâ er was, dorthin geriet, wo er [scil. der Ritter] war,
5432 gên Frankenrîche, und hôrte daz nach Frankreich, und hörte, dass
5433 ein frömder ritter læge dâ. sich ein fremder Ritter dort befände.
5434 er frâgte nâ im balde, wâ Er fragte sogleich nach ihm, wo
5435 der ellenthafte wære. der Wackere wäre.
5436 nu was der minnebære Nun war der Liebende
5437 in sinnen und in herzen kranc in Verstand und Herz krank
5438 von der sache diu in twanc von der Sache, die ihn bedrückte
5439 und diu im nâhe in herzen lac, und ihm auf dem Herzen lag,
5440 alsô daz sîn swære wac sodass seine Bedrückung schwerer
5441 für aller sorgen stiure, als alle Sorgen wog
5442 daz im fröude tiure und sich Freude allezeit
5443 was ze allen stunden. von ihm fern hielt.
5444 als in der knappe funden Als ihn der Knappe gefunden
5445 hatte, hoerent wie er sprach. hatte, hört, wie er da sprach:
5446 ,wol mich daz ich ie gesach „Wohl mir, dass ich diesen Tag
5447 disen tac, sît daz ich hân erlebe, da ich Euch gefunden
5448 funden iuch, sît daz iuch kan habe, weil niemand herausfinden
5449 niemen wizzen wâ ir sît. kann, wo Ihr seid.
5450 der hof ze Tenemarke lît Der Hof zu Dänemark befindet sich
5451 nâ iuch in grôzer swære. Euretwegen in großer Sorge.
5452 wist der sældenbære Wüsste der glückreiche
5453 Fontânâgrîs iuch vinden, Fontanagris, wo Ihr zu finden seid,
5454 mit sinen boten swinden würde er seinen geschwinden Boten
5455 hieze er iuch suochen hie.‘ befehlen, Euch hier zu suchen.“
5456 wie ez umb in dort ergie, Was seinetwegen dort alles geschah,
5457 daz maht der knappe allez kunt machte der Knappe ihm
5458 im vil gar unz ûf den grunt, in aller Ausführlichkeit bekannt
5459 und bat in wider kêren. und bat ihn zurückzukehren.
5460 ,nein‘, sprach er, ,der êren „Nein“, sprach er [scil. der Ritter], „das wäre
5461 wære leider mir ze vil. mir leider zu viel der Ehre.
5462 ich getar noch enwil Weder wage noch werde ich
5463 daz lant niht mêre biuwen.‘ jemals wieder das Land bewohnen.“
5464 ,sagt an in guoten triuwen, „Bei Eurer Treue, sagt,
5465 waz wirret iuch, waz meinet daz?‘ was stört Euch, was bedeutet das?“
5466 ,dâ treit mir toedemigen haz „Die junge Königin
5467 diu junge küneginne.‘ hasst mich da auf den Tod.“
5468 ,dar umb ir mich sult inne „Das müsst Ihr mir
5469 des bringen,‘ sprach der knappe dô. erklären“, sprach da der Knappe.
5470 ,nein‘, sprach er, ,ez lît alsô „Nein“, sprach er [scil. der Ritter], „es verhält sich so,
5471 daz ich die sache alleine weiz.‘ dass nur ich allein von der Sache weiß.“
5472 der knappe vesteclîch sich fleiz Der Knappe bemühte sich nach Kräften,
5473 ze ervarende daz mære, die Geschichte in Erfahrung zu bringen,
5474 waz disem ritter wære was mit diesem Ritter und
5475 und der schoen Irkânen. der schönen Yrkane wäre.
5476 doch muos er sich sîn ânen, Doch musste er darauf verzichten,
5477 wan ez wart im niht enbart. denn es wurde ihm nicht offenbart.
5478 er kêrte an die widervart Er machte sich auf den Heimweg
5479 gên Tenemarke in daz lant in das Land Dänemark
5480 und tet Fontânâgrîs erkant und berichtete Fontanagris,
5481 von des ritters funde. dass er den Ritter gefunden habe.
5482 er sprach ,ich enkunde Er sprach: „Ich vermochte
5483 in mit dekeinen dingen ihn mit nichts
5484 nie her wider bringen hierher zurückzubringen,
5485 mit bete noch mit flêhe. weder mit Bitten noch mit Flehen.
5486 er sprach, im wær gevêhe Er sagte, ihm wäre
5487 in herzen und in sinne im Herzen und im Verstand
5488 diu junge küneginne: die junge Königin Feind:
5489 dâ von sô was im swære. Davon war er bedrückt.
5490 wâ von daz aber wære, Woher das aber käme,
5491 daz wolt er mir niht enbarn. das wollte er mir nicht verraten.
5492 ouch moht ich ez nie ervarn Ich vermochte es auch
5493 an im mit keinem liste. mit keiner List aus ihm herauszubringen.
5494 ich weiz niht waz er wiste, Ich weiß nicht, was er hatte,
5495 wan ich gehôrte noch gesach aber weder hörte noch sah ich
5496 sô klegelîchez ungemach jemals so klägliches Ungemach
5497 nie von mannes munde. aus eines Mannes Mund.
5498 ûz sendes herzen grunde Aus der Tiefe seines sehnsüchtigen Herzens
5499 hôrt man in siufzen dicke. hörte man ihn oftmals seufzen.
5500 an sînem aneblicke An seinem Äußeren
5501 sô moht man ûzen schouwen, konnte man erkennen,
5502 daz sîn herz verhouwen dass sein Herz im Inneren
5503 was inwendic des lîbes. des Leibes verwundet war.
5504 ob diu schuld eins wîbes Ob das die Schuld einer Frau
5505 wære oder von mannen, oder eines Mannes wäre,
5506 daz weiz ich niht. von dannen das weiß ich nicht. Ich schied
5507 schiet ich und liez in trûric dâ.‘ von dannen und ließ ihn traurig dort.“
5508 Fontânâgrîs sprach ,sag an, wâ Fontanagris sprach: „Sag an, wo
5509 in dîn sælîc vinden liez? du das Glück hattest, ihn zu finden?
5510 die stat mir nenne, wie sî hiez, Nenn mir die Stadt, wie sie hieß,
5511 daz tuo mir kunt, wan ich wil dar.‘ das verrate mir, denn ich will dorthin.“
5512 ,werder herre, nein, ervar „Nein, werter Herr, frag
5513 ê umb die junge künegîn. vorher die junge Königin.
5514 mac dir diu sache werden schîn, Dir kann die Sache offenbar werden,
5515 wâ von im wart ir hulde wodurch er ihre Huld
5516 verseit ald von waz schulde verlor oder durch welche Schuld
5517 er hab diz lant gerûmet: er das Land verlassen hat:
5518 lîht hât er sich gesûmet Vielleicht war er bei der Erfüllung
5519 in irs gebotes willen. ihrer Anordnungen säumig.
5520 den zorn soltu stillen Den Zorn sollst du durch die Güte
5521 mit dîner gnâden güete. deiner Gnade besänftigen.
5522 hât er kein widermüete Hat er ohne seine Schuld
5523 an ir ân sîne schult geworht, irgendeine Widersetzlichkeit an ihr erwirkt,
5524 daz tuot in lîht alsô ervorht macht ihn das vielleicht so ängstlich,
5525 daz er diz lant niht bûwen tar.‘ dass er nicht mehr in diesem Land zu leben wagt.“
5526 alsus hiez er besenden dar Also ließ er [scil. Fontanagris] nach
5527 die kiuschen minneclîchen, der keuschen Lieblichen schicken,
5528 die zarten sælden rîchen, der zarten Glückreichen,
5529 die schoenen und die kluogen, der Schönen und der Klugen,
5530 die dâ zwên ritter truogen die da zwei Ritter
5531 in herzen und in sinnen, in ihrem Herzen und ihrem Verstand hielten,
5532 und was ir lustlîch minnen wobei ihr lustvolles Lieben
5533 biz daz in beiden doch verseit. bisher doch beiden versagt geblieben war.
5534 ob ir sin dem einen treit Wenn ihr Verstand dem einen Liebe und
5535 liep, dâ bî dem andern haz, zugleich dem anderen Hass entgegenbrachte,
5536 wie möhte sich gefüegen daz wie könnte das gehen, dass
5537 ir herze liep mit hazze truoc? ihr Herz sowohl Liebe als auch Hass beheimatete?
5538 minne solchen unfuoc Minne verursacht solchen Unfug
5539 noch dick in herzen stiftet. noch heute oft in Herzen.
5540 sô sî nu hie vergiftet, Wie sie nun hier Gift sprüht,
5541 sô balsamt sî nâ liebe dort. so heilt sie dort mit Liebe.
5542 minne ist ein gemeinez wort, Liebe ist ein allgemeines Wort,
5543 daz man mit lîhten fünden das man oft mit oberflächlicher Dichtung
5544 wænet dick durgrunden: zu ergründen glaubt:
5545 sô ist sîn ende gar ze tief. Doch liegt sein Grund gar zu tief.
5546 ir herze girdeclîche swief Ihr Herz schweifte begierig
5547 zuo im den helt von Brûneswîc, zu ihm, dem Helden von Braunschweig,
5548 sô daz diu phat und al der stîc, sodass die Wege und Steige
5549 sô in ir herze mohte stegen, die in ihr Herz führten,
5550 mit im wâren sô belegen, von ihm besetzt waren
5551 daz mit keiner trahte und niemand anderer
5552 niemen anders mahte mit irgendeiner Idee dorthin
5553 dar komen wan er eine. kommen konnte außer ihm alleine.
5554 dâ von truoc diu reine Deshalb hegte die Reine
5555 dem ritter toedemigen haz, gegen den Ritter tödlichen Hass,
5556 wan er sî wolt benoeten daz weil er sie durch seine begehrliche Bitte
5557 sî dur sîner bete gir dazu nötigen wollte,
5558 in het gesetzet ouch in ir ihn ebenfalls als Geliebten
5559 herze zuo âmîse. in ihr Herz zu lassen.
5560 geladen pherit lîse Ein beladenes Pferd kann
5561 mac werden überlestet. leicht zu sehr belastet werden.
5562 des wirt diu minne engestet Darum wird die Liebe der Ehren
5563 der êren swâ sî wil ze vil. beraubt, wo immer sie zu viel will.
5564 ein wîp ein man der minne spil Zum Liebesspiel gehören ein Mann
5565 belîbet wol, sîn ist genuoc. und eine Frau, das ist genug.
5566 swâ aber minne den unfuoc Wo aber die Liebe die Unanständigkeit
5567 begât daz sî sich mêret begeht, dass sie zu viel wird
5568 und iren prîs verkêret, und ihren Ruhm verkehrt,
5569 daz sî beginnet ungeraden, indem sie eine ungerade Zahl umfasst,
5570 dâ hât minne überladen da hat die Liebe sich
5571 sich mit der unfuoge. mit Unanständigkeit überladen.
5572 hie an gedâht diu kluoge So dachte hier die Kluge
5573 und muost dur sîn flêhen und musste den edlen Ritter
5574 den werden ritter vêhen der doch seiner Gesinnung nach ein Held war,
5575 der doch ein helt was muotes. aufgrund seines Flehens ablehnen.
5576 swaz er getet ie guotes, Was immer er jemals an Gutem getan hatte,
5577 daz ahtet sî doch kleine. das beachtete sie doch überhaupt nicht.
5578 diu minneclîche reine Die liebliche Reine
5579 wolt im kein fröude füegen. wollte ihm keine Freude machen.
5580 ir herze wolt benüegen Ihr Herz wollte sich mit dem
5581 an dem den sî ze friunt erkôs, begnügen, den sie sich zum Freund erkoren hatte,
5582 den sî von êrst mit ougen slôz den sie vom ersten Augenblick an
5583 in irs herzen sinne. in die Sinne ihres Herzens geschlossen hatte.
5584 nu was diu küneginne Nun war die Königin dorthin
5585 komen dâ der künec was. gekommen, wo der König war.
5586 zuo im diu hôchgeborniu saz Die Hochwohlgeborene setzte sich zu ihm
5587 und frâgte in der mære, und fragte ihn danach,
5588 war umbe sî dar wære warum sie hierher beordert worden
5589 besendet. dô daz êrst beschach, wäre. Nachdem das geschehen war,
5590 Fontânâgrîs der milte sprach: sprach der freigebige Fontanagris:
5591 ,Tohter, daz tuon ich dir kunt. „Tochter, ich sage dir Folgendes:
5592 wir hân etwie lange stunt Wir vermissen hier schon
5593 gemangelt eines ritters hie, ziemlich lange Zeit einen Ritter,
5594 des lîp von kindes beinen ie der von Kindesbeinen an
5595 hât gedient mit frîger tât. hier mit freimütiger Tat gedient hat.
5596 sîn herze vil begangen hât Sein Herz hat viele
5597 lobelîcher tæte. löbliche Taten begangen.
5598 manhaft triuwe stæte Bei großer Freigebigkeit beweist er
5599 ist er bî grôzer milte. zugleich beständig männliche Treue.
5600 nie ritter under schilte Niemals saß ein Ritter so ritterlich
5601 sô ritterlîche saz als er. unter dem Schild wie er.
5602 im stuont sîn swert und ouch sîn sper Seine Hand führte Schwert
5603 sô weidenlîch in handen und Lanze so tüchtig,
5604 daz alle die in kanden dass ihm alle, die ihn kannten
5605 und in ûf ors ie sâhen und ihn jemals zu Pferd sahen,
5606 hôher wirde jâhen: große Würde zusprechen.
5607 den hân wir wunderlîch verlorn. Den haben wir auf merkwürdige Weise verloren.
5608 nu dunket mich, in hab dîn zorn Nun kommt mir vor, dein Zorn habe ihn
5609 vertriben ûz dem rîche. aus dem Reich vertrieben.
5610 tohter minneclîche, Liebe Tochter,
5611 wâ von ist daz? tuo mir schîn. woher kommt das? Erklär es mir.
5612 ich lob dir bî der triuwe mîn Ich verspreche dir bei meiner Treue
5613 ûf mîner êren selde, und dem Glück meiner Ehre,
5614 daz ich dich niemer melde dass ich dich niemals
5615 dar an mit keiner sache. irgendeiner Sache anklage.
5616 wilt du daz ich sî mache Willst du, dass ich sie
5617 bezzer, des bin ich bereit. löse, bin ich dazu bereit.
5618 wiltu, im sol widerseit Wenn du willst, wird ihm von mir
5619 von mir wesen als von dir, ebenso wie von dir die Treue aufgekündigt,
5620 ob du rehte kündest mir wenn du mir die Sache
5621 die sache sunder lougen. ohne zu lügen plausibel erklärst.
5622 ich sihe an dînen ougen Ich sehe an deinen Augen,
5623 daz du minneclîche magt dass du, liebes Fräulein,
5624 uns den ritter hâst verjagt: uns den Ritter verjagt hast:
5625 dâ von sag mir die schulde, Darum verrate mir das Vergehen,
5626 wâ mit er dîne hulde womit er deine Gunst
5627 hab sô wunderlîch verlorn. auf so merkwürdige Art verloren hat.
5628 gedenke waz ich hân gesworn: Bedenke, was ich geschworen habe:
5629 daz wil ich niemer brechen. Das werde ich niemals brechen.
5630 an im wil ich dich rechen, Ich werde dich an ihm rächen,
5631 ob er sô hôhe schulde hât. wenn er so große Schuld hat.
5632 ist aber daz ez alsô stât Verhält es sich bezüglich
5633 in zornes gelimphe, der Angemessenheit des Zornes jedoch so,
5634 daz er sich mit schimphe dass er sich dir gegenüber
5635 gên dir hât missehüetet, im Scherz schlecht benommen hat,
5636 wirt daz von mir gegüetet, wird das von mir geschlichtet,
5637 des solt du versprechen niht. dagegen sollst du nichts sagen.
5638 ez ist beschehen und beschiht Es geschah und geschieht
5639 noch ze manger stunde, bisweilen noch heute,
5640 daz einen man von grunde dass einen Mann danach
5641 dar nâch des herzeriuwet. von Grund auf das Herz reut.
5642 mîn sin des wol getriuwet, Mein Verstand vertraut fest darauf,
5643 du lâzest in ze hulden komen, dass du ihm Erbarmen erweist,
5644 wan ich von im nie vernomen weil ich von ihm niemals irgendeine
5645 hân keiner slaht unmâze. Anmaßung vernommen habe.
5646 iedoch die bete ich lâze Jedoch unterlasse ich diese Bitte,
5647 biz ich vernim den willen dîn. bis ich deinen Willen erfahren habe.
5648 sîn schult mac sô grôziu sîn Seine Schuld kann so groß sein,
5649 daz er für dis selbe stunt dass er ab sofort
5650 gên mir ze hulden niemer kunt.‘ von mir kein Erbarmen mehr zu erwarten hat.“
5651 Von disen worten und alsô Von diesen Worten und auf diese Weise
5652 wart diu minneclîche dô errötete die Liebliche da
5653 sam ein liehter rôs enbrant. wie eine leuchtende Rose.
5654 ,ei‘, gedâhte sî zehant, „Ei“, dachte sie sogleich,
5655 ,waz mær ist diz? waz sol ich tuon? „was ist das für eine Geschichte? Was soll ich tun?
5656 sol ich reden nâch der suon Soll ich versöhnlich sprechen
5657 ald sol ich künden al die tât oder soll ich die Tat verkünden,
5658 die mir zuo gemuotet hât die mir sein Mund auf der Jagd
5659 sîn munt ûf minne werben? nach Liebe angedichtet hat?
5660 wil ich, er muoz verderben; Wenn ich will, ist er verloren;
5661 wil ich, sô kunt er wider har.‘ wenn ich will, kommt er wieder hierher.“
5662 alsus fuor sî har und dar So war sie in Gedanken
5663 mit den gedenken sus und sô, hin und her gerissen,
5664 und gedâhte aber dô, dachte dann aber,
5665 ob er sîn werben lieze, wenn er sein Werben unterließe,
5666 der in har wider hieze stünde es ihr besser an,
5667 komen, daz gezæme baz ihn wieder hierher zu befehlen,
5668 denne daz er iren haz als dass er ihren Hass
5669 hette offenlîche. öffentlich erführe.
5670 sî dâht ,dur al daz rîche Sie dachte: „Durch das ganze Reich
5671 sô wirt schier diz mære kunt. wird diese Geschichte schnell bekannt
5672 belîbet er dekeine stunt, bliebe er noch länger,
5673 ich solt ez lâzen süenen. würde ich es ihn sühnen lassen.
5674 daz werben ist den küenen Vielleicht reut den Kühnen
5675 vil lîhte ouch geriuwen. sein Werben ja auch.
5676 möht ich im getriuwen, Ich könnte ihm vertrauen
5677 ich hieze nâch im senden, und nach ihm schicken lassen,
5678 wolt er sîn bete wenden wenn er seine Werbung ab sofort
5679 für dise stunt niht mê zuo mir.‘ nicht mehr an mich richten wollte.“
5680 alsus gedâhte sî in ir Solcherart überlegte sie in ihrem
5681 herzen mange stunde, Herzen manche Stunde,
5682 nu hin, nu har, und kunde einmal so, einmal so, und konnte
5683 daz wægest niht ertrahten. das Vorteilhafteste nicht finden.
5684 gedenke zwîvel mahten Gedankliche Zweifel machten
5685 ir wankel in dem muote. sie wankelmütig.
5686 ze jungest kan diu guote Schließlich gelangte die Gute
5687 dar an mit vollem sinne, zu der Überzeugung,
5688 daz sî ir vater inne dass sie ihren Vater nicht
5689 niht wolt der mære bringen, in die Geschichte einweihen wollte,
5690 und tet daz ûf den gingen und tat das in der Hoffnung,
5691 daz sî gedâhte wider sich: dass sie bei sich dachte:
5692 ,der ritter lîht erlâzet mich „Der Ritter unterlässt es vielleicht, mich
5693 fürwenden solichiu mære‘, für solche Geschichten zur Verantwortung zu ziehen“,
5694 und daz ir bezzer wære und dass es besser für sie wäre,
5695 daz ez niht würd dem vater schîn. dem Vater würden sie nicht bekannt.
5696 sî sprach ,liebez veterlîn, Sie sprach: „Liebes Väterlein,
5697 ich weiz und hân befunden wol, ich weiß und habe für gut befunden:
5698 swaz kint an vater suochen sol, Was immer ein Kind vom Vater erfragt,
5699 des mag ich wol getriuwen dir. darin kann ich dir getrost vertrauen.
5700 umb die sache sô du mir Bezüglich der Sache, in der du zu mir
5701 hâst zuo geret, sô wizzest daz: gesprochen hast, wisse Folgendes:
5702 ich trag niht unverschulten haz Ich hege keinen unbegründeten Hass
5703 dem ritter des wir mangel hân. gegen den Ritter, den wir vermissen.
5704 doch wil ich die schulde lân Doch will ich ihm um deinetwillen
5705 dur dich, swie grôz sî gên mir sî. die Schuld erlassen, wie groß auch immer sie mir gegenüber sei.
5706 sî er verre ald nâhe bî, Egal, ob er fern oder nah ist,
5707 heiz in ze hove wider varn. heiße ihn wieder an den Hof kommen.
5708 des zornes sache schôn bewarn Er soll sich in der strittigen Sache
5709 sol er, daz sî iht mê geschehe. zusammenreißen, damit sie nicht mehr geschehe.
5710 daz ich der sache dir vergehe, Dir die Sache zu erzählen,
5711 daz wil ich nu ze mâle lân. werde ich vorerst einmal unterlassen.
5712 dur got, swaz er mir hât getân, Bei Gott, was immer er mir getan hat,
5713 daz weiz er wol, ich weiz ez ouch. weiß er sehr gut und ich weiß es auch.
5714 gên im sol mîns zornes rouch Ihm gegenüber soll der Rauch meines Zorns
5715 ergangen sîn mit triuwen. in Treue ein Ende finden.
5716 wil er die sach niht niuwen, Wenn er die Sache nicht aufwärmt,
5717 dâ mit er mich beswæret hât, mit der er mich belastet hat,
5718 mîn sin mîn herze gên im lât erlassen ihm mein Verstand und mein Herz
5719 den wol verdienten grôzen haz. den wohlverdienten großen Hass.
5720 enbiut im sicherlîchen daz. Richte ihm das gewissenhaft aus.
5721 tuot er des niht, sô sî dâ hin Tut er das nicht, so ist die Vergebung
5722 diu suon, und wizze daz ich in dahin, und wisse, dass ich ihm
5723 begnâde niemer mêre. nie mehr Gnade erweise.
5724 und schônte ich mîner êre Ich schonte meine Ehre
5725 niht und liez ez ouch dur dich, nicht und unterließe es auch um deinetwillen nicht,
5726 veterlîn, er müese sich Väterlein, und er müsste sich
5727 des landes ânen iemer mê. für immer von dem Land fernhalten.
5728 den haz, den zorn, swie der stê, Den Hass, den Zorn, wie groß er auch ist,
5729 den wil ich lâzen dur dich varn. den will ich deinetwegen aufgeben.
5730 heiz in hie nâch sich baz bewarn.‘ Befiel ihm, sich hernach besser zu benehmen.“
5731 Der künic antwurt ir alsô Der König antwortete ihr folgendermaßen:
5732 ,töhterlîn, des bin ich frô, „Töchterlein, ich bin froh darüber,
5733 daz du dich alsô wol enstâst dass du so einsichtig bist
5734 und dur mich daz zürnen lâst und meinetwegen den Zorn sein lässt,
5735 daz dir sô in herzen lît. der dir so sehr im Herzen brennt.
5736 wizzest, swenne er übergît Wisse, wann immer er jemals wieder
5737 dînen willen iemer mê, deinen Willen missachtet,
5738 wie ez im dâr nâch ergê, ist es mir egal,
5739 daz sol ich ahten kleine. wie es ihm hernach ergeht.
5740 kiuschiu tohter reine, Keusche reine Tochter,
5741 ich wil nâ im senden. ich werde nach ihm schicken.
5742 diu buoz in dînen henden Die Sühne wird gnädig
5743 muoz genædeclîchen stân in deinen Händen liegen
5744 umb allez daz er hât getân für alles das, was er getan hat
5745 und ie wider dich getet.‘ und jemals gegen dich unternahm.“
5746 einen boten an der stet Sogleich sandte man
5747 sante man gên Frankenrîch, einen Boten gen Frankreich,
5748 dâ der ritter jâmers rîch wo der leidgeplagte Ritter
5749 lag in kranker wîse. krank danieder lag.
5750 man vant in ze Parîse Man fand ihn in Paris,
5751 und hât verjâmert sich alsô und er hatte sich so sehr dem Kummer ergeben,
5752 daz in nie kein mensche frô dass ihn kein Mensch jemals froh
5753 noch froelîch erlachen sach. oder fröhlich auflachen sah.
5754 sîn jâmerlîchez ungemach Sein jämmerliches Ungemach
5755 hât in brâht von kreften. hatte ihn aller Kräfte beraubt.
5756 sorge kund im heften Sorge wusste sein Herz
5757 leit sô zuo dem herzen, so mit Leid zu erfüllen,
5758 daz er von dem smerzen dass er vor Schmerz
5759 mohte sîn verswunden. hätte sterben können.
5760 sîn vil strengen wunden Seine schrecklichen Wunden
5761 wuohsen tegelîche. wuchsen tagtäglich.
5762 er leit sô bitterlîche Er litt so bitterliche
5763 nôt mit sender grimme Not mit sehnender Wut,
5764 daz er mit lûter stimme dass er mit lauter Stimme
5765 schrei und offenlîche sprach schrie und in der Öffentlichkeit sagte:
5766 ,owê, sol diz ungemach „O weh, wenn dieses Leid
5767 an mir niht erwinden, nicht von mir ablässt,
5768 alsô daz ich vinden sodass ich in meiner Bedrückung
5769 trôst müge mîner swære, Trost finden möge,
5770 sô wolt ich daz ich wære so wünschte ich, ich wäre
5771 tôt vor langer stunde. schon lange tot.
5772 rîcher got, wan kunde Allmächtiger Gott, könnte ich
5773 ich von der nôt entrinnen doch meinem Leid entkommen
5774 ald möht ich gewinnen oder Trost
5775 trôst ze mînen noeten! in meinen Nöten bekommen!
5776 nein, mich lîez ê toeten Nein, die gar Liebliche
5777 diu vil minneclîche.‘ ließe mich eher töten.“
5778 nu was genendeclîche Nun war der Bote entschlossen
5779 der bote komen dâ er was dorthin gekommen, wo er [scil. der Ritter] war
5780 und in grôzem jâmer saz und in großem Kummer ganz
5781 versunken gar in sorgen tief. in Sorgen versunken dasaß.
5782 er bôt im dô des künges brief Er reichte ihm da den Brief des Königs
5783 versigelt und verslozzen. versiegelt und verschlossen.
5784 der bote unverdrozzen Unverdrossen überbrachte ihm
5785 seit im guotiu mære, der Bote die gute Nachricht,
5786 wie er gesendet wære wie er ohne falsche Absicht
5787 nâ im sunder valschen wân. zu ihm gesandt worden war.
5788 er sprach ,wer hât daz getân?‘ Er [scil. der Ritter] sprach: „Wer hat das veranlasst?“
5789 ,der künic und diu schoeniu magt.‘ „Der König und das schöne Fräulein.“
5790 ,seht daz ir die rihte sagt‘, „Seht zu, dass Ihr die Wahrheit sagt“,
5791 sprach der jâmers rîche. sprach der Leidvolle.
5792 ,jô hiez diu minneclîche „Tatsächlich befahl das Fräulein
5793 selbe nâ iuch senden. selbst, nach Euch zu schicken.
5794 ir hânt doch in den henden Ihr haltet doch in Händen
5795 den brief der mich hât har getriben. den Brief, der mich hierher gebracht hat.
5796 dar an vindent ir geschriben Darin geschrieben findet Ihr
5797 endehaftiu mære.‘ die ganze Geschichte.“
5798 waz aber dar an wære Was dort aber geschrieben
5799 geschriben dort, daz hoerent hie. war, das hört hier.
5800 er las den brief, ich sag iuch wie Er las den Brief; ich sage euch, was
5801 er dar an geschriben vant. er darin geschrieben fand.
5802 dô er in brach, er las zehant: Als er ihn erbrach, las er sogleich:
5803 ,Fontânâgrîs, ein künic rîch „Fontanagris, von Gottes
5804 ze Tenemark gewolteclîch Lehen und Gunst ein mächtiger
5805 von gotes lêhen unde gunst, und gewaltiger König in Dänemark,
5806 enbiut genædeclîch vernunst entbietet gnädig Aufmerksamkeit
5807 dem der mînes râtes wielt, demjenigen, der meinen Rat annahm,
5808 mîn ritter der sîn herze ie hielt meinem Ritter, der sein Herz seit jeher stets
5809 stæt in friuntlîcher kraft in freundschaftlicher Kraft
5810 vest an aller ritterschaft, fest an alle Ritterschaft hielt,
5811 vil friuntlîches vernunstes viel freundschaftliche Aufmerksamkeit
5812 und küneclîches gunstes, und königliche Gunst,
5813 ob er behaltet mîniu wort. wenn er meine Worte beachtet.
5814 ritter wert, ich hân gehôrt Werter Ritter, ich habe
5815 von der wol getânen von der Wohlgestalten,
5816 der schoenen Irkânen, der schönen Yrkane,
5817 der minneclîchen reinen, der lieblichen Reinen,
5818 der zarten wandels einen, der schönen Makellosen
5819 mînem lieben töhterlîn, meinem lieben Töchterlein, gehört,
5820 daz ir habent die hulde sîn dass Ihr ihre Huld mit großer Schuld
5821 mit grôzen schulden sêr verworht, schlimm verwirkt habt,
5822 und daz ir umb der sache vorht und dass Ihr daher aus Angst
5823 mîn lant habent gerûmet wegen dieser Sache mein Land
5824 dâ von, wan ir gesûmet verlassen habt, weil Ihr verabsäumt habt,
5825 iuch hânt in irem willen. ihrem Willen nachzukommen.
5826 den zorn wil sî stillen Meinetwegen wird sie ihren Zorn
5827 dur mich und hât in lân gevarn besänftigen und hat schon von ihm abgelassen,
5828 alsô daz ir iuch baz bewarn sodass Ihr Euch in dieser Sache
5829 sollent an der sache, besser betragen sollt,
5830 daz iuwer sin iht mache damit Euer Verstand nicht weiter
5831 dâ mit fürbaz unmuotic ihren Unmut errege.
5832 sî, dâ von sint fruotic Darum fasst Euch ein Herz
5833 und kêrent har ze lande wider. und kehrt hierher in das Land zurück.
5834 mîn hof gemeine muos ie sider Mein ganzer Hof muss seither
5835 iuwer grôzen mangel hân. unter Eurer Abwesenheit leiden.
5836 wie diu schulde sî getân, Wie Ihr Schuld auf Euch geladen habt,
5837 des wolt mîn kint mir nie enbarn. wollte mein Kind mir nicht verraten.
5838 iedoch sî hât lâzen varn Jedoch hat sie geduldig davon
5839 ez lideclîch, swie im joch was, abgesehen, was auch immer es war,
5840 alsô daz ir hüetent baz auf dass Ihr Euch besser
5841 iuch vor der missetæte. vor schändlichem Tun hütet.
5842 und daz diz sîge stæte, Und damit dieses weiter abnähme,
5843 sô ist iuch dirre brief gesant ist Euch dieser Brief
5844 von Tenemark in Frankenlant versiegelt und verschlossen
5845 versigelt und verslozzen. von Dänemark nach Frankreich gesandt.
5846 komt wider unverdrozzen.‘ Kommt unbekümmert zurück.“
5847 Dô er disen brief gelas, Als er den Brief gelesen hatte,
5848 verstummet und verdâht er saz, saß er stumm und in Gedanken versunken,
5849 als ob er hette niender sin. als wäre er nicht bei Verstand.
5850 die gedenke fuorten in Die Gedanken rissen ihn
5851 sus und sô, nu hin, nu wider. hin und her, mal hierhin, mal dorthin.
5852 alliu sînes lîbes lider Augenblicklich erstarrten
5853 an der stunt erstapten. alle Glieder seines Leibes.
5854 iedoch sô gehapten Jedoch regten sich
5855 sich sine sinne desto baz. seine Sinne umso besser.
5856 in sînem herzen dâht er ,waz In seinem Herzen dachte er: „Was
5857 mac diz dinc betiuten, kann das bedeuten,
5858 sît sî vor allen liuten dass sie die Sache noch
5859 hât die sache noch verspart? vor allen Leuten verschwiegen hat?
5860 waz meinet diu vil süeziu zart Was meint die gar zarte Süße
5861 dâ mit, daz sî ez süenen lât? damit, dass sie Vergebung gewährt?
5862 ob sî trôst an mir begât? Ob sie mir Trost spendet?
5863 nein, ir wille stât niht sô. Nein, ihr Wille steht nicht so.
5864 ich muoz leider sus unfrô Ich werde leider für immer
5865 iemer mê belîben, so traurig bleiben,
5866 ê daz sî vertrîben bevor sie meine Bedrückung
5867 welle mîne swære. vertreiben wollte.
5868 wist ich waz bezzer wære, Wüsste ich doch, was besser wäre:
5869 ze lande kêren oder niht! in das Land zurückzukehren oder nicht!
5870 ,jâ‘ mir seit mîn zuoversiht, Meine Hoffnung sagt mir »ja «,
5871 ich solte dar, der zwîvel ,nein‘, ich sollte dorthin, der Zweifel » nein«,
5872 diu vil minneclîche rein die so reine Liebliche
5873 lât mich ze hulden niemer komen. wird mich niemals erhören.
5874 sît aber niemen hât vernomen Da aber niemand meine Schuld
5875 mîn schult und ires hazzes zil, und den Grund ihres Hasses vernommen hat,
5876 sô wæn ich mir sî wæger vil so glaube ich, es ist ihr lieber,
5877 daz ich wider kêre dass ich zurückkehre,
5878 denne ich iemer mêre als dass ich mich für immer
5879 alsus nâ ir verderbe nach ihr verzehre
5880 und lebendic ersterbe und lebendig sterbe
5881 gar ân alles trôstes phliht. ganz ohne allen Trost.
5882 dort wirt mir doch diu angesiht, Dort sehe ich wenigstens sie,
5883 hie niht wan jâmer unde wê. hier nichts als Leid und Schmerz.
5884 mîn herze gert doch anders mê Mein Herz begehrt doch nichts anderes
5885 niht von der juncfrouwen, mehr von dem Fräulein,
5886 wan daz mîn ougen schouwen als dass meine Augen
5887 solten die vil hêren. die so Hehre sehen.
5888 ich wil wider kêren In der hohen Hoffnung
5889 ûf die hôhe zuoversiht.‘ will ich zurückkehren.“
5890 langer sûnde er sich niht Er zögerte nicht länger
5891 und kêrte hein ze lande, und kehrte heim in das Land,
5892 des lîp sich ie vor schande er, dessen Leib sich bis zu der Tat
5893 hât biz an die tât behuot. immer vor Schande gehütet hatte.
5894 Fontânâgrîs der hôhgemuot Fontanagris, der Hochgemute,
5895 und daz gesinde enphiengen und die Angehörigen des Hofes empfingen
5896 den ritter schôn, ez giengen den Ritter angemessen, es gingen
5897 gên im vil der hovediet. ihm viele von der Hofgesellschaft entgegen.
5898 umb sîne sache niemen niet Über seinen Fall wusste niemand
5899 wist als umb ein kleinez hâr. auch nur das Geringste.
5900 mir seit diu âventiur für wâr, Mir sagt die Aventiure fürwahr,
5901 in hât der künec liep als vor. dass der König ihn liebte wie zuvor.
5902 er wart gesetzet ûf den spor Er wurde wieder auf den Weg gesetzt,
5903 dâ sîn fuoz mit gewalt ê trat. den sein Fuß ehedem kraftvoll beschritten hatte.
5904 ob in vor hât gelückes rat Hatte ihn davor das Glück
5905 an keiner tât geletzet, bei keiner Tat verlassen,
5906 des wart er ergetzet wurde ihm dies nun
5907 tûsentvalteclîche. tausendfach vergolten.
5908 er wart vor in dem rîche Er hatte zuvor im Reich
5909 nie sô wert als er nu was. nicht so viel gegolten wie jetzt.
5910 an des künges rât er saz Er saß beim Rat des Königs
5911 und truoc sîn kleider reht als ê. und trug dessen Kleider genauso wie zuvor.
5912 wan daz im daz twingen wê Außer dass ihn das Drücken
5913 tet in sînem sinne der harten Liebe
5914 von der strengen minne, in seinem Verstand schmerzte,
5915 sô brast im aller fröuden niht. gebrach es ihm an keiner Freude.
5916 doch schûht er die angesiht Dennoch scheute er den Anblick
5917 der minnenclîchen frouwen, der geliebten Dame,
5918 und swenn er muose schouwen und wenn er sie anschauen
5919 sî, sô bliht er iemer dar musste, so blickte er immer
5920 alsam ein giric adelar, wie ein gieriger Adler dorthin,
5921 dâ er siht sîne weide. wo er sein Futter sieht.
5922 mit liebe noch mit leide Niemals wurde ein Herz
5923 wart herze nie erfüllet baz. besser mit Liebe und Leid erfüllt.
5924 ze aller zît er trûric was Immerzu war er traurig
5925 und hatte jâmerlîche pfliht. und hatte Kummer.
5926 sô gap im ir angesiht So bereitete ihr Anblick
5927 sô überbündic wunne ihm so ausgesuchte Freude,
5928 daz nie kein fiuhtic brunne dass keine sprudelnde Quelle
5929 erfrischet acker noch die sât, den Acker oder die Saat,
5930 daz der wint gederret hât, die der Wind ausgedörrt hat,
5931 sô vast als sî sîns herzen sin. so schnell erfrischen könnte wie sie den Verstand seines Herzens
5932 swenn ir blicken schôz ûf in Wann immer ihre Blicke
5933 mit schüzzen ân geværde, ungefährliche Schüsse auf ihn abgaben,
5934 in dûht an ir gebærde erschien ihm ihre Gebärde
5935 sô minnenclîchen reine, so lieblich rein,
5936 sô zart, sô wandels eine, so zart, so makellos,
5937 sô kiusche lieplîch und sô fîn so lieblich keusch und so fein,
5938 daz er sî tougenlîchen in dass er sie heimlich in
5939 den grunt sîns vesten herzen slôz, die Tiefe seines festen Herzens schloss,
5940 und wart sîn leit dâ von sô grôz und davon wurde sein Leid so groß,
5941 daz man in aber trûric sach dass man ihn wieder traurig sah
5942 und lîden sendez ungemach. und schmerzliche Sehnsucht leiden.
5943 Diz werte an im lange zît, Dies währte an ihm lange Zeit,
5944 daz sîn herze mangen strît dass sein Herz manchen Streit
5945 hatte mit dem sinne, mit dem Verstand ausfocht,
5946 wie er sî bræhte inne wie er sie abermals mit seiner Bedrückung
5947 aber sîner swære. konfrontieren könnte.
5948 er hât sô senebære Er litt so sehnsuchtsvolle
5949 und alsô jâmerlîche nôt und auch so jämmerliche Not,
5950 daz im ein gemeiner tôt dass ihm ein gewöhnlicher Tod
5951 wæger wære vil gewesen. und so jämmerliche Not,
5952 er moht ân sî niht genesen viel lieber gewesen wäre.
5953 und muose bî ir sterben. Er konnte ohne sie nicht leben
5954 daz bitterlîche werben und glaubte, ihretwegen sterben zu müssen.
5955 tet im sô wunderliche wê Das bitterliche Ringen um sie
5956 daz er tet nu reht als ê tat ihm so seltsam weh,
5957 und kunt ir aber sînen pîn. dass er nun genauso wie zuvor handelte
5958 dâ von wart diu künegîn und ihr sein Leid abermals klagte.
5959 sô zornic und sô bitter Davon wurde die Königin
5960 daz sî dem kranken ritter so zornig und so erbittert,
5961 vîgentlîchez hazzen lêch dass sie dem liebeskranken Ritter
5962 und ir huld im gar verzêch tödlichen Hass entgegenbrachte
5963 mit zorneclîchem muote. und ihm ihre Huld
5964 Fontânâgrîs der guote mit zornigem Gemüt ganz entzog.
5965 nam aber hie des krieges war Der gute Fontanagris
5966 und versliht sî beide gar bemerkte den Streit hier abermals
5967 in friuntlîcher wîse. und versöhnte die beiden gar
5968 der einvaltige grîse in freundschaftlicher Weise.
5969 wist ir deweders meine. Der gutgläubige Alte
5970 er nam sîn tohter eine kannte ihre beiden Standpunkte nicht.
5971 und bat die aber nu, und ouch Er nahm seine Tochter beiseite
5972 sô nam er dâ gên den gouch und beschwor sie nun abermals, und genauso
5973 har und wolt in strâfen. nahm er dagegen auch den Buhler
5974 er sprach ,iemer wâfen, her und wollte ihn strafen.
5975 waz mac dirre sache sîn, Er sprach: „Immer aufgepasst,
5976 dâ mit du mîn töhterlîn was kann das sein,
5977 alsô dik verliurest? womit du dir mein Töchterlein
5978 mit unwitzen stiurest so oft feind machst?
5979 du dich sicherlîchen.‘ Du lässt dich bestimmt
5980 er sprach trûreclîchen von Unvernunft leiten.“
5981 ,herre, ez beschiht niht mê.‘ Er [scil. der Ritter] sprach traurig:
5982 sô tet im aber denn sîn wê „Herr, es kommt nicht wieder vor.“
5983 sô rehte bitterlîchen nôt, Doch fügte ihm sein Schmerz dann abermals
5984 solt er tûsentstunt den tôt so gar bitterliches Leid zu, dass er, sollte er wegen der Bitte auch
5985 von der bete lîden, tausendmal den Tod erleiden,
5986 sô wolt er ir niht mîden, er sie doch nicht unterlassen wollte
5987 und bat und bat ouch iemer dar, und bat und immer wieder bat,
5988 biz diu minnenclîche gar bis die Angebetete ihn
5989 in aber von dem lande stiez abermals des Landes verwies
5990 und in dannen strîchen hiez. und ihm befahl, sich davon zu machen.
5991 Diz muoste sîn, wan ez beschach. Das musste sein, da es geschah.
5992 dô sîn der künic nimmê sach, Als der König ihn nicht mehr sah,
5993 er frâgte war er wære komen. fragte er, wo er hingekommen wäre.
5994 schiere aber wart vernomen, Bald aber wurde vernommen,
5995 er wær in Engellanden, er wäre in England,
5996 wan die in wol erkanden denn die ihn gut kannten,
5997 hatten in ouch dâ gesehen. hatten ihn dort auch gesehen.
5998 waz im ze Tenemark geschehen Was ihm in Dänemark widerfahren
5999 wære, daz was in unkunt. wäre, wussten sie nicht.
6000 man sach in trûren alle stunt Man sah ihn allzeit traurig
6001 und sorgen jâmerlîchen. und sich jämmerlich grämen.
6002 er lepte kumberlîchen Er lebte kummervoll
6003 in der stat ze Lunders. in der Stadt London.
6004 ,des wunderlîchen wunders!‘ „Wie überaus seltsam!“
6005 sprach der künc, ,waz mac daz sîn, sprach der König, „was kann das sein,
6006 daz er und mîn töhterlîn weshalb er und mein Töchterlein
6007 sô gar ein ander vêhent. einander so sehr bekriegen?
6008 mîn sin mîn herze flêhent Meine Vernunft und mein Herz flehen
6009 sî beide und vervâhet niht, sie beide an und bewirken nicht,
6010 daz sî zornlîche pfliht dass sie ihren Zorn
6011 dur mich wellent lâzen. meinetwegen sein ließen.
6012 daz mîn kint sichs mâzen Dass mein Kind sich um meinetwillen
6013 niht dur mich gên dem ritter wil, gegenüber dem Ritter nicht mäßigen will,
6014 zwâr des dunket mich ze vil das kommt mir fürwahr zu heftig vor
6015 und ist ouch ein unfuoge. und ist auch unanständig.
6016 vil lîht aber diu kluoge Vielleicht klagt die Kluge
6017 hât an in die ansprâche, ihn abermals einer Sache an,
6018 von der sî zornes râche aufgrund der sie ihm durch seine Schuld
6019 ûf in treit von schulden. zornige Rache schwört.
6020 swenn ich in zuo ir hulden Wann immer ich ihm
6021 mit grôzen noeten bringe, mit großer Mühe ihre Huld erwirke,
6022 daz wiget er gar ringe ist ihm das nicht viel wert
6023 und verwürket sî zehant. und er verwirkt sie sofort.
6024 wær diu sache mir bekant Wäre mir die Sache bekannt,
6025 von der diu unfuog ûfe stât, aus der die Unanständigkeit erwächst,
6026 mîn sinn lîht etelîchen rât fände oder erdächte mein Verstand
6027 ald funt dar zuo erdæhten, vielleicht einigen Rat,
6028 dâ mit sîs beide bræhten wodurch die beiden
6029 von der grôzen vîentschaft. von ihrer großen Feindschaft abließen.
6030 daz min tohter tugenthaft Dass meine tugendhafte Tochter
6031 im versag ir hulde ihm grundlos ihre Huld
6032 und vêhe âne schulde, versagt und ihn hasst,
6033 des kan ich gelouben niht. kann ich nicht glauben.
6034 bînamen, swaz dâ von geschiht Wahrlich, was immer deswegen geschieht
6035 ald swie ez sol dâ von gevarn, oder wie immer es deswegen weitergeht,
6036 sî muoz die sache mir enbarn, sie muss mir die Sache aufdecken,
6037 wie sî lig ald waz ez sî.‘ wie sie steht oder was es sei.“
6038 sus der stæte wandels frî So schickte der beständige Makellose
6039 besante sîne tohter. nach seiner Tochter.
6040 nu kond er noch enmohter Nun konnte und vermochte er
6041 die sache an ir niht ervarn. die Sache nicht von ihr zu erfahren.
6042 die minnenclîchen an den arn Er nahm die Liebliche in den Arm
6043 nam er und truht sî schôn an sich. und drückte sie zärtlich an sich.
6044 er sprach ,tohter minnenclîch, Er sprach: „Geliebte Tochter,
6045 mîn trôst, mîn trût, mîn einic kint, mein Trost, meine Vertraute, mein einziges Kind,
6046 mîn sin mîn herze beide sint mein Verstand und mein Herz hängen beide
6047 an dir und hânt dich alsô zart, an dir und haben dich so lieb,
6048 daz vater kint lieber wart dass kein Kind einem Vater jemals lieber
6049 nie und wirt ouch niemer. war und auch niemals sein wird.
6050 tuo ein dinc, daz ich iemer Tu etwas, auf dass ich dir
6051 lîp und guot dir teilen wil: immer Leib und Gut erhalten will:
6052 einer sache mir niht hil Verheimliche mir eine Sache nicht,
6053 der ich dich welle frâgen. nach der ich dich fragen will.
6054 des lâ dich niht betrâgen Lass dich nicht verdrießen,
6055 daz du sî rehte kündest sie mir um meinetwillen
6056 und endelîch durgründest richtig zu verkünden
6057 mir dur mînen willen. und bis zum Letzten zu erklären.
6058 ich wil sî helfen stillen Ich werde helfen, dir die Tage
6059 dir den tag ich iemer lebe.‘ angenehm zu machen, solange ich lebe.“
6060 ,veterlîn, ich widerstrebe „Väterlein, ich handle niemals
6061 niemer dînen worten. gegen deine Worte.
6062 ob die sach ie gehôrten Wenn meine Ohren die Sache jemals
6063 mîn ôren ald hân ichs gesehen, hörten oder ich sie gesehen habe,
6064 sô wil ich sî gar verjehen so will ich sie dir hier
6065 dir hie endelîche.‘ ganz bis zum Schluss erzählen.“
6066 ,tohter minnenclîche, „Geliebte Tochter,
6067 sô sage mir ân allen haz, so sage mir ohne jeden Vorbehalt,
6068 wie mac sich gefüegen daz wie es sich fügen kann, dass
6069 du und der ritter alsô sint du und der Ritter so entzweit
6070 entslagen, mîn vil libez kint? sind, mein allerliebstes Kind?
6071 daz solt du mir machen schîn.‘ Das sollst du mir erklären.“
6072 Sî sprach ,liebez veterlîn, Sie sprach: „Liebes Väterlein,
6073 ,waz woltest du des krieges pfliht? Was wolltest du vom Wesen dieses Kriegs wissen?
6074 ich sol dir sîn sagen niht, Ich werde es dir nicht sagen,
6075 wan sî hoeret dich niht an.‘ denn es geht dich nichts an.“
6076 ,nein, min tohter tugentsan, „Nein, meine tugendsame Tochter,
6077 ich wilz wizzen waz ez ist.‘ ich will wissen, was los ist.“
6078 sî sprach ,veterlîn, du bist Sie sprach: „Väterlein, du kommst
6079 wunderlîchen hie an kon.‘ auf merkwürdige Art darauf zu sprechen.“
6080 er sprach ,töhterlîn, dâ von Er sprach: „Töchterlein, sag es mir
6081 sage mirz: tuost du es niht, aus folgendem Grund: Tust du es nicht,
6082 mîn ouge niemer dich gesiht sieht mein Auge dich nie mehr
6083 frô noch friuntlîchen an.‘ froh und freundlich an.“
6084 ,wilt du mich sîn niht erlân‘, „Wenn du darauf bestehst“,
6085 sprach sî, ,sô tuon ich dir kunt sprach sie, „so mache ich dir die Sache
6086 die sache gar unz ûf den grunt.‘ vollständig bis zum Letzten kund.“
6087 ,Nein ich‘, sprach er, ,swaz ez ist, „Ja, ich bestehe darauf “, sprach er, „was auch immer es ist,
6088 alsô liep sô du mir bist, du bist mir so oder so lieb,
6089 sag mirz, liebez töhterlîn, sag es mir, liebes Töchterlein,
6090 wen ez mac niht anders sîn.‘ weil es nicht anders sein kann.“
6091 sî sprach ,dâ hât er schulde vil Sie sprach: „Da hat er sich sehr
6092 gên mir dem ich niemer wil gegen mich versündigt, dem ich nie mehr
6093 mîn hulde mê gebieten. meine Huld zuteil werden lassen will.
6094 der hof sol sich ouch nieten Auch der Hof soll sich hier
6095 mit dienste ander ritter hie. am Dienst anderer Ritter erfreuen.
6096 daz er mir getorste ie Dass er je wagte, von mir
6097 mit bete sprechen an den lîp! körperliche Hingabe zu erbitten!
6098 ê daz ich wolte noch sîn wîp Bevor ich seine Ehefrau
6099 ald sîn âmîe werden, oder seine Geliebte werde,
6100 ich wolt mich in die erden wollte ich mich lieber lebendig
6101 lân lebendic betelben, in der Erde begraben lassen
6102 ald ich wolt mich selben oder wollte selbst weglaufen
6103 verlouffen als ein wildez tier.‘ wie ein wildes Tier.“
6104 bî der stunt dô marhte schier In diesem Moment merkte der Vater
6105 der vater wie ez was gevarn. auf einmal, was passiert war.
6106 er nam sî under sînen arn Er nahm sie in den Arm
6107 und sprach ,liebez töhterlîn, und sprach: „Liebes Töchterlein,
6108 dar umbe sol dîn herze sîn darum soll dein Herz
6109 niht trûric alsô lange pfliht. nicht länger traurig sein.
6110 ein solich sache dik beschiht Eine solche Sache geschieht oft
6111 sunder valschen willen. ohne böse Absicht.
6112 wir son diz mære stillen, Wir wollen diese Geschichte verschweigen,
6113 daz sîn der hof iht werd gewar, damit der Hof ihrer nicht gewahr wird,
6114 und söln den ritter wider har und sollen den Ritter wieder hierher
6115 besenden und son schaffen beordern und dafür sorgen,
6116 daz er solichez klaffen dass er solche dummen Sprüche
6117 niemer mê getrîbe. niemals wieder loslasse.
6118 ê daz ich dich ze wîbe Bevor ich dich ihm
6119 im gæbe, daz sî dir bekant, zur Frau gäbe, das sollst du wissen,
6120 ich wolt ê liute unde lant wollte ich für immer
6121 lâzen êweclîche, auf Leute und Land verzichten
6122 und wolte sicherlîche und wollte bestimmt
6123 daz ellende biuwen.‘ im Elend leben.“
6124 ,veterlîn, entriuwen‘, „Väterlein und lieber Herr“,
6125 sprach sî, ,und lieber herre, sprach sie, „im Vertrauen,
6126 diu ander sach ist verre eine zweite Sache ist weit
6127 groezer denn diu selbe sî. größer, als diese ist.
6128 der karge ritter saz mir bî, Der hinterlistige Ritter saß bei mir,
6129 daz er mich bat der minne. damit er mich um Liebe bat.
6130 dâ von im mîne sinne Deswegen bringen ihm meine Sinne
6131 iemer tragent vîgentschaft, immer tiefste Ablehnung entgegen,
6132 wan mîn herze ist behaft weil mein Herz davon
6133 dâ von mit grôzer swære. sehr belastet wird.
6134 ich sprach, mir wære unmære Ich sprach, mir wäre sein Dienst
6135 sîn dienst ûf solich gedinge, gegen solchen Lohn zuwider,
6136 wan ich mîn leben bringe weil ich mein Leben
6137 alsô unz ûf daz ende, beenden würde,
6138 ê daz ich iemer wende bevor ich mein Herz jemals
6139 mîn herz gên sîme werben. seinem Werben entsprechend wandeln würde.
6140 er sprach ,sô muoz ich sterben Er sagte: » So muss ich sterben
6141 und iemer haben sendez leit.‘ und immer Sehnsucht leiden «.
6142 swaz er bat und ich verseit, Wie sehr er auch bat und ich ihm eine Abfuhr erteilte,
6143 sô liez er doch dâ von niht abe. so ließ er darum doch nicht von mir ab.
6144 gedröut, gebeten ich in habe Ich habe ihm gedroht und ihn gebeten,
6145 güetlîch und mit zorne. gütlich und mit Zorn.
6146 daz was gar ein verlorne Das war ganz und gar
6147 und ein üppic erbeit. verlorene und überflüssige Mühe.
6148 er bat und bat und ich verseit Er bat und bat lange Zeit
6149 lang und lang und mange stunt. und ich erteilte eine Absage nach der anderen.
6150 und dô im offenlîch wart kunt Und als offensichtlich wurde,
6151 daz sîn werben niht vervienc dass sein Werben nichts brachte
6152 und sîn dinc im anders gienc und sein Plan anders verlief,
6153 denn er lîhte hât gedâht, als er vielleicht gedacht hatte,
6154 und ich in ouch sô versmâht und ich ihn auch so verschmäht
6155 hatte, dô er daz ersach, hatte – als er das einsah,
6156 lugelîchen er dô sprach erzählte er Lügenmärchen
6157 und zêch mich des ich nie gedâht und zieh mich einer Sache, an die ich nie gedacht hatte
6158 und ouch niemer vollebrâht, und die von mir, so glaube ich,
6159 als ich wæne, von mir wirt. auch niemals getan wird.
6160 der gezig mîn herze swirt Die Anschuldigung schmerzt mein Herz
6161 und gît mir sorgen wunder. und bereitet mir große Sorgen.
6162 alsam ein swert mir under Als ob mir ein Schwert
6163 mîner brüste stecke, in der Brust steckte,
6164 sô lît der jâmers flecke so liegt der Makel des Jammers
6165 âbent unde morgen von früh bis spät
6166 endelîch verborgen vollständig verborgen
6167 in mînes herzen sinne, im Verstand meines Herzens,
6168 wan ich leit dar inne weil ich darin immer Leid
6169 hân und trage iemer mê, verspüre und immer mehr davon dulde,
6170 ezn werd an ime gerochen ê wenn es nicht an ihm gerächt wird, bevor
6171 ich iemer froelîch müge sîn.‘ ich jemals wieder fröhlich sein kann.“
6172 er sprach ,liebez töhterlîn, Er sprach: „Liebes Töchterlein,
6173 wâ von huop sich der gezige? woraus speiste sich der Vorwurf?
6174 ob ich rehter triuwe phlige Wenn ich dir gegenüber rechte Treue
6175 gên dir als ich billich sol, pflege, wie ich billigerweise soll,
6176 sô mahtu sicherlîchen wol so kannst du dich mir
6177 mir dînen sin entsliezen. getrost anvertrauen.
6178 kint, lâ mich geniezen Kind, ermögliche mir,
6179 daz ich liep leit unde klagen dass ich Liebe, Leid und Klagen
6180 iemer mê wil mit dir tragen immer mit dir gemeinsam tragen will,
6181 die wîl ich lebe einen tac. solange ich lebe.
6182 swie ich daz gerihten mac Wie immer ich es anstellen kann,
6183 daz dîn herz fröuden rûmet, dass dein Herz der Freude Platz einräumt,
6184 daz wirt von mir gesûmet wird das von mir nicht
6185 niemer halbe stunde.‘ eine halbe Stunde hinausgezögert.“
6186 sî sprach ûz rôtem munde: Sie sprach aus rotem Mund:
6187 ,Veterlî, des lôn dir got. „Väterlein, das lohne dir Gott.
6188 mîn lîp sol in dîm gebot Ich werde mich deinem Gebot
6189 sich dâ von iemer valten. darum immer beugen.
6190 mîn herze muoz erkalten, Mein Herz muss erkalten,
6191 swenn ich gedenke waz ez was, wann immer ich daran denke, was es war,
6192 dâ mit der veige an êren laz womit der Todgeweihte, an Ehren Träge
6193 betruobte mir herz unde lîp. mir Herz und Leib betrübte.
6194 er zêch mich ich wære wîp Er bezichtigte mich, ich wäre
6195 nâch kebeslîchem orden heimlich die Dirne
6196 tougenlîchen worden von dem aus Sachsen
6197 von dem ûz Sahsen landen. geworden.
6198 swenn ich der grôzen schanden Wann immer ich an die große Schande
6199 gedenke, sô er ûf mich treip, denke, die er an mir verübte –
6200 daz mîn sin mir ie beleip dass ich damals nicht den Verstand verlor,
6201 ald noch belîbet, daz ist nôt. oder noch verliere, ist ein Unglück.
6202 ich mohte von dem schrecken tôt Ich hätte vor Schreck sterben
6203 sîn, alsô bin ich verzegt. können, so entsetzt war ich.
6204 diu sache sin und herze negt Die Sache nagt mir an Verstand und Herz
6205 mir sam der rost ein îsen. wie der Rost am Eisen.
6206 ich möht eins tages grîsen Ich könnte eines Tages alt
6207 und grâwen von der swære, und grau werden von der Bedrückung,
6208 daz der êren lære dass der Ehrlose
6209 mich sô torst ie besprechen. jemals so zu mir zu sprechen wagte.
6210 möht ich ez gerechen Könnte ich es an ihm
6211 an im, er füert ez niemer hin.‘ rächen, triebe er es nie mehr so.“
6212 der vater sprach ,mîn kint, lâ sîn Der Vater sprach: „Mein Kind, lass es gut sein
6213 und swîg; ich kan geschaffen wol und schweig; ich kann gut dafür sorgen,
6214 daz der arge schanden vol dass der Böse in Schande
6215 von uns muoz entwîchen. von uns gehen muss.
6216 gar ûz allen rîchen Aus allen Reichen will
6217 wil ich in vertrîben. ich ihn vollständig vertreiben.
6218 jô mag er belîben Nicht einmal in England
6219 niht in Engellanden. kann er bleiben.
6220 sît daz er dich mit schanden Da er ohne deine Schuld
6221 hât âne schult besprochen, schändlich über dich gesprochen hat,
6222 zwâr daz wirt gerochen wird das fürwahr an ihm
6223 an im daz er für dise stunt gerächt, sodass er ab sofort
6224 niemer har ze hove kunt, und ohne irgendeinen Aufschub
6225 ân aller slohte sûmen. nie mehr hierher an den Hof kommt.
6226 zwâr er muoz mir rûmen Wahrlich, er muss mir aus allen Ländern
6227 alliu lant swâ eht ich in verschwinden, wo immer ich ihn etwa
6228 erstrîche; ich wil senden hin erwische; ich werde Boten hin senden,
6229 boten die im widersagen. die ihm die Treue aufkündigen.
6230 daz leit wil ich mit dir tragen Das Leid werde ich mit dir tragen,
6231 die wîl ich leben iemer. solange ich lebe.
6232 zwâr er kumet niemer Fürwahr, wegen der großen Schuld,
6233 mê zuo mîner hulde die er auf sich geladen hat,
6234 um die grôzen schulde wird ihm nie mehr
6235 die er wol verdienet hât. meine Huld zuteil.
6236 mîn sin mîn herze niemer lât Mein Sinn, mein Herz lässt ihn nie mehr
6237 swâ ich in weiz belîben.‘ bleiben, wo immer ich von seinem Aufenthalt weiß.“
6238 sus hiez er balde schrîben So ließ er schnell
6239 gên Lunders vîentlîche in feindseliger Weise
6240 dem ritter sorgen rîche dem sorgenvollen Ritter einen Brief
6241 einen brief der alsus was nach London schreiben, der folgendermaßen
6242 geschriben reht als ich ez las: geschrieben war, wie ich gelesen habe:
6243 ,Friuntlich gunst gruozes biet „Einen freundschaftlichen Gruß
6244 sol ich heizen schrîben niet befehle ich nicht zu schreiben
6245 dem der ûf mîn laster gât demjenigen, der auf meine Schmach sinnt
6246 und sich sô verschuldet hât und solche Schuld gegenüber mir und
6247 gên mir und mînem kinde meinem Kind auf sich geladen hat,
6248 daz ich niemêr erwinde, dass ich niemals davon ablasse,
6249 ich reche die mortlîchen tât die treulose Tat zu rächen,
6250 die sîn lîp begangen hât die er, dem ich ganz vertraute,
6251 an mir, dem ich getrûte wol. an mir begangen hat.
6252 iuwer sin daz wizzen sol, Euer Verstand soll wissen,
6253 die schulde müezt ir arnen. dass Ihr die Schuld büßen müsst.
6254 mîn widersagen iuch warnen Meine Aufkündigung der Treue soll Euch
6255 sol iemer mê für dise stunt, ab sofort und für immer eine Warnung sein,
6256 sît daz mir ist worden kunt, da mir bekannt geworden ist,
6257 war umb mîn kint iuch vêhte warum mein Kind Euch bekämpft.
6258 ich bat iuch und flêhte Ich bat Euch und flehte,
6259 daz ir sî niht beswârtent. dass Ihr sie nicht belasten würdet.
6260 nu hoer ich wol, ir vârtent Nun höre ich wohl, Ihr seid
6261 mîner êr mit lâge. meiner Ehre mit Hinterhältigkeit begegnet.
6262 mit twinclîcher frâge Auf dringliches Fragen
6263 hât mir mîn kint vil gar enbart, hat mein Kind mir ganz und gar offenbart,
6264 wie ir kebeslîcher vart wie Ihr meine Tochter
6265 mîne tohter zîhent. der Hurerei bezichtigt habt.
6266 tumbe ræte lîhent Ihr habt Eurer Vernunft
6267 ir iuweren witzen. törichte Berater gegeben.
6268 ir sont iuch entsitzen Ihr sollt Euch wegen dieser Sache,
6269 um die sache, sî iuch kunt, das müsst Ihr wissen, ab sofort
6270 vor mir iemer für dis stunt für immer vor mir fürchten
6271 und vor den allen die mîn hant und vor allen, die meine Hand
6272 mit gâbe über iuch ermant, mit Geschenken gegen Euch ermutigt,
6273 die wîl ich ze gebende habe: solange ich etwas zu verschenken habe:
6274 sô wil ich niemer lâzen abe, So werde ich niemals davon ablassen,
6275 ir koment denn ze hulde außer Ihr erlangt mein Erbarmen,
6276 alsô daz ir unschulde indem Ihr dafür einen Reinigungseid
6277 dar um bietent und ouch tuont.‘ anbietet und auch ablegt.“
6278 sus der brief geschriben stuont So stand der Brief geschrieben
6279 und wart gesendet schôn zehant und wurde sogleich ordnungsgemäß
6280 gên Lunders hin ze Engellant. Richtung London nach England gesandt.
6281 Dô im der bote komen was, Als der Bote zu ihm gekommen war,
6282 er slôz den brief ûf unde las, öffnete er [scil. der Ritter] den Brief und las,
6283 als ir dâ vor wol hânt gehôrt. was ihr davor wohl gehört habt.
6284 sîn sin marhte wol diu wort Sein Verstand begriff die Worte gut
6285 und entstuont sich dâ bî, und wunderte sich darüber,
6286 daz diu kiusche wandels frî dass die keusche Unwandelbare
6287 die sach ir vater hât enbart. ihrem Vater die Sache offenbart hatte.
6288 dâ von sînem herzen wart Davon wurde sein Herz
6289 sô wunde und sô rehte wê so wund und so richtig weh,
6290 daz er vorhte iemer mê dass er fürchtete, für immer
6291 in tôdes banden sîn gelegen in den Banden des Todes gefangen zu sein
6292 für die nôt der er nu pflegen wegen der Not, die er nun von der Strahlenden
6293 muose von der klâren. erdulden musste.
6294 sîn sin sîn herze wâren Sein Verstand und sein Herz waren
6295 im an hôhen fröuden tôt. in Bezug auf große Freude wie tot.
6296 ez was gar ein ringe nôt Es war eine wirklich geringe Not,
6297 swaz sîn lîp biz har ie leit was immer sein Leib bisher gelitten hatte
6298 an daz jâmer daz bereit im Vergleich zu dem Jammer, der nun
6299 nu wart sinen sinnen. seinen Sinnen bereitet wurde.
6300 er wolt und muose minnen Er würde und musste diejenige
6301 sî diu in stæte vêhte. lieben, die ihn beständig bekämpfte.
6302 swaz sîn munt geflêhte, Was immer sein Mund erflehte,
6303 daz widerseit ir herze. verbat sich ihr Herz.
6304 der bitterlîche smerze Der bittere Schmerz
6305 tet in an fröuden kranken. schwächte seine Freude.
6306 in herzen und gedanken Im Herzen und in Gedanken
6307 sach man liebe sûren. sah man Liebe bitter werden.
6308 dur nôt sô muos er trûren Wegen der Not musste er
6309 von grundes herzen sinne. aus der Tiefe seines Herzens trauern.
6310 nu sagent an, frô Minne: Nun sagt, Frau Minne:
6311 waz mære ist diz? waz meinent ir, Was ist das für eine Geschichte? Was denkt Ihr Euch dabei,
6312 daz ir zweiger herzen gir dass die Herzbegier dieser beiden,
6313 kunnent samen vâhen, die einander nie zuvor gesehen haben,
6314 die nie ein ander sâhen, am jeweils anderen festhält,
6315 und daz ir disen ritter hie, während Ihr diesen Ritter hier,
6316 der lîp herze sinne ie der Leib, Herz und Sinne seit jeher
6317 hât geleit in iuwer phliht, in Euren Dienst stellte,
6318 lânt und went sin troesten niht? fallen lasst und ihn nicht trösten wollt?
6319 Hie ist unschuldic minne. Die Liebe ist hier unschuldig.
6320 der ritter sîne sinne Der Ritter richtete seine Sinne
6321 kêrte har durch den verbunst. aus Neid dorthin.
6322 swâ mit minne rehte brunst Wenn, wo immer mit Liebe rechtmäßige Verliebtheit
6323 ûz frîgem herzen stiftet, aus freiem Herzen erwächst,
6324 wirt dâ liep vergiftet da die Liebe vergiftet wird
6325 mit des leides angel, durch den Stachel des Leids,
6326 alsô daz man mangel sodass man
6327 hât an hôhen sinnen, unvernünftig wird,
6328 daz kunt niht von minnen, kommt das nicht von der Liebe,
6329 und tuon iuch kunt war umbe. und ich sage Euch, warum.
6330 ein blinde und ein stumbe Ein Blinder und ein Stummer
6331 minnet daz in minnet. lieben, was sie liebt.
6332 ein wildez tier besinnet Ein wildes Tier verhält sich
6333 ist, daz ez treit holden muot so, dass es dem gegenüber zutraulich ist,
6334 dem der im tugentlîchen tuot, der es gut behandelt,
6335 und swer im güet verziuhet, und wer immer es schlecht behandelt,
6336 daz ez den stæte fliuhet vor dem flieht es
6337 und kunt niemer ûf sîn spor. und folgt ihm niemals mehr.
6338 nu hânt ir gehôrt dâ vor Nun habt ihr davor gehört,
6339 wie er sich in die liebe twanc wie er sich zu dieser Liebe drängte
6340 und was daz sunder iren danc. und dass das ohne ihre Billigung geschah.
6341 er hât sich dar betwungen. Er hat sich dorthin gedrängt.
6342 ist im dâ misselungen, Wenn er da keinen Erfolg hatte,
6343 wer mag im des? diu schuld ist sîn. wer kann da etwas dafür? Die Schuld liegt bei ihm.
6344 minn ist ein solchiu meisterîn, Liebe ist eine solche Meisterin
6345 diu sô hôhes namen pfligt, die einen so hohen Namen trägt,
6346 daz sî allem dem gesigt dass sie über alles siegt,
6347 an sô ûf der erd ie wart. was jemals auf der Erde entstand.
6348 ûf rîch und arn unverschart Unbefleckt verteilt sie sich gleichermaßen
6349 und êre und minnenclîche auf Reiche und Arme
6350 teilt sî sich gelîche und Ehrenvolle und Geliebte,
6351 dar nâch als man ir willen tuot. je nachdem, wie man ihren Willen tut.
6352 minne ist der fröuden wünschelruot Liebe ist ein Indikator der Freude,
6353 diu alle sorge kürzet. die alle Sorge mindert.
6354 sî wahset unde würzet Sie wächst und wurzelt
6355 in stæter herzen sinne. im Verstand beständiger Herzen.
6356 swâ man aber die minne Wo man die Liebe aber
6357 vindet ungenühtic, unmäßig findet,
6358 dâ ist sî tobesühtic: da ist sie wahnsinnig:
6359 daz kunt von unsinne. Das kommt vom Unverstand.
6360 dâ ist unschuldic minne. Da ist die Liebe unschuldig.
6361 sî meinet niht denn lûter guot. Sie will nichts als das wahrhaft Gute.
6362 swer mischet und ze minne tuot Wenn jemand irgendetwas
6363 keiner slahte gunterfeit, Unechtes zur Liebe mischt
6364 ob ir süeze dâ bî treit und ihre Süße dadurch den Stachel
6365 sûrer sorgen angel, bitterer Sorgen trägt,
6366 des muoz er fröuden mangel wird keine Freude haben,
6367 hân, swer sî dâ mischet. wer auch immer sie da verunreinigt.
6368 alsus ouch hie verwischet Genauso verlor hier der Ritter
6369 den ritter hôchgemüete, seine freudige Stimmung,
6370 daz im sîn herze blüete indem ihm sein Herz
6371 von angestlîcher swære. aus ängstlicher Bedrückung blutete.
6372 der minne marterære Der Märtyrer der Liebe
6373 enwiste waz er solte tuon, wusste nicht, was er tun sollte,
6374 dô im wart des künges suon als ihm die Vergebung des Königs
6375 und sîn huld alsô verseit. und dessen Huld auf diese Weise versagt wurden.
6376 des wart sîn jâmer alsô breit Davon wurde sein Kummer so breit
6377 und sô tief sô lanc sô wît und so tief, so lang und so weit,
6378 daz er zuo der selben zît dass er in diesem Moment
6379 mohte noch enkunde trotz aller Anstrengung
6380 ein wort ûz sînem munde kein Wort aus seinem Mund
6381 mit keinen sachen bringen. bringen konnte.
6382 nu lêrt ze solchen dingen Nun führt die Liebe
6383 minne mange fünde. in solchen Fällen zu mancher Idee.
6384 wie er sich umbe wünde Wie er sich mit Gedanken
6385 mit gedenken hin und her, hin und her schlug,
6386 nu sus, nu sô, daz merke der einmal so, einmal anders, das bemerkte,
6387 den minne ie hât versêret. wen Liebe jemals versehrt hatte.
6388 nu hin nu har sî kêret Einmal hierhin, einmal dorthin wendet sie
6389 sich gar wandellîche. sich sehr wandelbar.
6390 der ritter sorgen rîche Der sorgenvolle Ritter
6391 vant und erdâht im einen funt, kam auf folgende
6392 der was alsô: im wart wol kunt Idee: Ihm war sehr wohl bekannt,
6393 daz er mit keinen sinnen dass er auf keine Weise
6394 niemer möht gewinnen jemals wieder die Huld oder Gunst
6395 des künges hulde noch den gunst. des Königs gewinnen könnte.
6396 dâ von in lêrte sîn vernunst Daher lehrte ihn seine Vernunft
6397 und rieten im die sinne, und rieten ihm die Sinne,
6398 er solt der küneginne er sollte der Königin
6399 und Fontânâgrîse und Fontanagris
6400 in friuntlîcher wîse in freundschaftlicher Weise
6401 heizen wider schrîben, zurückschreiben lassen,
6402 sî wolten in vertrîben sie würden ihn ganz
6403 vil gar ân alle schulde. unschuldig vertreiben.
6404 er sprach ,ich hân die hulde Er sprach: „Ich habe die Huld
6405 mîner frowen hôhgeborn meiner hochwohlgeborenen Herrin
6406 umb ander sache niht verlorn aus keinem anderen Grund verloren,
6407 wan als ich bescheide. als ich hier darlege.
6408 mîn sin mîn herze beide Sowohl mein Verstand als auch mein Herz
6409 wâren ir ie undertân, waren ihr stets zu Diensten.
6410 dâ mit ich verloren hân Womit ich ihren wohlwollenden
6411 ir gunstlîchez grüezen. Gruß verloren habe,
6412 daz was, ich sach die süezen war, dass ich die Süße
6413 mit senfter minne banden mit zärtlichen Liebesbanden
6414 bî dem ûz Sahsen landen auf intime und angenehme Weise
6415 trûtlîch unde schône ligen. bei dem aus Sachsen liegen sah.
6416 dâ von hât sî mir verzigen Sie hat mir ihre sehr wertvolle
6417 ir vil werde hulde, Huld entzogen,
6418 wan ich umb die schulde weil ich sie wegen dieser Schuld
6419 sî strâfte tougenlîche. heimlich zurechtwies.
6420 sô giht diu minneclîche, Daher behauptet die Liebliche,
6421 ich wurbe umb ir minne. ich würbe um ihre Liebe.
6422 daz mir in mîne sinne Das kam mir nie
6423 nie kan: des swer ich einen eit. in den Sinn: Das schwöre ich unter Eid.
6424 niht wan dar umbe daz mir leit Nur weil mir die Schande
6425 was des rîches schande, des Landes so weh tat,
6426 sô muos ich von dem lande musste ich meiner Treue wegen
6427 umb mîne triuwe strîchen. das Land verlassen.
6428 ich wil die minnenclîchen Ich werde diesbezüglich als Zeuge gegen
6429 des übersagen, swâ man wil, die Liebliche auftreten, wo immer man will,
6430 in kamphes rinc, mit strîtes spil im Kampfring, im Wettkampf
6431 ald swie man mir erteilet. oder wie immer man mir befiehlt.
6432 mîn leben wirt geveilet Ich setze dafür mein Leben aufs Spiel,
6433 dar umb, wan ez ist sicher wâr. denn ich sage bestimmt die Wahrheit.
6434 wil diu minneclîchiu klâr Will die schöne Liebliche
6435 ir laster mit mir decken, ihre Laster durch mich verbergen,
6436 sî kan an mir wecken wird sie an mir den Zorn
6437 slâfendes hundes reizen. eines schlafenden Hundes wecken.
6438 wil sî ûf mir erbeizen Will sie auf diese Weise
6439 alsô mit irem zorne, wütend über mich herfallen,
6440 sô muoz diu hôhgeborne so muss die Hochwohlgeborene
6441 doch die schulde von mir hân, doch durch mich Schuld tragen,
6442 wan ich spriche sî des an denn ich klage sie deswegen an
6443 und wil ouch daz beherten. und werde das auch beweisen.
6444 dâ müezent helme scherten Darum werden Helme schartig
6445 umb, ob ichz gefüegen mac. werden, wenn ich es einrichten kann.
6446 herre, machent einen tac, Herr, bestimmt einen Tag,
6447 lânt mich für iuch komen dar lasst mich dort vor Euch treten,
6448 sô daz ich mit trôste var sodass ich mit Genugtuung in das Land
6449 hin und von dem lande. und wieder zurück fahre.
6450 swie sî sich mac der schande Wenn sie sich da der Schande
6451 mit wâren sachen dâ entladen, mit wahren Argumenten erwehren kann,
6452 sô wil ich ûf mîn selbes schaden will ich zu meinem Schaden
6453 den tôt mit urteile. das Todesurteil annehmen.
6454 ob aber ich dem heile Wenn ich aber ein Kind des Heils
6455 und den sælden bin geborn, und des Glücks bin,
6456 daz ich anders niht verlorn sodass ich die Huld der Hübschen nicht anders
6457 hân der zarten hulde, als behauptet verloren habe,
6458 sô nement mîn unschulde so akzeptiert meine Unschuld
6459 und lânt mich ze gnâden kon. und gewährt mir Gnade.
6460 ich hân sicherlîch hie von Ich habe ihre Huld bestimmt deswegen
6461 verlorn ir huld und anders niht, und wegen nichts anderem verloren,
6462 swaz joch iemer mir beschiht.‘ was auch immer mir geschieht.“
6463 Sus lêrt diu minne liegen So lehrt die Liebe lügen
6464 und wandellîchen biegen und das Herz mit der Zunge
6465 daz herze mit der zungen. wankelmütig verbiegen.
6466 in hât daz leit betwungen Ihn hatte das Leid überwältigt,
6467 daz er niht wiste waz er tet. sodass er nicht wusste, was er tat.
6468 minne grôziu wunder het Liebe hat oft große Wunder
6469 dik gewürket und tuot noch, gewirkt und tut es heute noch,
6470 und belîbt ze jungest doch doch siegt am Ende stets
6471 stæt diu wâr gerehtekeit, die wahre Gerechtigkeit,
6472 sô der lüge gunterfeit sodass die Fälschung der Lüge
6473 smilzet sam des rîfen tuft wie der Raureif in der
6474 von der warmen sunnen luft. sonnengewärmten Luft schmilzt.
6475 Alsus beschach dem ritter hie. Das geschah dem Ritter hier.
6476 sîn sach uneben ane vie Seine Sache fing holprig an
6477 und nam ouch swachez ende. und nahm auch ein schlechtes Ende.
6478 er schreip mit sîner hende Er schrieb eigenhändig
6479 reht als ich dâ von hân geseit. genau das, was ich darüber gesagt habe.
6480 der brief zesamen wart geleit Der Brief wurde zusammengefaltet
6481 und verslozzen starke. und fest verschlossen.
6482 er wart gên Tenemarke Er wurde dem mächtigen König
6483 dem künge rîch gesendet. nach Dänemark gesandt.
6484 dâ von wart gepfendet Davon wurde
6485 diu junge küneginne der jungen Königin
6486 an fröuden rîchem sinne, ihre freudige Stimmung genommen,
6487 wan ez ir trûren brâhte. denn es brachte ihr Trauer.
6488 ,ei rîcher got‘, gedâhte „Ei, guter Gott“, dachte
6489 sî, ,wie sol ez mir ergân? sie, „wie wird es mir ergehen?
6490 ob ich nu niht kenpfen hân, Wenn ich nun keinen Kämpfer finde,
6491 sô muoz daz laster wesen mîn, so wird die Schuld auf mich fallen
6492 und muoz iemer mêre sîn und ich werde für immer
6493 beroubet hôher êren. großer Ehren beraubt sein.
6494 war sol ich mich kêren? Wohin soll ich mich wenden?
6495 waz sol ich lân? waz sol ich hân? Was soll ich unterlassen? Was soll ich tun?
6496 wie sol ez armen mir ergân, Wie soll es mir Armer ergehen,
6497 sît daz der schanden rîche da der Schändliche
6498 alsô lugelîche solche Lügengeschichten
6499 mære ûf mich stenpfet? über mich erzählt?
6500 wird ich überkenpfet, Werde ich im Kampf besiegt,
6501 daz ist ein sache diu mir buoz ist das eine Sache, aufgrund derer
6502 êren tuot, wan ich muoz ich meine Ehre verliere, denn ich werde
6503 iemer mê in schanden ligen. für immer in Schande versinken.
6504 mag ich im niht an gesigen, Wenn ich ihn nicht besiegen kann,
6505 sô bin ich an fröuden tôt. so bin ich für jegliche Freude tot.
6506 ouwê bitterlîcher nôt, O weh, bitterliche Not,
6507 wie sol ich gebâren?‘ wie soll ich mich verhalten?“
6508 ir sin ir herze wâren Ihr Verstand, ihr Herz und auch
6509 erstapt und al ir lîbes lider. alle Glieder ihres Körpers waren erstarrt.
6510 sî dâht ,und gib ich ime wider Sie dachte: „Und gewähre ich ihm wieder
6511 mîn verworhten hulde, meine einmal entzogene Huld,
6512 sô lig ich in der schulde, so trage ich Schuld
6513 und wirt mîn laster merre. und nimmt mein Vergehen zu.
6514 diz mær ist alsô verre Diese Geschichte hat sich
6515 ûz in disen landen komen, außerhalb des Landes so weit verbreitet
6516 ez hât sô manic man vernomen und so viele haben sie gehört,
6517 daz ez verswigen niht enwirt. dass darüber nicht geschwiegen wird.
6518 sîn trugelîchez liegen birt Sein betrügerisches Lügen verursacht
6519 mir hie grôzen smerzen.‘ mir hier große Schmerzen.“
6520 sî gap irem herzen Sie gab ihrem Herzen
6521 mangen jâmerlîchen stôz. manch schmerzhaften Stoß.
6522 ûz ir liehten ougen flôz Aus ihren hellen Augen floss
6523 manic bitter heizer trehen. manche bittere heiße Träne.
6524 ,ouwê, wie sol mir beschehen?‘ „O weh, wie wird mir geschehen?“
6525 schrei sî lûte dicke. schrie sie oft laut.
6526 ,mich hânt der sorgen stricke „Mich haben die Bande der Sorge
6527 beklæwet alsô sêre, so fest ergriffen, dass,
6528 swar ich gên fröuden kêre wohin ich mich auch um Freude
6529 mich, dâ bin ich gar verhagt, wende, ich da ganz eingeschlossen bin
6530 sam ein hinde die man jagt wie eine Hirschkuh, die man jagt
6531 in wildes waldes vorste. im Forst des wilden Waldes.
6532 ei rîcher got, getorste Ei, mächtiger Gott, wagte
6533 ald moht ich mit im vehten, oder könnte ich gegen ihn kämpfen
6534 wolt got denn dem rehten und würde Gott dann dem Rechtmäßigen
6535 helfen, sô genæs ich wol, helfen, so wäre ich sicher gerettet.
6536 dem ich wol getriuwen sol, Dem ich zu Recht vertraue,
6537 er lâz mich sîn geniezen, der lasse mich nicht im Stich
6538 wil mir sîn trôst erschiezen und gewähre mir seinen Trost,
6539 als er mangem hât getân.‘ wie er es schon bei manchem tat.“
6540 der künic sprach ,mîn kint Irkân, Der König sprach: „Yrkane, mein Kind,
6541 rât an umb eine sache. rate mir in einer Sache.
6542 wilt du daz ich im mache Willst du, dass ich für ihn und
6543 und dir eins gerihtes tac, dich einen Gerichtstag festsetze?
6544 ob er dich erziugen mac, Wenn er gegen dich zu überzeugen vermag,
6545 sô sîn wir iemer êren blôz. sind wir für immer unsere Ehre los.
6546 der sache schulde diu ist grôz Die Schuld in dieser Sache,
6547 die er an dich sprichet. die er dir vorwirft, ist groß.
6548 ob nu dîn munt versprichet Wenn nun dein Mund den falschen Tag
6549 den tac, sô muost du schuldic sîn. nennt, wirst du schuldig sein.
6550 berât dich, liebez töhterlîn, Überleg dir, liebes Töchterlein,
6551 wie wir uns söllen halten, wie wir uns verhalten sollen,
6552 ald du bist verschalten oder du verlierst
6553 von allen dînen êren. deine gesamte Ehre.
6554 lân wir in widerkêren Lassen wir ihn wieder ins Land
6555 ze lande, daz ist ouch niht guot, zurückkehren, ist das auch nicht gut,
6556 sît er diz mær sô offen tuot.‘ da er diese Geschichte so öffentlich macht.“
6557 Sî sprach ,ich kan gerâten niht. Sie sprach: „Ich habe keinen Ratschlag.
6558 ich weiz wol, swaz mir geschiht, Ich weiß sehr wohl, dass, was mir auch
6559 daz kunt von der unschulde, widerfährt, von der rechtmäßigen Haltung kommt,
6560 daz ich im mîne hulde dass ich ihm meine Huld
6561 iemer wolte geben wider. jemals wieder geben wollte.
6562 ich wolt ê mînes lîbes lider Ich ließe alle Glieder
6563 alliu lân zerhouwen, meines Leibes zerschlagen,
6564 ê ich in wolte schouwen bevor ich ihn
6565 offenlîch ald tougen öffentlich oder im Geheimen
6566 mit friuntlîchen ougen: mit freundlichem Blick anschauen wollte:
6567 ich liez mich ê zersnîden Ich ließe mich eher zerschneiden
6568 und wolte lieber lîden und wollte lieber hunderttausend
6569 hundert tûsent sterben, Tode erleiden,
6570 ê ich in liez erwerben bevor ich ihn jemals wieder
6571 iemer mîne hulde, meine Huld erwerben ließe,
6572 wan swaz ich swære dulde denn was immer ich an Bedrückung erdulde,
6573 daz hât sîn herze ûf geleit das hat sein Herz mir angetan
6574 mit lugelîcher valscheit, mit lügenhafter Falschheit,
6575 dâ von ich in niht schouwen mac. weshalb ich ihn nicht mehr anschauen kann.
6576 veterlîn, mach einen tac, Väterlein, bestimm einen Tag,
6577 lâ sehen wie ez welle ergân.‘ wir werden sehen, wie es kommt.“
6578 daz muoste sîn, ez wart getân. Das musste sein, es wurde getan.
6579 ze Liniôn der rîchen stat In die mächtige Stadt Linion
6580 von allen sînen landen hât ließ er die Besten aus
6581 er besant die besten dar, allen seinen Ländern befehlen,
6582 grâven frîgen ritter gar, alles Grafen, Freie und Ritter,
6583 und swen er guoten mohte hân, und wen er sonst noch für würdig erachtete,
6584 die kâmen. dâ zuo hâte man die kamen. Dazu hatte man
6585 dem ritter frides trôst gegeben, dem Ritter Waffenstillstand versprochen,
6586 daz sîn lîp und ouch sîn leben auf dass sein Leib und auch sein Leben
6587 wær befridet ûf den tac an dem Gerichtstag, der zu Linion
6588 der ze Liniôn dâ lac. ausgerufen worden war, sicher wären.
6589 Nu kam diu zît; der fürsten schar Nun kam die Zeit; die Schar der Fürsten
6590 riten allenthalben dar ritt von überall her heran,
6591 durch der mære schouwe, um zu sehen,
6592 wie sich diu juncfrouwe wie sich die Jungfrau
6593 der sach entreden wolte der Sache erwehren wollte,
6594 die der ritter solte die der Ritter gegen sie
6595 ûffen sî bewæren. beweisen sollte.
6596 nu kam von disen mæren Aufgrund dieser Geschichte kam
6597 daz lant gemeinlîchen dar, nun das ganze Land dorthin,
6598 rîch und arm gemeine gar, Reich und Arm gar vereint,
6599 dô ez von in wart vernomen. nachdem sie davon gehört hatten.
6600 von Engellanden was ouch komen Von England war auch der Ritter
6601 der ritter, als mir wart geseit. gekommen, wie mir gesagt wurde.
6602 ze velde wart der tac geleit Der Gerichtstag wurde auf einem Platz
6603 ûffen einen wîten plân. auf einer großen Ebene abgehalten.
6604 gestüelet wart dô sunder wân Da war wirklich nach königlicher Art
6605 nâch küneclîcher pflihte, ein Thron aufgebaut,
6606 wan dâ zuo gerihte weil der König da
6607 der künic sitzen wolte. zu Gericht sitzen wollte.
6608 swer zuo im sitzen solte, Wer sich zu ihm setzen sollte,
6609 dem wart ouch schôn gestüelet dâ. dem wurde auf angemessene Weise ebenfalls ein Stuhl aufgebaut.
6610 nu kan diu schoen Yrkâne sâ Nun kam, unter der Last
6611 mit sorgen grôz betwungen. großer Sorgen, die schöne Yrkane selbst.
6612 nu wart vil vast gedrungen Nun drängte man vehement
6613 zuo des gerihtes ringe, zum Gerichtsplatz,
6614 daz man die tegedinge damit man die Verhandlung
6615 deste baz verhôrte. umso besser hörte.
6616 nu wart bî einem worte Nun wurde da mit einem Wort
6617 ein swîgen dâ gebotten, Schweigen geboten,
6618 dâ von der liute rotten wovon die Menschenmengen
6619 swigen tougenlîche. andächtig verstummten.
6620 nu sprach diu minnenclîche, Nun sprach die Liebliche,
6621 diu hôchgelopte künegîn, die hochgelobte Königin:
6622 ,herr und liebez veterlîn, „Herr und liebes Väterlein,
6623 heiz verhoeren mîniu wort, befiel, meinen Worten zu lauschen,
6624 biz daz ich sî ûf ein ort bis ich sie vor euch allen
6625 künde vor iuch allen. bis zum Ende verkündet habe.
6626 mîn lop ist gevallen Mein Lob ist aufgrund
6627 mit ziges wân in schanden wât einer falschen Anschuldigung
6628 von disem ritter der hie stât: dieses Ritters, der hier steht, in Schande gefallen:
6629 des ich doch unschuldic bin. Doch bin ich dessen nicht schuldig.
6630 herre vater, frâgent in Herr Vater, fragt ihn,
6631 waz er von mir hab gesehen, was er von mir gesehen habe,
6632 wie diu sache sî beschehen wie die Sache geschehen sei,
6633 der er mich hie zîhet, derer er mich hier bezichtigt
6634 und mit der er lîhet und mit der er meiner Krone
6635 laster mîner krône. Laster verleiht.
6636 mag ich mich des schône Wenn ich mich dagegen nicht
6637 niht entreden, veterlîn, angemessen verteidigen kann, Väterlein,
6638 sô muoz ich schulden teilic sîn so werde ich an der großen Schande
6639 an der grôzen schande. schuldhaft Anteil haben.
6640 ich triuwen aber ich stande Ich vertraue aber darauf, dass ich
6641 der schuld und aller schanden blôz.‘ ohne Schuld und Schande bin.“
6642 nu wart diu red unmâzen grôz Nun schwoll das Gerede der Leute
6643 von den liuten allen. über die Maßen an.
6644 man hôrte lûte schallen Man hörte den einen so,
6645 den einen sus, den andern sô. den anderen so laut tönen.
6646 einre was der mære frô Der eine freute sich über die Neuigkeit,
6647 und der ander leides vol. der andere war voll des Leids.
6648 dirre übel, jenre wol Dieser redete schlecht, jener
6649 redet zuo der sache. gut bezüglich der Sache.
6650 nu wart der madels crache Nun wurde der Lärm des Pöbels
6651 verboten; alsô daz beschach, verboten; nachdem dies geschehen war,
6652 Fontânâgrîs dem ritter sprach sprach Fontanagris zu dem Ritter:
6653 ,sagt an, waz hânt ir gesehen?‘ „Sprecht, was habt Ihr gesehen?“
6654 der ritter sprach ,ich sol niht jehen: Der Ritter sprach: „Ich werde nicht reden:
6655 diu küneginne vêhet mich.‘ Die Königin bekriegt mich.“
6656 ,die schulde sag.‘ ,dâ nâ sag ich „Die Schuld sollst du nennen.“ „Ich sage nach der Königin,
6657 wie diu sache ist gevarn.‘ wie die Sache sich verhielt.“
6658 sî sprach ,die wil ich enbarn Sie sprach: „Die will ich euch
6659 iuch allen offenlîchen. allen offen darlegen.
6660 von mir müeze wîchen Von mir sollen Ehre und
6661 êre und alliu sælikeit, alles Glück weichen,
6662 ob iuch von mir misseseit wenn euch von mir auch nur
6663 werde umb ein einic wort.‘ ein falsches Wort gesagt wird.“
6664 swaz ir dâ vor hânt gehôrt, Alles, was ihr davor gehört habt,
6665 wie er wolt nâch ir sterben wie er ihretwegen sterben wollte
6666 und umb al sîn werben, und von seinem ganzen Werben,
6667 umb sîn trûren, um sîn klagen, seinem Trauern, seinem Klagen,
6668 umb sîn leit, um ir versagen, seinem Leid, seinem Versagen,
6669 umb sîn dröuwen daz er tet, seiner Drohung, die er aussprach,
6670 dô er sî gesehen het da er sie aus der Hütte
6671 und von Brûneswîc den helt schleichen gesehen hatte,
6672 und die juncfrôn ûz erwelt den Helden aus Braunschweig
6673 ûz der hütten sliefen, und die auserwählte Jungfrau,
6674 mangen siufzen tiefen wie sie, heiße Tränen vergießend,
6675 sî mit heizen trehen liez, manch schweren Seufzer ausstieß –
6676 schame sî ze rugge stiez sie unterdrückte die Scham
6677 und seit ez allez daz er ie und sagte alles, was er jemals
6678 mit ir rette und begie mit ihr geredet und begangen hatte
6679 gar unz ûf ein ende. ganz bis zum Schluss.
6680 dicke ir wîzen hende Oft schlug sie da
6681 zesamen wurden dô geleit. ihre weißen Hände zusammen.
6682 und dô sî allez daz geseit Nachdem sie alles gesagt hatte,
6683 des ir herze sich entstuont, woran ihr Herz sich erinnerte,
6684 dô tet sî als noch alle tuont da tat sie, wie noch heute alle tun,
6685 die man schulde zîhet: die man einer Schuld bezichtigt:
6686 der sin dem herzen lîhet Der Verstand bereitete dem Herzen
6687 sorge sunder lougen. fürwahr Sorge.
6688 daz herze gît den ougen Das Herz gibt den Augen
6689 wazzer ûf und heize trehen. Wasser und heiße Tränen.
6690 zehant gît der ougen sehen Sofort verursacht der Anblick der Augen
6691 jâmer den gedenken. den Gedanken Kummer.
6692 die gedenke senken Die Gedanken können
6693 sich künnent wider sâ zestunt sich sogleich wieder in die Tiefe
6694 tief in sendes herzen grunt des sehnenden Herzens senken
6695 und schaffent daz sin unde muot und bewirken, dass Verstand und Gemüt
6696 lîp and herze trûren tuot: Leib und Herz traurig sind:
6697 als der zarten hie beschach. Das widerfuhr hier der Zarten.
6698 dô sî allez daz gesprach Nachdem sie alles gesagt hatte,
6699 daz sî sagen wolte, was sie sagen wollte,
6700 dâ nâ der ritter solte sollte auch der Ritter
6701 ouch sagen sîniu mære, seine Geschichte erzählen,
6702 wie ez ergangen wære. wie sie sich ereignet hätte.
6703 daz tet er schier. als daz beschach, Das tat er sogleich. Als das geschah,
6704 vor in allen er dô sprach: sprach er da vor ihnen allen:
6705 ,Ich rede, sît ich sprechen sol. „Ich rede, da ich reden soll.
6706 iedoch sô enbær ich wol Jedoch verzichte ich darauf,
6707 des rîches schande künden. die Schande des Reiches zu verkünden.
6708 muoz ich die hie durchgründen, Wenn ich die hier zur Gänze aufdecken muss,
6709 daz gît mir sorge unde leit. bringt mir das Sorge und Leid.
6710 ir hânt wunder hie geseit Ihr habt hier weiß Gott was erzählt
6711 von mir und mîme werben. von mir und meinem Werben.
6712 ich wil alsô sterben, Ich will dafür sterben,
6713 daz in mînes herzen grunt dass mir derartiges niemals mit Gedanken
6714 mit gedenken niemer kunt in die Tiefe meines Herzens kommt
6715 noch sîn ouch nie gedâhte. und ich auch niemals mehr daran denke.
6716 der grôze tiuvel brâhte Der große Teufel brachte
6717 mich eben dar dâ ich ez sach, mich eben dorthin, wo ich alles sah,
6718 allez daz von iuch beschach, was ich Euch mitteilte,
6719 und setze dar an mînen lîp. und dafür stehe ich mit meinem Leben ein.
6720 ich sach daz ir wurdent wîp, Ich sah, dass Ihr » Frau« wurdet ,
6721 sam mir des rîches hulde. die Huld des Reiches sei auf meiner Seite.
6722 ich biut ouch mîn unschulde Ich schwöre auch bei meiner Unschuld,
6723 umb daz des ir mich hânt gezigen, dass Ihr mich bezichtigt habt,
6724 daz mîn werben sî gedigen meine Bemühungen hätten
6725 hin an iuwer minne. auf Eure Liebe abgezielt.
6726 daz kan in mîne sinne Das kam und kommt
6727 nie und kumet niemer, mir nie in den Sinn,
6728 solt ich leben iemer, solange ich lebe,
6729 wan ir diuhtent mich ze guot. denn Ihr dünkt mich zu edel.
6730 daz iuwer ungenâde tuot Was Eure Erbarmungslosigkeit
6731 gên mir sô vîgentlîche, mir so feindlich antut,
6732 daz ist sicherlîche rührt sicherlich
6733 umb keine sache anders niht, nur daher,
6734 wan daz ich iuch strâfe pfliht dass ich Euch in guter Absicht
6735 für guot tet umb die schulde. zur Rede stellte.
6736 sus hân ich iuwer hulde So habe ich Eure Huld
6737 verloren wunderlîche. auf wunderliche Weise verloren.
6738 ich wil dâ von dem rîche Ich will dem Reich dafür
6739 mîn leben gên ze pfande, mein Leben als Pfand geben,
6740 daz ich mit keiner hande dass ich mich auf keine
6741 sache anders hân verworht andere Art gegen Euch
6742 gên iuch; ich tar unervorht vergangen habe; ich traue mich, unerschrocken
6743 treten in eins kampfes rinc, in den Kampfring zu treten, um zu beweisen,
6744 daz mir nie kein ander dinc dass mir nichts anderes
6745 kan in mîn herz wan lûter guot. in mein Herz kam als aufrichtig Gutes.
6746 swaz man mir ungenâden tuot, Was man mir an Ungnade widerfahren lässt,
6747 des hân ich verschuldet niht. habe ich nicht verschuldet.
6748 ich biute mich in kampfes pfliht Ich stelle mich dem Kampf
6749 und wil treten in den kreiz, und will in den Kreis treten,
6750 daz ich niemen lebender weiz, auf dass ich niemand Lebenden kenne,
6751 ern sî von mir bestanden, der nicht von mir besiegt würde.
6752 ich welle iuch der schanden Ich will Euch im Kampf
6753 mit kampfe überstrîten.‘ die Schande nachweisen.“
6754 nu lepte in den zîten Nun lebte zu dieser Zeit
6755 niht reschers ritters denne er was. kein gewandterer Ritter als er.
6756 dâ von er vil kleine entsaz Deshalb erwartete er überhaupt nicht,
6757 daz in ieman bestüende. dass ihn jemand besiegen würde.
6758 er dâhte daz er süende Er dachte, dass er sich umso
6759 sich mit der zarten deste baz. besser mit der Schönen aussöhnen würde.
6760 dô diz beschach, der künic saz Nachdem das geschehen war, saß der König
6761 in sorgen jâmerlîche. in jämmerlichen Sorgen da.
6762 man hât in al dem rîche Man hielt im ganzen Reich
6763 den ritter in der werdekeit, den Ritter für so ehrenhaft,
6764 daz man geloupte swaz er seit dass man ihm alles glaubte, was er sagte,
6765 und wolt des keinen zwîvel hân. und daran nicht zweifeln wollte.
6766 sîn lîp sîn herze hât getân Sein Leib, sein Herz hatte so
6767 sô manic ritterlîche tât viele ritterliche Taten vollbracht,
6768 daz man in in dem lande hât dass man ihn in dem Land
6769 sô trût sô liep sô rehte wert so innig liebte und für so wertvoll erachtete,
6770 daz in der zît nie ritter swert dass zu dieser Zeit niemals ein Ritter
6771 umb den lîp begurte, das Schwert um den Leib schnallte,
6772 den man ze bûhurte, den man im Buhurt,
6773 ze ernest und ze schinpfe, im Ernstfall oder im Turnier,
6774 ze kraft und ze gelinpfe an Kraft und an Angemessenheit
6775 bezzern funde denne er was. für besser befand, als er war.
6776 man hât in liep und mahte daz Man hatte ihn lieb und das bewirkte, dass
6777 er hie grôzen gunst gewan. er hier große Unterstützung fand.
6778 wol und übel rette man Gut und schlecht äußerte man sich
6779 dâ zuo, als noch vil geschiht dazu, wie noch heute oft geschieht,
6780 dâ man solcher sache pfliht wo man solche Dinge
6781 offenlîch erscheinet. an die Öffentlichkeit trägt.
6782 swie ez daz herze meinet, Wie immer es das Herz meint,
6783 alsô redet ouch der munt. so redet der Mund.
6784 diz dinc wart offenlîchen kunt Diese Sache wurde öffentlich kund
6785 und wart dâ zuo geredet vil. und es wurde darüber viel geredet.
6786 der künic sprach ,min kint, ich wil Der König sprach: „Mein Kind, ich will
6787 dir sagen wie ez dir ergât dir sagen, wie es dir ergeht,
6788 nâ dem sô dîn sache stât. nachdem deine Sache so steht.
6789 Du muost der schande schuldic sîn. Du wirst der Schande schuldig sein.
6790 got erbarme daz du mîn Gott erbarme, dass du mein
6791 kint ald ich dîn vater sî. Kind bist und ich dein Vater bin.
6792 uns muoz iemer laster bî Uns wird für immer der Makel
6793 wonen umb die schande. der Schande anhängen.
6794 dem rîche und dem lande Dem Reich und dem Land
6795 wirt unheil gemêret, wird Unheil gemehrt,
6796 sît daz du entêret weil du die Krone
6797 die krône hâst und dâ bî mich. entehrt hast und damit auch mich.
6798 ald ein anderz, du muost dich Steht der Fall anders, musst du dich
6799 hie ze kampfe bieten.‘ hier dem Kampf stellen.“
6800 die herren alle rieten, Die Herren rieten alle,
6801 man solt sî und den küenen man sollte sie und den Kühnen
6802 minnenclîchen süenen: im Guten versöhnen:
6803 des wolte sî gestatten niht. Das wollte sie nicht zulassen.
6804 sî sprach ,swaz joch mir beschiht, Sie sprach: „Was auch immer mir geschieht,
6805 ich wil des kampfes warten.‘ ich werde den Kampf annehmen.“
6806 man riet der vil zarten Man riet der allzu Zarten
6807 dâ von; sî wolte niuwan dar. davon ab; sie bestand darauf.
6808 ,swie got welle, sô gevar‘, „Es geschehe, wie Gott will“,
6809 sprach sî ûz sorgen bitter. sprach sie aus bitterer Sorge.
6810 nu wart ir und dem ritter Nun wurde ihr und dem Ritter
6811 mit urteil erteilet, das Urteil gesprochen,
6812 sît er sîn leben veilet nachdem er sein Leben aufs Spiel setzte
6813 und sî ouch umb ir êre, und auch sie ihre Ehre.
6814 mit urteillîcher lêre Mit Urteilsspruch wurde
6815 wart der kampf gesprochen der Kampf für einen Termin
6816 von der zît sehs wochen in sechs Wochen und drei Tagen
6817 und drîge tage, sô man seit, angesetzt, so sagt man,
6818 nâ kampfes gewonheit, nach der Gewohnheit des Gerichtskampfes,
6819 als ie dô was und noch ist. wie es früher war und noch heute ist.
6820 moht aber in der selben frist Könnte die Gute aber
6821 diu zart mit keinen sinnen innerhalb dieser Frist durch irgendeine Kunst
6822 einen helt gewinnen, einen Helden finden,
6823 der kampflîch für sî væhte, der im Kampf für sie fechten würde,
6824 swenn sî den dar bræhte, wenn sie ihn dorthin brächte,
6825 sô mohte sî wol lidic sîn so konnte sie zu Recht von der großen Schuld
6826 der grôzen schuld alsô ob in frei sein, wenn der Ritter
6827 der ritter an der stunde ihn zu dieser Stunde
6828 mit kampf niht überwunde. nicht im Kampf besiegte.
6829 dar an sî sich vil trôste Daraus zog sie großen Trost
6830 und dâhte, daz sî lôste und dachte, dass irgendwo ein Ritter,
6831 etswâ ein ritter dem ir leit dem ihr Leid weh täte
6832 tæte wê und der bereit und der mit heldenhafter Gesinnung
6833 wær ze rehter ritterschaft und männlicher Kraft zu rechter Ritterschaft
6834 mit heldes sin und mannes kraft. bereit wäre, sie erlösen würde.

Bitte geben Sie mindestens 3 Anfangsbuchstaben eines Wortes ein (Mittelhochdeutsch oder Neuhochdeutsch).

Elisabeth Martschini (Übers. und Hg.)

Reinfried von Braunschweig.

Band I, Verse 1 – 6.834.
Mittelhochdeutscher Text nach Karl Bartsch.

Erstmals mit Übersetzung aus dem Mittelhochdeutschen.

Der mittelhochdeutsche Minne- und Abenteuerversroman „Reinfried von Braunschweig“ ist anonym überliefert, er entstand nach dem Fall von Akon 1291 und wird in Ermangelung eines überlieferten Titels nach seinem Protagonisten benannt. Inhaltlich besteht der „Reinfried von Braunschweig“ aus zwei voneinander im Wesentlichen unabhängigen Teilen, deren erster dem Brautwerbungsschema entspricht, während der zweite eine Reise- bzw. Heimkehrergeschichte erzählt. Dem in einer einzigen Handschrift überlieferten, im unvollendeten Satz abbrechenden Text fehlt der Schluss.


Band I (Verse 1-6.834)

Auf der Suche nach Ruhm und Ehre reitet Reinfried von Braunschweig zu einem Ritterturnier in die dänische Stadt Linion. Als gefeierter Sieger im Lanzen- und im Schwertkampf wird er mit einem Kuss der wunderschönen Königstochter Yrkane geehrt. Einem Kuss aus dem sich eine folgenschwere Liebesgeschichte entwickeln soll.

Solivagus-Verlag

434 Seiten, Hardcover, Fadenheftung, Personen- und Ortsregister, Stellenkommentar, Erscheinungsdatum: 3. Januar 2018, Format: 12,6 x 21 cm

Sprache: Mittelhochdeutsch, Deutsch
ISBN: 978-3-943025-34-7
86,00 €

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Schlagworte

Philologie / Mittelalter / Abenteuerversroman / Minneroman / Versroman / Höfischer Roman

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Elisabeth Martschini, geboren 1981 in Baden bei Wien, studierte Germanistik mit den Schwerpunkten Ältere Deutsche Literatur und Deutsch als Fremdsprache, Vergleichende Literaturwissenschaft, Spanisch und Slowenisch in Wien. Sie war Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Wien. Seit Herbst 2013 ist sie OeAD-Lektorin in Prag.
2016 erhielt Elisabeth Martschini eine Auszeichnung der Karls-Universität in Prag für ihre Dissertation „Schrift und Schriftlichkeit“.

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